Titel:
Boykott Präsidentschaftswahl, Syrien, Nichtteilnahme an der Präsidentschaftswahl in Syrien, Student, Nachforschungen nach Verwandten, Aufstocker
Normenkette:
AsylG § 3
Schlagworte:
Boykott Präsidentschaftswahl, Syrien, Nichtteilnahme an der Präsidentschaftswahl in Syrien, Student, Nachforschungen nach Verwandten, Aufstocker
Fundstelle:
BeckRS 2024, 42760
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Entscheidung ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der am … geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit und muslimischen Glaubens. Er reiste nach eigenen Angaben auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 13.04.2023 einen förmlichen Asylantrag.
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Zur Begründung seines Asylbegehrens gab der Kläger bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 05.05.2023 an, er habe Syrien aufgrund der Lage dort verlassen. Er habe die Schule abgeschlossen und Jura studiert; nebenbei habe er für die Organisation … (gemeint wohl …*) gearbeitet. Er sei in den Jahren 2011 bis 2021 wegen Kämpfen immer wieder umgezogen. Zuletzt habe er in … und … gelebt. Das syrische Regime habe in seinem Heimatort 2013 zwei Massaker verübt. Jeder, der vom Regime gefunden worden sei, sei anlasslos erschossen worden. Hierüber gebe es auch Dokumentationen. Von 2019 bis 2020 habe er versucht etwas über den Verbleib seiner danach vermissten Verwandten zu erfahren. Deshalb sei er 2019 für 48 Tage verhaftet worden. Er sei dann nur freigelassen worden, weil er versprochen habe, nicht mehr nach den Verwandten zu fragen. Er sei unter dem Vorwand illegal Öl verkauft zu haben, verhaftet worden, eigentlich sei es jedoch um seine Nachfragen zu den Verwandten gegangen. Zudem habe er es abgelehnt, an den Präsidentenwahlen teilzunehmen und auch Kommilitonen eine Nichtteilnahme in persönlichen Gesprächen empfohlen. Deshalb sei er von den Sicherheitsbehörden gesucht worden und daraufhin in ein kurdisches Gebiet gezogen. Von der Suche durch die Sicherheitsbehörden wisse er über einen Kommilitonen, der meinte, er stünde auf einer Liste. Nachdem die Sicherheitslage in Kurdistan instabil gewesen sei, habe er Syrien ganz verlassen. Er selbst und seine Familienangehörigen seien nicht politisch aktiv gewesen. Aufgrund seines Studiums sei er vom Wehrdienst zurückgestellt worden. Er wolle aber keine Waffe tragen und habe auch deshalb das Land verlassen.
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Mit Bescheid vom 15.01.2024 wurde der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt (Ziff. 1) und der Asylantrag im Übrigen abgelehnt (Ziff.2).
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Auf die Begründung des Bescheids, der dem Kläger laut Postzustellungsurkunde am 25.01.2024 zugestellt wurde, wird Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG. Darin wird ausgeführt, dass die Voraussetzungen für den subsidiären Schutz erfüllt seien. Der Kläger habe aber keine drohende oder bereits erlittene Verfolgung in Syrien glaubhaft machen können, die an einen Verfolgungsgrund nach § 3b AsylG anknüpfe. Soweit der Kläger vorgetragen habe es habe eine Festnahme aufgrund seiner Nachforschungen bezüglich seiner Verwandten gegeben, stelle dies keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung dar. Selbst wenn es diese Festnahme gegeben haben sollte, erschließe sich nicht, welches Interesse das syrische Regime nach der Freilassung noch an ihm haben sollte. Auch sei den Familienmitgliedern, die ebenfalls nachgefragt hätten, nichts passiert. Der Bruder des Klägers sei sogar als Lehrer und damit im Staatsdienst tätig. Eine Verfolgung wegen Nichtbeteiligung an den Präsidentschaftswahlen sei insbesondere auch wegen des Zeitablaufs nicht mehr beachtlich wahrscheinlich. Zudem weise der Vortrag des Klägers Hinweise für asyltaktisches Vorgehen auf. So sei nach seinen Angaben, immer wieder von verschiedenen Sicherheitsbehörden nach ihm gesucht werden. Gebeten darum, dies näher zu erläutern, habe