Inhalt

AG Augsburg, Beschluss v. 20.03.2024 – 409 F 513/24
Titel:

Anordnung einer Grenzsperre

Normenketten:
BGB § 1666
StGB § 235
BPolG § 30 Abs. 3 S. 3
Leitsätze:
1. Eine Grenzsperre ist anzuordnen, wenn zu befürchten ist, dass ein Elternteil jederzeit wieder mit dem Kind untertauchen würde, wenn sich dafür Gelegenheit bieten würde. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Verbot, das Kind ins Ausland zu verbringen, ist auszusprechen, wenn zu befürchten steht, dass das Wohl des Kindes bei einer Verbringung ins Ausland, die als möglich angesehen wird, gefährdet wäre. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Grenzsperre, Kind, Kindeswohlgefährdung, Wiederholungsgefahr, Entziehung, Gefahr, Ausland, Bundespolizeigesetz, Untertauchen
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 19.08.2024 – 4 UF 402/24 e
BVerfG Karlsruhe, Beschluss vom 06.02.2025 – 1 BvR 2126/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 42754

Tenor

1. Der Mutter sowie Dritten, abgesehen vom Vormund, Mitarbeitern des Jugendamtes sowie Mitarbeitern von Jugendhilfeeinrichtungen wird untersagt, den jetzigen Aufenthaltsort des Kindes K., zu verändern und das Kind außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland und außerhalb der Grenzen der Vertragsstaaten des Schengener Übereinkommens zu verbringen.
Der Kindesmutter wird es untersagt, Ersatzpapiere für das Kind zu beantragen. Auch sonst ist kein Dritter, abgesehen von dem Vormund, berechtigt, Ausweispapiere für das Kind in der Bundesrepublik Deutschland oder in einem anderen Land weltweit zu beantragen.
Der Mutter wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorstehend aufgeführte Unterlassungsverpflichtung die Festsetzung von Ordnungsgeld bis zur Höhe von 250.000,00 €, ersatzweise für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten, angedroht.
Die Dauer der Anordnungen wird befristet bis 19.03.2025.
Das Bundespolizeipräsidium, P,, wird ersucht, jede Ausreise des vorbenannten Kindes aus der Bundesrepublik Deutschland und der Vertragsstaaten des Schengener Übereinkommens zu verhindern, sofern die Begleitperson nicht nachweisen kann, dass sie Inhaberin der elterlichen Sorge, der Personensorge oder des Aufenthaltsbestimmungsrechts oder sonst zur Mitnahme des Kindes berechtigt ist.
2. Von der Erhebung der Gerichtskosten des Verfahrens wird abgesehen. Die außergerichtlichen Kosten werden nicht erstattet.
3. Der Verfahrenswert wird auf 4.000,00 € festgesetzt.

