Titel:
Fehlerhafte Widerrufsbelehrung, Ausübung des Widerrufsrechts, Widerrufserklärung, Widerrufsformular, Verlängerung der Widerrufsfrist, Telefonischer Widerruf, Rechtsfolgen des Widerrufs, Beginn der Widerrufsfrist, Widerrufsverfahren, Versicherungsnehmer, Vorvertragliche Informationspflichten, Rücktrittsrecht, Willenserklärungen, Gerichtsstand des Erfüllungsorts, Verbraucher, Annahmeverzug, Pkw-Kaufvertrag, Wertersatzpflicht, Richtlinienkonforme Auslegung, Vertragsschluss
Schlagworte:
Widerrufsrecht, Fristversäumnis, Fernabsatzvertrag, Verbraucherinformation, Rückabwicklung, Annahmeverzug, Widerrufsbelehrung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 42795
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klagepartei trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 48.720,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Der Kläger fordert von der Beklagten nach dem Widerruf eines PKW-Kaufvertrages eine vollständige Kaufpreiserstattung.
2
Der Kläger schloss am 11.03.2022 mit der Beklagten einen Kaufvertrag über einen PKW Tesla Model 3 zum Gesamtpreis von 48.720 €. Der Vertragsschluss erfolgte über das Internet. Die Beklagte erteilte dem Kläger eine Widerrufsbelehrung, die keine Telefonnummer enthält.
3
Wegen der Einzelheiten der Widerrufsbelehrung wird auf die Anlage K1 Bezug genommen.
4
Der Kläger bezahlte den Kaufpreis. Er veranlasste die Zulassung und nutzt das Fahrzeug bis zum heutigen Tag, nachdem es ihm am 07.12.2022 übergeben wurde.
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Mit E-Mail vom 14.06.2023 sowie Einwurf-Einschreiben erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten den Widerruf des Kaufvertrags (vgl. Anlage K 5). Mit anwaltlichem Schreiben vom 18.07.2023 forderte der Kläger die Beklagte erfolglos zur Erstattung des Kaufpreises bis zum 01.08.2023 auf und bot die Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs an.
I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 48.720,00 € nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 11.07.2023 zu bezahlen, nach Empfang der Gegenleistung in Form der Rückgabe und Rückübereignung des Pkw Tesla Model 3 mit der FIN ... .
II. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit dem in Ziffer I bezeichneten Fahrzeug in Annahmeverzug befindet.
III. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 2.002,41 € nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
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Der Kläger ist der Ansicht, dass die Widerrufsbelehrung nicht ordnungsgemäß gewesen sei, was zur Folge habe, dass die Widerrufsfrist zum Zeitpunkt der Erklärung noch nicht abgelaufen gewesen sei.
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So enthalte die Widerrufsbelehrung keine Telefonnummer, es liege keine Aufklärung hinsichtlich der Kosten der Rücksendung der Ware vor und es seien auch keine ausreichenden Informationen bzgl. eines etwaigen Wertersatzes enthalten. Auch sei nichts über den Verbleib bzw. die Rückerstattung der Bestellgebühr angegeben worden.
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Die Beklagte beantragt Klageabweisung.
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Sie ist der Ansicht, dass der Widerruf der Klägerin nicht fristgerecht erklärt worden sei. Die Beklagte habe der Klägerin bei Vertragsschluss alle nach § 356 Abs. 3 BGB notwendigen Informationen über das Widerrufsrecht bereit gestellt. Insbesondere der Angabe einer Telefonnummer habe es nicht bedurft. Auch sei die Angabe der Rücksendekosten in der Widerrufsbelehrung für die Länge der Widerrufsfrist irrelevant. Dasselbe gelte für die Information des Verbrauchers über seine Wertersatzpflicht nach § 357a BGB. Auch werde sowohl im Bestellprozess als auch in der Widerrufsbelehrung unmissverständlich dargestellt, dass die während des Bestellprozesses getätigte Anzahlung im Fall der Ausübung eines gesetzlichen Widerrufsrechts an den Verbraucher zurückgezahlt wird.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteivertreter nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.04.2024 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rückzahlung von 58.424,24 € Zug um Zug gegen Rückgabe des Models Tesla Y gemäß § 357 Abs. 1 BGB.
