Inhalt

VG Bayreuth, Beschluss v. 20.12.2024 – B 8 S 24.1142
Titel:

Arzneimittelmissbrauch und Krankenpflege

Normenketten:
VwGO § 80Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 5
PflBG § 3 Abs. 2 S. 2, § 64 S. 3
GG Art. 12 Abs. 1
AEUV Art. 18
Leitsätze:
Die gesundheitliche Eignung einer Krankenpflegerin kann bei einem anhaltenden Missbrauch von berauschenden Arzneimitteln (vorliegend: Opioide) entfallen, wenn dieser sich kausal auf das berufliche Handeln auswirkt. Auf die Feststellung einer Suchterkrankung kommt es dann nicht mehr an. (Rn. 56)
Die gesundheitliche Eignung einer Krankenpflegerin kann bei einem anhaltenden Missbrauch von berauschenden Arzneimitteln (vorliegend: Opioide) entfallen, wenn dieser sich kausal auf das berufliche Handeln auswirkt. Auf die Feststellung einer Suchterkrankung kommt es dann nicht mehr an. (Rn. 56) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fehlende gesundheitliche Eignung einer Krankenpflegerin bei Missbrauch von berauschend wirkenden Arzneimitteln, Zur Feststellung einer Suchterkrankung bei der Einnahme von Arzneimitteln, Entkräftung von positiven Anhaltspunkten für einen Arzneimittelmissbrauch, Arzneimittelmissbrauch, psychiatrisches Gutachten, Patientenschutz, Widerruf Berufserlaubnis, einstweiliger Rechtsschutz, Suchterkrankung, Schmerzen, Erkrankung, Krankenhaus, Krankenpflege
Fundstelle:
BeckRS 2024, 42784

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 7.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen den Bescheid der Regierung von … vom 23.10.2024, mit welchem ihr gegenüber unter anderem die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Gesundheits- und Krankenpflegerin“ widerrufen wurde.
2
Der Antragstellerin wurde die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Gesundheits- und Krankenpflegerin“ im Jahr 2008 durch die Regierung von … erteilt (Bl. 31 der Behördenakte).
3
Die Antragstellerin wurde am 29.04.2022 gegen 16:50 im Rahmen der Schleierfahndung bei … verdachtsunabhängig kontrolliert, nachdem sie mit ihrem Kraftfahrzeug über die deutsch-tschechische Grenze gefahren ist. Hierbei wurde festgestellt, dass die Antragstellerin bereits im Bereich der Rauschgiftkriminalität in Erscheinung getreten ist. Ein Drogenwischtest bei der Antragstellerin verlief positiv. Er reagierte auf die Substanzen Methamphetamin und Amphetamin. Danach räumte sie den zurückliegenden Konsum von Betäubungsmitteln ein. Im Rahmen der Personendurchsuchung wurden verschiedene Substanzen sichergestellt. Die Antragstellerin gab an, dass es sich hierbei um ca. fünf Gramm Methamphetamin handele und die Gegenstände ihr gehören würden. Eine Durchsuchung des Kraftfahrzeuges verlief ergebnislos. Sie habe sich während der polizeilichen Maßnahmen stets kooperativ verhalten.
4
In der polizeilichen Ereignismeldung vom 08.07.2022 wird festgehalten, dass das Gutachten der im Rahmen der Kontrolle durchgeführten Maßnahme ergeben habe, dass die Antragstellerin zum Tatzeitpunkt unter dem Einfluss von Methamphetamin sowie Amphetamin gestanden habe. Im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung sei zudem durch die Antragstellerin angegeben worden, dass sie seit ca. 6 Wochen wieder Crystal konsumiere, da sie Probleme habe und aus einer vormaligen „Drogenzeit“ wisse, dass Crystal leistungsfähiger mache. Es wurde durch die Antragstellerin in diesem Rahmen nochmals bestätigt, dass die beschlagnahmten Drogen ihr gehörten.
5
Mit Schreiben vom 10.11.2022 wurde der Regierung von … im Rahmen einer Mistra-Mitteilung die Anklageschrift vom 09.11.2022 übermittelt.
6
Mit Schreiben der Regierung vom 15.12.2022 (Bl. 38 f. der Behördenakte) wurde die Antragstellerin aufgefordert, sich auf ihre Kosten einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Es wurde darauf hingewiesen, dass im Falle des Fehlens der gesundheitlichen Eignung zur Ausübung des Berufs einer Gesundheits- und Krankenpflegerin die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Gesundheits- und Krankenpflegerin“ widerrufen werden könne.
7
Die Antragstellerin wurde am 20.01.2023 vom Amtsgericht … ( …) aufgrund des Sachverhalts vom 29.04.2022 schuldig gesprochen der vorsätzlichen unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln und wurde deshalb zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.
8
Mit Schreiben vom 29.08.2023 des Landratsamts … (Gesundheitsamt) (Bl. 87 ff. der Behördenakte) wurde mitgeteilt, dass die Auswertung der Haarprobenanalyse der Antragstellerin durch das Toxikologischen Centrum positiv auf verschiedene Opioide (Tilidin, Nortilidin, Tramadol, Nortramadol, O-Desmethyltramadol) ausfiel. Tilidin werde wegen seiner Morphinähnlichen Wirkung zur Behandlung von starken Schmerzen eingesetzt, aber auch als berauschendes Mittel missbraucht. Nortilidin sei ein Stoffwechselprodukt von Tilidin. Zur Einordnung der Konzentrationen werde deshalb die Summe aus beiden Substanzen verwendet. Nach den Erfahrungen des Toxikologischen Centrums sei der Befund mit einer regelmäßigen, intensiven Aufnahme vereinbar. Im vorliegenden Fall sei ein Zeitraum von etwa 6 Monaten vor der Haarprobenentnahme (10.07.2023) geprüft worden. Im Fragebogen des Forensisch Toxikologischen Centrums gab die Antragstellerin unter dem 10.07.23 noch an, zuletzt im April 2022 Drogen genommen zu haben. Eine Angabe zur Menge der genommenen Drogen erfolgte nicht. Medikamente würden nach den Angaben der Antragstellerin in dem Fragebogen nicht genommen.
9
Mit Schreiben vom 11.09.2023 an die Antragstellerin (Bl. 98 f. der Behördenakte) führte die Regierung von … bezugnehmend auf die Analyse und die widersprüchlichen Angaben im Verhältnis zu den eigenen Auskünften der Antragstellerin aus, dass Zweifel an der gesundheitlichen Eignung nach § 2 Nr. 3 PflBG aufgrund einer Suchterkrankung bestünden. Die Antragstellerin wurde aufgefordert mitzuteilen, ob zukünftige medizinische und therapeutische Maßnahmen geplant seien und ob der Arbeitgeber über die Gesundheitsproblematik Bescheid wisse.
10
Mit Schreiben vom 27.10.2023 nahm die Antragstellerin Stellung (Bl. 106 der Behördenakte). Bei ihr liege keine Suchterkrankung vor, auch keine Gefahr dahingehend. Die Frage im Fragebogen des Forensisch Toxikologischen Centrums, ob sie aktuell Medikamente einnehme, sei der Wahrheit entsprechend mit „nein“ beantwortet worden, da sie aktuell tatsächlich keine Medikamente einnehme. Sowohl Tilidin als auch Tramadol seien beides Medikamente mit denen sie täglich aufgrund ihrer Arbeit in Kontakt komme. Hierbei sei es bis zum heutigen Tag zu keinerlei Vorfall oder Fehlverhalten ihrerseits gekommen. Auch dürfte bekannt sein, dass beide Medikamente mittlerweile weitläufig als gängiges Schmerzmittel in der Allgemeinmedizin (vorzugsweise chronische Schmerzen) angekommen seien. Beide Medikamente seien somit zum Standardinventar eines jeden Schmerzpatienten zu zählen. Des weiteren könne anhand der Cut-Off bzw. Nachweisgrenzen beider Medikamentengruppen zweifelsfrei erkannt werden, dass in keinerlei Form ein regelmäßiger oder gar missbräuchlicher Konsum vorliege. Es sei ihrer Meinung nach daher eine sehr fragwürdige Vorgehensweise, hieraus eine Suchterkrankung diagnostizieren zu wollen, zumal weder ein medizinisches Gutachten (was hierfür zweifelsfrei nötig sei) vorliege oder gar das nötige Fachwissen vorhanden sei, um diese zu diagnostizieren. Aus der oben genannten Haaranalyse sei auch durchaus zu entnehmen, dass sie keine Betäubungsmittel mehr eingenommen habe, es seien keine Medikamente oder sonstige Stoffe, die unter das BtMG fallen, in der Haaranalyse festgestellt worden. Beide Schmerzmittel dienten lediglich zum Lindern von Schmerzen, die durch berufliche Körperbelastung (Wirbelsäule) entstanden seien.