sich herausgestellt, dass lediglich zweimal nach ihm gefragt worden sei und es sich hierbei zudem um eine Namensverwechslung gehandelt habe. Auch der Vortrag zur Wahlkampagne an der Universität sei unstimmig. Zunächst habe der Kläger vorgetragen von der militärischen Sicherheitsbehörde gesucht worden zu sein, dann aber auf Nachfrage eingeräumt, dass er von einem Kommilitonen erfahren habe, dass er auf einer Liste stehe. Es hätten auch nicht Leute in Uniform nach ihm gesucht. Es seien einfach Leute gewesen, die gefragt hätten, ob der Antragsteller da sei und ob er noch zur Uni gehe. Eine Verfolgung wegen des Auslandsaufenthaltes oder eine Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung, Wehrdienst- bzw. Kriegsdienstverweigerung sei ebenfalls nicht in flüchtlingsrechtlich relevanter Weise zu befürchten. Zudem sei zu beachten, dass der Kläger nach seinen Verhaftungen nach kurzer Zeit wieder entlassen worden sei und habe weiter studieren können. Es sei außerdem auszuschließen, dass der syrische Staat dem Kläger einen Reisepass ausstellt, wenn dieser in irgendeiner Form verfolgt werden würde. Der Kläger habe einen Reisepass, der am 25.10.2020 ausgestellt worden sei.
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Am 29.01.2024 erhob der Kläger zur Niederschrift der Geschäftsstelle Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth. Er beantragt,
- 1.
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Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15.01.2023 Az. … wird in Ziffer 2 aufgehoben.
- 2.
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Die Beklagte wird verpflichtet, mich über den subsidiären Schutz hinausgehend als asylberechtigt anzuerkennen und mir die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
- 3.
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Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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Zur Begründung wird auf den Vortrag im Verwaltungsverfahren verwiesen. Zudem nimmt er Bezug auf ein selbst aufgesetztes Schreiben. Eine Flüchtlingseigenschaft ergebe sich demnach aus vier Gründen. Er sei unter einem Vorwand vom syrischen Geheimdienst verhaftet worden, weil er nach einem Massaker an seiner Familienangehörigen nach deren Verbleib gefragt habe. Auch nach seiner Freilassung sei er regelmäßig zu Verhören der Sicherheitsbehörden geladen und dort geschlagen worden. Diese Verhöre seien im Zusammenhang mit den Massakern in seiner Heimatregion und den vermissten Personen gestanden. Zudem sei die Annahme des Bundesamtes, wenn unproblematisch ein Reisepass ausgestellt werde, drohe keine Verfolgung falsch. Auch wenn jemand verfolgt werde, könne er sofern er über Beziehungen und Geld verfüge einen Reisepass bekommen. Zudem habe er den Reisepass in einer Zeit – nämlich nach seiner Freilassung – beantragt, in der er nicht verfolgt worden sei. Er habe sich zudem auch nicht an den Präsidentschaftswahlen beteiligt. Er habe Freunden geraten, es ihm gleich zu tun. Deshalb sei er vom syrischen Regime verfolgt worden. Seine Familie sei ebenfalls bedroht und erpresst worden. Sie hätten aus Angst gesagt, nichts über ihn zu wissen. Es sei zudem so, dass es in Syrien verschiedene Sicherheitsdienste gebe, die er in der Anhörung auch mit richtigen Namen benannt habe. Es sei denkbar, dass aufgrund der Ähnlichkeit ein Missverständnis mit dem Dolmetscher aufgetreten sei. Die Namen seien nur Einheimischen bekannt. Er habe in Syrien als Student große wissenschaftliche und berufliche Ziele verfolgt. Wegen des ständigen Drucks des Regimes habe er aber schließlich doch das Land verlassen.
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Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 01.02.2024 beantragt,
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Zur Begründung wurde auf den streitgegenständlichen Bescheid verwiesen. Hierbei wurde auch ein Verzicht auf Anhörung gemäß § 84 Abs. 1 S. 2 VwGO vor Erlass eines klageabweisenden Gerichtsbescheides erklärt.