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A) Die Klage ist zulässig.
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Insbesondere ist das Landgericht Landshut örtlich und sachlich gemäß §§ 29 ZPO, 23, 71 GVG zuständig.
16
Der Kläger kann hier den Gerichtsstand des Erfüllungsorts zur Begründung der Zuständigkeit des Landgerichts Landshut anführen. Zwar wird hier nicht die Zahlung Zug um Zug begehrt, jedoch ist hier von einem einheitlichen Erfüllungsort am Ort, wo sich der Kaufgegenstand vertragsgemäß befinden müsste, hier Wohnsitz des Klägers anzunehmen.
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Der BGH nimmt bei der Rückabwicklung eines Kaufvertrags einen einheitlichen Erfüllungsort an dem Ort an, wo sich die verkaufte Sache vertragsgemäß befindet (siehe bspw. BGH, NJW 1983, 1478). Der Belegort der Sache führt danach zu einem einheitlichen Erfüllungsort des Rückgewährschuldverhältnisses. Dies ist auch bei einem Widerruf eines Kaufvertrages anzunehmen, da es sich um eine vergleichbare Lage handelt, da wechselseitige Ansprüche erfüllt werden müssen. Zwar ist der Kläger grundsätzlich vorleistungspflichtig, § 357 Abs. 4 S. 1 BGB, und hat das Fahrzeug zurück zu gewähren, hier steht jedoch ein Ausscheiden der Einrede im Raum, da der Kläger sich auf einen Annahmeverzug der Beklagten beruft.
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Nach Auffassung des Gerichts ist der einheitliche Erfüllungsort auch dann heranzuziehen, wenn aufgrund der hier streitigen Annahmeverweigerung lediglich die Kaufpreisrückzahlung begehrt wird. Ansonsten würde der Kläger schlechter gestellt werden (siehe hierzu Musielak/Voit/Heinrich, 20. Aufl. 2023, ZPO § 29 Rn. 28).
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B) Die Klage ist unbegründet.
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Dem Kläger steht kein Anspruch aus §§ 355 Abs. 3, 357 Abs. 1 BGB zu, da er den Widerruf des Fahrzeugbestellvertrags nicht fristgerecht erklärte.
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Gemäß § 357 Abs. 1 BGB, der die Rechtsfolgen des Widerrufs von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und Fernabsatzverträgen mit Ausnahme von Verträgen über Finanzdienstleistungen regelt, sind die empfangenen Leistungen spätestens nach 14 Tagen zurück zu gewähren. Dazu würde auch die Anzahlung/Bestellgebühr zählen, deren Rückerstattung die Beklagte im Falle eines gesetzlichen Widerrufsrechts in Aussicht gestellt hat.
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1. Die Klägerin hat zwar mit der Beklagten über den Tesla einen Kaufvertrag im Wege eines Fernabsatzvertrages im Sinne von § 312c BGB geschlossen. Ihr stand als Verbraucherin nach § 312g Abs. 1 BGB dafür auch ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB zu.
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2. Der Kläger hat den Widerruf jedoch nicht fristgerecht gemäß §§ 355, 356 BGB erklärt.
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Wird einem Verbraucher durch Gesetz ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB eingeräumt, so sind der Verbraucher und der Unternehmer an ihre auf den Abschluss des Vertrags gerichteten Willenserklärungen nicht mehr gebunden, wenn der Verbraucher seine Willenserklärung fristgerecht widerrufen hat. Der Widerruf erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Unternehmer,§ 355 Abs. 1 S.1 und 2 BGB. Die Widerrufsfrist beträgt 14 Tage, § 355 Abs. 2 S. 1 BGB.