11
Aus einer internen Antwort der Abteilung … (Gesundheit) der Regierung von … an die Sachbearbeiterin vom 06.12.2023 wurde festgehalten, dass das Vorbringen der Antragstellerin zweifelhaft sei. Es gebe Auffälligkeiten, z.B. die verzögerten und teilweise verspäteten Stellungnahmen, die falsche und von der Antragstellerin selbst revidierte Aussage, dass sie keine Medikamente einnehme, sowie der Umstand, dass sowohl Tramadol als auch Tilidin bei der Untersuchung in Konzentrationen gefunden worden seien, die beide in einem oberen Bereich (5% bzw. 10%) der bislang durch das Labor positiv getesteten Fälle lägen, und dies über einen längeren Zeitraum von ca. 6 Monaten. In der Summe lasse dies die begründete Annahme zu, dass bei der Antragstellerin eine Suchterkrankung im Sinne einer Polytoxikomanie vorliege. Zumindest lasse sich dies nicht mit der nötigen Sicherheit ausschließen. Es werde deshalb empfohlen, ein psychiatrisches Gutachten erstellen zu lassen, das die Frage einer Suchterkrankung abschließend kläre.
12
Mit Schreiben der Regierung von … vom 12.12.2023 (Bl. 124 f. der Behördenakte) wurde die Antragstellerin aufgefordert, eine weitere ergänzende Haarprobe untersuchen zu lassen und das Ergebnis beizubringen.
13
Das ergänzende Gutachten des Forensisch Toxikologischen Centrums vom 12.03.2024 (Bl. 136 ff. der Behördenakte) ergab bei der Antragstellerin den Nachweis der Substanz Tramadol und von deren Stoffwechselprodukten Nortramadol und O-Desmethyltramadol. Die nachgewiesene Menge dieser Substanzen wurde vom Gutachten als außergewöhnlich hoch bezeichnet. Sie liege statistisch in den oberen 5% der bisher positiv getesteten Fälle. Nach den Erfahrungen des Forensisch Toxikologischen Centrums sei der Befund mit einer regelmäßigen, intensiven Aufnahme vereinbar. Die untersuchte Haarprobe entspreche einem untersuchten Zeitraum von ungefähr 6 Monaten.
14
Mit weiterem Schreiben der Regierung von … vom 26.03.2024 (Bl. 144 f. der Behördenakte) wurde die Antragstellerin aufgefordert, ein psychiatrisches Gutachten beizubringen, um Zweifel an der gesundheitlichen Eignung für die Ausübung des Berufs einer Gesundheits- und Krankenpflegerin zu widerlegen. Die erneute positive Haarprobe habe den Verdacht bestärkt, dass eine Suchterkrankung vorliege. Es wurde eine Frist bis zum 10.04.2024 gesetzt, um mitzuteilen, dass ein psychiatrisches Gutachten durchgeführt werde und wann mit der Vorlage des psychiatrischen Gutachtens zu rechnen sei.
15
Mit E-Mail vom 10.04.2024 (Bl. 148 der Behördenakte) teilte die Antragstellerin mit, dass die psychiatrische Untersuchung von Frau Dr. … durchgeführt werden solle. Sie habe aber bis einschließlich des gestrigen Tages Urlaub. Es werde binnen einer Woche ein Termin mitgeteilt.
16
Mit E-Mail der Regierung von … vom 27.06.2024 (Bl. 150 der Behördenakte) wurde die Antragstellerin gefragt, wie der Sachstand bezüglich der Terminsvereinbarung sei. Mit weiterer E-Mail der Regierung von … vom 30.07.2024 (Bl. 154 der Behördenakte) wurde diesbezüglich bei der Antragstellerin nochmals angefragt und eine Frist zur Mitteilung bis zum 02.08.2024 gesetzt. Ansonsten werde nach Aktenlage entschieden.
17
Mit Bescheid vom 23.10.2024 wurde gegenüber der Antragstellerin die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Gesundheits- und Krankenpflegerin“ widerrufen (Ziffer 1). Es wurde ihr aufgegeben, die Urkunde im Original sowie alle beglaubigten Kopien oder Zweitschriften innerhalb eines Monats nach Bestandskraft des Bescheides bei der Regierung von … abzugeben. Alternativ sei eine Erklärung abzugeben, dass sich die Berufsurkunde nicht mehr in ihrem Besitz befinde (Ziffer 2). Ziffer 1 wurde für sofort vollziehbar erklärt (Ziffer 3). Unter Ziffer 4 wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 750,00 EUR angedroht, falls Ziffer 2 des Bescheids nicht oder nicht vollständig binnen eines Monats nach Bestandskraft dieses Bescheids erfüllt wird. Gebühren und Auslagen wurden in Höhe von 57,00 EUR festgesetzt (Ziffer 6).
18
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die gesundheitlichen Zweifel daran, ob die Antragstellerin derzeit gesundheitlich geeignet ist, nicht ausgeräumt worden seien.
19
Wer die Berufsbezeichnung „Gesundheits- und Krankenpflegerin“ führen will, bedürfe der Erlaubnis (§ 1 Abs. 1 i.V.m. § 64 Pflegeberufegesetz – PflBG). Die Erlaubnis sei auf Antrag zu erteilen, wenn die Antragstellerin unter anderem sich nicht eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich die Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs ergebe und eine gesundheitliche Eignung vorliege (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 und 3 PflBG). Es sei davon auszugehen, dass zum Zeitpunkt der Erlaubniserteilung alle Voraussetzungen, einschließlich der geforderten gesundheitlichen Eignung und auch Zuverlässigkeit, vorgelegen haben. Mit Urkunde vom 07.04.2008 sei dementsprechend auch die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Gesundheits- und Krankenpflegerin“ von der Regierung von … erteilt worden.
20
Die Erlaubnis könne widerrufen werden, wenn nachträglich die gesundheitliche Eignung wegfalle (§ 3 Abs. 2 PflBG). Ein rechtmäßig begünstigender Verwaltungsakt dürfe, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, wenn die Behörde auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde (Art. 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz – BayVwVfG). Die Art des abgeurteilten Deliktes und die Erkenntnisse aus dem dazugehörigen Ermittlungsverfahren stünden in direktem Zusammenhang mit Besitz und Konsum von Betäubungsmitteln. Eine Suchterkrankung sei aufgrund der Verfehlung sehr naheliegend und biete Anlass, erhebliche Zweifel an der gesundheitlichen Eignung für die Ausübung des Berufs einer Gesundheits- und Krankenpflegerin zu hegen. Sie sei von der Regierung von … gebeten worden, sich beim Gesundheitsamt in … zum Zwecke einer amtsärztlichen Untersuchung vorzustellen, um eine Suchterkrankung auszuschließen. Aufgrund der Haarprobenanalysen des Forensisch Toxikologischen Centrums vom 10.07.2023 und 12.03.2024 habe sich der Eindruck des Vorliegens einer Suchterkrankung verstärkt und biete der Regierung von … Anlass, erhebliche Zweifel an der gesundheitlichen Eignung nach § 2 Nr. 3 PflBG für die Ausübung des Berufs der Gesundheits- und Krankenpflegerin zu hegen. Ihr sei die Möglichkeit eingeräumt worden, den Zweifel an der gesundheitlichen Eignung durch ein psychiatrisches Gutachten zu widerlegen. Die Möglichkeit den Anschein des Vorliegens einer Suchterkrankung durch ein psychiatrisches Gutachten auszuräumen, habe die Antragstellerin nicht wahrgenommen und sie habe somit nicht an der Klärung des Sachverhaltes mitgewirkt.
