Inhalt

LG Landshut, Beschluss v. 13.06.2024 – 65 T 214/24
Titel:

Kurzfristige Freiheitsentziehung, Elektronisches Dokument, Feststellungsantrag, Beschlüsse des Amtsgerichts, Abschiebungshaft, Abschiebungsgewahrsam, Gegenstandswert, Elektronischer Rechtsverkehr, Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts, Rechtsbeschwerdeverfahren, Haftantrag, Abschiebehaft, Behörden, Rechtsschutzbedürfnis, Kostenentscheidung, Rechtswidrigkeit, Beschwerde gegen, Beschwerdebegründung, Wert des Beschwerdegegenstandes, Anordnung der sofortigen Wirksamkeit

Schlagworte:
Abschiebegewahrsam, Freiheitsentziehung, Haftantrag, Beschwerde, Feststellungsantrag, Rechtswidrigkeit, Rechtsverletzung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 42794

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts x vom 15.11.2023 (Az. 309 XIV 291/23 (B)) rechtswidrig war und die Betroffene in ihren Rechten verletzt hat.
2. Von der Erhebung von Kosten wird abgesehen. Die notwendigen Auslagen der Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.
3. Der Gegenstandswert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Mit Schreiben vom 15.11.2023 beantragte die Bundespolizeidirektion x beim Amtsgericht x die Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung gemäß §§ 23, 417 FamFG, konkret Abschiebegewahrsam gemäß §§ 58 Abs. 4 in Verbindung mit 50 Abs. 2 in Verbindung mit 71 Abs. 3 Nr. 1a und 106 AusfenthG gegen die Betroffene. Die Behörde betreibe die Abschiebung in x (Bl. 1/4 d.A.). Die Betroffene war am Flughafen x x am 15.11.2023 um 03:30 Uhr in Gewahrsam genommen worden. Die Rückführung nach x war für den 16.11.2023 vorgesehen, für den Fall von technischen Schwierigkeiten spätestens am 17.11.2023. Im Antrag ist unter anderem auf Seite 3 Rückseite ausgeführt: die einzige taugliche Alternative zum Ausreisegewahrsam ist die Anordnung von Abschiebehaft gegen die Rückzuführende gemäß § 62 Abs. 1 AufenthG.
2
Die Betroffene wurde am 15.11.2023 vor dem Amtsgericht x angehört. Zum Inhalt der Anhörung wird auf das Protokoll (Bl. 5/6 d.A.) verwiesen. Mit Beschluss vom 15.11.2023 (Bl. 7/10 d.A.) erklärte das Amtsgericht x den ab 14.11.2023 ab 20:50 Uhr durchgeführten Abschiebegewahrsam für zulässig und ordnete dessen Fortdauer bis längstens zum Ablauf des 17.11.2023 an. In den Gründen des Beschlusses wird auf den eingereichten Antrag Bezug genommen. Zudem wird ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die durchgeführte Festnahme und kurzzeitige Festhaltung der Betroffenen zum Zwecke der Abschiebung gemäß § 58 Abs. 4 AufenthG vorliegen. Zudem führt das Amtsgericht x aus: eine Glaubhaftmachung, dass sie sich der Abschiebung nicht entziehen wird (Rechtsgedanke des § 62 Abs. 3 S. 2 AufenthG) ist der Betroffenen in der Anhörung daher nicht gelungen. Eine weitere Nennung einer Grundlage für die Haftanordnung erfolgt nicht.
3
Die Betroffene wurde ausweislich der Mitteilung der Bundespolizei am Flughafen x x am 16.11.2013 von x über x abgeschoben.
4
Mit Schriftsatz vom 11.12.2023 (Bl. 14/15 d.A.) erhob der anwaltschaftliche Vertreter der Betroffenen Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts x vom 15.11.2023 verbunden mit dem Antrag festzustellen, dass der angefochtene Beschluss die Betroffene in ihren Rechten verletzt hat. Mit Beschluss des Amtsgerichts x vom 18.01.2024 (Bl. 48 d.A.) wurde der Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Landgericht Landshut zur Entscheidung vorgelegt.