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Abweichend von § 355 Abs. 2 S. 2 BGB beginnt die Widerrufsfrist bei einem Verbrauchsgüterkauf, zu dem der vorliegende Kaufvertrag zählt, sobald der Verbraucher die Waren erhalten hat, § 356 Abs. 2 Nr. 1a) BGB.
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Nach diesen Maßstäben hat der Kläger den Widerruf nicht fristgerecht erklärt, denn er hat das Fahrzeug am 07.12.2022 erhalten und nicht binnen 14 Tagen, sondern erst mehrere Monate später, nämlich am 14.06.2023, den Widerruf erklärt.
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3. Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Widerrufsfrist gemäß § 356 Abs. 3 BGB noch nicht zu laufen begonnen habe und der Widerruf damit rechtzeitig vor Ablauf der Frist aus § 356 Abs. 3 S. 2 BGB erfolgt sei.
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Die Widerrufsfrist beginnt nicht, bevor der Unternehmer den Verbraucher entsprechend den Anforderungen des Artikels 246a § 1 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch unterrichtet hat, § 356 Abs. 3 S. 1 BGB. In solch einem Fall erlischt das Widerrufsrecht spätestens zwölf Monate und 14 Tage nach dem in Absatz 2 oder § 355 Absatz 2 Satz 2 genannten Zeitpunkt, § 356 Abs. 3 S. 2 BGB. Ob der Kläger die Frist nach S. 2 eingehalten hat, kann dahinstehen, denn jedenfalls liegen die vorgenannten Voraussetzungen gemäß § 356 Abs. 3 S. 1 BGB nicht vor.
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a) Der Umstand, dass die Widerrufsbelehrung keine Telefonnummer auswies, hinderte den Beginn des Widerrufsfristlaufs nicht.
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aa) Wortlaut, Systematik, Gesetzesmaterialien und Kontext der einschlägigen Normen in BGB und EGBGB geben keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Angabe der Telefonnummer verpflichtend wäre.
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(1) Steht dem Verbraucher ein Widerrufsrecht nach § 312g Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu, ist der Unternehmer verpflichtet, den Verbraucher zu informieren über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts nach § 355 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie das Muster-Widerrufsformular in der Anlage 2, Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB. Weder diese Regelung noch der darin erwähnte § 355 Abs. 1 BGB sehen vor, dass der Verbraucher über den Kommunikationsweg für die Ausübung des Widerrufsrechts aufgeklärt werden müsste. Die Angabe einer Telefonnummer ist im Wortlaut von Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB, § 355 Abs. 1 BGB nicht erwähnt.
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(2) Die Systematik der Norm führt zu keinem anderen Ergebnis. Art. 246a § 1 EGBGB verpflichtet den Unternehmer an anderer Stelle, nämlich in Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EGBGB durchaus zur Angabe einer Telefonnummer als Teil der vorvertraglichen Informationen. Diesen Absatz nimmt § 356 Abs. 3 BGB für die Angaben in der Widerrufsbelehrung aber nicht in Bezug, sondern verweist explizit und eng gefasst nur auf Abs. 2 S. 1 Nr. 1 des § 246a EGBGB.
33
Die Möglichkeit, durch eine weitgefasste Verweisung alle (vorvertraglichen) Pflichtinformationen – wie die Telefonnummer – auch zu Pflichtangaben für die Widerrufsbelehrung werden zu lassen, hat der Gesetzgeber bewusst nicht ergriffen. Dies wird insbesondere deutlich bei einem Vergleich mit der abweichenden Verweisungstechnik, die hinsichtlich der Fernabsatzverträge über Finanzdienstleistungen gewählt wurde. § 312d Abs. 1 BGB verweist wegen der Informationspflichten für Fernabsatzverträge allgemein auf Art. 246a EGBGB, § 312d Abs. 2 BGB für Fernabsatzverträge über Finanzdienstleistungen hingegen gesondert auf Art. 246b EGBGB. Anders als bei § Art. 246a EGBGB, der zwischen den vorvertraglichen Informationspflichten in § 1 Abs. 1 und den Pflichtangaben zum Widerruf in Abs. 2 trennt, bezieht Art. 246b § 2 Abs. 1 EGBGB, auf den auch § 356 Abs. 3 BGB für den Beginn der Widerrufsfrist Bezug nimmt, die (vorvertraglichen) Informationspflichten gemäß Art. 246b § 1 Abs. 1 EGBGB ein. Diese Verweisungstechnik hat der Gesetzgeber für die vorliegende Konstellation hingegen nicht gewählt.
34
(3) Ferner ergibt sich kein anderslautender Hinweis aus den Gesetzgebungsmaterialien. Ausweislich der Drucksache nimmt der Gesetzgeber schriftliche bzw. textliche Varianten des Widerrufs in den Blick, etwa per Post, E-Mail oder Telefax, nicht hingegen mündliche per Telefon (BT-Drs. 17/12637, S. 60). Dies ist auch dem Umstand geschuldet, dass der Verbraucher im Zweifelsfall die rechtzeitige Ausübung seines Widerrufs darlegen und beweisen müsste und dies für verkörperte Erklärungen leichter fällt. Dementsprechend ist auch hier nicht ersichtlich, dass der Unternehmer spiegelbildlich zur Angabe einer Telefonnummer verpflichtet wäre.
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(4) Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht der Umstand, dass in den Gestaltungshinweisen Ziff. 2 zur Musterbelehrung in Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 2 EGBGB Anlage 1 die Angabe einer Telefonnummer erwähnt ist. Die Verwendung der Musterbelehrung ist nicht zwingend, sondern optional. Der Unternehmer kann die Informationspflichten zum Widerruf dadurch erfüllen, dass er das in der Anlage 1 vorgesehene Muster für die Widerrufsbelehrung zutreffend ausgefüllt in Textform übermittelt, (Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 2 EGBGB, Hervorhebung durch das Gericht). Wie schon in den Gesetzesmaterialien wird auch in der Musterwiderrufsbelehrung beispielhaft ein mit der Post versandter Brief, Telefax oder E-Mail als Kommunikationsmittel für die Widerrufserklärung aufgezählt.
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bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung.
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Den vorgenannten Vorschriften in BGB und EGBGB liegt die RL 2011/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher zugrunde. Gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. c) RL 2011/83/EG informiert der Unternehmer bei Fernabsatzverträgen den Verbraucher vor Vertragsschluss über die Anschrift des Ortes, an dem er niedergelassen ist, und ggf. seine Telefonnummer, Faxnummer und E-MailAdresse. Dies entspricht der Umsetzung in § 246a § 1 Abs. 1 EGBGB. Weiter sieht Art. 6 Abs. 1 lit.h) RL 2011/83/EG vor, dass der Unternehmer den Verbraucher im Falle des Bestehens eines Widerrufsrechts über die Bedingungen, Fristen und Verfahren für die Ausübung des Rechts gemäß Artikel 11 Abs. 1 sowie über das Muster-Widerrufsformular gemäß Anhang I Teil B informiert. Dies entspricht Art. 246a § 1 Abs. 2 EGBGB. Die Angabe einer Telefonnummer gehört auch hier dem Wortlaut nach nicht zu den Pflichtangaben für die Widerrufsbelehrung. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Erwägungsgrund 44, der zwar beispielhaft den Telefonanruf als möglichen Kommunikationsweg für eine Widerrufserklärung nennt, aber zugleich auch in den Blick nimmt, dass dem Verbraucher die Beweislast für den rechtzeitigen Widerruf obliegt und daraus die Konsequenz zieht, dass es „im Interesse des Verbrauchers [ist], für die Mitteilung des Widerrufs an den Unternehmer einen dauerhaften Datenträger zu verwenden.“ Eine zwingende Angabe einer Telefonnummer legt auch der Erwägungsgrund nicht nahe.
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cc) Schließlich führt auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu keiner anderen Einschätzung. Der dortige Urteilsausspruch stellt zwar nicht nur auf die vorvertraglichen Informationspflichten gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. c) RL 2011/83/EG ab, sondern bezieht sich auch auf die Angaben zur Widerrufsbelehrung gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. h) RL 2011/83/EG. Er trifft aber keine Entscheidung darüber, ob die etwaig erforderliche, aber fehlende Angabe einer Telefonnummer in der Widerrufsbelehrung zur Folge hat, dass die reguläre Widerrufsfrist nicht zu laufen beginnt.
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Der EuGH hat indes wenige Monate zuvor in Urteilen vom 19. Dezember 2019 (C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, C-355/18, C-356/18, C-357/18, C-479/18) zum Rücktrittsrecht entschieden, dass die Rücktrittsfrist bei einem Lebensversicherungsvertrag auch dann ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem der Versicherungsnehmer davon in Kenntnis gesetzt wird, dass der Vertrag geschlossen ist, wenn in den Informationen, die der Versicherer dem Versicherungsnehmer mitteilt, nicht angegeben ist, dass die Erklärung des Rücktritts nach dem auf den Vertrag anwendbaren nationalen Recht keiner besonderen Form bedarf oder eine Form verlangt wird, die nach dem auf den Vertrag anwendbaren nationalen Recht oder den Bestimmungen des Vertrags nicht vorgeschrieben ist, solange dem Versicherungsnehmer durch die Informationen nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben.
40
Diese Überlegungen lassen sich auf den vorliegenden Fall übertragen, denn dort wie hier gab die Richtlinie vor, dass der Verbraucher vor Vertragsabschluss über die Modalitäten der Ausübung des Widerrufs- und Rücktrittsrechts zu informieren ist (Rz 64 der o.g. Urteile). Ferner hält der EuGH fest, dass eine fehlerhafte schriftliche Belehrung zwar ggf. geeignet sein kann, den Verbraucher im Hinblick auf sein Rücktrittsrecht irrezuführen, und daher einer fehlenden Belehrung zu diesem Punkt gleichzusetzen wäre. Er hebt aber zugleich hervor, dass nicht jede unrichtige Information über die Form der Erklärung des Rücktritts, die in der Belehrung, die der Versicherungsnehmer vom Versicherer erhält, enthalten ist, als fehlerhafte Belehrung anzusehen ist (Rz. 78 der o.g. Urteile). Wird dem Versicherungsnehmer durch die Belehrung, auch wenn diese fehlerhaft ist, nicht die Möglichkeit genommen, sein Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben, wäre es unverhältnismäßig, es ihm zu ermöglichen, sich von den Verpflichtungen aus einem in gutem Glauben geschlossenen Vertrag zu lösen (Rz. 79 der o.g. Urteile).
41
Nach diesen Maßstäben hätte im vorliegenden Fall jedenfalls das Fehlen einer Telefonnummer in der Widerrufsbelehrung nicht zur Folge, dass die Widerrufsbelehrung als fehlerhaft anzusehen wäre und die Widerrufsfrist nicht zu laufen begonnen hätte. Denn die konkrete Widerrufsbelehrung enthielt eine Postanschrift und eine E-Mail-Adresse (Anlage K4) und ermöglichte dem Kläger eine leichte Ausübung seines Widerrufsrechts. Dass mit dem Fehlen einer Telefonnummer eine relevante Verkürzung ihrer Handlungsoptionen einherginge, ist nicht ersichtlich. Soweit der Kläger darauf abstellt, dass ein telefonischer Widerruf den Vorteil des sofortigen Zugangs der Erklärung hätte, ist dies auch durch Versand des Widerrufs per E-Mail gewährleistet. Der Kläger hat diese Möglichkeit der schnellen Übermittlung ihrer Widerrufserklärung per E-Mail unstreitig problemlos genutzt.