21
Durch die Verurteilung wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln und durch die positiven Haarprobenanalysen auf die Medikamente Tilidin und Tramadol, werde bei ihr die konkrete Überzeugung am Vorliegen einer Suchterkrankung bestätigt und biete der Regierung von … Anlass, vom fehlenden Vorliegen der gesundheitlichen Eignung nach § 2 Nr. 3 PflBG für die Ausübung des Berufs einer Gesundheits- und Krankheitspflegerin auszugehen. Tilidin werde wegen seiner Morphinähnlichen Wirkung zur Behandlung von starken Schmerzen eingesetzt, aber auch als berauschendes Mittel missbraucht. Auch Tramadol sei ebenfalls ein starkes Schmerzmittel, welches ebenfalls wieder als berauschendes Mittel missbraucht werden könne. Bei übermäßigen Konsum von Tilidin und Tramadol steige die Suchtgefahr bei Missbrauch dieser Substanzen. Unter dem Einfluss von Suchtmitteln könne es zu einer gravierenden Leistungsminderung und zu einer erhöhten Fehlerhäufigkeit gerade auch bei Ausübung eines anspruchsvollen Berufes mit hoher Verantwortung kommen. Die Bereitschaft, sich die Suchtstoffe bzw. Medikamente, notfalls auch illegal, zu beschaffen, wachse. Dies natürlich insbesondere dann, wenn der Umgang mit Betäubungsmitteln und starken Medikamenten zu den beruflichen Tätigkeiten gehöre, wie dies bei einer Gesundheits- und Krankenpflegerin auch regelmäßig der Fall sein werde. Nachdem die Antragstellerin an einer weiteren Klärung der Angelegenheit nicht mitwirke und daher eine psychiatrische Untersuchung nicht stattgefunden habe, müsse im Interesse eines effektiven Patientenschutzes davon ausgegangen werden, dass sie derzeit gesundheitlich nicht geeignet sei, den Beruf der Gesundheits- und Krankenpflegerin ordnungsgemäß auszuüben. Nach Würdigung aller relevanten Gesichtspunkte müsse die Regierung von … – nicht zuletzt auch wieder im Interesse des Patientenschutzes – zu dem Schluss kommen, dass die gesundheitliche Eignung zur Ausübung des Berufes der Gesundheits- und Krankenpflegerin bei der Antragstellerin nicht mehr vorliege. Für die Zukunft könne daher derzeit nicht mit der gebotenen Sicherheit prognostiziert werden, dass die Antragstellerin ihre beruflichen Tätigkeiten ordnungsgemäß und pflichtenkonform ausübe.
22
Im Rahmen der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens müsse das öffentliche Interesse am Widerruf ihrer Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung „Gesundheits- und Krankenpflegerin“ gegen ihr Interesse ihren Beruf uneingeschränkt ausüben zu können, abgewogen werden. Zweifellos komme dem grundgesetzlich geschützten Recht auf ungehinderte Ausübung des Berufes als Gesundheits- und Krankenpflegerin eine sehr große Bedeutung zu und im Moment existiere seitens der Regierung von … der Antragstellerin gegenüber auch die Überzeugung des Vorliegens einer Suchterkrankung, die maßgeblich lediglich auf ihre unterbliebene Mitwirkung zurückzuführen sei. Es überwiege aber im Ergebnis das öffentliche Interesse daran, das hohe Rechtsgut des Patientenschutzes zu gewährleisten. Der schutzsuchende und oft körperlich hilfsbedürftige Patient müsse sich darauf verlassen dürfen, dass eine Erlaubnisinhaberin ausreichende Gewähr für eine ordnungsgemäße Berufsausübung biete und persönlich zuverlässig und gesundheitlich auch geeignet sei. Diese Gewähr sei bei ihr nach Abwägung aller Gesamtumstände nicht mehr gegeben. Insbesondere wäre es der Antragstellerin auch möglich gewesen, durch Mitwirkung bei einer psychiatrischen Untersuchung diesen konkreten und faktengestützten Verdacht einer Suchterkrankung auszuräumen und die einschneidende Maßnahme des Widerrufes ihrer Berufserlaubnis abzuwenden. Die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung „Gesundheits- und Krankenpflegerin“ sei daher nach Abwägung aller Umstände zu widerrufen.
23
Die Verpflichtung zur Rückgabe der Erlaubnisurkunde stütze sich auf Art. 52 BayVwVfG.
24
Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit beruhe auf § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO. Diese sei zur Abwehr konkreter Gefahren für die hochrangigen Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit erforderlich, da hinreichende Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die Antragstellerin für den Beruf der Gesundheits- und Krankenpflegerin derzeit gesundheitlich nicht mehr geeignet sei. Das besondere öffentliche Interesse der sofortigen Vollziehung ergebe sich zunächst aus der dringenden Notwendigkeit drohenden Gesundheitsgefahren für die von ihr zu pflegenden Patienten entgegenzuwirken. Bei der Antragstellerin liege nach derzeitiger Überzeugung eine Suchterkrankung vor. Die Gefahr, die sich bei einer weiteren Ausübung des Berufs der Gesundheits- und Krankenpflegerin, unter Verwendung der entsprechenden Berufsbezeichnung, ergebe, könne im öffentlichen Interesse nicht hingenommen werden. Hierbei werde nicht verkannt, dass der Sofortvollzug die Antragstellerin in ihrem durch Art. 12 Abs. 1 GG garantierten Grundrecht auf freie Berufsausübung und -wahl, dem hohes Gewicht zukomme, tangiert. Indessen könne jedoch eine weitere Tätigkeit unter der Berufsbezeichnung Gesundheits- und Krankenpflegerin im öffentlichen Interesse nicht hingenommen werden, weil auf der anderen Seite Gesundheit und sogar Leben von teilweise äußerst vulnerablen Patienten betroffen seien. Hierbei handele es sich um so wichtige Gemeinschaftsgüter, dass alle anderen Interessen dahinter zurücktreten müssten, zumal insoweit auch irreparable Schäden drohen würden. Die Berufsausübungsfreiheit habe hier gegenüber den besonders wichtigen Rechtsgütern der körperlichen Unversehrtheit und des Lebens der von der Antragstellerin potentiell betreuten Patienten zurückzutreten. Außerdem wäre es an der Antragstellerin selbst gelegen, durch Mitwirkung bei einer psychiatrischen Untersuchung und ggf. erforderlichen therapeutischen Vorgaben diese einschneidende Maßnahme abzuwenden.
25
Es folgten Ausführungen zur Zwangsgeldandrohung und den Kosten.
26
Mit Schriftsätzen vom 20.11.2024, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth erhob der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin Klage (B 8 K 24.1143) und beantragte die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid der Regierung von … vom 23.10.2024 wiederherzustellen, hilfsweise die sofortige Vollziehung aufzuheben.
27
Zur Begründung wurde mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vom 19.12.2024 ausgeführt, dass Frau Dr. …, bei welcher die Antragstellerin das psychiatrische Gutachten habe einholen wollen, nicht mehr gelistet gewesen sei und aus diesem Grund nicht erstellen konnte. Bei der Antragstellerin liege keine Polytoxikomanie vor. Der gemäß den Haarprobenanalysen festgestellte Konsum von Tramadol und Tilidin sei allein darauf zurückzuführen, dass die Antragstellerin berufsbedingt unter starken Rückenschmerzen leide und im Bedarfsfall diese Medikamente einnehme, als (in der Allgemeinmedizin anerkannte, stark wirkende) Schmerzmittel. Aus diesem Grund sei die Antragstellerin nach wie vor einschränkungslos bereit, sich einer entsprechenden Untersuchung zu unterziehen zur Fertigung eines psychiatrischen Gutachtens und insofern an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken. Bereits in der Vergangenheit habe die Antragstellerin sich den erforderlichen Untersuchungen beim Gesundheitsamt des Landratsamtes … sowie entsprechenden Haarproben unterzogen. Dabei wäre die Antragstellerin auch bereit, das psychiatrische Gutachten durch einen seitens der Regierung von … festgelegten Arzt erstellen zu lassen. Ebenso sei die Antragstellerin zu regelmäßigen Kontrollen auf Substanzmittelmissbrauch bis zur Vorlage des Gutachtens, so wie von Herrn Dr. … vorgeschlagen, bereit.
