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VG München, Urteil v. 29.10.2024 – M 7 K 21.30124
Titel:

Asylverfahren, Herkunftsland: Myanmar, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Exilpolitische Betätigung

Normenketten:
GG Art.16a
AsylG § 3
Schlagworte:
Asylverfahren, Herkunftsland: Myanmar, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Exilpolitische Betätigung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 42977

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klage in Bezug auf die Asylanerkennung zurückgenommen wurde.
II. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 14. Dezember 2020 wird in den Nrn. 1 und 3 bis 6 aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
III. Von den Kosten des Verfahrens tragen der Kläger 1/4 und die Beklagte 3/4.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubige vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen die Ablehnung seines Asylantrags mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 14. Dezember 2020.
2
Der am ... 1972 geborene Kläger ist Staatsangehöriger Myanmars. Er reiste erstmals am 4. Februar 2020 mit einem Touristenvisum zusammen mit seiner Ehefrau und seinen drei Töchtern auf dem Luftweg in das Bundesgebiet ein und stellte am 5. Mai 2020 bei dem Bundesamt einen Asylantrag.
3
Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt gemäß § 25 AsylG am 3. Dezember 2020 gab der Kläger (u.a.) an, er sei „Indian+Bamar“. Seine Großeltern mütterlicherseits seien Mon. Bis zu seiner Ausreise habe er von 1996 bis ca. Oktober 2019 offiziell mit seiner Familie in Yangon, im Stadtteil Thinkangyun, im Substadtteil K. Y. , in der... gewohnt. Vor ihrer Ausreise seien sie in der Kleinstadt Lapoutta, im 2. Stadtteil, in der Irrawady Division gewesen. Straßennamen gebe es dort nicht. Seine Eltern seien verstorben. Er habe zwei ältere Brüder und zwei ältere Schwestern, die in Yangon lebten. Seitdem er hier sei, habe er keinen Kontakt mehr. Er habe die Schule nur bis zur achten Klasse besucht. Seit 2007 sei er selbständiger Taxifahrer gewesen. Er habe durchschnittlich verdient. Zu seinem Verfolgungsschicksal führte der Kläger weiterhin ausführlich im Zusammenhang aus. Er brachte dabei vor, ein Buddhist habe von ihm nach Myawaddy gefahren werden wollen. Im Rahmen der Fahrt sei er von Polizisten festgenommen worden, die ihm vorgeworfen hätten, illegale Waren zu transportieren. Sie hätten ihm nicht geglaubt, dass er nur der Taxifahrer gewesen sei. Er sei beschimpft, getreten und eingesperrt worden. Seine Frau habe eine Kaution bezahlt und er sei freigelassen worden. Später zu Hause sei er dann zur Polizei vorgeladen worden, dort habe er Geld zahlen sollen, um freigelassen zu werden. Eines Tages sei der Buddhist mit drei Personen gekommen. Der Kläger habe ihm Geld für den Verlust seiner Ware bezahlen sollen. Er habe innerhalb von zwei Monaten zahlen sollen, ansonsten würde er einen Auftragskiller zu ihm und seiner Familie schicken. Sie hätten nicht zur Polizei gehen können, da sie ja schon von ihnen Erpressungsgelder gefordert hätten. Sie hätten dann entschieden, sich zu verstecken und nach Lapoutta zu gehen. Sein Onkel habe ihm dann mitgeteilt, dass er jemanden gefunden habe, der sie nach Deutschland bringen könne, da er nicht für immer im Versteck bleiben könne. Im Folgenden beantwortete der Kläger Nachfragen zu seinem Vorbringen. Wenn sie jetzt nach Myanmar zurückgeschickt werden würden, würde seine ganze Familie ins Chaos geschickt werden. Es sei eine große Beleidigung für ihre Regierung, einen Asylantrag im Ausland zu stellen. Da seine Familie muslimisch sei, würden sie brutal mit ihnen umgehen, da alle Buddhisten Hass gegen uns Muslime empfänden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift über die Anhörung Bezug genommen.
4
Mit Bescheid vom 14. Dezember 2020, als Einschreiben am 4. Januar 2021 zur Post gegeben, lehnte das Bundesamt sowohl den Antrag auf Asylanerkennung (Nr. 2) als auch den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) ab. Ebenso wurde der Antrag auf Zuerkennung subsidiären Schutzes abgelehnt (Nr. 3). Das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG wurde verneint (Nr. 4). Der Kläger wurde zur Ausreise aufgefordert, die Abschiebung wurde bei nicht fristgerechter Ausreise angedroht (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
5
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigter lägen nicht vor. Der Kläger sei kein Flüchtling im Sinne der Definition des § 3 AsylG. Hinsichtlich des Vortrags des Klägers zur geforderten Schmiergeldzahlung aufgrund einer falschen Anschuldigung an die örtliche Polizei in T. am 8. September 2019 sei festzustellen, dass es sich dabei nicht um eine Verfolgungshandlung im o.a.S. handele. Eine daraus resultierende Befürchtung habe der Kläger auch nicht geltend gemacht. Es gebe weder einen offiziellen Vorwurf bzw. ein Verfahren gegen ihn, noch einen Beleg über die Bezahlung an der Polizeidienstelle. Dass diese Polizisten ihr Amt und ihre Macht ausschließlich und allein gegenüber muslimischen Burmesen missbrauchen würden, stelle eine reine Spekulation des Klägers dar, die auf den Unterzeichner aufgrund ihrer Pauschalisierung nicht überzeugend wirke. Denn er habe selbst ausgesagt, dass es diesen Polizisten nur darum gegangen sei, an Geld zu kommen, um ihren Verdienst aufzubessern. Auch bei Fürwahrunterstellung der Erpressung des Geldes der lokalen Polizisten des Reviers in Thuwana sei keine andere Feststellung zu treffen. Wiederum habe es sich dabei um einzelne Polizisten gehandelt, die ihr Amt missbraucht haben sollten. Jedoch ergäben sich zu diesem Vorfall Zweifel daran, ob sich dieser wirklich zugetragen habe, da sich der Kläger, seine Ehefrau und seine Töchter bei der zeitlichen Einordnung widersprochen hätten. Der Kläger habe vorgetragen, dass sich dieser zweite Vorfall der Gelderpressung durch Polizisten am 9. September 2019 zugetragen habe, wohingegen seine Ehefrau diesen auf zwei Wochen nach Rückkehr aus Thahton, später auf Anfang Oktober 2019, zeitlich einordnet habe. Seine zweitälteste Tochter habe erklärt, dass dies Ende September und seine ältere Tochter, dass dies einen Monat nach Rückkehr aus Thahton gewesen sei. Die Drohung durch seinen Kunden namens … … und das anschließende Untertauchen bis zur Ausreise in der Stadt Laputta hätten ebenso wenig glaubhaft gemacht werden kännen. Der Kläger habe erklärt, dass dieser mit Leuten der Ma Ba Tha am 27. Oktober 2019 zu seiner Wohnung gekommen sei, Geld gefordert und ihm eine Frist von zwei Monaten gesetzt habe, worauf sie am 2. November 2019 nach Laputta ausgewichen seien. Es hätten sich auch hier bei den Zeitangaben durch die anderen Familienmitglieder Widersprüche ergeben. Seine Ehefrau habe in ihrer Anhörung gesagt, dass sie erst in der ersten Januar-Woche 2020 nach Laputta ausgewichen seien. Die älteste Tochter wiederum habe den Umzug nach Laputta auf Ende Dezember 2019 datiert. Widersprüche in den Aussagen der einzelnen Familienmitglieder seien auch dahingehend zu finden, da die beiden älteren Töchter erklärt hätte, dass … … mit den beiden ihnen bekannten Polizisten, die ihren Vater zuvor mitgenommen hätten, gekommen sei und nicht etwa mit anderen Personen, die Ma Ba Tha-Anhänger gewesen seien. Die … … begleitenden Leute hätten auch nicht Ma Ba Tha-Anhänger sein können, da diese Vereinigung zu dem Zeitpunkt schon staatlich verboten gewesen sei. Im Mai 2017 sei ein Verbot der Ma Ba Tha-Aktivitäten verhängt, und die Gruppe angewiesen worden, sich aufzulösen und ihre antimuslimische Propaganda im ganzen Land zu entfernen. Abgesehen von diesen Widersprüchen, sei in keinster Weise nachvollziehbar, dass der ihn erpressende … … nicht einmal den Betrag genannt habe, den er von ihm habe ergaunern wollen. Dass er diesen nicht hätte bezahlen können, ohne überhaupt gewusst zu haben, um welchen Betrag es sich gehandelt habe, sei folglich auch nicht schlüssig. Es überzeuge jedenfalls auch