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Mit Schriftsatz 07.02.2024 erklärte der Kläger, es gebe ein Dokument in Syrien, das seine Verhaftung durch den Luftwaffengeheimdienst in Aleppo belege. Er habe davon ein Foto auf seinem Mobiltelefon, von dem er hoffe, dass dieses als Beweismittel akzeptiert würde. Ein Versand des Dokuments aus Syrien nach Deutschland berge ein großes Risiko für den Absender, das er nicht eingehen wolle.
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Der Kläger wurde mit gerichtlichem Schreiben vom 24.05.2024, das ihm ausweislich der Postzustellungsurkunde am 28.05.2024 zuging, zum Erlass eines Gerichtsbescheides angehört. Eine Antwort hierauf ist nicht erfolgt.
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Mit Beschluss der Kammer vom 29.10.2024 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichts- und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen, § 117 Abs. 3 VwGO.
Entscheidungsgründe
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Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz1, Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO). Die Beteiligten hatten gemäß § 84 Abs. 1 Satz2 VwGO Gelegenheit sich zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid zu äußern.
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1. Die Klage ist unbegründet, da der Bescheid der Beklagten vom 15.01.2024 im angefochtenen Umfang nicht rechtswidrig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO). Der Kläger begehrt unter Aufhebung der Ziffer 2 des Bescheids die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Er erfüllt jedoch in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtlage maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) nicht die Voraussetzungen von § 3 Abs. 1 AsylG, so dass die Klage abzuweisen ist.
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Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nicht staatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
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Für die richterliche Überzeugungsbildung im Sinne von § 108 Abs. 1 VwGO gilt Folgendes:
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Das Gericht muss sich die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten Verfolgungsschicksals und der Wahrscheinlichkeit der Verfolgungsgefahr bilden. Eine bloße Glaubhaftmachung dergestalt, dass der Vortrag lediglich wahrscheinlich sein muss, ist nicht ausreichend (vgl. grundlegend BVerwG, U.v. 16.40.1985 – 9 C 109.84 – juris). Es ist vielmehr der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Hierbei darf das Gericht jedoch hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerland, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder der Feststellung eines Abschiebungsverbotes führen sollen, keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fragen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig auszuschließen sind (BVerwG, U.v. 16.04.1985, a.a.O.). Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.02.2013 – 10 C 23/12 – juris).
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Vorverfolgte werden über die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (RL 2011/95/EU – Anerkennungsrichtlinie) privilegiert. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von einer solchen Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird. Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen.
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Es obliegt dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es – unter Angabe genauer Einzelheiten – einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder auf Grund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (VGH BW, U.v. 27.08.2013 – A 12 S 2023/11 – juris; HessVGH, U.v. 04.09.2014 – 8 A 2434/11.A – juris).
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Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG. Das Gericht schließt sich insoweit den zutreffenden Gründen des streitgegenständlichen Bescheides an und sieht daher von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 3 AsylG). Nur ergänzend führt das Gericht aus:
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1.1 Der Kläger ist nicht unter hinreichend konkreten flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsdruck aus Syrien ausgereist. Dies ergibt sich weder hinsichtlich seiner Verhaftung 2019, die er in Zusammenhang mit den Nachforschungen nach seinen Verwandten stellt, noch der Nichtbeteiligung an der Präsidentschaftswahl 2021.
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1.1.1 Soweit der Kläger eine erneute Verfolgung wegen der Nachforschungen zu seinen Verwandten befürchtet, führt dies nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Der Kläger hat hierzu in der Anhörung vorgetragen, im Ergebnis einmal im Jahr 2019 für 48 Tage verhaftet worden zu sein. Als Grund sei illegaler Handel mit Öl genannt worden. Dies sei ein Vorwand gewesen. Die von ihm erwähnte erneute Festnahme durch die politische Sicherheitsbehörde stellte sich als Festnahme aufgrund einer Namensähnlichkeit heraus und steht damit nicht in erkennbaren Zusammenhang zu den Nachforschungen nach den Verwandten. Zudem hat er von einer weiteren Vernehmung berichtet. Genauere Angaben hierzu sind in der Anhörung nicht zu finden. Zur Klagebegründung gab er ergänzend an, die Freilassung sei nur wegen der Zahlung hoher Geldsummen an einflussreiche Personen und Amtsträger erfolgt. Die unter dem Vorwand des illegalen Ölhandels erfolgte Anklage sei dann fallen gelassen worden. Er habe sich zudem auch verpflichtet, nicht mehr nach den vermissten Verwandten zu fragen. Der syrische Geheimdienst habe versucht die Verbrechen in seiner Heimatregion zu verdecken. Der Kläger gab bei der Anhörung zudem an, auch andere Familienmitglieder hätten nach den Vermissten gefragt. Diesen sei nichts passiert.
