Titel:
Auf- und Nachweispflicht eines ausreichenden Masernschutzes auch gegenüber, Schulkindern verfassungsgemäß, Anforderungen an den Inhalt eines ärztlichen Zeugnisses i.S.d. § 20 Abs. 9 Satz 1, Nr. 2 Alt. 2 IfSG, Anordnung einer ärztlichen Untersuchung
Normenketten:
IfSG § 20 Abs. 9 S. 1
IfSG § 20 Abs. 12 S. 1 Nr. 1
IfSG § 20 Abs. 12 S. 2
IfSG § 20 Abs. 13 S. 1
VwGO § 84
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 3
Schlagworte:
Auf- und Nachweispflicht eines ausreichenden Masernschutzes auch gegenüber, Schulkindern verfassungsgemäß, Anforderungen an den Inhalt eines ärztlichen Zeugnisses i.S.d. § 20 Abs. 9 Satz 1, Nr. 2 Alt. 2 IfSG, Anordnung einer ärztlichen Untersuchung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 42780
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Kläger wenden sich gegen den Bescheid des Landratsamts … vom 04.01.2024, durch den sie verpflichtet werden, einen Nachweis über einen ausreichenden Masernschutz für ihren schulpflichtigen Sohn B. vorzulegen.
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Die Kläger sind die sorgeberechtigten Eltern der Kinder A. , geb. … und B. , geb. …2011. Mit Schreiben vom 06.09.2022 wandte sich die …schule. , eine Staatliche Realschule, an das Landratsamt – Gesundheitsamt – … und setzte dieses darüber in Kenntnis, dass Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des von den Klägern vorgelegten Nachweises über ausreichenden Masernschutz für B. bestünden. Es sei nur ein Attest zur Ansicht und Abschrift vorgelegt worden, ausgestellt von einem Arzt in …, der keine klassische Praxis betreibe, sondern an den man sich per Mail wende. Die Schwester des Schülers habe am gleichen Tag ein identisches Attest erhalten. Nach der Bescheinigung liege eine dauerhafte, medizinische Kontraindikation vor, aufgrund derer nicht gegen Masern geimpft werden könne.
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Mit Schreiben vom 22.11.2022 forderte das Landratsamt die Kläger auf, für ihren Sohn bis spätestens 10.02.2023 einen Nachweis über ausreichenden Masernschutz (Impfausweis/Impfbescheinigung, ärztliches Zeugnis über Immunität oder ärztliches Zeugnis über Kontraindikation) vorzulegen, woraufhin der Kläger zu 2 am 09.01.2023 eine vom Arzt Dr. …, …, ausgestellte Bescheinigung vom 19.11.2021 persönlich beim Landratsamt vorlegte. Aus der „Ärztlichen Bescheinigung – Nachweis gemäß § 20 Absatz 9 Infektionsschutzgesetz (IfSG)“ geht lediglich hervor, dass eine „dauerhafte, medizinische Kontraindikation“ vorliege, „aufgrund derer nicht gegen Masern geimpft werden“ könne.
4
Noch am 09.01.2023 wies das Landratsamt die Kläger schriftlich auf Zweifel an der ordnungsgemäßen Ausstellung der Bescheinigung hin, da es sich um einen pauschal formulierten Vordruck handle. Das Landratsamt forderte die Kläger auf, bis spätestens 28.02.2023 ein weiteres Attest von einem anderen Arzt vorzulegen, das Angaben enthalte, welche eine Überprüfung des Attests auf Plausibilität ermögliche.
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Mit Schreiben vom 22.02.2023 erklärte der Kläger zu 2 gegenüber dem Landratsamt, er habe die erbetenen Nachweise erbracht und sehe keinen Anlass, ein erneutes Attest vorzulegen. Daraufhin stellte das Landratsamt mit Schreiben vom 06.03.2023 den Erlass eines kostenpflichtigen Bescheides in Aussicht, durch den die Kläger verpflichtet werden sollen, einen Nachweis für ihr Kind B. vorzulegen. Das Landratsamt gab den Klägern die Möglichkeit, sich hierzu bis spätestens 28.04.2023 zu äußern.
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Mit Schreiben vom 20.04.2023 legte der Kläger zu 2 eine weitere Bescheinigung des Arztes Dr. … vom 19.11.2021 über eine „dauerhafte, medizinische Kontraindikation“ bei B. vor. Diese Bescheinigung enthält – im Gegensatz zum ersten Attestes des Arztes vom gleichen Tag – eine allgemeine Begründung, in der näher dargelegt wird, dass die „Nutzen-Schaden-Bilanz“ der Masernimpfung negativ sei. Das Landratsamt teilte dem Kläger zu 2 mit Schreiben vom 10.05.2024 daraufhin mit, dass dieses Attest (ebenfalls) nicht anerkannt werden könne.
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Nachdem in der Folgezeit kein weiterer Nachweis erbracht wurde, erfolgte mit Schreiben vom 22.08.2023 die erneute Ankündigung eines förmlichen Bescheids.
8
Am 05.09.2023 kündigte der Kläger zu 2 dem Landratsamt gegenüber an, er werde erneut einen Arzt konsultieren. Daraufhin wurde den Klägern mit Schreiben vom 13.09.2023 die Möglichkeit eingeräumt, bis spätestens 15.11.2023 einen näher bezeichneten Nachweis vorzulegen.
9
Mit Schreiben vom 06.09.2023, eingegangen beim Landratsamt am 20.09.2023, legte der Kläger zu 2 seine Bedenken hinsichtlich der Masernimpfung unter Verweis auf allgemein mögliche allergische Reaktionen dar. Es könne nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass eine schwere Impfnebenwirkung eintrete oder die Impfung tödlich verlaufe. Der Kläger zu 2 forderte das Landratsamt auf, für B. eine absolute Impfunfähigkeitsbescheinigung auszustellen oder alternativ jegliche Schädigung auszuschließen und im Falle einer Schädigung persönlich für die Folgen aufzukommen. Dem Schreiben beigefügt war ein vom Arzt Dr. …, …, … ausgestelltes „Privatärztliches Gutachten zur Impffähigkeit“ vom 06.09.2023. Mit diesem wird eine vorläufige Impfunfähigkeit bescheinigt, die mit der Gefahr einer schwerwiegenden allergischen Reaktion in Bezug auf diverse näher bezeichnete Inhaltsstoffe der verwendeten Kombinations- und Einzelimpfstoffe begründet wird. In dem Gutachten wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass keine körperliche Untersuchung erfolgt ist.
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Im Nachgang zu den klägerischen Bedenken und zum Gutachten vom 06.09.2023 wies das Landratsamt mit Schreiben vom 24.10.2023 darauf hin, dass das Gutachten von Dr. … nicht den Anforderungen an ein ärztliches Zeugnis i.S.v. § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG entspreche und deshalb nicht anerkannt werden könne.
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Mit Schreiben vom 06.11.2023 wiederholte und vertiefte der Kläger zu 2 seinen Vortrag hinsichtlich möglicher Allergien. Er habe nach intensiver Auseinandersetzung mit dem Thema sehr große Bedenken hinsichtlich der Masernschutzimpfung und könne daher keinen Nachweis gemäß § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG im Sinne einer Impfbescheinigung vorlegen.
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Mit Bescheid vom 04.01.2024, zugestellt per Postzustellungsurkunde am 09.01.2024, wurden die Kläger verpflichtet, für B. bis spätestens 30.04.2024 dem Landratsamt einen in Ziffer 2 des Bescheides näher bezeichneten Nachweis über einen ausreichenden Masernschutz (Impfdokumentation, Attest über Immunität oder Attest über medizinische Kontraindikation) unter Ausschluss der bislang vorgelegten Bescheinigungen von Dr. … und Dr. … vorzulegen.