28
In rechtlicher Hinsicht wurde ausgeführt, dass das Aussetzungsinteresse vorliegend das Vollziehungsinteresse überwiege, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestünden. Der Widerruf der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Gesundheits- und Krankenpflegerin“ werde auf Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG gestützt. Dabei werde ausgeführt, dass die Art des abgeurteilten Delikts und die Erkenntnisse aus dem dazugehörigen Ermittlungsverfahren in direktem Zusammenhang mit Besitz und Konsum von Betäubungsmitteln stünden. Eine Suchterkrankung sei aufgrund der Verfehlung sehr naheliegend. Nach den Ausführungen im Bescheid würde demnach eine Suchterkrankung Anlass bieten, erhebliche Zweifel an der gesundheitlichen Eignung für die Ausübung des Berufs einer Gesundheits- und Krankenpflegerin zu hegen. Eine Suchterkrankung der Antragstellerin liege nicht vor bzw. wurde nicht nachgewiesen. Die diesbezügliche Beweislast für die Voraussetzung des Widerrufs läge insofern beim Antragsgegner. Mangels entsprechender Nachweise lägen insofern die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Widerruf nach Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG nicht vor. Darüber hinaus sei der Widerruf unverhältnismäßig. Als milderes ebenso effektives Mittel wäre zunächst die seitens Herrn Dr. … empfohlenen regelmäßigen Kontrollen auf Substanzmittelmissbrauch ausreichend gewesen. Insbesondere hätte sich hieraus auch abhängig vom Ergebnis der Kontrollen ein weiterer Nachweis für das Vorliegen bzw. Nicht-Vorliegen einer Suchterkrankung und damit der für einen Widerruf erforderlichen Tatsachen ergeben. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin sich ausdrücklich zu einer entsprechenden Untersuchung für die Anfertigung eines psychiatrischen Gutachtens bereit erklärt habe. Schließlich sei innerhalb der im Rahmen der bei einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung auf Seiten der Antragstellerin ihr grundgesetzlich geschütztes Recht auf ungehinderte Ausübung ihres Berufs als Gesundheits- und Krankenpflegerin zu berücksichtigen. Das Recht auf ungehinderte Berufsausübung überwiege im vorliegenden Fall das öffentliche Interesse, insbesondere an der Gewährleistung des Patientenschutzes (körperliche Unversehrtheit und das Leben von potentiell betreuten Patienten). In diesem Zusammenhang sei insbesondere zu berücksichtigen, dass aus dem Akteninhalt keinerlei Auffälligkeiten der Antragstellerin bei ihrer Berufsausübung zu entnehmen seien.
29
Mit Schreiben vom 20.12.2024 beantragte der Antragsgegner den Antrag abzuweisen.
30
Zur Begründung werde auf die Gründe des angegriffenen Bescheids Bezug genommen. Eine tiefergehende Stellungnahme zum Antragsbegründungsschriftsatz vom 19.12.2024 sei in der Kürze der Zeit nicht möglich.
31
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten, die Strafakte ( …) sowie das Vorbringen der Beteiligten Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog).
II.
32
Der als Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 Var. 2 VwGO gegen Ziffer 1 und 3 des streitgegenständlichen Bescheids vom 23.10.2024 der Regierung von … aufzufassende Antrag ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. Der Widerruf der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Gesundheits- und Krankenpflegerin“ (Ziffer 1) und die diesbezügliche Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit (Ziffer 3) erweisen sich nach summarischer Prüfung im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung als rechtmäßig.
33
1. Die sofortige Vollziehbarkeit in Ziffer 3 des Bescheids vom 23.10.2024 wurde formell ordnungsgemäß angeordnet, insbesondere wurde das besondere öffentliche Interesse hinreichend begründet im Sinne von § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO.
34
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung als Ausnahme vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage (§ 80 Abs. 1 VwGO) bedarf in den Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO grundsätzlich einer schriftlichen Begründung, in der das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts dargelegt sein muss, § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO. Hierzu ist regelmäßig eine auch auf den konkreten Einzelfall abstellende Darlegung des besonderen öffentlichen Interesses erforderlich, dass ausnahmsweise die sofortige Vollziehung notwendig ist (BayVGH, B.v. 14.2.2002 – 19 ZS 01.2356 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 15.5.2018 – 22 CS 18.566 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 30.1.2019 – 9 CS 18.2533 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 4.3.2019 – 22 CS 18.2310 – juris Rn. 11; VG Ansbach, B.v. 5.2.2007 -AN 14 S 06.03851 – juris Rn. 20). Das bloße Abstellen auf das Vollzugsinteresse genügt für eine solche Begründung nicht (BayVGH, B.v. 14.2.2002 – 19 ZS 01.2356 – juris Rn. 3; Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO, 30. Aufl.2024, § 80 Rn. 85; Windthorst in Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 80 Rn. 149). Ebenso wenig genügen bloße Floskeln (BVerwG, B.v. 30.3.2007 – 9 VR 7/07 – juris Rn. 4; Schoch in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 45. EL 2024, § 80 VwGO Rn. 247; Külpmann in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 746; Windthorst in Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 80 Rn. 149; Gersdorf in: BeckOK VwGO, 70. Ed. 1.1.2024, § 80 Rn. 87). Die Begründung hat dabei u.a. den Zweck, den Betroffenen in die Lage zu versetzen, durch Kenntnis der Gründe, die die Behörde zur Vollzugsanordnung veranlasst haben, seine Rechte wirksam wahrzunehmen und die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels abzuschätzen (VG Ansbach, B.v. 5.2.2007 – AN 14 S 06.03851 – juris Rn. 20).
35
Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit im streitgegenständlichen Bescheid vom 23.10.2024 genügt diesen Anforderungen. Der Bescheid arbeitet die Gefahren für Leib und Leben, die sich durch eine Suchtmittelerkrankung und die damit einhergehenden Einschränkungen für das Wohl der Pflegebedürftigen ergeben können, als besonderes öffentliches Interesse heraus und stellt die konfligierenden Interessen der Antragstellerin gegenüber. Hiermit wird dezidiert auf den Einzelfall der Antragstellerin eingegangen und der Ausnahmecharakter der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit deutlich.
36
Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit wird daneben auch den strengeren verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht, die in einem solchen Fall (vorliegend in Verbindung mit Art. 18 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV) an sie gestellt werden. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof führt diesbezüglich (insoweit zum ärztlichen Approbationsrecht) aus:
„Die Anordnung der sofortigen Vollziehung stellt einen selbstständigen Eingriff dar, der in seiner Wirkung über die noch im Verwaltungsverfahren oder im gerichtlichen Verfahren zu überprüfende Ruhensanordnung hinausgeht und erfordert deshalb auch eine eigenständige – auch an verfassungsrechtlichen Maßstäben orientierte – Prüfung. Im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 GG ist die Zulässigkeit eines Eingriffs mit berufsrechtlicher Wirkung schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens als Präventivmaßnahme zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter anerkannt. Überwiegende öffentliche Belange können es nämlich ausnahmsweise rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweiligen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Wegen der gesteigerten Eingriffsintensität beim Sofortvollzug einer approbationsrechtlichen Maßnahme sind hierfür jedoch nur solche Gründe ausreichend, die in angemessenem Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen und die ein Zuwarten bis zur Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens ausschließen. Wegen der hohen Bedeutung des Grundrechts der Berufsfreiheit kann dabei für die Beurteilung des Sofortvollzugs nicht schon die große Wahrscheinlichkeit genügen, dass das Hauptsacheverfahren zum Nachteil des Rechtsschutzbegehrens ausgehen wird. Vielmehr setzt eine berufstangierende Maßnahme auch in Verbindung mit dem Rechtsstaatgebot die zusätzliche Feststellung voraus, dass sie schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens als Präventivmaßnahme zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter erforderlich ist. Dieses Erfordernis entspricht der Funktion von Präventivmaßnahmen, mit denen für eine Zwischenzeit ein Sicherungszweck verfolgt wird, der es ausnahmsweise rechtfertigt, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hängt dabei von einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls und insbesondere davon ab, ob eine weitere Berufstätigkeit konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter oder für Dritte befürchten lässt, wobei es Aufgabe der um vorläufigen Rechtsschutz ersuchten Verwaltungsgerichte ist, eine eigenständige Prognose der konkreten (Dritt-)Gefährdung anzustellen (vgl. BVerfG vom 12.3.2004 NVwZ-RR 2004, 545).“
(BayVGH, B.v. 5.2.2009 – 21 CS 08.3133 – juris Rn. 20).