nicht, dass dem Kläger eine Frist von zwei Monaten gegeben worden sei. So habe der Kläger keinen Druck, sondern vielmehr die Zeit gehabt, um nach einem Ausweg zu suchen. Eine echte Drucksituation könne dies, wie es der Kläger geschildert habe, nicht gewesen sein. Dies nur gemacht zu haben, um den Kläger und seine Familie einzuschüchtern, könne ebenso wenig nachvollzogen werden. Gegen eine konkrete und ernsthafte Drohung oder eine Wahrmachung dieser spreche ebenso, dass dem Kläger und seiner Familie nach diesem Besuch nichts weiter zugestoßen sei. Dass er sich vor der Ausreise nicht mehr nach draußen bewegt und versteckt habe, sei schon dadurch widerlegt, da er am 15. November 2019 in Yangon einen neuen Reisepass ausgestellt bekommen habe und am 22. Januar 2020 sein Visum beantragen und seine Ausreisevorbereitungen habe treffen können. Bei Fürwahrunterstellung einer konkreten und ernsthaften Bedrohung wäre es vom Kläger zu erwarten gewesen, dass er sich an die Strafverfolgungsbehörden seines Heimatlandes wende, um Hilfe bei der Bedrohung gegen Leib und Leben zu erhalten. Es sei festzustellen, dass dem Kläger zuzumuten sei, auf das Mittel der innerstaatlichen Schutzgewährung durch den schutzwilligen und schutzfähigen myanmarischen Staat zurückzugreifen. Abgesehen davon, stehe ihm bei Fürwahrunterstellung eine inländische Fluchtalternative i.S.v. § 3e AsylG offen, sofern er sich in Rangun Nachstellungen ausgesetzt sehen sollte. Es könne ihm zugemutet werden, sich in diesem sicheren Landesteil aufzuhalten. Selbst aus der Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Muslime folge nicht die Gefahr einer landesweiten Verfolgung. Es bestehe auch keine beachtliche Wahrscheinlichkeit staatlicher Verfolgung allein wegen einer Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland, was jeweils weiter ausgeführt wurde. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sei demzufolge abzulehnen. Die Voraussetzungen der Asylanerkennung gemäß Art. 16a Abs. 1 GG und der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG unterschieden sich lediglich dadurch, dass der Schutzbereich des § 3 AsylG weiter gefasst sei. Die engeren Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter lägen somit nach Ablehnung des Flüchtlingsschutzes ebenfalls nicht vor. Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus lägen nicht vor. Dem Kläger drohe in seinem Herkunftsland nicht die Vollstreckung oder Verhängung der Todesstrafe. Des Weiteren habe er keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm bei Rückkehr in seinem Herkunftsland Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohen würden. Auch eine Schutzfeststellung nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG scheide aus. In der Herkunftsregion des Klägers bestehe kein Konflikt. Diesbezügliche Befürchtungen machte er auch nicht geltend. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Myanmar führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die hierfür geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Klägers sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch die Abschiebung nicht beachtlich. Es drohe dem Kläger auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen würde, was im Folgenden weiter ausgeführt wurde. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe des Bescheids Bezug genommen.
6
Gegen diesen Bescheid erhoben die Bevollmächtigten des Klägers am 19. Januar 2021 Klage, die sie mit Schriftsatz vom 14. Juli 2021 begründeten. Die Beklagte verkenne die aktuelle politische Situation in Myanmar. Der Kläger habe äußerst ausführlich und glaubhaft geltend gemacht, wegen seiner muslimischen Religionszugehörigkeit persönlich und gezielt von der Polizei und … … verfolgt zu werden. Widersprüche bzgl. des Sachvortrags seien in keiner Weise ersichtlich. Laut einschlägiger Berichte dauere die Diskriminierung religiöser Minderheiten in Myanmar, vor allem der Muslime weiter an, was weiter ausgeführt wurde. Der jüngste Coup d´État des myanmarischen Militärs am 1. Februar 2021 habe die bereits vorher bestehende Lage noch verschlimmert, was jeweils weiter ausgeführt wurde. Der Kläger würde sich bei einer Rückkehr der gleichen Gefahr der religiös motivierten Verfolgung durch … … und die Polizei ausgesetzt sehen. Da er die von diesem geforderte Geldsumme nicht zahlen könne, würde sich dieser an dem Kläger und dessen Familie rächen. Eine inländische Fluchtalternative entfalle angesichts der aktuellen Situation nach dem Militärputsch. Die radikalen Buddhisten seien landesweit und effektiv organisiert. Der Kläger habe zumindest Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes und es bestünden Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 i.V.m. Art. 3 EMRK sowie § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wozu jeweils weiter ausgeführt wurde.
7
Mit Schriftsatz vom 28. Dezember 2022 übermittelten die Bevollmächtigten des Klägers Lichtbilder, welche diesen und dessen Familienangehörige bei Demonstrationen gegen das Regime ihres Heimatlands zeigten, und führten weiter zu den sich hieraus ergebenden Folgen für den Kläger aus. Es sei davon auszugehen, dass staatliche myanmarische Stellen an der Identifizierung der Teilnehmer von Demonstrationen gegen die Militärjunta ein Interesse haben. Bei einer Rückführung sei anzunehmen, dass den myanmarischen Behörden die Identitäten der Rückzuführenden bekannt gegeben würden. Rückkehrer würden in der Regel direkt am Flughafen von myanmarischen Sicherheitskräften empfangen und verhört. In diesem Zusammenhang sei auch davon auszugehen, dass myanmarische Behörden von der Asylantragstellung erfahren würden. Die Erkenntnismittellage zeige ein äußerst brutales und rigides Vorgehen gegen regimekritische Äußerungen, die nicht zuletzt strafbar seien. Schon eine friedliche Meinungsäußerung könne zu Freiheitsstrafen führen, es gebe keine unabhängige Justiz. Es bestehe bei der Rückkehrerbefragung die akute Gefahr von Folter, Verurteilung in einem nicht rechtsstaatlichen Verfahren und anschließender langjähriger Inhaftierung. Mit Schriftsatz vom 13. Juni 2023 legten sie weitere Lichtbilder vor, welche den Kläger und dessen Familienangehörige bei der Demonstration gegen das Regime seines Heimatlands vom 21. Mai 2023 in München zeigten. Zudem wurden Screenshots übermittelt, welche Aktivitäten des Klägers und dessen Familienangehörigen gegen den Militärputsch in den sozialen Medien zeigten. Mit Schriftsätzen vom 6. Februar 2024 und vom 5. März 2024 wurden weitere Lichtbilder übermittelt, welche den Kläger und dessen Familienangehörige bei der Demonstration gegen das Regime seines Heimatlands vor der Botschaft von Myanmar in Berlin sowie bei einer Veranstaltung in München zeigten, bei der diese die Gelegenheit gehabt hätten, den myanmarischen Minister für auswärtige Angelegenheiten der NUG zu treffen und sich mit diesem auszutauschen. Die Nationale Einheitsregierung setze sich für freie Wahlen, ein Parlament ohne Einmischung des Militärs und liberale Rechte im Land ein. Weiter hätten der Kläger und dessen Ehefrau Spenden an die Volksverteidigungskräfte (PDF) in Myanmar geleistet, wozu Bescheinigungen vorgelegt wurden. Zudem wurden mit Schriftsatz vom 2. Juli 2024 Lichtbilder vorgelegt, welche den Kläger und dessen Familienangehörige bei den Revolutionsfeierlichkeiten zur Unterstützung der prodemokratischen Bewegung in Myanmar am 23. Juni 2024 in Unterschleißheim zeigten, sowie mit Schriftsatz vom 27. August 2024 weitere Lichtbilder, welche den Kläger und dessen Familie bei der Förderungsmesse für die Volksverteidigungskraft in Myanmar am 11. August 2024 in München gegen das Regime ihres Heimatlands zeigten. Weiter wurden Screenshots übermittelt, welche Aktivitäten des Klägers und seiner Familie gegen den Militärputsch in den sozialen Medien zeigten.
8
In der mündlichen Verhandlung wurde die Klage in Bezug auf die zunächst ebenfalls beantragte Asylanerkennung zurückgenommen.
9
Der Kläger beantragt zuletzt,
1.