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Zur Begründung wurde auf § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG verwiesen, wonach Personen, die in einer Gemeinschaftseinrichtung nach § 33 Nr. 1 – 3 IfSG betreut werden, dem Gesundheitsamt auf Anforderung einen Nachweis gemäß § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG vorlegen müssen. Die bislang vorgelegten Bescheinigungen von Dr. … und Dr. … würden nicht anerkannt, da sie keine konkreten medizinischen Angaben enthielten, die eine Überprüfung der Bescheinigungen ermöglichten, und offensichtlich mehrfach verwendet würden. Die Bescheinigung von Dr. … enthalte nur eine pauschale Begründung, die hauptsächlich auf eine Ablehnung des Masernschutzgesetzes hindeute. Aus dem Gutachten von Dr. … ergebe sich, dass keine körperliche Untersuchung stattgefunden habe. Die Anordnung sei auch nicht unzumutbar, da Masern eine gefährliche Infektionskrankheit sei. Sofern eine Impfunfähigkeit bei B. bestehe, sei es jederzeit möglich und auch zumutbar, ein ärztliches Attest, das die geforderten überprüfbaren medizinischen Angaben enthält, vorzulegen. Im Übrigen wird auf den Bescheid vom 04.01.2024 verwiesen.
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Mit Schriftsatz vom 02.02.2024, eingegangen bei Gericht am selben Tag, haben die Kläger durch ihre Bevollmächtigte Klage erhoben. Sie beantragen,
den Bescheid des Beklagten vom 04.01.2024 mit dem Az. … – Nachweisvorlageanordnung gem. § 20 Abs. 12 S. 1 IfSG – aufzuheben.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, neben verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der Rechtsgrundlage sei zu berücksichtigen, dass sich aus § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG nur die Befugnis zur „Anforderung“, nicht jedoch zur „Anordnung“ der Vorlage eines Nachweises ergebe. Es werde beantragt, das Verfahren bis zu einer Entscheidung des BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit des § 20 IfSG in Bezug auf Schulkinder auszusetzen. Es gebe keine Impfpflicht, auch keine mittelbare Impfpflicht. Ab einem Alter von 14 Jahren spiele auch die Einwilligung Minderjähriger eine Rolle. Eine Umsetzung der Nachweispflicht gegen den Willen eines minderjährigen, aber mitspracheberechtigten Kindes scheide aus, gleichgültig ob im Wege des Zwangsgeldes oder im Wege eines Bußgeldes.
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Mit Schriftsatz vom 19.02.2024 beantragt das Landratsamt … für den Beklagten,
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Zur Begründung wird ausgeführt, die vorgelegte Bescheinigung von Dr. … enthalte keine Angaben, die eine Überprüfung auf Plausibilität ermöglichten. Auch das Gutachten von Dr. … könne nicht anerkannt werden, da es nach Aktenlage ohne persönliche Untersuchung erstellt worden sei und keine konkreten Angaben zur Art der medizinischen Kontraindikation enthalte. Überdies müsse unterschieden werden zwischen der Verpflichtung, einen Nachweis vorzulegen, und einer mit Zwang durchsetzbaren Impfpflicht. Die Durchsetzung der Nachweispflicht dürfe nicht zu einer faktischen Impfpflicht führen. Daher sei von einer Zwangsmittelandrohung abgesehen worden. Ohnehin könne die Nachweispflicht hier nicht zu einer faktischen Impfpflicht führen, da die Kläger den Nachweis in Form einer Bescheinigung über eine Kontraindikation erbringen wollten.
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Mit Schriftsatz vom 25.02.2024 haben die Kläger hierauf repliziert und ihren Vortrag ergänzt. Sie verweisen auf einen aktuellen Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf. Ferner sei nicht ersichtlich, welches Ziel die Nachweisvorlageaufforderungen verfolgten und weshalb sie erforderlich seien. Falls das Landratsamt davon ausgehe, dass eine Kontraindikation bestehe, hätte es eine Untersuchung anordnen können. Andernfalls sei die Aufforderung nur durch Vornahme einer Impfung zu erfüllen, die allerdings freiwillig bleiben sollte. Es stelle sich die Frage, ob § 20 IfSG als „Schikaneparagraph“ konzipiert sei.
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Mit Schriftsatz vom 05.03.2024 hat der Beklagte vorgetragen, er gehe nicht davon aus, dass eine Kontraindiktion nicht gegeben sei. Er könne dies nur nicht beurteilen, da die Kläger keinen geeigneten Nachweis vorgelegt hätten. Das Vorgehen des Beklagten sei mit § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG vereinbar. Denn Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit eines Attestes könnten erst entstehen, wenn der Nachweis auf Plausibilität überprüft werden könne, d.h. den vom BayVGH geforderten Mindestanforderungen entspreche.
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Die Klägerseite hat ihr Vorbringen mit Schriftsatz vom 03.07.2024 nochmals vertieft. Die Erforderlichkeit einer neuerlichen Nachweisvorlageaufforderung könne insbesondere nicht darauf gestützt werden, dass ein Zwangsgeld beabsichtigt sei. Das Gesetz spreche zudem nicht von Vorlageanordnung, sondern von Vorlageaufforderung. Wenn es keine Impflicht gebe, sei fraglich, weshalb nach Bekanntgabe der Daten durch die Eltern eine Nachweisvorlageaufforderung erforderlich sei. Es sei ferner nicht ersichtlich, warum erneut aufgefordert worden sei, obwohl bereits eine Nachweisvorlagenaufforderung in der Welt sei. § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG spreche zudem von einem Nachweis gem. § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG. Dieser bedürfe wegen des Datenschutzes sowie der Geheimhaltungsbedürftigkeit medizinischer Informationen keiner Diagnosen. Auch stehe die Frage im Raum, weshalb Nachweise, wenn diese nur mit Diagnosen, etc. als vorgelegt und als plausibel gelten würden, dann gleichwohl „zweifelhaft“ im Sinne von § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG sein könnten.
21
Mit gerichtlichem Schreiben vom 02.07.2024 wurden die Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung mittels Gerichtsbescheid angehört.
22
Gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO verweist das Gericht wegen der Einzelheiten auf die Gerichtssowie Behördenakte.
Entscheidungsgründe
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Die Klage, über die das Gericht nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid gemäß § 84 VwGO, der als Urteil wirkt, entscheiden kann, bleibt ohne Erfolg.
24
Sie ist zwar zulässig, insbesondere als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft, da es sich bei der Anordnung zur Vorlage eines Nachweises im Sinne des § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG aus systematischen Gründen (vgl. § 20 Abs. 12 Satz 7 IfSG) um einen selbstständig angreifbaren Verwaltungsakt nach Art. 35 Satz 1 BayVwVfG handelt (vgl. BayVGH, B.v. 21.9.2023 – 20 CS 23.1432 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 7.5.2024 – 20 CS 24.428 – juris Rn. 3), der sich trotz der Fristsetzung unter Ziffer 1 des Bescheids („bis spätestens 30. April 2024“) nicht i.S.d. Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG erledigt hat. Der Bescheid vom 04.01.2024 ist vielmehr so zu verstehen, dass die Anordnung der Nachweisvorlage über den festgesetzten Termin hinaus Geltung beansprucht (VG Bayreuth, U.v. 1.7.2024 – B 7 K 23.793 – juris Rn. 22), zumal vorliegend – mangels Androhung eines Zwangsmittels – die Frist auch keine Erfüllungsfrist i.S.d. Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG, die sich mit Zeitablauf erledigt, darstellt (vgl. BayVGH, B.v. 18.8.2023 – 1 CS 23.1396 – juris Rn. 8; OVG Münster, B.v. 16.2.2017 – 18 A 1176/13 – juris Rn. 16; OVG Koblenz, U.v. 12.5.2021 – 8 A 10264/21 – juris Rn. 49; BayVGH, B.v. 2.5.2014 – 20 ZB 13.1972 – juris Rn. 6.).