37
Die Voraussetzungen hierfür liegen vor. Die Gründe für die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit mit ihrem Sicherungszweck überwiegen vorliegend das Interesse der Antragstellerin, bis zur Rechtskraft der Hauptsacheentscheidung weiter wie bisher ihrer Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 18 AEUV) nachgehen zu können. Dem genannten Interesse der Antragstellerin steht demgegenüber die Gesundheit der Bevölkerung (vgl. OVG Hamburg, U.v. 1.2.2002 – 4 Bf 139/00 – juris Rn. 64). Bei der Gesundheit der Bevölkerung handelt es sich um ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut, dessen Schutz auch gravierende Eingriffe in die Berufsfreiheit zu rechtfertigen vermag (vgl. BVerfG, B.v. 08.06.2010 – 1 BvR 2011/07, 1 BvR 2959/07 – juris, Rn. 95 f.; BVerwG, U.v. 13.12.2012 – 3 C 26.11 – juris Rn. 15; VG Bayreuth, B.v. 22.2.2019 – B 4 S 18.734 – juris Rn. 31). Wie sogleich zu den gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen des § 3 Abs. 2 PflBG näher ausgeführt werden wird, kann angesichts der beiden Haarproben der Antragstellerin vom 24.08.2023 und 12.03.2024 festgestellt werden, dass sie über den Zeitraum von ungefähr einem Jahr hohe Mengen von Opioiden zu sich genommen hat. Es kann offenbleiben, ob eine Abhängigkeit der Antragstellerin von diesen Substanzen besteht, jedenfalls kann bei der Antragstellerin von einem Arzneimittelmissbrauch ausgegangen werden. Angesichts ihres Vorbringens im Schreiben vom 27.10.2023 ist zudem die Annahme gerechtfertigt, dass sie während ihrer Berufstätigkeit unter deren Einfluss steht. Aufgrund der hohen nachgewiesenen Konzentration der Substanzen in den Haaren der Antragstellerin ist auch davon auszugehen, dass diese Substanzen von ihr als Rauschmittel missbraucht werden. Insbesondere gehört die auch in der zweiten Haarprobe abermals festgestellte Substanz Tramadol zu den psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln. Durch den Missbrauch der Substanzen besteht vorliegend deshalb die konkrete Gefahr, dass die Antragstellerin die Gesundheit der ihr zugewiesenen Patienten schädigt. Das folgt nicht zuletzt daraus, dass die nachgewiesene Wirkstoffkonzentration bei der Antragstellerin besonders hoch ausgefallen ist und damit im Zweifel nicht rechtzeitig die Entscheidungen getroffen werden, die zum Wohl der Patienten erforderlich sind (vgl. zu den Folgen von Rauschmittelabhängigkeiten Rehborn in: Laufs/Kern/Rehborn, Handbuch des Arztrechts, 5. Aufl. 2019, § 8 Rn. 57 ff.). Dass, wie die Antragstellerin und ihr Prozessbevollmächtigter vorgetragen haben, bisher kein Schaden bei den Patienten eingetreten sei, fällt angesichts der genannten Umstände nicht mehr maßgeblich ins Gewicht.
38
3. Die notwendige eigene Interessenabwägung durch das Gericht geht vorliegend zulasten der Antragstellerin aus. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der Verwaltungsakt bei dieser Prüfung dagegen als rechtswidrig, besteht regelmäßig kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessensabwägung.
39
Vorliegend ergibt sich nach summarischer Prüfung, dass die Anfechtungsklage gegen Ziffer 1 des Bescheids vom 23.10.2024 ohne Erfolg bleiben wird. Der Widerruf der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Gesundheits- und Krankenpflegerin“ wurde rechtmäßig ausgesprochen, er verletzt daher die Antragstellerin auch nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO. Gründe dafür, die Vollziehung trotzdem auszusetzen, sind nicht ersichtlich.
40
a. Rechtsgrundlage für den Widerruf der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Gesundheits- und Krankenpflegerin“ ist § 3 Abs. 2 S. 2 PflBG i.V.m. § 64 S. 3 PflBG.
41
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage des Widerrufs einer Berufserlaubnis ist derjenige der letzten Behördenentscheidung, weil die Entscheidung ein auf den Abschluss des Verwaltungsverfahrens bezogener, rechtsgestaltender Verwaltungsakt ist (BVerwG, U.v. 28.04.2010 – 3 C 22.09 – juris Rn. 10; speziell für § 3 Abs. 2 S. 2 PflBG VG Karlsruhe, U.v. 26.6.2023 – 19 K 4725/21 – juris Rn. 25).
42
b. Die Anordnung in Ziffer 1 des Bescheids vom 23.10.2024 erging formell ordnungsgemäß. Die Regierung von … war für den Widerruf zuständig (§ 49 PflBG i.V.m. § 136 Abs. 9 der Verordnung zur Ausführung der Sozialgesetze (AVSG), Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG). Die Antragstellerin hatte zudem im Rahmen des Verwaltungsverfahrens mehrfach die Gelegenheit, sich im Sinne des Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG einzulassen und hat dies auch getan. Insbesondere war der Antragstellerin klar, dass der Widerruf der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Gesundheits- und Krankenpflegerin“ drohte. Bedenken hinsichtlich der Form bestehen nicht.
43
c. Die materiellen Voraussetzungen des Widerrufs der Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 PflBG i.V.m. § 64 S. 3 PflBG lagen auch vor. Auf Art. 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BayVwVfG kommt es angesichts Art. 1 S. 1 a.E. BayVwVfG nicht an; § 3 Abs. 2 S. 2 PflBG normiert insoweit einen speziellen Widerrufsgrund (vgl. Kastner in: HK-VerwR, 5. Aufl. 2021, § 49 VwVfG Rn. 28; Suerbaum in: NK-VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 49 Rn. 74). Die Erlaubnis kann nach § 3 Abs. 2 S. 2 PflBG widerrufen werden, wenn nachträglich die Voraussetzung nach § 2 Nr. 3 PflBG weggefallen ist. Die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung ist nach § 2 Nr. 3 PflBG auf Antrag zu erteilen, wenn die antragstellende Person nicht in gesundheitlicher Hinsicht zur Ausübung des Berufs ungeeignet ist (unten bb.). Die Vorschrift findet auf die der Antragstellerin erteilte Erlaubnis vom 07.08.2008 entsprechende Anwendung (unten aa.).
44
aa. Der Antragstellerin wurde mit Urkunde vom 07.08.2008 durch die Regierung von … die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Gesundheits- und Krankenpflegerin“ nach dem bis zum 31.12.2019 geltenden Krankenpflegegesetz erteilt. In Ermangelung von Anhaltspunkten wird davon ausgegangen, dass die Erlaubnis zum damaligen Zeitpunkt rechtmäßig erteilt wurde. Nach § 64 PflBG bleibt eine Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung nach dem Krankenpflegegesetz in der am 31.12.2019 geltenden Fassung oder nach dem Altenpflegegesetz in der am 31.12.2019 geltenden Fassung durch das Pflegeberufegesetz unberührt. Sie gilt zugleich als Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 S. 1 PflBG. Die die Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 Satz 1 PflBG betreffenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden, damit auch die hier einschlägige Norm des § 3 Abs. 2 S. 2 PflBG.
45
bb. Nach summarischer Prüfung ist nach Erteilung der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Gesundheits- und Krankenpflegerin“ die Eignung der Antragstellerin zur Ausübung des Berufs nach § 3 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 2 Nr. 3 PflBG entfallen.
