Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 08.08.2024 – B 4 K 22.74
Titel:

kein Rechtsschutzbedürfnis bei isolierter Klage auf Verbescheidung eines Widerspruchs, Auslegung des klägerischen Begehrens

Normenkette:
VwGO § 75
Schlagworte:
kein Rechtsschutzbedürfnis bei isolierter Klage auf Verbescheidung eines Widerspruchs, Auslegung des klägerischen Begehrens
Fundstelle:
BeckRS 2024, 42767

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darfdie Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Bearbeitung seines Widerspruchs gegen einen Straßenausbaubeitragsbescheid.
2
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung … (F. Straße. ...). Die Beklagte führte in den Jahren 2012 und 2013 Maßnahmen zur Verbesserung der Straßenbeleuchtung in der F. Straße durch.
3
Mit Bescheid vom 28. November 2017 setzte die Beklagte für die Verbesserung der Straßenbeleuchtung in der F. Straße für das Grundstück des Klägers einen Straßenausbaubeitrag von 654,86 EUR fest.
4
Mit Schreiben vom 10. Dezember 2017, bei der Beklagten am 11. Dezember 2017 eingegangen, erhob der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 28. November 2017 und begründete diesen. Unter dem 21. Dezember 2017 ergänzte der Kläger die Begründung seines Widerspruchs.
5
Mit Schriftsatz vom 25. Januar 2022, als E-Mail am selben Tag und in Papierform am 14. Februar 2022 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangen, erhob der Kläger Klage und beantragte,
I. die Beklagte zu verpflichten, den Widerspruch des Klägers zu bearbeiten;
II. den Widerspruch positiv zu bescheiden.
6
Die Unterlassung der Sachbearbeitung durch die Beklagte sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Eines Vorverfahrens nach § 68 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) habe es nach § 75 Satz 1 VwGO nicht bedurft. Ein sachlicher Grund für die Nichtverbescheidung des Widerspruchs des Klägers liege nicht vor. Durch die überlange Wartezeit habe der Kläger einen Anspruch auf positive Verbescheidung seines Widerspruchs.
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Die Beklagte erwiderte hierauf mit Schriftsatz vom 14. März 2022 und machte Ausführungen zur Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheides vom 28. November 2017.
8
Der Kläger nahm hierzu mit Schriftsatz vom 7. April 2022 insbesondere dahingehend Stellung, dass er mit seiner Untätigkeitsklage nicht den Bescheid vom 28. November 2017 angreifen wolle. Ziel sei es lediglich, die Beklagte aufzufordern, den Vorgang zur abschließenden Prüfung an das Landratsamt … weiterzuleiten. Dadurch erhalte der Kläger die Möglichkeit, gegebenenfalls weitere rechtliche Schritte zu ergreifen oder sich zügig der gegebenen Situation zu stellen. Aus seiner Sicht könne er den Bescheid vom 28. November 2017 vor dem Verwaltungsgericht nicht angreifen, weil die Klagefrist bereits abgelaufen sei. Mit der Bescheidung im Schreiben der Beklagten vom 7. August 2020 sei der Vorgang für die Beklagte abgeschlossen gewesen, es sei lediglich noch erforderlich gewesen, den Vorgang an das Landratsamt … zu senden. Es sei unzulässig, nachträglich Begründungen nachzuschieben.
9
Mit Schriftsatz vom 25. Mai 2022 zeigte sich der Bevollmächtigte der Beklagten an und beantragte mit weiterem Schriftsatz vom 8. Juni 2022,
die Klage abzuweisen.
10
Die Beklagte habe dem Kläger mit Schreiben vom 18. Mai 2022 mitgeteilt, dass sie dem Widerspruch nicht abhelfe und dieser dem Landratsamt … als Widerspruchsbehörde vorgelegt worden sei. Es werde daher angeregt, das Verfahren bis zur Entscheidung durch das Landratsamt auszusetzen.