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Die Klage ist jedoch unbegründet, da der angegriffene Bescheid vom 04.01.2024 rechtmäßig ist und die Kläger nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Rechtsgrundlage für die Anordnung der Vorlagepflicht ist § 20 Abs. 13 Satz 1 i.V.m. § 20 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 IfSG. Demnach haben Personen, die in Gemeinschaftseinrichtungen nach § 33 Nr. 1 bis 3 IfSG betreut werden, dem Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung befindet, auf Anforderung einen Nachweis nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG vorzulegen (§ 20 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 IfSG). Soweit – wie hier – die verpflichtete Person minderjährig ist, hat derjenige für die Einhaltung der diese Person nach den Absätzen 9 bis 12 treffenden Verpflichtungen zu sorgen, dem die Sorge für diese Person zusteht (§ 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG). Dabei hat der Gesetzgeber mit § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG nicht nur eine Vertretung des Kindes durch den Personensorgeberechtigten, sondern eine Übertragung der Verpflichtung auf den Sorgeberechtigten statuiert (BayVGH, B.v. 6.10.2021 – 25 CE 21.2383 – juris Rn. 8).
27
a) Entgegen dem klägerischen Vorbringen hat das Gericht keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der vorstehenden Regelungen.
28
Das BVerfG hat mit Beschluss vom 21.07.2022 (1 BvR 469/20 u.a. – juris) mehrere Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen, die sich gegen Bestimmungen richteten, die durch das am 01.03.2020 in Kraft getretene Gesetz für den Schutz vor Masern und zur Stärkung der Impfprävention (Masernschutzgesetz) vom 10.02.2020 in das IfSG eingefügt wurden. Zwar waren die Beschwerdeführer dieser Verfahren nicht-schulpflichtige Kinder sowie deren Eltern (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 34 ff.). Folglich richteten sich die Verfassungsbeschwerden nur insoweit gegen die Regelungen des § 20 IfSG, als sie Kinder betreffen, die in einer Kindertageseinrichtung oder in einer nach § 43 Abs. 1 SGB VIII erlaubnispflichtigen Kindestagespflege betreut werden (vgl. § 33 Nr. 1 und 2 IfSG) und die daher gemäß § 20 Abs. 8 Satz 1 Nr. 1, Abs. 9 Satz 1 IfSG eine Impfung gegen Masern auf- und nachweisen müssen (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 49 u. 65). Von den Verfassungsbeschwerden nicht erfasst waren insbesondere von der Auf- und Nachweispflicht betroffene Schüler (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 49). Gleichwohl ist auch in der hier vorliegenden Konstellation die Verfassungsmäßigkeit zu bejahen (so beispielsweise auch BayObLG, B.v. 28.3.2024 – 201 ObOWi 141/04 – juris Rn. 8 ff.; OVG Münster, B.v. 15.8.2024 – 13 B 1280/23 – juris Rn. 18 ff.; BayVGH, B.v. 24.11.2024 – 20 C 24.1999, 20 C 24.1963 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 14.10.2024 – 20 BV 24.1343 – n.v. Rn. 5; VG Regensburg, B.v. 20.12.2023 – RN 5 S 23.2196 – juris Rn. 29; VG München, B.v. 11.4.2024 – M 26a S 23.4202 – juris Rn. 45 ff. m.w.N.).
29
aa) Dabei geht das Gericht zunächst mit dem BVerfG davon aus, dass die Regelungen über den Auf- und Nachweis eines Masernschutzes sowie diejenigen über die Rechtsfolgen bei Ausbleiben des Nachweises in das Grundrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und in die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) ihrer Kinder eingreifen und deren Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG beschränken (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 65 ff., 132 ff.).
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bb) Diese Eingriffe sind jedoch gerechtfertigt. Insbesondere ist von der Verhältnismäßigkeit der Regelungen auszugehen. Die umfangreichen Ausführungen des BVerfG sind in weiten Teilen auf die hiesige Konstellation übertragbar (vgl. VG Bayreuth, U.v. 1.7.2024 – B 7 K 24.793 – juris Rn. 28; VG München, B.v. 2.1.2024 – M 26b S 23.5250 – juris Rn. 30 f.; VG Bayreuth, B.v. 14.11.2022 – 7 S 22.1038 – juris Rn. 42).
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(1) Der Gesetzgeber verfolgt durch die hier in Rede stehenden Regelungen mit dem Schutz vulnerabler Personen vor einer für sie gefährlichen Masernerkrankung einen verfassungsrechtlich legitimen Zweck (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 105 ff.). Die Annahme des Gesetzgebers, es handele sich bei Masern um eine der ansteckendsten Infektionskrankheiten beim Menschen, die in einer nicht geringen Zahl von Fällen zu schweren Komplikationen führt, beruht auf zuverlässigen Grundlagen (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 108 ff.).
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(2) Die Regelungen sind auch geeignet, vulnerable Personen vor einer Masernerkrankung und damit ggf. einhergehenden schweren Krankheitsverläufen zu schützen. Sie können sowohl dazu beitragen, die Impfquote in der Gesamtbevölkerung zu erhöhen als auch dazu, die Impfquote in Gemeinschaftseinrichtungen zu steigern, in denen vulnerable Personen betreut werden oder zumindest regelmäßig Kontakt zu den Einrichtungen und den dort betreuten und tätigen Personen haben (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 114 f.).
33
(3) Die Pflichten, bei Betreuung in bestimmten Gemeinschaftseinrichtungen einen Masernschutz auf- und nachzuweisen, sind sowohl zum Schutz der Einzelnen als auch zum Schutz der Bevölkerung vor Masern im verfassungsrechtlichen Sinne erforderlich. Unter Berücksichtigung eines dem Gesetzgeber hier zukommenden Einschätzungsspielraums ist nicht erkennbar, dass andere, in der Wirksamkeit eindeutig gleichen, aber die betroffenen Grundrechte von Kindern und Eltern weniger stark einschränkenden Mittel zur Verfügung standen (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 116 ff.).
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(4) Auch die Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit i.e.S.) ist zu bejahen.