46
Der Widerruf der Erlaubnis ist angesichts des damit verbundenen massiven Eingriffs in Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 18 AEUV (§ 4 PflBG) nur dann gerechtfertigt, wenn es sich um eine chronische Erkrankung oder eine dauerhafte Einschränkung handelt, bei der die körperliche oder psychische Leistungsfähigkeit so vermindert ist, dass eine Berufsausübung auch in weniger belastenden Tätigkeitsfeldern nicht möglich erscheint (vgl. Dielmann in Dielmann, PflBG, 2021, § 2 Rn. 15; BT-Drs. 18/7823, S. 65). Eine vorübergehende schwere Erkrankung oder Einschränkung genügt nicht (vgl. zu § 2 Abs. 1 Nr. 3 Notfallsanitätergesetz – NotSanG VG Sigmaringen, U.v. 8.12.2022 – 4 K 3154/21 – juris Rn. 19).
47
Als Einschränkung der gesundheitlichen Eignung kann auch eine Suchterkrankung aufgefasst werden (vgl. zu § 43 Sozialgesetzbuch (SGB) Achtes Buch – SGB VIII OVG Berlin-Bbg, B.v. 3.7.2014 – OVG 6 S 26.14 – juris Rn. 11; Nonninger/Kepert in: LPK-SGB VIII, 8. Aufl. 2022, § 43 Rn. 12; zu § 3 Abs. 1 Nr. 3 Psychotherapeutengesetz – PsychThG VG München, U.v. 20.4.2010 – M 16 K 09.5968 – juris Rn. 20; Eichelberger in: Spickhoff, Medizinrecht, 4. Aufl. 2022, § 2 PsychThG Rn. 28; zu § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Bundesärzteordnung – BÄO BayVGH, B.v. 5.2.2009 – 21 CS 08.3133; Schelling in: Spickhoff, Medizinrecht, 4. Aufl. 2022, § 6 BÄO Rn. 20). Ist ein Missbrauch, also eine Anwendung ohne medizinische Indikation oder in übermäßiger Dosierung, von Pharmaka oder Genussmitteln anzunehmen (soweit im Einzelfall zur Sucht überhaupt abgrenzbar), ist danach zu fragen, ob der Missbrauch (auch) das berufliche Handeln betrifft (Rehborn in: Laufs/Kern/Rehborn, Handbuch des Arztrechts, 5. Aufl. 2019, § 8 Rn. 60).
48
Zwischen der Erkrankung bzw. Einschränkung muss ferner eine Kausalität bestehen (vgl. zu § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Zahnheilkundegesetz – ZHG VG Bayreuth, B.v. 22.2.2019 – B 4 S 18.734 – juris Rn. 28; VG Freiburg, B.v. 29.02.2016 – 7 K 2770/15 – juris Rn. 9).
49
Welche Tätigkeiten der Berufsangehörige ausüben können muss, um für den Beruf (gesundheitlich) geeignet zu sein, hängt vom gesetzlich fixierten Leitbild dieses Berufs ab (VG Sigmaringen, U.v. 8.12.2022 – 4 K 3154/21 – juris Rn. 20). Für die gesundheitliche Eignung sind deshalb im Wege einer berufsbezogenen Interpretation die objektiven Anforderungen zugrunde zu legen, die an eine Berufsausübung im Berufsfeld der Pflege gestellt werden (Dielmann in: Dielmann, PflBG, 2021, § 2 Rn. 15). Maßgebliches Kriterium bei der Prüfung der Erkrankung oder Einschränkung ist insoweit der Schutz der Pflegebedürftigen und der Allgemeinheit (Dielmann in: Dielmann, PflBG, 2021, § 3 Rn. 16; BT-Drs. 18/7823, S. 65; vgl. zu § 2 Abs. 1 Nr. 3 NotSanG VG Sigmaringen, U.v. 8.12.2022 – 4 K 3154/21 – juris Rn. 19).
50
Das OVG Hamburg führt ferner zum Aspekt der Verhältnismäßigkeit bei der Annahme der fehlenden gesundheitlichen (körperlichen) Eignung aus:
„Die allein hier streitige körperliche Eignung ist ein subjektives, in der Person des Einzelnen liegendes Merkmal, das dem Schutz des besonders hohen Rechtsguts der menschlichen Gesundheit dient. Die auf fachkundige Pflege angewiesenen Pflegebedürftigen sollen vor Pflegekräften geschützt werden, die zur Pflege unfähig bzw. ungeeignet sind. Bei der Beurteilung der körperlichen Eignung ist auch unter Berücksichtigung des hohen Schutzgutes der menschlichen Gesundheit zu beachten, dass die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit nicht eingeschränkt werden darf, wenn die denkbaren Auswirkungen auf das geschützte Rechtsgut nur geringfügig sind oder nur in unwahrscheinlichen Fällen auftreten könnten. Bei der Frage, ob jemand wegen eines körperlichen Gebrechens zur Ausübung der Krankenpflege ungeeignet ist, ist insbesondere auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (BVerfG, Beschluss vom 11.6.1958, BVerfGE Bd. 7 S. 377, 405; BVerfG, Beschluss vom 25.2.1969, BVerfGE Bd. 25 S. 237, 247; BVerfG, Beschluss vom 25.3.1992, a.a.O. S. 41 f.).“ (OVG Hamburg, U.v. 1.2.2002 – 4 Bf 139/00 – juris Rn. 64; zustimmend VG Sigmaringen, U.v. 8.12.2022 – 4 K 3154/21 – juris Rn. 19).
51
bb. Gemessen an diesen Maßstäben erweist sich die Antragstellerin jedenfalls aufgrund des Arzneimittelmissbrauchs (unten (1.)) nach summarischer Prüfung als derzeit gesundheitlich ungeeignet zur Ausübung des Berufs der Gesundheits- und Krankenpflegerin (unten (2.)). Ein deshalb seitens der Antragstellerin zu erbringender Nachweis der gesundheitlichen Eignung wurde von ihr nicht erbracht (unten (3.)).
52
(1.) Zwar kann angesichts dessen, dass die Antragstellerin bis zum Erlass des streitgegenständlichen Bescheids ein psychiatrisches Gutachten nicht beigebracht hat, nicht hinreichend sicher eine Suchterkrankung diagnostiziert werden (vgl. umfassend hierzu das VG München, B.v. 4.7.2017 – M 26 S 17.2267 – juris Rn. 29). Aufgrund der Analysen der Haarproben kann allerdings als gesichert gelten, dass die Antragstellerin jedenfalls derzeit hinsichtlich der Substanz Tramadol Arzneimittelmissbrauch begeht. Ausweislich der Gutachten vom 24.08.2023 und vom 23.03.2024, die angesichts der Haarlänge ungefähr einen Zeitraum von Januar 2023 bis Januar 2024 abdecken, wurden ganz erhebliche Konzentrationen von Opioiden nachgewiesen. In der ersten Probe vom 24.08.2024 wurde neben Tilidin auch Tramadol nebst den Stoffwechselprodukten nachgewiesen. Tilidin wurde in einer Konzentration (Stoffwechselprodukte inbegriffen) vorgefunden, die statistisch in den oberen 5% der bisher positiven Fälle liegt. Bei der Substanz Tramadol (nebst Stoffwechselprodukten) liegt die Konzentration in den oberen 10% der statistisch erfassten Fälle. Beide Substanzen werden auch als berauschende Mittel eingesetzt. Nach dem Gutachten sind die Befunde mit einer regelmäßigen und intensiven Aufnahme vereinbar. Bei der zweiten Probe vom 31.01.2024 wurde zwar kein Tilidin mit entsprechenden Stoffwechselprodukten mehr festgestellt, allerdings immer noch die Substanz Tramadol mitsamt Stoffwechselprodukten. In dieser Probe befand sich die Konzentration der Substanz sogar in den oberen 5% der statistisch bisher erfassten Proben. Auch hier ist nach dem Gutachten davon auszugehen, dass Tramadol regelmäßig und intensiv aufgenommen wird. Das in der letzten Haarprobe allein noch festgestellte Tramadol unterfällt zwar nicht dem Betäubungsmittelgesetz, ist aber verschreibungspflichtig und wirkt psychoaktiv (vgl. VG München, U.v. 13.04.2016 – M 1 K 15.5288 – juris Rn. 26 im Rahmen des Fahrerlaubnisrechts).