11
Mit Schriftsatz vom 12. Juli 2022 führte der Kläger insbesondere aus, dass er die Klage nicht erweitern wolle und eine Sachbearbeitung durch das Landratsamt … völlig ausreichend sei. Nach Mitteilung des Landratsamtes sei der Vorgang bis jetzt dort aber nicht eingegangen. Der Kläger habe inzwischen fünf Ankündigungen der Beklagten erhalten, dass sein Widerspruch dem Landratsamt vorgelegt werde, keine davon habe sich als zutreffend erwiesen.
12
Der Beklagtenbevollmächtigte erwiderte hierzu mit Schriftsatz vom 16. August 2022, dass die Beklagte am 8. Juli 2022 die Aktenheftung der Originalakte samt dem Abgabeschreiben vom 18. Mai 2022 nochmals in den Briefkasten des Landratsamtes … eingeworfen habe, da es in der Vergangenheit mit anderen Aktenvorgängen und deren Auffindbarkeit beim Landratsamt zu Problemen gekommen sei. Im Übrigen würden die Anschuldigungen und Verschwörungstheorien des Klägers zurückgewiesen.
13
Mit gerichtlichem Schreiben vom 9. November 2022 wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass sein Widerspruch nach telefonischer Auskunft des Landratsamtes … dort anhängig sei. Er wurde um Mitteilung binnen zwei Wochen gebeten, ob er mit der von Beklagtenseite angeregten Aussetzung des Verfahrens einverstanden sei. Alternativ habe er im Hinblick auf § 75 VwGO die Möglichkeit, sich im hiesigen Verfahren unmittelbar gegen den Bescheid vom 28. November 2017 zu wenden. Insoweit werde um Klarstellung gebeten.
14
Hierzu teilte der Kläger unter dem 15. November 2022 mit, dass er mit einer Aussetzung des Verfahrens bis zu einer Entscheidung des Landratsamtes über seinen Widerspruch nicht einverstanden sei.
15
Mit weiterem gerichtlichen Schreiben vom 17. November 2022 wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass Gegenstand einer Untätigkeitsklage – wenn wie hier kein Widerspruchsbescheid erlassen wurde – nicht die unterbliebene Widerspruchsbescheidung sei, sondern die Klage unmittelbar auf eine günstige Sachentscheidung zu richten sei. Für die Klage auf Erlass eines Widerspruchsbescheides selbst bestehe wohl kein Rechtsschutzbedürfnis. Dementsprechend werde angeregt, den Klageantrag dahingehend umzustellen, dass nunmehr die Aufhebung des Bescheides vom 28. November 2017 beantragt werde; andernfalls sei die Klage wohl als unzulässig abzuweisen. Eine Äußerung des Klägers hierzu erfolgte nicht.
16
In der mündlichen Verhandlung am 14. März 2024 ordnete das Gericht auf den übereinstimmenden Antrag der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens an, nachdem der Kläger klargestellt hatte, dass es ihm in erster Linie um die Untätigkeit der Beklagten gehe und ihm im Wesentlichen daran gelegen sei, dass über seinen Widerspruch durch die Widerspruchsbehörde entschieden werde.
17
Der Beklagtenbevollmächtigte beantragte mit Schriftsatz vom 18. Juni 2024 die Fortführung des Verfahrens.
18
Der Kläger äußerte sich mit Schriftsatz vom 1. Juli 2024 dahingehend, dass eine Fortführung des Verfahrens nicht gegeben sei, da das Landratsamt … bislang nicht über seinen Widerspruch entschieden habe. Der Vorgang sei dort nach den Angaben der Beklagtenseite seit dem 8. Juli 2022 anhängig; mit Ablauf des 8. Juli 2025 werde der Kläger Untätigkeitsklage gegen das Landratsamt … erheben, wenn bis dahin keine Entscheidung vorliege. Wie sich seiner Klageschrift entnehmen lasse, handele es sich vorliegend um eine „reine Untätigkeitsklage“. Eine sachliche Aufbereitung des Vorgangs sei nie Gegenstand des Klagebegehrens gewesen.
19
Der Kläger wurde mit gerichtlichem Schreiben vom 9. Juli 2024 insbesondere erneut an die Hinweise in den Schreiben vom 9. November 2022 und 17. November 2022 sowie in der mündlichen Verhandlung am 14. März 2024 erinnert.