35
(a) In seiner Entscheidung in Bezug auf nicht-schulpflichtige Kinder geht das BVerfG davon aus, dass die Vorschriften über die Pflicht zum Auf- und Nachweis einer Masernimpfung sowie das bei Ausbleiben des Nachweises geltende Betreuungsverbot sich auch als angemessen und damit verhältnismäßig im engeren Sinne erweisen. Trotz des nicht unerheblichen Gewichts der mittelbaren Eingriffe in das Grundrecht der Kinder aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und in das der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG würden diese jeweils nicht unzumutbar im Hinblick auf den Schutz von Leben und Gesundheit durch eine Masernerkrankung gefährdeter Personen belastet (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 129 ff.). Im Rahmen der Abwägung sei zu berücksichtigen, dass in den Gemeinschaftseinrichtungen zur Kinderbetreuung nach den statistisch belegten Impfquoten in den dort betreuten Altersgruppen keine zum Gemeinschaftsschutz ausreichenden Quoten bestehen (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 148). Für die Angemessenheit streiten nach Auffassung des BVerfG insbesondere die hohe Übertragungsfähigkeit und Ansteckungsgefahr sowie das nicht zu vernachlässigende Risiko, als Spätfolge der Masern eine für gewöhnlich tödlich verlaufende Krankheit (die subakute sklerosierende Panenzephalitis, SSPE) zu erleiden. Demgegenüber träten bei einer Impfung nur milde Symptome und Nebenwirkungen auf; ein echter Impfschaden sei extrem unwahrscheinlich. Die Gefahr für Ungeimpfte, an Masern zu erkranken, sei deutlich höher als das Risiko, einer auch nur vergleichsweise harmlosen Nebenwirkung der Impfung ausgesetzt zu sein (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 149). Weiter führt das BVerfG aus, es sei nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber im Rahmen seiner Prognose die Gefahren in der Weise bewertet, dass das geringe Restrisiko einer Impfung im Vergleich zu einer Wildinfektion mit Masern bei gleichzeitiger Beachtung der – auch den betroffenen Kindern zugutekommenden – Impfvorteile zurücksteht. Im Ergebnis führe die Masernimpfung daher zu einer erheblich verbesserten gesundheitlichen Sicherheit des Kindes. Dem Individualschutz durch die Impfung zugunsten der Kinder komme auch in der Abwägung der Interessen der durch eine Maserninfektion zumindest in ihrer Gesundheit gefährdeten Personen einerseits mit dem Elternrecht andererseits Bedeutung zu. Da auch das die Gesundheitssorge betreffende Recht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG kindeswohlorientiert auszuüben und die Vornahme empfohlener Impfungen der Gesundheit des Kindes dienlich sei, komme dem Eingriff in das Elternrecht insoweit kein besonders hohes Gewicht zu (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 150).
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(b) Diese überzeugenden Ausführungen sind – auch wenn sie unmittelbar nur auf nicht-schulpflichtige Kinder bezogen sind – auf die hiesige Konstellation übertragbar. Insbesondere lassen die vom BVerfG herangezogenen Statistiken erkennen, dass auch bei schulpflichtigen Kindern die Impfquote unterhalb des für erforderlich gehaltenen Wertes von 95% liegt. So betrug die Quote bei den Schuleingangsuntersuchungen nur 93,1% (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 30). Auch erscheint es naheliegend, dass die Infektionsrisiken aufgrund des engen Kontakts zwischen den Kindern in Schulen, insbesondere in Grundschulen, nicht wesentlich geringer sein dürften als in Kindertagesstätten und vergleichbaren Einrichtungen.
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(c) Für die Angemessenheit spricht gerade im Kontext des Schulbesuchs von schulpflichtigen Kindern ferner, dass die Rechtsfolgen einer Nichterfüllung der Nachweispflicht weitaus milder ausgestaltet sind als in den vom BVerfG behandelten Fallkonstellationen (vgl. hierzu schon VG Bayreuth, B.v. 14.11.2022 – 7 S 22.1038 – juris Rn. 42). So kann im Regelfall zwar gemäß § 20 Abs. 12 Satz 4 IfSG ein Betretungs- oder Tätigkeitsverbot ausgesprochen werden, wenn kein Nachweis innerhalb einer angemessenen Frist vorgelegt oder der Anordnung einer ärztlichen Untersuchung nicht Folge geleistet wird. Gemäß § 20 Abs. 12 Satz 5 IfSG kann Personen, die einer gesetzlichen Schulpflicht unterliegen, jedoch nicht untersagt werden, die dem Betrieb einer Einrichtung nach § 33 Nr. 3 IfSG dienenden Räume (Schule) zu betreten. Somit hat der Gesetzgeber gerade für den Fall der Schulpflicht die schwerwiegende Rechtsfolge einer Untersagung des Schulbesuchs, die mit Blick auf die Entwicklung des Kindes erhebliche Folgen hätte, ausgeschlossen. Hierdurch wird auch der vom Gesetzgeber intendierte Druck auf die Eltern, die Gesundheitssorge für ihre Kinder in einer bestimmten Weise auszuüben (vgl. BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 81), in erheblicher Weise abgeschwächt.
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(d) Schließlich streitet für die Angemessenheit der Regelungen auch, dass für eine Durchsetzung der Nachweispflicht mit Verwaltungszwang – ein solcher wurde im vorliegenden Fall nicht einmal angedroht – hohe Anforderungen zu stellen sind. Zwar geht der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/13452, S. 30) davon aus, dass die Vorlagepflicht gegenüber dem Gesundheitsamt eine durch Verwaltungsvollstreckungsrecht – und insbesondere mit Zwangsgeld – durchsetzbare Pflicht darstellt (vgl. hierzu: OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 1.3.2024 – OVG 1 S 94/23 – juris Rn. 14 m.w.N.; OVG Münster, B.v. 15.8.2024 – 13 B 1280/23 – juris Rn. 4 ff.). Dies ist jedoch restriktiv zu verstehen. Denn Verwaltungszwang in Form von Zwangsgeldern darf bei schulpflichtigen Kindern nicht zu einer faktischen Impfpflicht führen (BayVGH, B.v. 21.9.2023 – 20 CS 23.1432 – juris Rn. 5; vgl. auch BayVGH, B.v. 14.10.2024 – 20 BV 24.1343 – n.v. Rn. 5; BayVGH, B.v. 7.5.2024 – 20 CS 24.428 – juris Rn. 4 ff.).
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Mit Beschlüssen vom 15.01.2024 – 20 CS 23.1910 u. 20 CE 23.1935 – juris (zweites Zwangsgeld), vom 22.01.2024 – 20 CS 23.2238 – juris (Angemessenheit der Erfüllungsfrist) und vom 07.05.2024 – 20 CS 24.428 – juris (erstes Zwangsgeld) hat der BayVGH inzwischen die Anforderungen an die Durchsetzung der Auf- und Nachweispflicht im Wege des Verwaltungszwangs konkretisiert.