Gründe

(I.)
1
Nach diversen kindschaftsrechtlichen Vorverfahren wurden der Kindesmutter mit Beschluss des Amtsgerichts Augsburg vom 30.11.2021 im Verfahren (…) zunächst im Wege der einstweiligen Anordnung wesentliche Teile der elterlichen Sorge – insbesondere das Aufenthaltsbestimmungsrecht – entzogen und auf Frau Rechtsanwältin (…) als Ergänzungspflegerin übertragen. Im späteren Hauptsacheverfahren (…) wurde dies mit Beschluss vom 28.06.2022 zu einem kompletten Entzug der elterlichen Sorge und einer Vormundschaft erweitert.
2
Obwohl der Kindesmutter aufgrund ihrer Beteiligung in den genannten Verfahren bekannt war, dass sie nicht mehr die elterliche Sorge für K. hatte, ist sie im Zeitraum von April 2022 bis Februar 2023 mit K. ohne Genehmigung durch die Ergänzungspflegerin an unbekannte Orte verzogen, wodurch sich nach § 235 StGB (Entziehung Minderjähriger) strafbar gemacht hat.
3
Auch dem Kindsvater wurde das Kind in diesem Zeitraum entzogen und ein Umgang unmöglich gemacht. Die Kindesmutter wurde schließlich im Februar 2023 in Deutschland verhaftet und teilte dann den Behörden mit, dass sich K. zwischenzeitlich im Ausland – nämlich bei seiner hilfebedürftigen Großmutter in (…) – befinde. Von dort wurde er mithilfe der örtlichen Behörden nach Deutschland zurückgeführt.
4
Aktuell befindet sich K. in einer Einrichtung, die der Mutter nicht bekannt ist. Diese hat monatlich eine Stunde begleiteten Umgang mit ihm. Ein Hauptsache-Umgangsverfahren ist unter dem Aktenzeichen (…) anhängig, in dem ein familienpsychologisches Sachverständigengutachten zur künftigen Regelung des Umgangs erholt wird.
5
Nachdem das Gericht zunächst im Verfahren (…) eine Grenzsperre im Wege der einstweiligen Anordnung angeordnet hatte, die zum 27.03.2024 ausläuft, hat die Vormündin nunmehr angeregt, im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens eine daran anschließende dauerhafte Grenzsperre zu verhängen.
6
Die Vormündin ist der Auffassung, dass sich die Einstellung der Kindesmutter im Vergleich zur letzten Abgängigkeit von April 2022 bis Februar 2023 nicht geändert habe. Sie lehne nach wie vor den Kindsvater, die Vormündin und das gesamte Helfersystem ab. Es fehle wohl auch jegliche Einsicht über ihr Fehlverhalten im Bezug auf die letzte Abgängigkeit. Es liege daher die konkrete Gefahr vor, dass die Kindesmutter mit K. erneut ins Ausland gehen könne und diesen dadurch aus seinen jetzigen Lebensumständen und sozialen Bezügen herausreißen könne.
7
Der Kindsvater, das Jugendamt und die Verfahrensbeiständin teilen die Auffassung der Vormündin.
8
Die Kindesmutter meint, dass jegliche Beweise dafür fehlen würden, dass K. ins Ausland verbracht werden könnte. Unter den jetzigen Umständen sei ihr eine Reise mit K. ins Ausland gar nicht möglich. Die Kindesmutter sei auch in Deutschland verwurzelt. Die Vormündin handele „auf dieselbe Art und Weise wie die Kleinfaschisten aus Lettland“ ebenso wie die Jugendhilfeeinrichtung „ergaunere“ sich diese hohe Geldbeträge.
9
Das Gericht hat die Kindeseltern und das Jugendamt am 14.03.2024 persönlich angehört.
10
Das Kind K. wurde vom Gericht im Vorverfahren (…) erst am 09.02.2024 angehört, in dem es auch bereits um eine Grenzsperre ging. Das Gericht hat daher davon abgesehen, K. im hiesigen Verfahren schon wieder anzuhören. Bei der Anhörung im Februar ist klar geworden, dass K. sich in seiner jetzigen Einrichtung sehr wohl fühlt und gegenüber früheren Anhörungen durch das Gericht erhebliche Fortschritte z.B. in seiner Artikulationsfähigkeit gemacht hat.
11
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf den Vermerk der Anhörung der Erwachsenen am 14.03.2024 ebenso inhaltlich Bezug genommen, wie auf den Vermerk der Anhörung Arthurs aus dem Vorverfahren (…) vom 09.02.2024 und die Schriftsätze der Beteiligten.
(II.)
12
Der Anregung der Vormündin war zu folgen und die beantragte Grenzsperre anzuordnen.
13
Das Gericht hat insbesondere im Rahmen der persönlichen Anhörung der Kindesmutter nicht den Eindruck gewonnen, dass diese ihr früheres Fehlverhalten in irgendeiner Weise einsieht oder bereut. Vielmehr vertrat sie teilweise auch im Termin wieder die Auffassung, dass eine Entziehung von Kindern durch ihre Eltern gar nicht möglich sei. Das Gericht muss daher befürchten, dass die Kindesmutter jederzeit wieder mit K. untertauchen würde, wenn sich ihr die Gelegenheit bieten würde.
14
Das Verbot, das Kind ins Ausland zu verbringen, beruht auf § 1666 BGB. Es ist zu befürchten, dass das Wohl des Kindes bei einer Verbringung ins Ausland, die das Gericht aus den genannten Gründen als möglich ansieht, gefährdet wäre. Das Kind würde aus der ihm mittlerweile vertrauten Umgebung herausgerissen. Das Gericht wird daher veranlassen, dass das Kind gemäß § 30 Abs. 3 Bundespolizeigesetz zur grenzpolizeilichen Kontrolle ausgeschrieben wird.
15
Die Befristung der Maßnahmen beruht auf § 30 Abs. 3 Satz 3 Bundespolizeigesetz.
16
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG.
17
Die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf § 45 FamGKG.