20
Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Protokolle vom 14. März 2024 und 8. August 2024 Bezug genommen. Ergänzend wird nach § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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1. Der Klageantrag des nicht anwaltlich vertretenen Klägers ist im Rahmen des § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass er lediglich die Verbescheidung seines Widerspruchs vom 10. Dezember 2017 begehrt. Trotz mehrfacher Hinweise in den gerichtlichen Schreiben vom 9. November 2022, 17. November 2022 und 9. Juli 2024 sowie in der mündlichen Verhandlung am 14. März 2024 hat der Kläger – wie bereits in seinen Schriftsätzen vom 7. April 2022, 12. Juli 2022, 15. November 2022 und 1. Juli 2024 – zuletzt erneut ausdrücklich bestätigt, dass er gerade nicht die Aufhebung des Beitragsbescheides vom 28. November 2017 erstrebt, sondern die Bearbeitung seines Widerspruchs. Vor diesem Hintergrund scheidet eine anderweitige Auslegung des klägerischen Antrages aus.
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2. Die so verstandene Klage ist unzulässig.
23
a) Dem Kläger mangelt es an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis, da er ausschließlich eine Entscheidung der Widerspruchsbehörde über seinen Widerspruch begehrt. Ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage auf Erlass eines Widerspruchsbescheides ist jedoch nur bei besonders gelagerten Fallgestaltungen anzunehmen. Dies ist der Fall, wenn der Kläger ausnahmsweise ein berechtigtes Interesse an einer Sachentscheidung der Widerspruchsbehörde hat, etwa weil diese auch nach Zweckmäßigkeits- oder sonstigen Ermessensgesichtspunkten zu entscheiden hat, die dem Gericht verschlossen sind oder von ihm nur beschränkt auf ihre Fehlerhaftigkeit geprüft werden können. Eine weitere Ausnahme gilt vor allem in Drittbeteiligungsfällen: Bei Bestehen eines Rechtsschutzbedürfnisses kann etwa der Bauherr Untätigkeits-Verpflichtungsklage gegen die Widerspruchsbehörde auf Zurückweisung des Widerspruchs eines Nachbarn erheben (vgl. statt vieler: BayVGH, B.v. 1.7.2013 – 7 ZB 13.305 – juris Rn. 12; Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 75 Rn. 4; Peters in Posser/Wolff/Decker, BeckOK VwGO, Stand 1.7.2024, § 75 Rn. 2 f.; jeweils m.w.N.).
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b) Ein solcher Ausnahmefall liegt hier ersichtlich nicht vor: Bei der Festsetzung von Straßenausbaubeiträgen hat die Gemeinde kein Ermessen, es handelt sich um eine gebundene Entscheidung ohne Beurteilungsspielraum der Verwaltung, die gerichtlich voll überprüfbar ist. Erst recht liegt hier keine Drittanfechtungssituation vor. Die sogenannte Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO ist keine eigenständige Klageart. Es bleibt in der von der Vorschrift erfassten prozessualen Konstellation bei einer Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage und deren jeweiligem Klageziel. § 75 VwGO modifiziert lediglich die Sachurteilsvoraussetzungen dieser Klagen dahingehend, dass der Abschluss des Vorverfahrens nicht abgewartet werden muss (vgl. Porsch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand Januar 2024, § 75 VwGO Rn. 2 m.w.N.). Das Rechtsschutzziel der Überprüfung des Beitragsbescheides vom 28. November 2017 hätte der Kläger ohne Weiteres durch einen entsprechenden Klageantrag erreichen können. Hierauf hat er in Kenntnis der Rechtslage verzichtet.
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3. Ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankäme, ist außerdem darauf hinzuweisen, dass eine isolierte Klage auf Verbescheidung des Widerspruchs des Klägers gegen den Rechtsträger der Widerspruchsbehörde, hier also den Freistaat Bayern, zu richten gewesen wäre, § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO. Insoweit hätte es der Beklagten an der erforderlichen Passivlegitimation gefehlt.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten richtet sich nach § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).