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Dieser Vortrag führt auch bei Wahrunterstellung unter mehreren Gesichtspunkten nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Auf die Vorlage von Beweisen zu dieser Verhaftung kommt es damit nicht an.
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Zum einen ist nicht erkennbar, dass die Verfolgung aufgrund eines nach § 3b AsylG flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsgrundes erfolgte. Vertuschungsabsicht ist dort nicht als flüchtlingsrechtlich relevanter Verfolgungsgrund genannt. Auch eine Verfolgung wegen einer politischen Überzeugung kann bei der Nachfrage nach vermissten Verwandten nicht per se angenommen werden. Eine Nachfrage nach Vermissten stellt eine menschliche Reaktion dar, die nicht reflexartig mit einer auch nur unterstellten politischen Gesinnung einhergeht. Solches hat der Kläger selbst auch in seinem Vortrag nicht erwähnt. Er hat im Gegenteil angegeben nicht politisch aktiv gewesen zu sein. Auch eine unterstellte politische Gesinnung hat keine Erwähnung gefunden.
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Darüber hinaus hat die Einzelrichterin hinsichtlich der notwendigen Verfolgungsdichte Zweifel. Nach der Verhaftung 2019 ist keine eindeutig auf dieses Verhalten gestützte Verfolgung mehr erfolgt. Der Kläger räumt selbst ein, die weiteren Verhöre bzw. kurzzeitige Festnahme sei aufgrund von Namensähnlichkeit erfolgt. Dies spricht auch gegen eine beachtliche Wahrscheinlichkeit neuer Verhaftungen auf Grundlage der Nachfrage nach den Vermissten. Zudem räumt der Kläger selbst ein, den Pass im Jahr 2020 in einem Zeitraum beantragt und ausgestellt bekommen zu haben, in dem er nicht verfolgt worden sei. Insofern gibt der Kläger selbst zu, dass sich ein etwaiges Verfolgungsinteresse nach der Freilassung (mindestens zeitweise) erledigt hat. Weiter spricht gegen eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung, dass insbesondere die Cousine des Klägers, die ebenfalls Nachforschungen nach den Vermissten angestellt hat, keinen Verfolgungshandlungen ausgesetzt war. Offenbar ist das Interesse, entsprechende Nachforschungen zu unterbinden nicht gesteigert hoch. Zudem konnte der Kläger nach seiner Freilassung mindestens zunächst unbehelligt studieren. Aus den vorgenannten zahlreichen Gesichtspunkten kann aufgrund der Nachforschungen zu den vermissten Verwandten nicht von beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung gesprochen werden.
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1.1.2 Auch die Nichtbeteiligung an der Präsidentschaftswahl 2021 führt zu keiner beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung.