40
Um keine (unzulässige) faktische Impfpflicht zu statuieren, dürfte in der Regel bei schulpflichtigen Kindern die Androhung eines zweiten Zwangsgeldes bei Nichterfüllung der Vorlagepflicht ausscheiden bzw. jedenfalls bedenklich sein. Der BayVGH führt im Beschluss vom 15.01.2024 – 20 CS 23.1910 u. 20 CE 23.1935 – juris Rn. 35 hinsichtlich einer zweiten (isolierten) Zwangsgeldandrohung insoweit aus:
„Damit hat die Antragsgegnerin die Entscheidungssystematik des § 20 Abs. 12 IfSG nicht beachtet. Spätestens mit Eingang des Schreibens des Antragstellers zu 1. vom 20. Juni 2023 – laut Eingangsstempel des Gesundheitsamts am 22. Juni 2023 – war ihr bekannt, dass die bis dahin unterbliebene Vorlage eines Nachweises i.S.d. § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG auf der Ablehnung einer Impfung der Antragstellerin zu 2. gegen Masern – und nicht etwa auf Nachlässigkeit oder Versehen – beruht. Ungeachtet dessen hat die Antragsgegnerin die Antragsteller weder nach § 20 Abs. 12 Satz 3 Halbs. 1 IfSG zu einer Beratung geladen noch nach § 20 Abs. 12 Satz 3 Halbs. 2 IfSG zu einer Vervollständigung des Impfschutzes aufgefordert. Bereits dies macht die Androhung eines weiteren Zwangsgelds ermessensfehlerhaft. Darüber hinaus hat sie aber auch nicht beachtet, dass die Antragstellerin zu 2. ausweislich der schulischen Meldung vom 25. August 2022 im Jahr 2015 eingeschult wurde und damit jedenfalls bei Bescheiderlass noch der gesetzlichen Vollzeitschulpflicht unterlag (Art. 37 Abs. 3 BayEUG); auch aus diesem Grund kam die Androhung eines weiteren Zwangsgelds nicht in Betracht, denn der von § 20 Abs. 12 Satz 5 IfSG vorgesehene Ausschluss eines Betretungsverbots für Schulräumlichkeiten im Hinblick auf die schulpflichtige Antragstellerin zu 2. darf nicht im Wege einer Durchsetzung der Nachweisvorlageverpflichtung konterkariert werden. Es steht nicht im Ermessen der Gesundheitsämter, die generalisierende Entscheidung des Gesetzgebers, der Erfüllung der Schulpflicht im Einzelfall ein größeres Gewicht zuzumessen als einer Durchsetzung der Impf- oder Immunitätsvorgabe des § 20 Abs. 8 IfSG, zu korrigieren.“
41
In Bezugnahme auf den Beschluss vom 15.01.2024 – 20 CS 23.1910 u. 20 CE 23.1935 hebt der BayVGH im Beschluss vom 07.05.2024 – 20 CS 24.428 – juris Rn. 6 ff. nunmehr ausdrücklich hervor und stellt wie folgt klar, dass jedenfalls die erstmalige Androhung eines Zwangsgelds zur Durchsetzung der Auf- und Nachweispflicht einer Masernimmunität bei Schulpflichtigen regelmäßig nicht zu einer unzulässigen Impfpflicht führt:
„Insoweit hat der Senat die Androhung eines Zwangsgeldes zur Durchsetzung der Nachweispflicht grundsätzlich für zulässig erachtet, weil auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 21. Juli 2022 davon ausging, dass der Gesetzgeber unter Berücksichtigung seines Einschätzungsspielraums annehmen durfte, ohne entsprechenden Druck auf die Willensbildung der Eltern die erforderliche Impfquote nicht gleichermaßen erreichen zu können (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 123). Gleichzeitig betonte aber das Bundesverfassungsgericht auch, dass das Gewicht des Eingriffs in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG auch dadurch abgemildert ist, dass die angegriffenen Maßnahmen die Freiwilligkeit der Impfentscheidung der Eltern als solche nicht aufheben und diesen damit die Ausübung der Gesundheitssorge für ihre Kinder im Grundsatz belassen. Sie ordnen keine mit Zwang durchsetzbare Impfpflicht an (vgl. auch § 28 Abs. 1 Satz 3 IfSG). Vielmehr verbleibt den für die Ausübung der Gesundheitssorge zuständigen Eltern im Ergebnis ein relevanter Freiheitsraum (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 145).
Bei dem Erlass von Zwangsmitteln hat die Behörde jedoch ihr Ermessen auszuüben und diese vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigte Spannungslage zwischen dem elterlichen Erziehungsrecht und dem Allgemeingut des Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung zu berücksichtigen und im Einzelfall unter Heranziehung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu bewerten. In diesem Zusammenhang dürfte die erstmalige Androhung eines Zwangsgeldes regelmäßig zu keiner unzulässigen Impfpflicht führen, wenn die Behörde diese Vorgaben im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung hinreichend berücksichtigt.“
42
Legt man dies zugrunde, so wird hierdurch das Gewicht des Eingriffs durch die Anordnung der Nachweisvorlage abermals erheblich abgeschwächt. Denn letztlich beschränken sich die Verpflichtungen der Betroffenen darauf, einen Nachweis vorzulegen. Besitzen sie einen solchen Nachweis nicht, ist es der Behörde grundsätzlich verwehrt, sie durch – jedenfalls wiederholte – Zwangsmaßnahmen dazu anzuhalten, sich einen Nachweis zu beschaffen, der in der Mehrzahl der Fälle nur durch eine Impfdokumentation zu führen sein wird. Im Rahmen des Gesetzesvollzuges, insbesondere im Vollstreckungsverfahren, hat die Behörde nämlich die vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigte Spannungslage zwischen dem elterlichen Erziehungsrecht und dem Allgemeingut des Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung zu berücksichtigen und im Einzelfall unter Heranziehung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu bewerten (BayVGH, B.v. 24.11.2024 – 20 C 24.1999, 20 C 24.1963 – juris Rn. 4). Die Betroffenen haben daher durch die Anordnung der Vorlagepflicht als Grundverfügung nur „geringfügige“ Nachteile in Kauf zu nehmen, die insbesondere in den Kosten der Verwaltungsverfahren (vgl. hierzu ausführlich: VG Regensburg, B.v. 20.12.2023 – RN 5 S 23.2196 – juris Rn. 38 ff.) liegen.*Wie bereits unter Bezugnahme auf den BayVGH ausgeführt, führt jedenfalls die erstmalige Androhung eines Zwangsgeldes gerade nicht zu einer (unzulässigen) faktischen Impfpflicht, da ohne entsprechenden Druck auf die Willensbildung der säumigen Eltern die erforderliche Impfquote nicht gleichermaßen erreicht werden kann (vgl. auch BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 123). Die Anordnung der Auf- und Nachweispflicht – auch in Kombination mit einer erstmaligen Zwangsgeldandrohung – erscheint daher regelmäßig auch gegenüber „Impfverweigerern“ nicht unangemessen, da die behördlichen Maßnahmen grundsätzlich geeignet sind, die Nachweispflichtigen zum Überdenken ihrer Einstellung anzuhalten. Auch der Kostenrahmen (vgl. Art. 1, 2, 6 Abs. 1 Satz 2 KG) für die Gebühren der behördlichen Anordnung stellt keine unangemessene Belastung für die Adressaten dar, da es sich regelmäßig schon kraft Gesetzes um „überschaubare“ Beträge handelt. Bei entsprechender Anwendung von Tarif-Nr. 2.II.1/1 KVz – wie im vorliegenden Fall geschehen – bewegen sich die Gebühren beispielsweise innerhalb eines Rahmens von 15 bis 600 EUR. Weitere Nachteile – abgesehen von ggf. etwaigen Bußgeldverfahren (vgl. § 73 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1a Nr. 7d IfSG und BayObLG, B.v. 28.3.2024 – 201 ObOWi 141/04 – juris Rn. 18 ff.), die jedoch eine andere „Stoßrichtung“ als verwaltungsrechtliche Grund- und Zwangsmittelverfügungen haben – drohen Nachweispflichtigen bei Nichterfüllung der Nachweispflicht bei Schulpflichtigen nicht. Demgegenüber müssen Eltern nicht-schulpflichtiger Kinder den gravierenden Nachteil in Kauf nehmen, dass sie eine andere Form der Kinderbetreuung (z.B. in der nicht erlaubnispflichtigen Tagespflege) finden müssen (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 470/20 – juris Rn. 145). Wenn selbst letzteres nach der Rechtsprechung des BVerfG angemessen ist, muss dies erst recht für die hiesige Konstellation schulpflichtiger Kinder gelten.
43
b) Nach alldem hat das Gericht keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Normen. Die pauschalen Einwendungen der Kläger, die sich mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Normen nicht vertieft befassen und auch den tatsächlichen Annahmen und rechtlichen Wertungen in den genannten Beschlüssen des BVerfG nicht substantiiert entgegentreten, vermögen hieran nichts zu ändern. Vor diesem Hintergrund ist auch eine Aussetzung des Verfahrens analog § 94 VwGO – wie bereits mit gerichtlichem Schreiben 02.07.2024 ausgeführt – (weiterhin) nicht geboten (vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 10.10.2024 – 20 C 24.1573 – juris Rn. 3 ff.; BayVGH, B.v. 14.10.2024 – 20 BV 24.1343 – n.v. Rn. 3 ff.).
44
2. Der Bescheid vom 04.01.2024 ist auch im Übrigen rechtmäßig.
45
a) Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 20 Abs. 12 Satz 1 i.V.m. Abs. 13 Satz 1 IfSG*sind vorliegend erfüllt.