42
Sofern der Kläger im telefonischen Widerruf zusätzlich den Vorteil erblicken will, dass zugleich ein Rückgabetermin abgestimmt werden kann, führt zu keiner anderen Einschätzung. Denn dies geht über die gesetzlichen Vorgaben für die Widerrufsbelehrung hinaus. Die Widerrufsbelehrung selbst weist bereits als Information über das Widerrufsverfahren hinreichend klar aus, innerhalb welcher Frist das Fahrzeug an welchen Orten zurückzugeben ist (vgl. Anlage K 4: Adresse in Berlin „oder Ihr örtliches Tesla Delivery Center“). Eine telefonische Ankündigung oder Terminvereinbarung wird dort nicht vorgegeben. Sofern sich die Rückgabe des Fahrzeugs vor Ort tatsächlich schwierig gestaltet haben sollte, ließe dies nicht die Wirksamkeit des Widerrufs entfallen, wenn der Verbraucher – wie hier allerdings nicht geschehen – die übrigen gesetzlichen Voraussetzungen für den Widerruf eingehalten und die Rückgabe des Fahrzeugs an einem der angegebenen Orte angeboten hätte.
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b) Auch auf eine fehlende bzw. nicht ordnungsgemäße Belehrung über die Höhe der Kosten für die Rücksendung der Ware und einen gegebenenfalls zu leistenden Wertersatz kann sich der Kläger nicht berufen. § 356 Abs. 3 S. 1 BGB ist abschließend. Die für das Eingreifen der verlängerten Widerrufsfrist nach § 356 Abs. 3 S. 2 BGB maßgeblichen Informationen sind nur die in Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB genannten Informationen. Sofern ein Unternehmer über andere, aufklärungspflichtige Umstände, wie etwa die Höhe der Kosten der Rücksendung oder einen zu leistenden Wertersatz, nicht aufklärt, hat dies u. U. zur Folge, dass er keinen Ersatz verlangen kann, nicht jedoch Einfluss auf den Lauf der Widerrufsfrist. Die Rechtsfolgen des Widerrufs sind nach Auffassung des Gerichts nicht unter den Begriff „Verfahren“ zu subsumieren. Der Gesetzgeber hat dies separat unter Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EGBGB geregelt, auf den wiederum § 356 Abs. 3 BGB für den Fristenlauf nicht verweist.
44
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass nach § 357a Abs. 1 Nr. 2 BGB für den Wertersatz gerade nur noch der Hinweis auf das Widerrufsrecht nach Art. 246a § 1 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB erforderlich ist. Ein konkreter Hinweis auf die Wertersatzfolge ist gerade nicht mehr Anspruchsvoraussetzung (siehe auch BeckOK BGB/Müller-Christmann, 68. Ed. 1.5.2023, BGB § 357a Rn. 11,MüKoBGB/Fritsche, 9. Aufl. 2022, BGB § 357a Rn. 13)). Anders hat dies der Gesetzgeber im Fall des § 357 Abs. 2, siehe Nr. 3 BGB oder bei § 357 Abs. 5 BGB geregelt.
45
Zudem ergibt sich aus der Widerrufsbelehrung – auch für einen juristischen Laien – vollkommen eindeutig, dass die geleistete Anzahlung im Falle eines wirksamen Widerrufes zurückgezahlt wird.
46
Mangels eines berechtigten Hauptanspruchs bestehen auch keine Ansprüche auf Verzugszinsen gem. §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286, 288 BGB und auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten gem. §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286, 249 ff. BGB. Die Beklagte befindet sich auch nicht im Annahmeverzug.
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C. Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 91, 709, 3 ZPO, 48 GKG.