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Den Auskunftsmitteln ist kein Hinweis zu entnehmen, dass die syrischen Behörden eine Beteiligung an der Wahl gewaltsam durchsetzen würden. Dies hätte bei einer Wahlbeteiligung bei den Präsidentschaftswahlen 2021 in Höhe von 77 Prozent einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung betroffen. Dennoch findet sich kein Hinweis auf eine zwangsweise Durchsetzung der Wahlbeteiligung oder einer Wahlpflicht weder hinsichtlich der Präsidentschaftswahl 2021 noch den darauffolgenden Kommunal- und Parlamentswahlen (vgl. Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation, Syrien, Version 11, 27.03.2024, Seite 13; AA Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, Stand: März 2023, 29.03.2023, S.20 ff.). Soweit der Kläger zusätzlich angibt, auch anderen Personen von einer Wahlbeteiligung abgeraten zu haben, ist dies nach seinem eigenen Vortrag in persönlichen Gesprächen und nicht öffentlich oder im Rahmen einer offen zu Tage getretenen politischen Einstellung erfolgt. Insofern ist schon nicht genau dargetan, wie die syrischen Behörden über diesen etwaigen Verfolgungsgrund Kenntnis erlangt haben sollten. Der Kläger konnte zudem keine genauen Angaben machen, worauf er eine Verfolgungsgefahr stützt. Letztlich fußt seine Furcht vor Verfolgung auf der Behauptung einer einzelnen Person, er stehe auf einer Liste, sowie auf Nachfragen von Personen in Zivil nach seinem Verbleib. Diese Nachfragen können mannigfaltige auch nicht flüchtlingsrechtlich relevante Ursachen, wie menschliche Neugier haben. Aus ihnen kann nicht reflexartig auf ein Verfolgungsinteresse und schon gar nicht auf eine Verfolgungshandlung geschlossen werden. Eine hinreichend konkrete Verfolgungsdichte ist damit nicht dargetan.
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Letztlich kann eine frühere Verfolgung jedoch auch dahinstehen, da aufgrund des Zeitablaufs von nunmehr 3 Jahren nach der Präsidentschaftswahl, den darauffolgenden weiteren Wahlen und angesichts des sonstigen politischen Drucks auf das Regime keine Verfolgung mehr drohen wird.
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1.2 Dem Kläger droht in Syrien bei einer (hypothetischen) Rückkehr auch nicht allein wegen seiner (illegalen) Ausreise, seines längeren Aufenthalts im westlichen Ausland oder seiner Asylantragstellung eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung. Es ist unter Berücksichtigung der aktuellen Auskunftslage weiterhin nicht davon auszugehen, dass syrische Sicherheitskräfte jedem zurückkehrenden Asylantragsteller unterstellen, ein Regimegegner zu sein. Dies ist obergerichtlich geklärt (vgl. BayVGH, U.v. 5.3.2024 – 21 B 23.30059, U.v. 11.1.2024 – 21 B 19.33072, U.v. 21.9.2020 – 21 B 19.32725 – Rn. 23 ff.; U. v. 23.6.2021 – 21 B 19.33586 – Rn 37 ff.; U.v. 8.12.2021 – 21 B 19.33948 – Rn 20 ff.; U.v. 2.5.2022 – 21 B 19.34314 – m.w.N; OVG Hamburg, U.v. 11.1.2019 – 1 Bf 81/17.A – Rn. 52 ff., 63 ff.; U. v. 29.5.2019 – 1 Bf 284/17.A – Rn. 100 ff.; OVG LSA, U. v. 1.7.2021 – 3 L 154/18 – Rn. 55 ff.; OVG Berlin-Bbg, U. v. 28.5.2021 – OVG 3 B 42.18 – Rn. 34; OVG MV, U.v. 26.5.2021 – 4 L 238/13 – Rn. 40; NdsOVG, U. v. 22.4.2021 – 2 LB 147/18 – Rn. 42 ff.; B.v. 11.5.2022 – 2 LB 52/55 – m.w.N; OVG Bremen, U. v. 24.3.2021 – 2 LB 123/18 – Rn. 30; OVG NW, U. v. 13.3.2020 – 14 A 2778/17.A – Rn. 33 ff., U. v. 22.3.2021 – 14 A 3439/18.A – Rn. 41 ff.; U.v. 23.8.2022 – 14 A 3389/20.A – m.w.N.; VGH BW, U. v. 4.5.2021 – A 4 S 468/21 – Rn. 28; HessVGH, U.v. 23.8.2021 – 8 A 1992/18.A; SächsOVG, U.v. 22.9.2021 – 5 A 855/19.A – Rn. 32 ff – jeweils juris). Zwar besteht die bei Kontakten mit syrischen Sicherheitsbehörden generell existierende Gefahr, Opfer einer willkürlichen Festnahme, Misshandlung und Folter zu werden, diese Gefahr besteht nach der Auskunftslage jedoch unabhängig von einem Verfolgungsgrund i.S.d. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG. Die Gefahr, Opfer staatlicher Repression und Willkür zu werden, bleibt für den Einzelnen nach dem Bericht des Auswärtigen Amtes vom 29.03.2023 weiterhin unvorhersehbar (AA, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, Stand: März 2023, 29.03.2023, S.19).
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1.3 Dem Kläger droht auch nicht wegen seiner Militärdienstentziehung eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung. In der herrschenden obergerichtlichen Rechtsprechung, der sich das erkennende Gericht anschließt, ist geklärt, dass es – selbst unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils vom 19.11.2020 – C-238/19 – nicht beachtlich wahrscheinlich ist, dass Rückkehrer im militärdienstpflichtigen Alter (Wehrpflichtige/Reservisten) allein deshalb in Anknüpfung an eine (unterstellte) oppositionelle bzw. regimefeindliche Gesinnung eine Verfolgung durch syrische Sicherheitskräfte zu befürchten haben, weil sie sich durch Flucht ins Ausland dem Militärdienst entzogen haben (vgl. z.B. BayVGH, U.v. 5.3.2024 – 21 B 23.30059, U.v. 11.1.2024 – 21 B 19.33072; U. v. 23.6.2021 – 21 B 19.33586 – Rn. 74 ff.; U.v. 8.12.2021 – 21 B 19.33948 – Rn. 25 ff.; B.v. 26.1.2022 – 21 ZB 22.30063; U.v. 2.5.2022 – 21 B 19.34314; OVG NRW, U. v. 22.3.2021 – 14 A 3439/18.A – Rn. 46 ff.; U.v. 23.8.2022 – 14 A 3389/20.A; NdsOVG, U. v. 22.4.2021 – 2 LB 147/18 – Rn. 48 ff.; B.v. 11.5.2022 – 2 LB 52/22; VGH BW, U. v. 4.5.2021 – A 4 S 468/21 – Rn. 25 ff.; OVG MV, U. v. 26.5.2021 – 4 L 238/13 – Rn. 27 ff.; OVG LSA, U. v. 1.7.2021 – 3 L 154/18 – Rn. 58 ff.; HessVGH, U.v. 23.8.2021 – 8 A 1992/18.A; SächsOVG, U. v. 22.9.2021 – 5 A 855/19.A – Rn. 40 ff; mit Blick auf eine Entziehung vom Reservedienst ebenso: OVG Berlin-Bbg, U. v. 28.5.2021 – OVG 3 B 42.18 – Rn. 23 ff. – jeweils juris; a.A. mit Blick auf Männer, die noch keinen Wehrdienst geleistet haben: OVG Berlin-Bbg, U. v. 29.1.2021 – OVG 3 B 109.18 – juris, Rn. 78 ff. – wobei inzwischen das BVerwG mit U. v. 19.1.2023 – 1 C 1/22 u.a. mehrere Urteile des OVG Berlin-Bbg aufgehoben hat). Dementsprechend erfolgt eine „Verfolgung“ in Syrien grundsätzlich jedenfalls nicht in Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund des § 3b AsylG. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kommt vielmehr nur dann in Betracht, wenn besondere gefahrerhöhende Umstände gerade in der Person des jeweiligen Klägers glaubhaft gemacht wurden, was vorliegend nicht er Fall ist. Das Gericht geht – mit der überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung – unter Auswertung der vorliegenden Erkenntnisquellen davon aus, dass der syrische Staat einfache Wehrdienstentzieher nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit als politische Oppositionelle oder Regimegegner ansieht. Dies gilt bei einer (erneuten) Wehrdienstverweigerung nach der (hypothetischen) Rückkehr nach Syrien. Soweit es um die Wehrdienstentziehung durch die Ausreise geht, ist zusätzlich festzuhalten, dass der Kläger nach seinen Angaben Syrien verlassen hat, als er vom Wehrdienst wegen des Studiums befreit war. Es sind vor diesem Hintergrund keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass ihm bei einer (hypothetischen) Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus politischen Gründen droht.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylG nicht erhoben. Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.