46
aa) Der minderjährige Sohn B. der sorgeberechtigten Kläger besucht eine Schule in … und wird daher in einer Gemeinschaftseinrichtung nach § 33 Nr. 3 IfSG (Schulen und sonstige Ausbildungseinrichtungen) im Zuständigkeitsbereich des Landratsamts … betreut.
47
bb) Einen den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Nachweis im Sinne des § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG über eine bei ihrem Sohn im Hinblick auf die Masernschutzimpfung bestehende medizinischen Kontraindikation haben die Kläger bisher nicht vorgelegt.
48
(1) Die Anforderungen an den Inhalt eines ärztlichen Zeugnisses über eine Kontraindikation ergeben sich aus der Auslegung der einschlägigen Rechtsvorschriften, insbesondere aus der Regelungssystematik und dem Sinn und Zweck von § 20 IfSG. Gemäß § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG kann das Gesundheitsamt bei Zweifeln an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises unter anderem eine ärztliche Untersuchung im Hinblick auf die medizinische Kontraindikation anordnen. Der Nachweis muss daher wenigstens solche Angaben zur Art der medizinischen Kontraindikation enthalten, die das Gesundheitsamt in die Lage versetzen, das ärztliche Zeugnis auf Plausibilität hin zu überprüfen. Nicht ausreichend ist ein ärztliches Zeugnis, dass lediglich den Gesetzeswortlaut des § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG wiederholt und sich insoweit auf die bloße Behauptung beschränkt, dass eine medizinische Kontraindikation vorliege. Hierfür sprechen neben dem Zweck der Regelung, eine ausreichend hohe Impfquote zu erreichen und dafür u.a. dem Gesundheitsamt eine Grundlage für das weitere Vorgehen (z.B. in einem Beratungsgespräch nach § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG) zu geben, auch systematische Erwägungen, denn das IfSG unterscheidet auch an anderer Stelle zwischen der schlichten Bescheinigung und dem Nachweis durch ein ärztliches Zeugnis (vgl. etwa § 43 Abs. 1 Satz 2 IfSG). Die Entstehungsgeschichte der Norm bestätigt diese Annahme (vgl. BayVGH, B.v. 7.7.2021 – 25 CS 21.1651 – juris Rn. 14 f.; SächsOVG, B.v. 5.5.2021 – 3 B 411/20 – juris Rn. 21 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 1.3.2024 – OVG 1 S 94/23 – juris Rn. 7 mit umfassender Begründung; vgl. auch OVG Weimar, B.v. 30.4.2024 – 3 EO 75/24 – juris Rn. 25; VG München, B.v. 11.4.2024 – M 26a S 23.4202 – juris Rn. 54; VG Regensburg, B.v. 19.7.2023 – RN 5 S 23.1198 – juris Rn. 25 f.; VG Ansbach, B.v. 28.5.2021 – AN 18 S 21.932 – juris Rn. 20 f.; Gerhardt, IfSG, 6. Aufl. 2022, § 20 Rn. 55a; Kießling/Gebhard, IfSG, 3. Aufl. 2022, § 20 Rn. 50; vgl. auch BeckOK InfSchR/Aligbe, 22. Ed. 1.10.2024, IfSG § 20 Rn. 222a).
49
Diesen Mindestanforderungen werden die von den Klägern vorgelegten Dokumente nicht gerecht. Weder die „Ärztlichen Bescheinigungen“ von Dr. … vom 19.11.2023 – einmal ohne jegliche Begründung (Bl. 5 der Behördenakte) und einmal mit Begründung (Bl. 10 der Behördenakte) – noch das „Privatärztliche Gutachten zur Impffähigkeit“ von Dr. … vom 06.09.2023 (Bl. 19 ff. der Behördenakte) enthalten die notwendigen Angaben zur Art der Kontraindikation beim streitgegenständlichen Schüler. Vielmehr wird jeweils nur pauschal auf wohl vorgefertigten Formularen die Impfunfähigkeit „bescheinigt“. Zwar führen beide Ärzte durchaus medizinische Gründe an, die aus ihrer Sicht gegen eine Impfung sprechen. Allerdings handelt es sich nur um pauschale Erwägungen gegen eine Impfung als solche, die keinerlei Bezug zum betroffenen B. aufweisen. Im Gutachten von Dr. … wird sogar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass keine körperliche Untersuchung erfolgt ist, wobei dahingestellt bleiben kann, ob der ordnungsgemäße Nachweis einer Kontraindikation auch ohne vorherige körperliche Untersuchung erfolgen kann. Maßgeblich ist vielmehr, dass alle (drei) vorgelegten Dokumente keine einfallbezogene Diagnose im Hinblick auf den konkreten Gesundheitszustand bzw. eines etwaigen Krankheitsbildes des B. enthalten. Vielmehr stellen sie weitgehend die Sinnhaftigkeit der Impfung ganz generell infrage und verweisen auf die veröffentlichten und allgemeinen Risiken und Nebenwirkungen einer Masernimpfung. Dies genügt für den Nachweis einer medizinischen Kontraindikation*gemäß § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG im konkreten Einzelfall nicht. Dem steht auch nicht entgegen, dass das „Privatärztliche Gutachten zur Impffähigkeit“ von Dr. … vom 06.09.2023 nur eine (zunächst) auf ein halbes Jahr befriste „vorläufige Impfunfähigkeit“ attestiert. Auch für eine vorläufige Impfunfähigkeit bedarf es einer Auseinandersetzung mit dem konkreten medizinischen Einzelfall und nicht nur einer Individualisierung dergestalt, dass ein „Vordruck“ zu allgemeinen Bedenken und Risiken der Masernimpfung mit den Daten (Name, Anschrift, Geburtstag) einer konkreten Person angereichert wird. Denn mit § 20 Abs. 8 – 14 IfSG hat der Gesetzgeber die Grundentscheidung getroffen, dass bestimmte Personengruppen einen ausreichenden Impfschutz gegen Masern auf- und nachweisen müssen. Daraus folgt, dass eine Ausnahme in Gestalt einer medizinischen Kontraindikation auf besonders begründete Einzelfälle beschränkt sein muss. Würde man hingegen die von den Klägern vorgelegten Dokumente akzeptieren, die sich nur mit generellen Impfnebenwirkungen beschäftigen, so stünde es jedem frei, sich unter Berufung auf generelle Bedenken gegen die Masernimpfung der Verpflichtung zu entziehen. Damit liefe die grundsätzliche Pflicht, einen ausreichenden Impfschutz aufzuweisen (§ 20 Abs. 8 Satz 1 IfSG) im Ergebnis leer. Dies ist mit dem gesetzlich intendierten Konzept unvereinbar.
50
(2) Die Vorlage eines nicht den Mindestanforderungen entsprechenden Nachweises ist einer Nichtvorlage gleichzustellen, da das vorgelegte Dokument in diesem Fall schon formal kein Nachweis i.S.v. § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG ist. Die Kläger sind daher so zu behandeln, als hätten sie noch gar kein ärztliches Zeugnis i.S.v. § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG vorgelegt (vgl. BayVGH, B.v. 7.7.2021 – 25 CS 21.1651 – juris Rn. 13 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 1.3.2024 – OVG 1 S 94/23 – juris Rn. 8; VG Bayreuth, U.v. 1.7.2024 – B 7 K 24.793 – juris Rn. 52; Gerhardt, IfSG, 6. Aufl. 2022, § 20 Rn. 57c, 55a).