Der Bescheid des Bundesamts vom 14. Dezember 2020, Az.: 8 077 871 – 427, dem Bevollmächtigten am 8. Januar 2021 zugestellt, wird (in Nrn. 1 und 3 bis 6) aufgehoben.
2.
Das Bundesamt wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
3.
Das Bundesamt wird verpflichtet, dem Kläger subsidiären Schutz zuzuerkennen.
4.
Das Bundesamt wird verpflichtet, hinsichtlich Myanmars das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1/2 AufenthG festzustellen.
10
Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
11
Zur Begründung bezog sie sich mit Schriftsatz vom 29. Januar 2021 auf die angefochtene Entscheidung.
12
Mit Beschluss vom 31. Juli 2024 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen (§ 76 Abs. 1 AsylG), nachdem die Beteiligten im Rahmen der Klageerstzustellung dazu gehört worden waren.
13
Den Beteiligten ist mit Schreiben vom 4. September 2024 mitgeteilt worden, welche Unterlagen zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurden (Erkenntnismittelliste Myanmar, Stand: 4. Oktober 2023).
14
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die vorgelegte Behördenakte, die Gerichtsakten und vorgelegten Behördenakten in den Verfahren der Ehefrau und der Töchter des Klägers (M 7 K 21.30126, M 7 K 21.30123 und M 7 K 21.30125) sowie das Protokoll über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

15
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO).
16
Soweit der Kläger die Klage in der mündlichen Verhandlung in Bezug auf die Verpflichtung zur Anerkennung als Asylberechtigter zurückgenommen hat, war das Verfahren einzustellen, § 92 Abs. 3 VwGO.
17
Im Übrigen ist die zulässige Klage begründet.
18
In dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung steht dem Kläger ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zu (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
19
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
20
Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die 1. aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) – EMRK – keine Abweichung zulässig ist, oder 2. in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Diese Art. 9 Abs. 1 der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung, ABl. L 337 S. 9) – RL 2011/95/EU – umsetzende Legaldefinition der Verfolgungshandlung erfährt in § 3a Abs. 2 AsylG im Einklang mit Art. 9 Abs. 2 RL 2011/95/EU eine Ausgestaltung durch einen nicht abschließenden Katalog von Regelbeispielen. Die Annahme einer Verfolgungshandlung setzt einen gezielten Eingriff in ein nach Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU geschütztes Rechtsgut voraus (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29/17 – juris Rn. 11). § 3b Abs. 1 AsylG konkretisiert die in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe. Gemäß § 3b Abs. 2 AsylG ist es bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich, ob dieser tatsächlich die flüchtlingsschutzrelevanten Merkmale aufweist, sofern ihm diese von seinem Verfolger zugeschrieben werden. Eine Verfolgung in diesem Sinne kann nach § 3c AsylG sowohl von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten.
21
Gemäß § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. Die Maßnahme muss darauf gerichtet sein, den von ihr Betroffenen gerade in Anknüpfung an einen oder mehrere Verfolgungsgründe zu treffen. Ob die Verfolgung „wegen“ eines Verfolgungsgrundes erfolgt, mithin entweder die Verfolgungshandlung oder das Fehlen von Schutz vor Verfolgung oder beide auf einen der in § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründe zurückgehen, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme zu beurteilen, nicht hingegen nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten. Diese Zielgerichtetheit muss nicht nur hinsichtlich der durch die Verfolgungshandlung bewirkten Rechtsgutverletzung, sondern auch in Bezug auf die Verfolgungsgründe im Sinne des § 3b AsylG, an die die Handlung anknüpft, anzunehmen sein. Für die „Verknüpfung“ reicht ein Zusammenhang im Sinne einer Mitverursachung aus. Gerade mit Blick auf nicht selten komplexe und multikausale Sachverhalte ist nicht zu verlangen, dass ein bestimmter Verfolgungsgrund die zentrale Motivation oder die alleinige Ursache einer Verfolgungsmaßnahme ist. Indes genügt eine lediglich entfernte, hypothetische Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund den Anforderungen des § 3a Abs. 3 AsylG nicht (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29/17 – juris Rn. 13 m.w.N.).
22
Die Furcht vor Verfolgung ist im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, das heißt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) drohen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab bedingt, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Diese Würdigung ist auf der Grundlage einer „qualifizierenden“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Hierbei sind gemäß Art. 4 Abs. 3 RL 2011/95/EU neben sämtlichen mit dem Herkunftsland verbundenen relevanten Tatsachen unter anderem das maßgebliche Vorbringen des Antragstellers und dessen individuelle Lage zu berücksichtigen. Entscheidend ist, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Damit kommt dem qualitativen Kriterium der Zumutbarkeit maßgebliche Bedeutung zu. Eine Verfolgung ist danach beachtlich wahrscheinlich, wenn einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29/17 – juris Rn. 14 m.w.N.).
23
Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat beziehungsweise von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist gemäß Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei. Liegen beim Ausländer frühere Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgung als Anhaltspunkt für die Begründetheit seiner Furcht vor erneuter Verfolgung im Falle der Rückkehr in sein Heimatland vor, so kommt ihm die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU zugute. Die den früheren Handlungen oder Bedrohungen zukommende Beweiskraft ist von den zuständigen Behörden unter der sich aus Art. 9 Abs. 3 RL 2011/95/EU ergebenden Voraussetzung zu berücksichtigen, dass diese Handlungen oder Bedrohungen eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufweisen, den der Betreffende für seinen Antrag auf Schutz geltend macht. Fehlt es an einer entsprechenden Verknüpfung, so greift die Beweiserleichterung nicht ein. Die widerlegliche Vermutung entlastet den Vorverfolgten von der Notwendigkeit, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Sie ist widerlegt, wenn stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften. Diese Beurteilung unterliegt der freien Beweiswürdigung des Tatrichters (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29/17 – juris Rn. 15 m.w.N.).
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Nach § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft allerdings nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2) (interner Schutz bzw. innerstaatliche Fluchtalternative).
25
Die begründete Furcht vor Verfolgung kann gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese – anders als bei der Asylanerkennung – nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen. Erst in dem erfolglosen Abschluss des Erstverfahrens liegt eine entscheidende zeitliche Zäsur. Für nach diesem Zeitpunkt selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet, vgl. § 28 Abs. 2 AsylG. Auch soweit die begründete Furcht vor Verfolgung auf Nachfluchtgründen beruht, reicht es bei der Prüfung der Verfolgungsgründe aus, wenn diese Merkmale dem Asylantragsteller von seinem Verfolger zugeschrieben werden, vgl. § 3b Abs. 2 AsylG (vgl. VGH BW, U.v. 5.12.2017 – A 11 S 1144/17 – juris Rn. 41 m.w.N.).