5
Mit Schriftsatz vom 14.02.2024 (Bl. 56/57 d.A.) begründete der Betroffenenvertreter die erhobene Beschwerde. Unter anderem rügt er, dass aus der Entscheidung des Amtsgerichts x nicht ersichtlich sei, auf welcher gesetzlichen Grundlage die Haft angeordnet worden sei. Soweit in den Beschlussgründen die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit damit begründet wurde, dass damit der Zweck des Ausreisegewahrsams sichergestellt wird, sei weder im Antrag noch im Beschluss auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Ausreisegewahrsams eingegangen worden.
6
Mit Schreiben vom 07.03.2024 (Bl. 58/62 d.A.) nahm die antragstellende Behörde Stellung zur Beschwerdebegründung.
II.
7
Der zulässige Feststellungsantrag ist begründet.
8
1. Der gemäß § 58 FamFG statthafte Antrag ist zulässig, insbesondere in Gestalt des gestellten Feststellungsantrags gem. § 62 FamFG, da sich die mit Beschluss vom 15.11.2023 angeordnete Freiheitsentziehung durch die am 16.11.2023 durchgeführte Abschiebung der Betroffenen erledigt hat. Zudem besteht ein Rechtsschutzbedürfnis, da ein berechtigtes Feststellungsinteresse gemäß § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG gegeben ist. Die erfolgte Freiheitsentziehung stellt grundsätzlich einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff dar.
9
2. Der Feststellungsantrag hat auch in der Sache Erfolg. Der Beschluss vom 15.11.2023 war rechtswidrig und verletzte die Betroffene in ihren Rechten, weil mit dem Antrag vom 15.11.2023 bereits kein zulässiger Haftantrag im Sinne von § 417 FamFG vorgelegen hatte. Nach der Rechtsprechung des BGH ist ein Haftantrag, mit dem die gerichtliche Anordnung einer Freiheitsentziehung nach dem Aufenthaltsgesetz begehrt wird nur dann zulässig, wenn er die in § 417 Abs. 2 S. 2 FamFG bezeichneten Punkte behandelt (BGH, B. v. 15.09.2011; V ZB 123/11). Im vom BGH entschiedenen Ausgangsfall wurde der Haftantrag auf § 62 Abs. 2 AufenthG (i.d. bis 25.11.2011 gültigen Fassung) gestützt, ohne dass die antragstellende Behörde auf die in dieser Norm alternativ aufgezählten Haftgründe eingegangen wäre. Da damit dem Gericht eine hinreichende Tatsachengrundlage für die Einleitung weiterer Ermittlungen bzw. für eine eigene Entscheidung nicht verschafft werden konnte, war der Antrag als unzulässig und der hierauf ergangene Beschluss als rechtswidrig anzusehen.
10
Vorliegend enthält der Antrag vom 15.11.2023 bereits keine gesetzliche Haftgrundlage. Weder wird dieser ausdrücklich als auf § 62 AufenthG gestützter Antrag auf Anordnung der Abschiebungshaft, noch als ein auf § 62b AufenthG gestützter Antrag auf Ausreisegewahrsam bezeichnet. Vielmehr begehrt die antragstellende Behörde einen Abschiebegewahrsam gemäß §§ 58 Abs. 4 AufenthG. § 58 Abs. 4 AufenthG stellt jedoch keine eigenständige Haftgrundlage dar, der es wegen des Eingriffs in das Freiheitsgrundrecht gem. Art. 2 Abs. 2 GG gem. § 106 Abs. 1 AufenthG bedarf. Der Beschluss des Amtsgerichts x vom 15.11.2023 ordnet demgemäß auch einen Abschiebegewahrsam bis längstens zum Ablauf des 17.11.2023 an. Einen Abschiebegewahrsam kennt das AufenthG nicht. Das Gesetz sieht in Zusammenhang mit dem Wort Abschiebung die Haft nach § 62 AufenthG und im Zusammenhang mit einem Gewahrsam den Ausreisegewahrsam gemäß § 62b AufenthG vor. Zwar mag dem Antrag vom 15.11.2023 aufgrund der Nennung des Wortes Gewahrsam und Darstellung des Umstandes, dass lediglich eine kurzfristige