51
(3) Nichts anderes folgt aus der von den Klägern angeführten Entscheidung des VG Düsseldorf. Hiernach sei die Behörde nach Erfüllung der Pflicht zur Vorlage eines Nachweises trotz Zweifeln an der inhaltlichen Richtigkeit nicht mehr befugt, erneut die Vorlage eines Nachweises zu verlangen (VG Düsseldorf, B.v. 7.2.2024 – 29 L 3343/23 – juris Rn. 42 ff.). Eine förmliche Zurückweisung des vorgelegten Nachweises sei im Gesetz ebenso wenig vorgesehen wie die erneute Anforderung eines Nachweises (VG Düsseldorf, B.v. 7.2.2024 – 29 L 3343/23 – juris Rn. 47 ff.).
52
Unabhängig von der Frage, ob die der Entscheidung des VG Düsseldorf zugrundeliegende Konstellation überhaupt mit der im hiesigen Verfahren vergleichbar ist – im dortigen Verfahren enthielt das vorgelegte Attest nämlich eine detaillierte Beschreibung der Diagnose („Impfschadensereignisse mit Langzeitfolge, auch in der Familie, G. (T88.1G); Allergische Diathese mit multipler Sensibilisierung, G. (H01.1G); Infektanfälligkeit mit chronisch rezidivierender Rhinitis, G. (Z86.1G); Familiäre Belastung mit Autoimmunerkrankungen, G. (Z82G); “; zitiert nach VG Düsseldorf, B.v. 7.2.2024 – 29 L 3343/23 – juris Rn. 3)*- ist mit der überzeugenden Argumentation der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. insb. OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 1.3.2024 – OVG 1 S 94/23 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 7.7.2021 – 25 CS 21.1651 – juris Rn. 13 ff.) davon auszugehen, dass jedenfalls in Fällen, in denen nicht einmal ein den „Mindestanforderungen“ entsprechendes ärztliches Zeugnis vorgelegt wurde, die Nachweispflicht bislang überhaupt noch nicht erfüllt worden ist, so dass insoweit die „Nachweisvorlage“ (erstmals) bescheidsmäßig eingefordert werden kann.
53
cc) Entgegen der Auffassung der Kläger war das Landratsamt auch nicht gehalten, zunächst gemäß § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG, eine ärztliche Untersuchung anzuordnen oder Dritte zur Erteilung von Auskünften zu verpflichten. Denn diese Vorschrift betrifft nur den Fall, dass Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises bestehen. Dies setzt wiederum voraus, dass überhaupt ein Nachweis vorgelegt wird, der den formalen Mindestanforderungen entspricht. Nur dann ist die Behörde in der Lage, diesen Nachweis auf seine Plausibilität hin zu überprüfen und hieran anknüpfend gegebenenfalls Anordnungen gemäß § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG zu treffen. Liegt hingegen – wie vorliegend – noch kein formal ordnungsgemäßer Nachweis vor, so hat die Behörde nach der Systematik des § 20 Abs. 12 IfSG zunächst gemäß § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG die Vorlage eines die Mindestanforderungen erfüllenden Nachweises zu verlangen (VG Schwerin, B.v. 22.2.2024 – 3 B 2192/23 SN – juris Rn. 37). Vor diesem Hintergrund erscheint es wenig überzeugend, dass die Behörde statt der Vorlage eines – den Mindestanforderungen genügenden – Nachweises auch eine Maßnahme nach § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG anordnen können soll (so aber offenbar VG Düsseldorf, B.v. 15.11.2023 – 29 L 2480/23 – juris Rn. 36 ff.). Jedenfalls muss es der Behörde nach Sinn und Zweck der Norm möglich sein, sich zunächst durch Anordnung der Vorlage eines formal korrekten Nachweises Kenntnis über die geltend gemachten medizinischen Kontraindikationen zu verschaffen, um auf dieser Grundlage eine sachgerechte Entscheidung über die Anordnung weitergehender Maßnahmen nach § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG zu treffen. Ein solches Verständnis der Regelung ist auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten vorzugswürdig. Denn die Maßnahmen nach § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG – insbesondere in Gestalt der Anordnung der ärztlichen Untersuchung – dürften regelmäßig einen schwerwiegenderen Eingriff darstellen als die bloße Anordnung der Vorlage eines den Mindestanforderungen entsprechenden einzelfallbezogenen Nachweises (vgl. zum Ganzen: VG Bayreuth, U.v. 1.7.2024 – B 7 K 24.793 – juris Rn. 55).
54
dd) Es kann offenbleiben, ob das Landratsamt berechtigt ist, die Vorlage eines Nachweises von einem anderen Arzt als Dr. … zu verlangen. Eine solche Einschränkung sieht § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG jedenfalls nicht ausdrücklich vor. Allerdings findet sich diese Vorgabe eines „anderen Arztes“ ohnehin nur im formlosen Schreiben vom 09.01.2023, nicht jedoch im hier angegriffenen Bescheid vom 04.01.2024. Dort wird lediglich erklärt, dass die bislang vorgelegten Bescheinigungen nicht anerkannt würden, was nach den vorstehenden Gründen rechtlich nicht zu beanstanden ist.
55
ee) Zutreffend ist zwar, dass das Gesundheitsamt im Einzelfall auch zu berücksichtigen hat, inwieweit die betroffenen Kinder selbst einsichtsfähig sind und einer Impfung selbst zustimmen. Insoweit bildet die Regelung des § 630d Abs. 1 Satz 2 BGB eine Richtschnur. Allerdings dürfte die Einwilligungsfähigkeit bei dem im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Anforderung (BayVGH, B. v. 14.11.2023 – 20 CS 23.1937 – juris) 12 Jahre alten Sohn der Kläger ausgeschlossen sein, so dass alleine die Eltern über den körperlichen Eingriff bei einer Impfung entscheiden können (BayVGH, B.v. 25.11.2024 – 20 C 24.1799, 20 C 24.1963 – juris Rn. 5; vgl. zur Corona-Impfung: OLG Dresden, B.v. 28.1.2022 – 20 UF 875/21 – juris Rn. 25). Soweit (nunmehr) – bei unterstellter Einwilligungsfähigkeit – ein der Masernimpfung entgegenstehender Wille des Kindes festzustellen sein sollte, ist dies (nur) im Vollstreckungsverfahren anhand der Regelung des § 630d Abs. 1 Satz 2 BGB zu bewerten und gegebenenfalls zu berücksichtigen (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 25.11.2024 – 20 C 24.1799, 20 C 24.1963 – juris Rn. 5 mit Verweis auf Köhnlein, Die Rechtsprechung zu Impfnachweisen in: Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Band 7 unter Verweis auf BVerfGE 162, 378 (408 f. Rn. 69)).
56
ff) Die im Rahmen der Grundverfügung im Bescheid vom 04.01.2024 gesetzte Frist von über drei Monaten („bis spätestens 30. April 2024“) ist sowohl im Hinblick auf die Beibringung eines ärztlichen Zeugnisses als auch bezüglich der Vorlage einer Impfdokumentation ausreichend lang bemessen (vgl. zur Fristsetzung in der Verwaltungsvollstreckung gemäß Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG: BayVGH, B.v. 22.1.2024 – 20 CS 23.2238 – juris Rn. 13). Unschädlich ist, dass die gesetzte Frist gegenwärtig bereits verstrichen ist und der Beklagte keine „Vorsorge“ für den Fall der etwaigen Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die kraft Gesetzes (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 20 Abs. 12 Satz 7 und Satz 1 IfSG) sofort vollziehbare Nachweisvorlageverpflichtung getroffen hat, da innerhalb der datumsmäßig gesetzten Frist weder der Sofortvollzug behördlich ausgesetzt noch gerichtlich die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet wurde, so dass die Kläger durchgehend und ohne Suspendierung des Verwaltungsaktes verpflichtet waren, die Nachweispflicht zu erfüllen.
