Titel:
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist (abgelehnt), Verschulden einer Büromitarbeiterin, Organisationsmängel, Verursachungsbeitrag des Verwaltungsgerichts;, Beschwerde auch unzulässig wegen zusätzlicher Versäumung der Begründungsfrist.
Normenketten:
VwGO § 60
VwGO § 146 Abs. 4 S. 1 und 4 .
Schlagworte:
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist (abgelehnt), Verschulden einer Büromitarbeiterin, Organisationsmängel, Verursachungsbeitrag des Verwaltungsgerichts;, Beschwerde auch unzulässig wegen zusätzlicher Versäumung der Begründungsfrist.
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 25.06.2024 – M 7 S 23.5184
Fundstelle:
BeckRS 2024, 43142
Tenor
I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist wird abgelehnt.
II. Die Beschwerde wird verworfen.
III. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 11.375,00 Euro festgesetzt.
Gründe
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Die Beteiligten streiten über den Widerruf einer Waffenbesitzkarte und die Ungültigerklärung eines Jagdscheins. Der Kläger wendet sich dabei mit seiner Beschwerde gegen den seinen Eilantrag ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 25. Juni 2024.
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Dieser Beschluss ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers gemäß dem in den Akten enthaltenen elektronischen Empfangsbekenntnis am 4. Juli 2024 zugestellt worden.
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Mit Schriftsatz vom 19. Juli 2024, eingegangen beim Verwaltungsgericht am 19. Juli 2024, hat der Prozessbevollmächtigte Beschwerde erhoben und zugleich Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand beantragt. Die Entscheidung sei von seinem Büropersonal zuerst falsch zugeordnet worden, da sein bürointernes Aktenzeichen vom Verwaltungsgericht falsch angegeben worden sei. Bei dem angegebenen Aktenzeichen habe es sich um ein strafrechtliches Verfahren gehandelt, in dem kein Rechtsmittel eingelegt worden wäre.
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Weder der Kläger noch der Prozessbevollmächtigte hätten die Fristversäumung verschuldet. Der Auftrag zur Beschwerdeeinlegung sei rechtzeitig erteilt worden, und zwar schon im Rahmen einer persönlichen Besprechung am 11. Juli 2024, sodass die Beschwerde fristgerecht erhoben werden konnte. Der Prozessbevollmächtigte habe sich auch darauf verlassen können, dass seine Anweisungen zur weiteren fristwahrenden Bearbeitung der Sache von seiner Sekretärin beachtet wurden. Die Sekretärin sei ausgebildete Bürokauffrau, und ihr sei die Bedeutung von Fristen aus jahrzehntelanger Tätigkeit bekannt. Sie sei auch seit Jahren mit den anwaltlichen Fristen vertraut und vom Unterzeichner darin geschult worden. Insbesondere sei sie angewiesen, alle vorhandenen Rechtsmittelbelehrungen mit den dort aufgeführten Fristen zu beachten. Den Posteingang insbesondere per beA verwalte sie fehlerfrei und zuverlässig. Sie sei angewiesen, alle per beA eingehende Post sofort fristentechnisch im Fristenkalender zu erfassen. In der beigefügten eidesstattlichen Versicherung macht die Sekretärin geltend, die Ausführungen im Schriftsatz vom 19. Juli 2024 seien zutreffend. Richtig sei auch, dass der Prozessbevollmächtigte ihr persönlich die Anweisung erteilt habe, Beschwerdefristen in den Fristenkalender einzutragen. Sie habe die Sache aufgrund des in dem gerichtlichen Beschluss aufgeführten Aktenzeichens gedanklich falsch zugeordnet und habe den Ablauf der Zweiwochenfrist im Kalender für den 19. Juli 2024 vermerkt. Sie könne das nur mit den Wirrungen bezüglich des falschen Aktenzeichens erklären.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
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1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdefrist ist abzulehnen, da der Kläger nicht hinreichend glaubhaft gemacht hat, dass seinen Prozessbevollmächtigten, dessen Verhalten ihm gem. § 173 S. 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist, ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war.
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Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Zwar darf der Rechtsanwalt die Bearbeitung prozessualer Fristen und damit auch die Fristenkontrolle geschultem und bewährtem Büropersonal überlassen, wenn es sich um einfache, in dem Büro geläufige Fristen handelt. Der Rechtsanwalt muss aber durch organisatorische Vorkehrungen sicherstellen, dass die jeweilige Frist in geeigneter Form zuverlässig notiert wird. Er hat darauf zu achten, dass unverzüglich nach Eingang eines fristauslösenden Schriftstücks Beginn und Ende der Frist in das Fristenbuch oder den Fristenkalender eingetragen werden (BVerwG, B.v. 11.1.2012 – 9 B 55.11 – juris Rn. 3 m.w.N.). Die Fristversäumung ist dem Prozessbevollmächtigten dann nicht zuzurechnen, wenn sie auf dem Verschulden einer sonst zuverlässigen Büroangestellten beruht, ohne dass ein Organisationsmangel hierfür ursächlich gewesen ist.
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Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hat keine Tatsachen dargelegt, die den Schluss zulassen, dass er diesen Anforderungen genügt hat. Zwar gehört die Frist für die Beschwerdeeinlegung nach § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu den Fristen, deren Überwachung einer zuverlässigen Büroangestellten übertragen werden darf, denn nur hinsichtlich der Kontrolle der Frist zur Begründung eines Rechtsmittels trifft den Rechtsanwalt eine gesteigerte Sorgfaltspflicht (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2022, § 60 Rn. 14 m.w.N.). Die gesteigerte Sorgfaltspflicht bei der Fristenkontrolle setzt dann aber wieder ein, wenn ihm in der Fristsache die betreffende Akte zur Bearbeitung vorgelegt wird. In diesem Fall obliegt es ihm, sich dieser Akte mit besonderer Sorgfalt anzunehmen und sich unmittelbar und selbst Gewissheit über den Ablauf der Frist zu verschaffen (vgl. Schmidt a.a.O. Rn. 15; BGH, B.v. 15.1.2014 – XII ZB 431/13 – juris Rn. 8).
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Dass der Prozessbevollmächtigten dies getan hat, lässt sich seinen Darlegungen nicht entnehmen. Es wird nicht vorgetragen, durch welche organisatorischen Maßnahmen sichergestellt wird, dass zugestellte Entscheidungen unverzüglich und unter sorgfältiger Prüfung des Eingangsdatums im Fristenkalender erfasst werden. Es bleibt schon im Dunkeln, wie die Büroangestellte den Beginn des Fristlaufs feststellen kann, wenn sie angeblich sofort nach Eingang des Schriftstücks über das beA eine Fristenbearbeitung vornehmen soll, denn die Rechtsmittelfrist beginnt erst mit Abgabe des Empfangsbekenntnisses zu laufen, die möglicherweise erst später erfolgt. Zudem lässt sich weder dem Antrag auf Gewährung von Wiedereinsetzung noch der eidesstattlichen Versicherung zweifelsfrei entnehmen, wer für die Berechnung der Fristen zuständig ist. Die Büroangestellte macht nur geltend, sie habe die Anweisung erhalten, Beschwerdefristen in den Fristenkalender einzutragen. Damit kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass der Rechtsanwalt die Fristen, z.B. bei Abgabe des Empfangsbekenntnisses, selbst berechnet und die Büroangestellte diese tatsächlich nur einträgt. Soweit der Prozessbevollmächtigte vorträgt, die Büroangestellte sei angewiesen, alle vorhandenen Rechtsmittelbelehrungen mit den dort aufgeführten Fristen zu beachten, ist auch daraus nicht zweifelsfrei zu entnehmen, wer die Fristen berechnet. Eine schriftliche Anweisung an die Büroangestellte, aus der sich der genaue Ablauf der Bearbeitung ergibt, hat der Prozessbevollmächtigte nicht vorgelegt. Darüber hinaus kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass bei der persönlichen Besprechung mit dem Mandanten am 11. Juli 2024, für die die Akte dem Prozessbevollmächtigten vorgelegt worden sein muss, bei sorgfältiger Bearbeitung die falsch berechnete oder falsch eingetragene Frist aufgefallen wäre, denn regelmäßig ist es Inhalt einer Besprechung, bis wann Rechtsmittel eingelegt und begründet werden müssen.