26
Das Gericht trifft seine Entscheidung grundsätzlich gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Auch im Asylverfahren muss die danach gebotene Überzeugungsgewissheit dergestalt bestehen, dass das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit (nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit) des vom jeweiligen Kläger behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals erlangt hat. Wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich der Betroffene insbesondere hinsichtlich der von ihm vorgetragenen Vorgänge im Heimat-, also im „Verfolgerland“ vielfach befindet, genügt für diese Vorgänge in der Regel die Glaubhaftmachung, wodurch allerdings das Gericht nicht von einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben ist. Vielmehr darf das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen. Es muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind (vgl. VGH BW, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris Rn. 51 m.w.N.). Unter Berücksichtigung des beschriebenen Beweisnotstands kommt dem persönlichen Vorbringen des Klägers und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu, weswegen allein der Tatsachenvortrag des Asylsuchenden zum Erfolg der Klage führen kann, sofern seine Behauptungen unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände in dem Sinne „glaubhaft“ sind, dass sich das Gericht von ihrer Wahrheit überzeugen kann (vgl. BVerwG, U.v.16.4.1985 – 9 C 109.84 – juris Rn. 16; VGH BW, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris Rn. 52 f. m.w.N.). So sieht auch Art. 4 Abs. 5 RL 2011/95/EU unter bestimmten Umständen vor, dass die Einlassung des Schutzsuchenden ausreichend sein kann und es keiner Nachweise seiner Aussagen bedarf. Und zwar dann, wenn dieser sich offenkundig bemüht hat, seinen Antrag zu begründen, alle ihm verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen, und er eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben hat, festgestellt wurde, dass seine Aussagen kohärent und plausibel sind und sie zu den für seinen Fall relevanten, verfügbaren besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen, er internationalen Schutz zum frühestmöglichen Zeitpunkt beantragt hat (es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war) und schließlich auch seine generelle Glaubwürdigkeit festgestellt worden ist (vgl. VGH BW, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris Rn. 54 f. m.w.N.). Es ist demzufolge zunächst Sache des Schutzsuchenden, die Gründe für seine Furcht vor Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung ergibt, dass ihm in seinem Heimatstaat Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass er zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Erhebliche Widersprüche und Unstimmigkeiten im Vorbringen können dem entgegenstehen, es sei denn, diese können überzeugend aufgelöst werden. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Schutzsuchenden berücksichtigt werden (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239.89 – juris Rn. 3 f.; VGH BW, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris Rn. 56 f. m.w.N.). Mit anderen Worten: Für die richterliche Überzeugungsbildung ist eine bewertende Gesamtschau des gesamten Vorbringens des Schutzsuchenden unter Berücksichtigung seiner individuellen Aussagekompetenz und seiner Glaubwürdigkeit erforderlich, die die Stimmigkeit des Vorbringens an sich, dessen Detailtiefe und Individualität, sowie dessen Übereinstimmung mit den relevanten und verfügbaren Erkenntnismitteln ebenso berücksichtigt wie die Plausibilität des Vorbringens, an der es etwa fehlen kann, wenn nachvollziehbare Erklärungen fehlen oder unterbleiben, falsche oder missverständliche Urkunden nicht erklärt werden können bzw. wenn Beweise oder Vorbringen ohne nachvollziehbaren Grund verspätet vorgebracht werden (vgl. VGH BW, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris Rn. 58 f. m.w.N.). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Befragung von Asylbewerbern aus anderen Kulturkreisen mit erheblichen Problemen verbunden ist (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239.89 – juris Rn. 4). Wer durch Vortrag eines Verfolgungsschicksals um Asyl nachsucht, ist in der Regel der deutschen Sprache nicht mächtig und deshalb auf die Hilfe eines Sprachmittlers angewiesen, um sich mit seinem Begehren verständlich zu machen. Zudem ist er in aller Regel mit den kulturellen und sozialen Gegebenheiten des Aufnahmelands, mit Behördenzuständigkeiten und Verfahrensabläufen sowie mit den sonstigen geschriebenen und ungeschriebenen Regeln, auf die er nunmehr achten soll, nicht vertraut. Es kommt hinzu, dass Asylbewerber, die alsbald nach ihrer Ankunft angehört werden, etwaige physische und psychische Auswirkungen einer Verfolgung und Flucht möglicherweise noch nicht überwunden haben, und dies ihre Fähigkeit zu einer überzeugenden Schilderung ihres Fluchtgrunds beeinträchtigen kann (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 121).
27
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Kläger nach Würdigung aller Umstände im konkreten Einzelfall des Klägers bei einer gebotenen Gesamtbetrachtung des Einzelfalls einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG. Dem Kläger droht in Myanmar nach Überzeugung des Gerichts aufgrund der glaubhaft vorgetragenen und belegten (auch) aktuellen exilpolitischen regimekritischen Aktivität im konkreten Fall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung wegen seiner bzw. jedenfalls der ihm durch die Militärregierung zugeschriebenen politischen Überzeugung, wobei ihm interner Schutz nicht zur Verfügung steht. Daher kann dahinstehen, ob der Kläger mit den im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt sowie im Klageverfahren vorgetragenen Umständen vor seiner Ausreise aus Myanmar ein individuelles Verfolgungsschicksal glaubhaft geschildert hat, aus dem sich ergibt, dass er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Herkunftslands befindet.
28
Der Kläger hat im Rahmen des schriftsätzlichen Vortrags sowie in der mündlichen Verhandlung detailliert und umfassend dargestellt, dass und wie er sich in Deutschland exilpolitisch gegen das Militärregime in Myanmar engagiert. Die Teilnahme an vielen einschlägigen regimekritischen Demonstrationen und Veranstaltungen mit Spendensammlungen im Zusammenhang mit dem Militärputsch in Myanmar hat der Kläger umfangreich durch Fotoaufnahmen belegt und hierzu weiter in der mündlichen Verhandlung detailliert ausgeführt. Weiterhin hat der Kläger Belege für Spenden an oppositionelle Gruppen vorgelegt (regelmäßige Spenden an die PRF). Zudem hat der Kläger sein regimekritisches Vorgehen auf Facebook belegt. Der Kläger hat auf seinem öffentlichen Facebook-Account unter seinem Namen regimekritische Inhalte veröffentlicht bzw. geteilt. Dabei hat der Kläger auch Fotos von Demonstrationen bzw. Veranstaltungen gepostet, an denen er teilgenommen hat und auf denen er dabei abgebildet ist. An der Authentizität des vorgelegten Materials bestehen keine Zweifel. Solche hat im Übrigen auch die Beklagte nicht erhoben. Unter dem persönlichen Eindruck, den das Gericht in der mündlichen Verhandlung von dem Kläger gewonnen hat, ist das Gericht auch überzeugt davon, dass dem exilpolitischen Engagement des Klägers eine gefestigte politische Einstellung in Opposition zur Militärregierung Myanmars zugrunde liegt.
29
Aufgrund der exilpolitischen Betätigung des Klägers nach dem Putsch im Februar 2021 ist angesichts der in Myanmar nunmehr herrschenden politischen Verhältnisse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass dem Kläger bei einer Rückkehr dorthin politische Verfolgung durch die Militärregierung aufgrund der öffentlich sichtbaren Opposition des Klägers gegen die Militärregierung und der dem Kläger daher von der Militärregierung zugeschriebenen politischen Einstellung droht. Wie ausgeführt, sind im Bereich der dem Unionsrecht entspringenden Flüchtlingseigenschaft gemäß § 28 Abs. 1a AsylG bis zur Unanfechtbarkeit des Erstverfahrens verwirklichte selbstgeschaffene (subjektive) Nachfluchttatbestande uneingeschränkt zu berücksichtigen. Im Falle relevanter exilpolitischer Aktivitäten müssen diese nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen (vgl. VG Minden, U.v. 11.3.2022 – 4 K 3717/19.A – juris Rn. 57 m.w.N.).
30
Die Erkenntnislage zeigt ein äußerst brutales und rigides Vorgehen gegen regimekritische Äußerungen, die auch unter Strafe gestellt sind. Vor diesem Hintergrund kann es für das vorliegende Verfahren dahinstehen, ob angesichts der zwischenzeitlichen politischen Verhältnisse und Rechtslage in Myanmar schon allein eine illegale Ausreise oder die Asylantragstellung im Ausland bei einer Rückkehr nach Myanmar mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer politischen Verfolgung führt. Denn aufgrund der exilpolitischen Aktivitäten des Klägers sowie den Bedingungen einer Rückkehr nach Myanmar ist mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer bereits an niederster Schwelle einsetzenden Sanktionierung durch myanmarische Behörden wegen einer dem Kläger durch die Militärregierung zugeschriebenen politischen Überzeugung auszugehen.