57
b) Die streitgegenständliche Anordnung der Nachweisvorlage ist auch nicht ermessensfehlerhaft.
58
aa) Ob die Behörde gemäß § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG die Vorlage eines Nachweises anordnet, steht in ihrem Ermessen. Davon geht auch die Gesetzesbegründung aus (BT-Drs. 19/13452, S. 30: „Die Gesundheitsämter können …“). Überdies ist die gesetzliche Regelung des § 20 Abs. 8 – 14 IfSG derart ausgestaltet, dass die geforderten Nachweise in erster Linie der Leitung der jeweiligen Einrichtung vorzulegen sind (§ 20 Abs. 9 Satz 1, Abs. 10 Satz 1 IfSG). Die Vorlagepflicht nach § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG gegenüber dem Gesundheitsamt muss daher auf besondere Fallgestaltungen beschränkt sein. Welche dies sein können (vgl. dazu Sangs, in: Sangs/Eibenstein, IfSG, 1. Aufl. 2022, § 20 Rn. 158), wird vom Gesetz jedoch nicht näher spezifiziert, sodass es nach allgemeinen Grundsätzen nur der Behörde obliegen kann, von ihrer Befugnis im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens (Art. 40 BayVwVfG) Gebrauch zu machen (im Ergebnis ebenso: Kießling/Gebhard, IfSG, 3. Aufl. 2022, § 20 Rn. 61; Gerhardt, IfSG, 6. Aufl. 2022, § 20 Rn. 119; Rixen, NJW 2020, 647, 650).
59
bb) Die von der Behörde getroffene Ermessensentscheidung ist gerichtlich daraufhin zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten wurden und ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (§ 114 Satz 1 VwGO).
60
cc) Dies zugrunde gelegt, sind Ermessensfehler nicht ersichtlich.
61
(1) Vorliegend haben die Kläger versucht, durch die Vorlage von Impfunfähigkeitsbescheinigungen den Nachweis einer Kontraindikation zu erbringen. Selbst wenn, insbesondere im Hinblick auf die fragwürdigen Dokumente und die Äußerungen des Klägers zu 2, der Eindruck nicht von der Hand zu weisen ist, dass die Kläger – oder zumindest der Kläger zu 2 – Impfskeptiker sind, erscheint es durchaus zulässig, gegenüber solchen Personen mit Mitteln des Verwaltungszwangs – selbst wenn diese regelmäßig auf die Androhung eines ersten Zwangsgeldes beschränkt sein dürften – einen gewissen Druck aufzubauen, um ihre Haltung nochmals zu überdenken, sodass es bereits unter diesem Geschichtspunkt den Erlass einer entsprechenden Grundverfügung bedürfen kann. Daneben ist nicht von der Hand zu weisen, dass den Betroffenen der „Ernst der Lage“ erst durch Erlass eines förmlichen Bescheids, der ohne Einlegung eines Rechtbehelfs regelmäßig in Bestandkraft erwächst, bewusst wird (vgl. zur Handlungsform als Verwaltungsakt auch Nachstehendes unter (2)). Das Verhalten der hiesigen Kläger – die Haltung der Klägerin zu 1 zu einer Masernimpfung ist der Aktenlage überhaupt nicht zu entnehmen – lässt auch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erkennen, dass sie die Nachweispflicht dauerhaft missachten würden und auch eine ggf. nachzuschiebende Zwangsgeldandrohung keinerlei Beugewirkung haben könnte. Der Beklagte durfte daher im hier maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Verwaltungsaktes davon ausgehen, dass die Kläger den geforderten Nachweis erbringen oder jedenfalls im Falle einer Nichterbringung einer nachfolgend möglichen Ladung zur Beratung nach § 20 Abs. 12 Satz 3 IfSG aufgeschlossen gegenüberstehen würden. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass eventuelle Bedenken der Kläger im Rahmen der Beratung nach § 20 Abs. 12 Satz 3 IfSG ausgeräumt werden können. Gerade mit Blick auf die eingeschränkte Überprüfung von Ermessensentscheidungen (§ 114 Satz 1 VwGO) erscheint die Anordnung der Nachweisvorlage daher geboten, zumal diese keine „reine Förmelei“ darstellt, die keinen Beitrag zum Masernschutz liefern kann. Die Intension, dass der Gesetzgeber mit der Einführung der Nachweispflicht ausdrücklich keine Impflicht begründen wollte, ist im Rahmen der Durchsetzung der Nachweispflicht zu berücksichtigen und steht jedenfalls vorliegend der ordnungsgemäßen Ermessensausübung im Rahmen des Erlasses der streitgegenständlichen Grundverfügung nicht entgegen. Lediglich bei der Anwendung von Zwangsmitteln ist von den Behörden die Spannungslage zwischen dem elterlichen Erziehungsrecht und dem Allgemeingut des Schutzes der Bevölkerung zu berücksichtigen und im Einzelfall unter Heranziehung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu bewerten (BayVGH, B.v. 25.11.2024 – 20 C 24.1799, 20 C 24.1963 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 14.10.2024 – 20 BV 24.1343 – n.v. Rn. 5; BayVGH, B.v. 7.5.2024 – 20 CS 24.428 – juris Rn. 7).
62
(2) Ein Ermessensfehler liegt auch nicht darin, dass das Landratsamt sich der Handlungsform eines Verwaltungsaktes bedient hat. Dabei kann offenbleiben, ob auf der Grundlage von § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG auch eine Fristsetzung durch Realakt („formloses Schreiben“) ergehen kann. Dies erscheint zweifelhaft, da die gesetzliche Konzeption des § 20 Abs. 12 IfSG (vgl. § 20 Abs. 12 Satz 7 IfSG) den Erlass eines Verwaltungsaktes vorsieht (vgl. BayVGH, B.v. 21.9.2023 – 20 CS 23.1432 – juris Rn. 2). Das von den Klägern vorgebrachte Argument, in § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG sei nur von einer „Anforderung“ und nicht von einer „Anordnung“ die Rede, kann dagegen nicht überzeugen, da das Gesetz in § 20 Abs. 12 Satz 7 IfSG selbst von einer „Anordnung“ nach Satz 1 spricht und der Wortlaut des Gesetzes daher in dieser Hinsicht unergiebig ist. Jedenfalls ist es nicht ermessensfehlerhaft, dass das Landratsamt hier einen auf § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG gestützten Verwaltungsakt erlassen hat. Denn den Klägern war bereits mehrfach eine Frist zur Vorlage eines formal ordnungsgemäßen Nachweises gesetzt worden, die sie jeweils haben verstreichen lassen. Es ist nicht ansatzweise ersichtlich, wieso eine erneute Fristsetzung ohne Erlass eines förmlichen Bescheides zu einem anderen Ergebnis hätte führen sollen. Im Übrigen ist der Erlass eines Verwaltungsaktes Voraussetzung für die – zumindest beschränkt zulässige – Durchführung eines Vollstreckungsverfahrens (vgl. Art. 19 Abs. 1, Art. 29 ff. VwZVG).
63
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 159 VwGO (vgl. auch BayVGH, B.v. 7.7.2021 – 25 CS 21.1651 – juris).
64
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO. Der Einräumung einer Abwendungsbefugnis bedurfte es angesichts der allenfalls geringen vorläufig vollstreckbaren Aufwendungen des leistungsfähigen Beklagten nicht.
65
Die Berufung ist nach § 84 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 124a Abs. 1 und § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen, da die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Anordnung nach § 20 Abs. 12 Satz 1 i.V.m. Abs. 13 Satz 1 IfSG ergehen kann, von grundsätzlicher Bedeutung ist.