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Die Ausführungen, das vom Verwaltungsgericht versehentlich benutzte unzutreffende interne Aktenzeichen sei Grund für die falsche Fristberechnung, führen nicht zu einer anderen Beurteilung. Beruht eine Fristversäumnis auf Fehlern des Gerichts, sind die Anforderungen an die Wiedereinsetzung zwar mit besonderer Fairness zu handhaben und aus Fehlern des Gerichts dürfen keine Verfahrensnachteile für die Beteiligten abgeleitet werden. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Fehler des Gerichts nur mitursächlich für die Versäumung der Frist war oder die Fristeinhaltung lediglich erschwert hat (vgl. v. Albedyll in Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 8. Aufl. 2021, § 60 Rn. 3). Hier ist der Fehler des Gerichts aber derart untergeordnet, dass schon nicht ersichtlich ist, wie er für die Fristversäumnis ursächlich sein konnte. Zum einen trifft es nicht zu, dass, so wie die Büroangestellte behauptet, das falsche interne Aktenzeichen in dem gerichtlichen Beschluss enthalten gewesen wäre. Dieses war alleine auf dem Zuleitungsschreiben angegeben und in allen Schreiben war sowohl der Name des Antragstellers als auch das gerichtliche Aktenzeichen deutlich erkennbar genannt, sodass bei einem kurzen Abgleich der Prozessdaten, der Fehler sofort aufgefallen wäre. Überdies war dieses falsche interne Aktenzeichen auch schon in zwei vorherigen Anschreiben durch das Gericht benutzt worden, sodass sich nicht erschließt, warum diese Problematik dem Verwaltungsgericht nicht unmittelbar nach Zuleitung der mit dem unzutreffenden internen Aktenzeichen versehenen Erstzustellung mitgeteilt oder dieser Fehler als Merkposten in den Akten vermerkt worden ist, wenn daraus Schwierigkeiten resultieren.
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Des Weiteren gab der fehlende Vortrag zum genauen Ablauf der Fristberechnung und Eintragung auch keinen Anlass zu einer weiteren gerichtlichen Aufklärung gemäß § 86 VwGO, da eine solche nur bei fristgerecht gemachten, aber erkennbar unklaren oder ergänzungsbedürftigen Angaben geboten gewesen wäre (vgl. BGH, B.v. 15.01.2014 – XII ZB 431/13 – juris Rn. 12 m.w.N.). Die Anforderungen, welche die Rechtsprechung an die Organisation der Fristenkontrolle stellt, sind aber bekannt und müssen einem Rechtsanwalt auch ohne richterliche Hinweise geläufig sein. Wenn der Vortrag in dem Wiedereinsetzungsgesuch dem nicht Rechnung trägt, gibt dies keinen Hinweis auf Unklarheiten, die aufzuklären wären, sondern erlaubt den Schluss darauf, dass entsprechende organisatorische Maßnahmen gefehlt haben (BGH a.a.O. Rn. 12).
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2. Die Beschwerde ist daher gemäß § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht fristgereicht eingelegt worden ist. Darüber hinaus ist sie auch nicht fristgerecht begründet worden, denn die Begründungsfrist gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO ist am 4. August 2024 abgelaufen und eine Begründung beim Verwaltungsgerichtshof bis heute nicht eingegangen. Es ist weder dargelegt noch ersichtlich, aus welchen Gründen eine fristgerechte Begründung der Beschwerde nicht möglich gewesen sein könnte. Ein Wiedereinsetzungsantrag bezüglich der Frist zur Einlegung der Beschwerde hemmt die Frist zur Beschwerdebegründung nicht (vgl. BVerwG, B.v. 26.9.2016 – 2 B 39.16 – juris Rn. 7 m.w.N.; BayVGH, B.v. 23.5.2024 – 6 ZB 24.730 – juris Rn. 5) und das Gericht kann entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten keine von der gesetzlichen Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO abweichende Frist zur Begründung des Rechtsmittels setzen, sobald über einen Wiedereinsetzungsantrag positiv entschieden ist.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG unter Berücksichtigung von Nr. 1.5, Nr. 20.3 und Nr. 50.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
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4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 60 Abs. 5, § 152 Abs. 1 VwGO).