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In Myanmar herrscht nach dem Militärputsch vom 1. Februar 2021 erneut offen ein sehr repressives System, das im Wesentlichen seit 1962 durch das Militär bestimmt wurde. Schon eine friedliche Meinungsäußerung kann zu Freiheitsstrafen führen, es gibt keine unabhängige Justiz. Nach der Machtübernahme des Militärs durch einen Putsch am 1. Februar 2021 folgten insbesondere ab September 2021 Proteste, die zahlreiche zivile Verletzte und Tote forderten. Das Militär geht äußerst brutal gegenüber abweichenden Meinungen vor. Es wird von 535 Toten seit dem Putsch bis zum 2. April 2021 ausgegangen. Bis Ende September 2021 sollen über 1.100 Zivilisten getötet worden sein, bis Mitte März 2022 mindestens 1.600 Personen, über 12.500 Personen sind festgenommen worden (vgl. VG Leipzig, U.v. 4.9.2023 – 8 K 646/23.A – m.w.N.). Im Länderreport Myanmar des Bundesamts (Stand: 8/2022, S. 15 f.) wird ausgeführt, dass am 14. Februar 2021 der Staatsverwaltungsrat Änderungen am Strafsetzbuch veröffentlicht hat, mit deren Hilfe Personen strafrechtlich belangt werden können, die sich öffentlich kritisch über den Putsch und das Militär äußern. Konkret kann das Militär sich hierzu auf eine neue Bestimmung unter Abschnitt 505(a) berufen, die Kommentare kriminalisiert, welche „Angst verursachen“, „Falschnachrichten verbreiten (oder) direkt oder indirekt zu einer Straftat gegen Regierungsmitarbeitende aufhetzen.“ Verstöße können mit bis zu drei Jahren Gefängnis geahndet werden. Aufgrund seiner unscharfen Formulierung lässt das Gesetz tiefe Einschnitte in die ohnehin eingeschränkte Pressefreiheit zu. Die Bedingungen sind unsicher für alle, die für unabhängige Mediengruppen arbeiten, insbesondere für Personen, die über Proteste gegen den Putsch, das Vorgehen des Militärs und das Konfliktgeschehen berichten. Seit dem 1. Februar 2021 wurden nach Angaben von Detained Journalists Information Myanmar 135 Medienschaffende verhaftet (Stand: April 2022) 80 von ihnen kamen innerhalb des Berichtszeitraums wieder frei, 22 wurden verurteilt, davon viele nach Abschnitt 505(a). Seit dem 30. Juni 2021 sind einem Rechtsexperten zufolge auch Anklagen nach dem Anti-Terrorismus- und dem Sprengstoffgesetz hinzugekommen, die bis zu 20 Jahre Haft zulassen (die bisher verhängte Maximalstrafe betrug 11 Jahre). Drei weitere Journalisten wurden in Haft oder bei der Ausübung ihrer Arbeit getötet. Mehrere Betroffene berichteten nach ihrer Freilassung, bei ihrer Verhaftung oder während der Haft Folter oder erheblicher Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein. Nach Informationen von Reporter ohne Grenzen (RSF) befanden sich am 5. August 2022 70 Medienschaffende in Haft. Über 1.000 Medienschaffende – etwa die Hälfte der vor dem Putsch in Myanmar beschäftigten Journalistinnen und Journalisten – wurden ins Exil gezwungen. Auf der Rangliste der Pressefreiheit rutschte Myanmar von Rang 140 (2021) auf Rang 176 von 180. Es ist nicht ersichtlich, dass das Regime Zurückkehrende, bei denen eine exilpolitische Betätigung bekannt ist, schonender umgehen sollte (vgl. VG Leipzig, U.v. 4.9.2023 – 8 K 646/23.A).
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Im Rahmen von Protesten gegen das Militärregime wurden am 21. Februar und 22. Februar 2022 in Chauk (Magwy) und Monywa (Sagaing) rund 50 Personen festgenommen und zum Teil gefoltert, darunter mindestens 20 Minderjährige. Bei Protesten in Monywa gab es Verletzte. In Natogyi (Mandalay), wo PDF-Mitglieder am 14. Februar 2022 Angriffe auf eine Gaspipeline verübt hatten, nahmen Junta-Kräfte weitere 20 Personen fest. Am 16. Februar und 17. Februar 2022 wurden drei Studentinnen wegen Geldspenden an Vertriebene und der angeblichen Weitergabe von Informationen an ausländische Medienschaffende zu Haftstrafen zwischen drei und sieben Jahren verurteilt. Am 22. Februar 2022 wurden zwei prominente Schriftsteller, die am 1. Februar 2021 verhaftet worden waren, wegen regimekritischer Äußerungen zu zwei bzw. drei Jahren Haft nach Abschnitt 505A des Strafgesetzbuchs verurteilt. Nach Berichten der All Burma Federation of Student Unions (ABFSU) vom 19. Februar 2022 vergewaltigten Junta-Kräfte in einem Verhörzentrum in Mandalay zwei Männer und eine Frau. In einem Gefängnis in Thandwe (Rakhine) starb am 24. Februar 2022 ein zweijähriges Kind. Es war zusammen mit seiner Mutter inhaftiert, die wegen der angeblichen Unterstützung einer PDF festgenommen worden war (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes Myanmar – Januar bis Juni 2022, Stand: 1.7.2022, S. 8). Nach Angaben der Militärregierung wurden zwischen dem 27. Januar und dem 5. Mai 2022 229 Personen wegen Aufwiegelung und Terrorismus festgenommen. Die Betroffenen müssten mit langen Haftstrafen und dem Verlust von Wohnungen und Eigentum rechnen. Sie hatten Social-Media-Beiträge zur Unterstützung von oppositionellen Gruppen veröffentlicht, die vom Militär als terroristische Organisationen eingestuft sind. Dazu zählen die Exilregierung (National Unity Government, NUG), der Ausschuss zur Vertretung des durch den Putsch entmachteten Volksparlaments (Committee Representing Pyidaungsu Hluttaw, CRPH) und bewaffnete Widerstandsgruppen (People’s Defence Forces, PDF) (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes Myanmar – Januar bis Juni 2022, Stand: 1.7.2022, S. 10). Internetnutzende werden vom Militär oder pro-militärischen Gruppen unter Druck gesetzt, regimefeindliche und pro-demokratische Online-Inhalte zu entfernen. Unabhängig davon, ob sie auf Demonstrationen oder anderweitig politisch aktiv waren oder nicht, wurden Userinnen und User als Vergeltung für Online-Aktivitäten tätlich angegriffen, gewaltsam verschwinden gelassen oder verhaftet und angeklagt. Festgenommen wurden auch Personen, die auf Facebook- und Twitter-Accounts oder anderen Seiten pro-demokratischen Akteurinnen und Akteuren folgen (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderreport Myanmar, Stand: 8/2022, S. 16).
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Nach Angaben der AAPP befanden sich am 31. Dezember 2021 nach wie vor mindestens 8.338 der seit dem 1. Februar 2021 festgenommenen Personen in Haft, darunter 196 Minderjährige. Zu ihnen zählten Journalisten, Parteimitglieder der NLD und deren Familienangehörige, friedliche Demonstrierende, Mitglieder der Bewegung des zivilen Ungehorsams und andere Aktivisten sowie Unbeteiligte. Menschen, die inhaftierte Angehörige besuchen konnten, berichteten von Verletzungen und anderen Anzeichen von Folter oder Misshandlungen. Auch die Vereinten Nationen dokumentierten die weitverbreitete Folterung von Inhaftierten durch die Sicherheitskräfte, die in einigen Fällen zum Tod führte (vgl. Amnesty International, Amnesty Report Myanmar 2021, Stand: 29.3.2022). Die Haftbedingungen, insbesondere für politische Gefangene, sind völlig unzureichend. 2020 betrieb die Strafvollzugsbehörde 48 Gefängnisse und 50 Arbeitslager. In ihnen verbüßten 2020 etwa 20.000 Häftlinge gerichtlich verhängte Strafen. Nach dem Putsch ließ das Militär landesweit dutzende öffentliche Einrichtungen (z. B. Gemeindehäuser) in Verhörzentren umwandeln. Die Unterbringung von Frauen und Männern in den Haftanstalten erfolgt getrennt. In manchen Gefängnissen werden Untersuchungshäftlinge zusammen mit verurteilten Gefangenen festgehalten. Außerdem werden Kinder manchmal mit Erwachsenen in Untersuchungshaft gehalten. Die Haftbedingungen sind geprägt von unzureichenden Abwassersystemen, unzureichender Verpflegung, einem Mangel an lebensnotwendigen Bedarfsgütern, Überbelegung und unzureichender medizinischer Versorgung, die z. T. den Tod von Gefangenen zur Folge hat. Bereits vor dem Militärputsch waren die Kapazitäten des Insein-Gefängnisses in Yangon (des größten Gefängnis des Landes) um das Dreifache überschritten. In den Gefängnissen wurden 2021 keine Maßnahmen zum Schutz der Gefangenen vor COVID-19 ergriffen, was zu zahlreichen Übertragungen, Erkrankungen und Todesfällen führte (Offizielle Daten stellte das Regime hierzu jedoch nicht zur Verfügung). COVID-19-Impfungen waren hochrangigen Gefangenen vorenthalten. Weitere Krankheiten, unter denen Gefangene leiden sind u. a. Malaria, Herzkrankheiten, Bluthochdruck, Tuberkulose, Hautkrankheiten und Darmerkrankungen. Letztere werden durch unhygienische Bedingungen und verdorbene Lebensmittel verursacht oder verschlimmert. Zu gesundheitlichen Problemen tragen außerdem der unzureichende Schutz vor Witterung und Schädlingen (u.a. Nagetiere, Schlangen) sowie Schimmel bei. Politischen Gefangenen wird die medizinische Versorgung oft verweigert. Frauen und menstruierende Personen leiden zusätzlich unter fehlender Privatsphäre, einem Mangel an Toiletten und fehlendem Zugang zu Hygieneartikeln. Nach dem Putsch kam es außerdem zu einer Zunahme von sexueller Gewalt, geschlechtsspezifischer Belästigung und Demütigungen durch Gefängnispersonal. Anlässlich des Tages der Einheit entließ das Militärregime am 12. Februar 2021 über 23.000 Gefangene aus der Haft. Diese mussten bestimmte Kriterien erfüllen und durften bspw. nicht nach § 505 des Strafgesetzbuchs angeklagt sein, der die Verbreitung von Informationen unter Strafe stellt, die Sicherheitskräfte oder Staatsbedienstete aufhetzen oder zur Meuterei verleiten könnten. Weitere 23.407 Begnadigungen sprach das Militär am 17. April 2021 aus. Weil sich unter den Freigelassenen nur wenige politische Gefangene befanden, vermuteten Menschrechtsaktivistinnen und -aktivisten, dass das Regime den allgemeinen Begnadigungserlass nutzte, um Platz für weitere politische Gefangene zu schaffen. Im Oktober 2021 ließ das Militär erneut über 5.600 Gefangene frei, darunter hunderte politische Gefangene. Hintergrund war eine Ankündigung der Vereinigung Südostasiatischer Nationen (Association of Southeast Asian Nations, ASEAN), dass Min Aung Hlaing nicht zu ihrem Gipfeltreffen Ende Oktober 2021 eingeladen werde, weil das Militär „unzureichende Fortschritte“ bei der Einhaltung eines im April 2021 vereinbarten Fünf-Punkte-Konsenses gemacht habe. Viele der frisch entlassenen Personen wurden nach kurzer Zeit erneut verhaftet. Obgleich Folter gesetzlich verboten ist, foltern und misshandeln Sicherheitskräfte Verdächtige, Gefängnisinsassen und andere Personen. Dazu zählen auch harte Verhörmethoden, die darauf abzielen, Gefangene einzuschüchtern und zu desorientieren, einschließlich schwerer Schläge und Entzug von Nahrung, Wasser, Schlaf und Sauerstoff. Weitere bekannte Foltermethoden sind das Einreiben von Wunden mit Salz und das Zufügen von Schnitt- und Brandwunden. Insbesondere gegen weibliche und transgender Personen verüben Sicherheitskräfte außerdem verbalen und sexuellen Missbrauch und schwere geschlechtsspezifische Gewalt (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderreport Myanmar, Stand: 8/2022, S. 19 f.).
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Unter der geänderten Gesetzgebung wurden hunderte Personen festgenommen und angeklagt, insbesondere für Online-Kommentare. Online Plattformen sind die Hauptinformationsquelle für die allgemeine Bevölkerung (vgl. Danish Immigration Service, Myanmar Security Situation, Stand: September 2023, S. 5 f.). Die myanmarischen Behörden unterhalten einen Staatssicherheitsdienst, der mutmaßliche regimekritische Aktivitäten unter Zuhilfenahme eines personalintensiven Überwachungsapparates und des Einsatzes moderner technischer Mittel beobachtet (vgl. VG Leipzig, U.v. 8.3.2022 – 8 K 44/21.A. – juris Rn. 37 m.w.N.). Nach dem Militärputsch hat das Militär die Bemühungen zur Überwachung der Bevölkerung verstärkt. In Yangon und anderen Städten wurde Videoüberwachung im öffentlichen Raum installiert. Die Kameras sind mit Gesichtserkennungs- und Kfz-Kennzeichen-Identifizierungstechnologie ausgestattet. Die Daten werden bei den Behörden gesammelt und zur Identifizierung von Personen benutzt, die an Anti-Putsch-Protesten beteiligt sind. Die Cybersicherheits-Gesetzgebung von 2021 ermächtigt das Militär, Personen zu verhaften, die antimilitärische Inhalte in Sozialen Medien teilen. Es gibt dokumentierte Fälle, bei denen Personen, die Informationen über das Shan State Massaker vom April 2023 geteilt hatten, verhaftet wurden. Weiterhin gibt es bestätigte Berichte von Personen, die Ziele von „Doxing“ durch promilitärische Milizen oder deren Sicherheitspersonal wurden. Insbesondere Facebook ist Gegenstand intensiven Online-Monitorings. Im April 2021 veröffentlichte das Militär täglich die Namen von zahlreichen Personen, die unter Abschnitt 505(a) für ihre Posts in Sozialen Medien angeklagt worden waren. Auch wurde ein Mann verhaftet und des Aufruhrs beschuldigt, nachdem er ein Video von starkem Regenfall, verursacht durch einen Zyklon, aufgenommen und verbreitet hatte. Diese Anklagen legen nahe, dass die Nutzung von Telekommunikations- und Internetüberwachung von Bedeutung ist für heftige Reaktionen gegen Bürger, welche brutale Attacken und Verschwindenlassen als disziplinarische Maßnahmen für deren Online-Aktivitäten eingeschlossen haben. Das Militär in Myanmar beobachtet auch zu einem gewissen Ausmaß Personen (aus Myanmar) außerhalb Myanmars („in the diaspora“) und benutzt Internetplattformen, um solche Individualpersonen zu überwachen. Auch Familienangehörige von Pro-Demokratie-Aktivisten sind weiterhin Ziel von Verhaftungen (vgl. Danish Immigration Service, Myanmar Security Situation, Stand: September 2023, S. 19 ff.). Nach der Einschätzung der Australischen Regierung – Department of Foreign Affairs and Trade – DFAT – würde ein abgelehnter Asylbewerber, der von Australien nach Myanmar zurückkehrt, einem hohen Risiko offizieller Schikane, willkürlicher Verhaftung und Gewaltanwendung ausgesetzt sein, ohne Rücksicht auf die Gründe, weshalb er Myanmar zuvor verlassen hatte. Dies sei bedingt durch das hohe Maß an Kontrolle ein- und ausreisender Personen und den schwerwiegenden Konsequenzen für jedermann, der verdächtig sei, sich der Militärregierung entgegen zu stellen, diese zu kritisieren oder Verbindungen zu westlichen Ländern zu haben (vgl. Danish Immigration Service, Myanmar Security Situation, Stand: September 2023, S. 37 unter Verweis auf Australien, DFAT, Country Information Report Myanmar, 11.11.2022, S. 44 – dort wird auf weitere Ausführungen auf S. 36 verwiesen, wo u.a. ausgeführt wird, dass Gegner des Militärregimes Opfer von Inhaftierung, Folter, sexueller Gewalt und Verschwindenlassen geworden seien. Einige der Verhafteten seien zum Tode verurteilt worden und im Juli 2022 habe das Militärregime begonnen, Todesstrafen zu vollstrecken. Am 23. Juli 2022 habe das Militärregime vier Männer exekutiert, darunter zwei prominente Pro-Demokratie-Aktivisten, vgl. dort S. 38. Die Polizei mache auch Stichprobensuche bei Mobiltelefonen nach gegen das Regime gerichteten Inhalten, was dazu führe, dass einige Personen als Vorsichtsmaßnahme eine zweites „politisch sauberes“ Handy bei sich führten. Viele Quellen hätten gegenüber DFAT angegeben, dass die Schwelle, unter behördlichen Verdacht zu geraten, äußerst niedrig sei und die Autoritäten wenig unterschieden zwischen denen, die sich aktiv dem Militärregime entgegensetzten und denen, die lediglich ihre Unzufriedenheit mit dem Regime oder Unterstützung für die Opposition ausdrückten, vgl. dort S. 36).
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Die Schweizerische Flüchtlingshilfe beschreibt in einem neueren Bericht eine katastrophale Menschenrechtslage mit systematischen Angriffen auf die Zivilbevölkerung und Kriegsverbrechen. Laut dem Bericht von Volker Türk, dem UNO-Hochkommissars für Menschenrechte vom 2. März 2023 halte die katastrophale Menschenrechtslage in Myanmar an. Auch Th. H. A., der UNO-Sonderberichterstatter zur Menschenrechtslage in Myanmar, spreche in seinem Bericht vom 9. März 2023 von einer verheerenden Menschenrechts- und humanitären Krise in Myanmar. So gebe es nach Angaben des UNO-Hochkommissars für Menschenrechte hinreichende Gründe für die Annahme, dass die Handlungen des Militärs Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht darstellten, von denen einige möglicherweise internationalen Kriegsverbrechen gleichkämen. Dazu gehörten der weit verbreitete Einsatz von wahllosen Luftangriffen und Artillerieangriffen auf bewohnte Gebiete, die Plünderung und das Niederbrennen von Dörfern, willkürliche Verhaftungen, die Anwendung von Folter, außergerichtliche Tötungen und sexuelle Gewalt. Das Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) habe landesweit einheitliche Taktiken und Missbrauchsmuster dokumentiert, die bestätigten, dass die Militärbehörden als einheitliche und kohärente Struktur agierten. Das bedeute, dass die Führung von der Begehung von Gräueltaten gewusst und/oder es zumindest versäumt habe, sie zu verhindern. Die systematischen Angriffe des Militärs auf die Zivilbevölkerung hätte laut dem UNO-Sonderberichterstatter eine Spirale der Gewalt ausgelöst, die das ganze Land erfasst habe. Der Staatsverwaltungsrat (State Administration Council, SAC), wie die Junta genannt werde, habe die staatlichen Institutionen ausgehöhlt, was zum Zusammenbruch der staatlichen Dienstleistungen und der Rechtsstaatlichkeit geführt habe (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Myanmar: Mitglieder der People`s Defence Force, Auskunft der SFH-Länderanalyse, Stand: 26.5.2023, S. 4). Nach Angaben von Human Rights Watch (HRW) sei das Militär in Myanmar seit dem Staatsstreich vom 1. Februar 2021 landesweit brutal gegen Millionen von Menschen vorgegangen, die sich seiner Herrschaft widersetzten. Die Sicherheitskräfte der Junta hätten Massentötungen, willkürliche Verhaftungen, Folter, sexuelle Gewalt und andere Übergriffe begangen, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellten. Die Rede- und Versammlungsfreiheit sei stark eingeschränkt. Auch nach Angaben von Amnesty International habe sich das harte Vorgehen gegen Menschen, die sich der Militärregierung widersetzten, im Jahr 2022 weiter verschärft (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Mitglieder der People`s Defence Force, a.a.O. S. 5). Laut UNO-Sonderberichterstatter zur Menschenrechtslage in Myanmar seien willkürliche Massenverhaftungen eine Grundlage der Strategie des SAC zur Unterdrückung des Widerstands gegen die Militärherrschaft. Nach Angaben von AAPP befänden sich rund 16.380 politische Gefangene im Gewahrsam der SAC. Nach Angaben von Human Rights Watch habe die Junta unter dem Juntachef Generaloberst Min Aung Hlaing den zivilen Raum immer weiter eingeengt und Aktivisten gezielt verfolgt und verhaftet. Amnesty International weise darauf hin, dass viele Mitglieder der ehemaligen Regierungspartei NLD sowie andere Unterstütze der Anti-Putsch-Bewegung im Jahr 2022 willkürlich festgenommen und inhaftiert worden seien. Häufig leugneten die Militärbehörden Festnahmen, sodass der Verbleib vieler Häftlinge über lange Zeiträume unbekannt geblieben sei, was nach Einschätzung von Amnesty International einem „Verschwindenlassen“ gleichkomme. Auch USDOS weise darauf hin, dass es zahlreiche Berichte über willkürliche Verhaftungen gebe, einschließlich Inhaftierungen durch das Regime an unbekannten Orten. Das Recht, gegen rechtswidrige Inhaftierungen vorzugehen, bleibe laut Amnesty International ausgesetzt. Staatliche Amnestie habe kaum politische Gefangene betroffen. Während der SAC die Amnestie von mehr als 12.000 Gefangenen am 17. November 2022 und am 4. Januar 2023 (dem Nationalfeiertag bzw. dem Tag der Unabhängigkeit von Myanmar) groß ankündigt habe, habe die AAPP dem UNO-Sonderberichterstatter zur Menschenrechtslage in Myanmar mitgeteilt, dass nur etwa 700 der Freigelassenen politische Gefangene gewesen seien. Behörden zielten auch auf Familienangehörige von PDF-Mitgliedern. Der UNO-Hochkommissar für Menschenrechte weise darauf hin, dass das Militär es zunehmend auf Personen abgesehen habe, die beschuldigt würden, mit Anti-Militärjunta-Gruppen wie den PDF in Verbindung zu stehen, sowie auf deren Familien (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Mitglieder der People`s Defence Force, a.a.O. S. 7). Nach Angaben von USDOS nutze das Regime die Gesetze gegen den Terrorismus, um Gruppen und Einzelpersonen zu verhaften und zu bestrafen, die im politischen Leben des Landes vor dem Staatsstreich aktiv gewesen seien. Das Regime habe die NUG, das Komitee zur Vertretung des Unionsparlaments und die PDFGruppen weiterhin als illegale terroristische Organisationen bezeichnet. Nach dem Gesetz drohe jedem, der mit diesen Gruppen in Verbindung stehe, eine Haftstrafe von zehn Jahren bis lebenslänglich. Laut UNO-Sonderberichterstatter zur Menschenrechtslage in Myanmar würden viele politische Gefangene in Scheinprozessen zu langen Haftstrafen wegen Aufwiegelung, Verrat, Terrorismus und Kontakt zu „illegalen“ Organisationen verurteilt. „Liken“ oder „Teilen“ von Beiträgen, die PDF unterstützten, in sozialen Medien könne mit bis zu zehn Jahren bestraft werden. Nach Angaben des UNO-Hochkommissars für Menschenrechte würden diejenigen, die sich dem Militär online oder offline widersetzten, schikaniert, verhaftet und strafrechtlich verfolgt. Am 20. September 2022 habe das Militär Aktivitäten in den sozialen Medien, die als Widerstandshandlungen eingestuft worden seien, kriminalisiert, einschließlich des „Likens“ von Beiträgen, die nach Ansicht des Militärs bewaffnete Anti-Militärjunta-Gruppen unterstützten. Solche Handlungen könnten mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden. Auch Human Rights Watch berichte, dass die Junta im September 2022 gewarnt habe, dass das „Liken“ oder „Teilen“ von Inhalten von Gegnern in den sozialen Medien zu einer Gefängnisstrafe von bis zu zehn Jahren führen könne. Die Rechtsreformen des Regimes schränkten nach Angaben von Freedom House das Recht auf freie Meinungsäußerung stark ein. Hunderte von Menschen seien auf der Grundlage des überarbeiteten Gesetzes verhaftet und strafrechtlich verfolgt worden, in der Regel aufgrund von Online-Kommentaren. Laut UNOSonderberichterstatter zur Menschenrechtslage in Myanmar hätten die von der Junta kontrollierten Gerichte weiterhin Todesurteile verhängt. 103 politische Gefangene befänden sich in der Todeszelle und seien von der Hinrichtung bedroht, während 41 Personen in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden seien. Im Juli 2022 habe Myanmar die Vollstreckung der Todesstrafe wieder aufgenommen und vier Personen nach einem drei Jahrzehnte währenden Moratorium hingerichtet. Nach Angaben von Amnesty International verstärkten die Militärbehörden ihre Überwachungsmaßnahmen, auch im Internet, wodurch die freie Meinungsäußerung weiter beschnitten worden sei. Auch die Rechte auf Privatsphäre, Informations- und Vereinigungsfreiheit hätten dadurch starke Einschränkungen erfahren. An zahlreichen Kontrollpunkten in Städten im ganzen Land würden Menschen willkürlich angehalten und durchsucht, und in jedem Bezirk habe es Informanten in Zivil gegeben. In den Großstädten sollen Überwachungskameras mit Gesichtserkennungsfunktion eingesetzt worden sein. Auch Freedom House habe darauf hingewiesen, dass private Diskussionen und persönliche Meinungsäußerungen – die bereits durch staatliche Überwachung und Gesetze zur Unterbindung von Online-Diskussionen eingeschränkt worden seien – nach dem Putsch von 2021 noch schwieriger geworden seien. Nach der Machtübernahme habe das Regime so weitreichende Änderungen des bestehenden Rechts vorgenommen, mehrere wichtige Menschenrechtsschutzmaßnahmen gegen willkürliche Überwachung aufgehoben und Online-Umgehungstools, um die Überwachung zu umgehen, verboten (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Mitglieder der People`s Defence Force, a.a.O. S. 8 ff.). Der UNO-Hochkommissar für Menschenrecht Volker Türk habe am 26. Oktober 2022 angesichts der schweren Menschenrechtskrise in Myanmar ein Moratorium für die Rückführung von Flüchtlingen und Migranten nach Myanmar gefordert. Angesichts der zunehmenden Gewalt und Instabilität sowie des Zusammenbruchs der myanmarischen Wirtschaft und der Sozialsysteme sei es nicht der richtige Zeitpunkt, um jemanden nach Myanmar zurückzuschicken. Dies gelte vor allem für Personen mit besonderen Schutzbedürfnissen, wie politische Aktivisten oder Überläufer aus dem Militär, die bei einer Rückkehr stark gefährdet seien. Laut UNO-Sonderberichterstatter zur Menschenrechtslage in Myanmar habe die SAC auch proaktiv Regierungen in der Region um Hilfe gebeten, um die Rückkehr von Aktivisten, CDM-Teilnehmenden, Militärdeserteuren und anderen Juntagegnern sicherzustellen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Mitglieder der People`s Defence Force, a.a.O. S. 10 f.).
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Zwar gibt es keine gesicherten Erkenntnisse darüber, dass myanmarische Stellen exilpolitische Betätigungen wie Demonstrationen in Deutschland beobachten. Es ist jedoch davon auszugehen, dass staatliche Stellen an der Identifizierung von Teilnehmern an Demonstrationen gegen die Militärjunta ein Interesse haben (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Gelsenkirchen v. 17.8.2021). Gleiches dürfte auf die Identifizierung von Urhebern regimekritischer Äußerungen über das Internet zutreffen (vgl. VG Minden, U.v. 11.3.2022 – 4 K 3717/19.A – juris Rn. 69), zumal der Kläger mit seinem Facebook-Account eine erheblich größere Wirkungsbreite erreicht und dort öffentlich regimekritische Inhalte postet bzw. teilt und Bilder von seinen Demonstrationsteilnahmen veröffentlicht. Wie auch die dargestellte aktuelle Erkenntnislage zeigt, unterhält die Militärregierung in Myanmar einen Staatssicherheitsdienst, der regimekritische Aktivitäten unter Zuhilfenahme eines personalintensiven Überwachungsapparates und des Einsatzes moderner technischer Mittel beobachtet und verfolgt. Es besteht bei zu erwartender Rückkehrerbefragung die akute Gefahr von Folter und Verurteilung in einem nicht rechtsstaatlichen Verfahren und anschließender langjähriger Inhaftierung (vgl. auch VG Leipzig, U.v. 8.3.2022 – 8 K 44/21.A. – juris Rn. 37 m.w.N.). Bei dem Zusammentreffen der Veröffentlichung von Regimekritik im Internet, der Asylantragstellung, der an niederster Schwelle einsetzenden Sanktionierung durch myanmarische Behörden und den Bedingungen einer Rückkehr nach Myanmar ist davon auszugehen, dass das dortige Regime dem Kläger jedenfalls auch eine regimekritische Ansicht unterstellt (vgl. VG Minden, U.v. 11.3.2022 – 4 K 3717/19.A – juris Rn. 64; vgl. auch VG Ansbach, U.v. 18.10.2022 – AN 17 K 20.30763 – juris Rn. 26; VG Leipzig, U.v. 8.3.2022 – 8 K 44/21.A – juris Rn. 35; U.v. 4.9.2023 – 8 K 646/23.A; VG Gelsenkirchen, U.v. 31.3.2022 – 2a K 2117/19.A; VG Düsseldorf, U.v. 10.11.2022 – 8 K 7060/20.A; VG Aachen, U.v. 20.1.2023 – 5 K 1321/20.A – Rn. 45; VG München, U.v. 13.4.2023 – M 7 K 19.34022 – Rn. 43).
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Eine Verhaftung des Klägers aufgrund von „Aufwiegelung und Terrorismus“ wegen seiner öffentlichen Regimekritik ist daher im Falle der Rückkehr nach Myanmar beachtlich wahrscheinlich. Bei einer Rückführung ist anzunehmen, dass den myanmarischen Behörden die Identitäten der Rückzuführenden bekannt gegeben werden. Somit ist diesen bereits vorab eine Überprüfung möglich, bei der die exilpolitische Betätigung aufgrund der sozialen Medien im Internet unschwer festzustellen ist. Auf eine wie auch immer geartete Bestechung von Kontrollpersonal kann der Kläger nicht verwiesen werden. Rückkehrer werden in der Regel direkt am Flughafen von myanmarischen Sicherheitskräften empfangen und verhört. Es besteht dabei die akute Gefahr von Folter, Verurteilung in einem nicht rechtsstaatlichen Verfahren und anschließender langjähriger Inhaftierung. In diesem Zusammenhang ist auch davon auszugehen, dass myanmarische Behörden von der Asylantragstellung Kenntnis erlangen (vgl. VG Minden, U. v. 11.3.2022 – 4 K 3717/19.A – juris Rn. 72 m.w.N.). So ist davon auszugehen, dass die Aktivitäten des Klägers spätestens im Rahmen einer angekündigten Rückführung über den internationalen Flughafen in Yangon durch die Sicherheitsbehörden aufgedeckt würden. Auch im Falle der freiwilligen Rückkehr wäre eine Einreise auf dem Luftweg – Reisen auf dem Landweg sollten nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes grundsätzlich unterbleiben – ausweislich der Erkenntnislage nur nach Vorankündigung und Genehmigung der Passagierliste möglich. Die myanmarischen Behörden wären also in jedem Fall über die Person des Klägers und den Zeitpunkt seines Eintreffens am Flughafen in Yangon informiert, sodass ein „Abfangen“ nach seinem langjährigen Auslandsaufenthalt äußerst wahrscheinlich wäre. Im Falle einer Rückkehr ist mit intensiver Befragung bei der Einreise und mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Recherchen der Sicherheitskräfte spätestens dann zu rechnen. Selbst das Aufdecken eines Teils – auch nicht sehr intensiver – exilpolitischer Aktivitäten würde angesichts der Erkenntnislage prognostisch Anlass genug zur Festnahme, rechtsstaatwidrigen Bestrafung bzw. Behandlung bis hin zur Gefahr von inhumanen und unzumutbaren Haftbedingungen, Folterungen und Tötung geben (vgl. VG Ansbach U.v. 18.10.2022 – AN 17 K 20.30763 – juris Rn. 28). Eine u.U. langjährige Gefängnisstrafe für die aus Sicht der Militärregierung abweichende politische Meinung des Klägers sowie deren Kundgabe über soziale Medien bzw. der Teilnahme an Demonstrationen ist zur Überzeugung des Gerichts, gerade auch vor dem Hintergrund der geschilderten menschenrechtswidrigen Haftbedingungen für politische Gefangene, in höchstem Maße unverhältnismäßig.
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Angesichts der landesweiten politischen Lage ist vor dem Hintergrund der gegebenen Rückkehrbedingungen auch nicht ersichtlich, dass sich der Kläger bei einer Rückkehr durch Inanspruchnahme einer inländischen Fluchtalternative der befürchteten staatlichen Verfolgung entziehen könnte. Da – wie ausgeführt – eine Einreise derzeit nur über den internationalen Flughafen in Yangon erfolgen kann und im Hinblick auf die erforderliche Voranmeldung einreisender Flugpassagiere somit ein „Abfangen“ von Rückkehrern bei der Einreise beachtlich wahrscheinlich ist, ist nicht davon auszugehen, dass ein als vorwiegend sicher geltender Landesteil – ungeachtet dessen, ob die sonstigen Voraussetzungen einer inländischen Fluchtalternative dort angesichts der aufgezeigten humanitären Situation im Land überhaupt gegeben wären – für den Kläger faktisch erreichbar wäre und sich ihm daher nicht die Möglichkeit bieten würde, in beliebigen Landesteilen Schutz zu finden (vgl. auch VG Minden, U.v. 11.3.2022 – 4 K 3717/19.A – juris Rn. 86).
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Damit ist nicht nur die Entscheidung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids aufzuheben. In der Folge entfällt auch die Grundlage für die in den Nrn. 3 bis 6 des Bescheids tenorierten Entscheidungen, insbesondere für die Ausreiseaufforderung nebst Abschiebungsandrohung (§§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 38 AsylG) und die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots (§§ 11 Abs. 1, 75 Nr. 12 AufenthG). Der Bescheid kann auch insoweit keinen Bestand mehr haben und ist dementsprechend – zur Klarstellung – aufzuheben. Über die (ansonsten im Sinne von Hilfsanträgen) gestellten Anträge des Klägers auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus und Feststellung von Abschiebungsverboten musste im Hinblick auf den mit der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft einhergehenden weitergehenden internationalen Schutzstatus nicht gesondert entschieden werden (vgl. § 2 Abs. 2 AsylG).
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Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des zurückgenommenen Teils der Klage auf § 155 Abs. 2 VwGO und im Übrigen auf § 154 Abs. 1 VwGO, wobei die Teile zueinander verhältnismäßig gewichtet wurden. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
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Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.