53
Es mag zutreffen, dass die Antragstellerin, wie sie in ihrem Schreiben vom 27.10.2023 vorgetragen hat, diese Substanzen auch gegen Schmerzen in ihrer Wirbelsäule aufgrund ihrer körperlichen Belastung durch die Berufsausübung zu sich genommen hat. Beide Gutachten lassen aber den Schluss zu, dass die Antragstellerin über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr in geraumen Mengen Opioide zu sich nimmt. Die medizinische Notwendigkeit derartiger Mengen dieser psychoaktiv wirkenden Substanz wurde im Verwaltungsverfahren bis zur gerichtlichen Entscheidung zudem durchgehend nur behauptet. Es ermangelt an jeglichem substantiierten Vortrag geschweige denn einer Glaubhaftmachung, obwohl sich dies in einer solchen Situation geradezu aufdrängt. Angesichts der Gesamtumstände durfte von einem Arzneimittelmissbrauch ausgegangen werden.
54
(2.) Dieser Arzneimittelmissbrauch lässt den Schluss zu, dass die Antragstellerin derzeit gesundheitlich nicht mehr in der Lage ist, den Anforderungen an den Beruf der Gesundheits- und Krankenpfleger nachzukommen. Die Anforderungen an diesen Beruf hat das NdsOVG mittelbar über die Regelungen der Ausbildung abgeleitet und umfassend wie folgt umschrieben:
„Die Pflichtenstellung von Gesundheits- und Krankenpflegern – und ebenso Krankenschwestern – wird maßgeblich durch ein besonderes Vertrauensverhältnis zu den zu pflegenden alten Menschen bestimmt. Dies ist insbesondere den Regelungen zu ihrer Ausbildung zu entnehmen (vgl. Senatsbeschl. v. 17. März 2013 – 8 LA 155/12 – NJW 2013, 3462, juris, Rn. 10 ff.). Es verletzt die Berufspflichten des Krankenpflegers, wenn er dieses Vertrauensverhältnis zum Nachteil des zu pflegenden Menschen ausnutzt. Gemäß § 3 Abs. 1 KrPflG soll die Ausbildung entsprechend dem allgemein anerkannten Stand pflegewissenschaftlicher, medizinischer und weiterer bezugswissenschaftlicher Erkenntnisse fachliche, personale, soziale und methodische Kompetenzen zur verantwortlichen Mitwirkung insbesondere bei der Heilung, Erkennung und Verhütung von Krankheiten ermitteln. Die Pflege ist dabei unter Einbeziehung präventiver, rehabilitativer und palliativer Maßnahmen auf die Wiedererlangung, Verbesserung, Erhaltung und Förderung der physischen und psychischen Gesundheit der zu pflegenden Menschen auszurichten. Dabei sind die unterschiedlichen Pflege- und Lebenssituationen sowie Lebensphasen und die Selbständigkeit und Selbstbestimmung der Menschen zu berücksichtigen. Die Ausbildung soll insbesondere auch dazu befähigen, die zu pflegenden Menschen und ihre Bezugspersonen in der individuellen Auseinandersetzung mit Gesundheit und Krankheit zu beraten, anzuleiten und zu unterstützen (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c KrPflG). Diese Ausbildungsziele konkretisierend bestimmen §§ 13 ff. Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Berufe in der Krankenpflege – KrPflAPrV – vom 10. November 2003 (BGBl. I S. 2263), zuletzt geändert durch Gesetz vom 18. April 2016 (BGBl. I S. 886), dass ein Krankenpfleger Pflegesituationen bei Menschen aller Altersgruppen erkennen, erfassen und bewerten (§ 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KrPflAPrV), Pflegemaßnahmen auswählen, durchführen und auswerten (§ 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KrPflAPrV), Pflegehandeln an pflegewissenschaftlichen Erkenntnissen, Qualitätskriterien, rechtlichen Rahmenbestimmungen sowie wirtschaftlichen und ökologischen Prinzipien ausrichten (§ 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KrPflAPrV), Unterstützung, Beratung und Anleitung in gesundheits- und pflegerelevanten Fragen fachkundig gewährleisten (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KrPflAPrV), berufliches Selbstverständnis entwickeln und lernen, berufliche Anforderungen bewältigen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KrPflAPrV), alle anfallenden Aufgaben einer prozessorientierten Pflege einschließlich der Dokumentation und Übergabe erfüllen, sein Pflegehandeln erläutern und begründen und auch sonst die Aufgaben der Gesundheits- und Krankenpflege nach § 3 Abs. 1 KrPflG eigenverantwortlich ausführen (§ 15 Abs. 1 KrPflAPrV) können muss. Nach diesem Aufgabenkanon wird von dem Krankenpfleger bei Ausübung seines Berufs offensichtlich mehr erwartet als die bloße eigenverantwortliche und fachkundige Erbringung gesundheits- und krankenpflegerischer Leistungen. Der zu pflegende Mensch soll von dem Krankenpfleger nicht als bloßes Objekt pflegerischer Leistungen behandelt werden. Gefordert ist vielmehr ein individueller, die subjektive Pflege- und Lebenssituation, die Lebensphase und die konkreten Möglichkeiten der Selbständigkeit und Selbstbestimmung des Patienten berücksichtigender Umgang. Der Krankenpfleger soll den Patienten bei der individuellen Auseinandersetzung mit der Krankheit beraten und in gesundheits- und pflegerelevanten Fragen anleiten und unterstützen. Die Erfüllung dieser Aufgaben durch den Krankenpfleger setzt nahezu zwingend ein Vertrauensverhältnis zum Patienten voraus. Krankenpflegekräfte haben mit den engsten Kontakt zum Patienten; diese Beziehung bestimmt maßgeblich das Pflegeergebnis mit (vgl. Stache, Beitrag von Verträgen zur Steuerung von Pflegequalität – empirische Untersuchung am Beispiel der vollstationären Pflege, 2008, S. 32, 94 und 105 m. w. N.). Die Berufe in der Krankenpflege genießen daher sowohl bei den zu pflegenden Menschen als auch in der Bevölkerung allgemein ein sehr großes Vertrauen (vgl. Reader’s Digest, European Trusted Brands, 2013, S. 26). Der Patient muss gerade in einer mit gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen seiner Selbständigkeit und Selbstbestimmung verbundenen Situation darauf vertrauen können, dass eine ihn pflegende und zur Führung der Berufsbezeichnung „Krankenpfleger“ berechtigte Person zuverlässig ist und diese Situation nicht zu seinem Nachteil verletzt oder gar ausnutzt. Handelt ein Krankenpfleger dem zuwider und nutzt er das bestehende Vertrauensverhältnis zum Nachteil des zu pflegenden Menschen aus oder verletzt dieses in erheblicher Weise, liegt hierin regelmäßig ein schwerer Verstoß gegen eine wesentliche Berufspflicht. Hierfür ist es unerheblich, ob das Verhalten des Krankenpflegers auch strafrechtlich relevant oder gar strafrechtlich geahndet worden ist (vgl. Senatsbeschl. v. 17. Juni 2013 – 8 LA 155/12 –, NJW 2013, 3462, juris, Rn. 12).“ (NdsOVG, B.v. 3.1.2018 – 8 ME 143/17 n.V. zitiert nach VG Oldenburg, B.v. 6.12.2021 – 7 B 3310/21 – juris Rn. 26).