Freiheitsentziehung beantragt wird, weil die Abschiebung bereits für den Folgetag geplant sei, zu entnehmen sein, dass ein Ausreisegewahrsam gemäß § 62b AufenthG beantragt sein soll. Diese Annahme kann auch gestützt werden durch den Vortrag der Behörde (Bl. 3 d.A Rückseite), dass die einzig taugliche Alternative zum Ausreisegewahrsam die Anordnung von Abschiebehaft wäre. Es ist jedoch zu sehen, dass zu den einzelnen Voraussetzungen des Ausreisegewahrsams gemäß § 62b Abs. 1 S.1 Nr. 1 bis 3 AufenthG nicht ausreichend vorgetragen wurde. Hinzu tritt, dass die Behörde nach Eingang der Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts x in ihrer Stellungnahme vom 07.03.2024 ausdrücklich darauf hinweist, dass sie als Grundlage für die Freiheitsentziehung § 58 Abs. 4 AufenthG und begleitend § 62 AufenthG ansieht. Zudem wird die Auffassung vertreten, dass der Haftantrag in einen solchen auf Anordnung der Abschiebungshaft nach § 62 AufenthG umgedeutet werden kann. Dies führt zu dem Ergebnis, dass nach den eigenen Ausführungen der Behörde ein Antrag auf Ausreisegewahrsam gem. § 62b AufenthG jedenfalls nicht gestellt gewesen sein soll.
11
Als Folge des bereits unzulässigen Haftantrags erweist sich der Beschluss des Amtsgerichts x vom 15.11.2023 als rechtswidrig (BGH a.a.O.).
12
Hinzu tritt, dass ausweislich der Formulierung im Beschlusstenor ein bereits durchgeführter Abschiebegewahrsam für zulässig erklärt und dessen Fortdauer bis längstens zum Ablauf des 17.11.2023 angeordnet wurde, und sich hierfür in den Beschlussgründen keine Haftgrundlage erkennen lässt. Soweit auf § 58 Abs. 4 AufenthG Bezug genommen wird, stellt diese bereits keinen eigenen Haftgrund dar. Dass die Anordnung von Abschiebehaft gemäß § 62 FamFG nicht gewollt sein konnte, ergibt sich aus den Ausführungen auf Seite 5 des Beschlusses, wonach auf den Rechtsgedanken des § 62 Abs. 3 Satz 2 AufenthG Bezug genommen wird. Aufgrund dieser Formulierung muss ausgeschlossen werden, dass die Grundlage für die Freiheitsentziehung die Vorschrift des § 62 AufenthG selbst sein sollte, da sonst nicht erklärbar wäre, weshalb lediglich auf den Rechtsgedanken, nicht aber auf die konkrete Vorschrift Bezug genommen wird. Möchte man die Begründung dahingehend verstehen, dass das Amtsgericht x einen Ausreisegewahrsam gemäß § 62b AufenthG angeordnet hat, ergäbe sich eine Diskrepanz zum gestellten Antrag, der ausweislich der obigen Ausführungen von der Behörde als ein solcher nach § 58 Abs. 4 AufenthG, hilfsweise als ein Antrag auf Abschiebehaft nach § 62 AufenthG gestellt gewesen sein sollte.
13
Im Ergebnis erweist sich der Beschluss des Amtsgerichts irgend vom 15.11.2023 somit als rechtswidrig, sodass festzustellen ist, dass dieser Beschluss die Betroffene in ihren Rechten verletzt hat.
III.
14
Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 S. 2 FamFG. Der Gegenstandswert wurde gemäß §§ 36, 79 GNotKG festgesetzt.
IV.
15
Die Rechtsbeschwerde ist nicht zulassungsfrei möglich. Insbesondere kann die beteiligte Behörde ein Rechtsbeschwerdeverfahren nach Erledigung der Haftsache nicht mit einem Antrag nach § 62 FamFG fortsetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 22.10.2015 – V ZB 169/14, FGPrax 2016, 34).
16
Die Rechtsbeschwerde war auch nicht zuzulassen, § 70 Abs. 2 FamFG. Die Rechtssache hat keine über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist auch weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.