55
Da die von der Antragstellerin konsumierten Substanzen in besonders hoher Konzentration nachzuweisen waren, die einen Rückschluss auf eine intensive und regelmäßige Aufnahme zulassen, kann davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin auch während ihrer Tätigkeit unter ihrem Einfluss steht. Das wird dadurch untermauert, dass die Antragstellerin im Rahmen ihres Schreibens vom 27.10.2023 an die Regierung von … angegeben hat, dass sie die Substanzen nimmt, um einem Rückenleiden (Wirbelsäule) zu begegnen, das durch die berufliche Körperbelastung entsteht. Ein Gebrauch der Substanzen im Zeitpunkt der körperlichen Belastung – also während ihrer Tätigkeit als Krankenschwester – liegt damit nahe, zumal die Antragstellerin diese Opioide lediglich als gängiges Schmerzmittel im Standardrepertoire eines jeden Schmerzpatienten betrachtet und damit deren Konsum bagatellisiert. Da ausweislich der Gutachten des Forensisch Toxikologischen Instituts die bei der Antragstellerin festgestellten Substanzen auch zur Berauschung eingesetzt werden, besteht die ernstliche Gefahr, dass die Antragstellerin den oben ausführlich dargestellten Anforderungen unter dem Einfluss der Substanzen nicht hinreichend nachkommt und es damit zu einer Gefährdung der ihr zugewiesenen Pflegebedürftigen kommt. Insbesondere die bei der Darstellung des Berufsbildes dargelegte Abhängigkeit der Pflegebedürftigen von ordnungsgemäß arbeitendem und in vielen Belangen eigenständigen Pflegepersonal bedeutet bei einem Konsum der festgestellten Opioide oder auch nur des in der zweiten Haarprobe allein festgestellten Tramadol, dass das Patientenwohl derzeit nicht sichergestellt ist. Die mangelhafte Selbsteinschätzung beim Konsum und die damit billigende Inkaufnahme von Gefahren für Dritte durch den Konsum zeigt sich auch anhand des Geschehens am 29.04.2022, bei welchem die Antragstellerin sogar unter dem Einfluss von Methamphetamin und Amphetamin nach dem Grenzübertritt mit ihrem Kraftfahrzeug im Rahmen der Schleierfahndung aufgegriffen wurde (bei diesen Substanzen handelt es sich sogar um harte Drogen – vgl. § 1 Abs. 1 Betäubungsmittelgesetz i.V.m. Anlage III; BayVGH, B.v. 19.4.2021 – 11 CS 21.390 – juris Rn. 15).
56
Der Konsum von Tramadol während der beruflichen Tätigkeit begründet – wie bei einer Sucht – die fehlende gesundheitliche Eignung. (vgl. nur BayVGH, B.v. 2.3.2020 – 21 CS 19.1736 – juris Rn. 14 zur Alkoholabhängigkeit; ebenso für andere stoffgebundene Abhängigkeiten Rehborn in: Laufs/Kern/Rehborn, Handbuch des Arztrechts, 5. Aufl. 2019, § 8 Rn. 59). Es kommt damit nicht darauf an, dass der Bescheid auf den Verdacht einer Sucht bzw. auf die Überzeugung einer Suchterkrankung abstellt, da es jeweils um die Auswirkungen auf die berufliche Tätigkeit ankommt.
57
Daneben verlangt auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit keine andere Bewertung der gesundheitlichen Eignung. Insbesondere sind die den Patienten drohenden Schäden nicht nur geringfügig oder fernliegend.
58
(3.) Grundsätzlich reichen Zweifel an der gesundheitlichen Eignung des Erlaubnisinhabers im Rahmen von § 3 Abs. 2 PflBG nicht aus, um einen Widerruf zu rechtfertigen (Dielmann in: Dielmann, PflBG, 2021, § 3 Rn. 16 f.). Liegen aber hinreichende Anhaltspunkte für die positive Feststellung der fehlenden gesundheitlichen Eignung des Erlaubnisinhabers vor, obliegt es dem Erlaubnisinhaber, diese Feststellung zu entkräften. Die körperliche Eignung kann nach der Gesetzesbegründung insbesondere durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung nachgewiesen werden (BT-Drs. 18/7823, S. 65).
59
Eine solche ärztliche Bescheinigung bzw. ein Gutachten wurde seitens der Antragstellerin nicht vorgelegt. Die Regierung von … hat die Antragstellerin nach zwei positiven Tests ihrer Haarproben mit Schreiben vom 26.03.2024 aufgefordert, bis zum 10.04.2024 mitzuteilen, dass sie ein psychiatrisches Gutachten durchführen lässt und welcher Termin dafür veranschlagt ist. Mit E-Mail vom 10.04.2024 teilte die Antragstellerin daraufhin mit, dass sich eine psychiatrische Untersuchung bei Frau Dr. … in … durchführen lasse. Angesichts der Osterferien habe sie allerdings noch keinen Termin ausmachen können. Die Antragstellerin werde aber binnen einer Woche einen Termin mitteilen. Mit E-Mail vom 27.06.2024 und 30.07.2024 fragte die Regierung die Antragstellerin an, wie der Sachstand sei. In der letzten E-Mail wurde eine Frist bis zum 02.08.2024 gesetzt. Andernfalls werde von einer fehlenden Mitwirkung ausgegangen. Nach Aktenlage ist darauf keine Antwort der Antragstellerin erfolgt. Angesichts der hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für die Annahme der fehlenden gesundheitlichen Eignung wäre es an der Antragstellerin gewesen, das geforderte psychiatrische Gutachten beizubringen. Diese Möglichkeit hat die Antragstellerin bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung verstreichen lassen.
60
d. Die Regierung von … hat zuletzt das ihr zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Die Entscheidung erweist sich gem. § 114 VwGO nur dann als rechtswidrig, wenn die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden wäre.
61
Die Regierung von … hat erkannt, dass ihr ein Ermessen zusteht. Sie hat ihr Ermessen daneben auch zweckgemäß ausgefüllt, indem sie auf den Schutz der Pflegebedürftigen als Schutzrichtung der gesetzlichen Regelung abgestellt hat.
62
Daneben handelte die Regierung von … auch innerhalb der gesetzlichen Grenzen des Ermessens. Insbesondere wahrt die Entscheidung die Grenze der Verhältnismäßigkeit als äußere Grenze des Ermessens.
63
Legitimes Ziel der Maßnahme ist der Schutz der Pflegebedürftigen (BT-Drs. 18/7823, S. 65). Die auf fachkundige Pflege angewiesenen Pflegebedürftigen sollen vor Pflegekräften geschützt werden, die zur Pflege unfähig bzw. ungeeignet sind (OVG Hamburg, U.v. 1.2.2002 – 4 Bf 139/00 – juris Rn. 64). Der Widerruf der Erlaubnis ist zweifellos geeignet, dieses Ziel zu fördern. Der Widerruf der Erlaubnis ist auch erforderlich. Ein milderes Mittel, das den verfolgten Zweck gleichsam zu erreichen vermag, ist weder vorgebracht noch für die Kammer ersichtlich. Insbesondere ist der enge Kontakt mit den Pflegebedürftigen integraler Bestandteil der von der Antragstellerin ausgeübten Tätigkeit. Bei den in § 4 Abs. 2 PflBG genannten Tätigkeiten droht aufgrund des Arzneimittelmissbrauchs durch die Antragstellerin eine Gefährdung der Pflegebedürftigen. Eine inhaltliche Beschränkung der Tätigkeit der Antragstellerin erscheint – anders als etwa bei bestimmten körperlichen Einschränkungen – nicht möglich, ohne dass das Berufsbild der Gesundheits- und Krankenpflegerin als solches tangiert wird, was nicht milder im Vergleich zu einem Widerruf der Erlaubnis wäre. Soweit von Antragstellerseite vorgebracht wird, dass auch das Weiterarbeiten der Antragstellerin mit regelmäßigen Kontrollen auf Substanzmittelmissbrauch ausreichend gewesen wäre, so ist bereits eine ausdrückliche Befugnis für derartige Kontrollen nicht ersichtlich.
64
Letztlich erweist sich der Widerruf der Erlaubnis auch als angemessen. Insoweit verweist die Kammer zunächst auf die Ausführungen zur Abwägung im Rahmen der Prüfung der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit. Die dort gemachten Ausführungen zum Überwiegen des wichtigen Gemeinschaftsgutes der Gesundheit der Bevölkerung im Verhältnis zum Grundrecht der Antragstellerin aus Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 18 AEUV beanspruchen auch abseits der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit Geltung. Es besteht durch den Missbrauch der genannten Opioide, jedenfalls Tramadol, die konkrete Gefahr, dass die Antragstellerin die ihr anvertrauten Pflegebedürftigen schädigt, wenn sie unteren deren Einfluss ihrer Tätigkeit nachgeht. Angesichts des maßgeblichen Zeitpunkts der letzten Behördenentscheidung ist nicht zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin nunmehr bereit ist, ein psychiatrisches Gutachten beizubringen.
65
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
66
3. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und lehnt sich an die Empfehlung gemäß Nr. 14.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NVwZ 2013, Beilage Heft 2, 57 ff.) an (vgl. auch VG Oldenburg, B.v. 12.7.2016 – 7 B 3175/16; VG Braunschweig, U.v. 30.6.2020 – 1 A 283/19 – beide juris). Der Wert war auf Grund des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs).