Titel:
Streitwertfestsetzung, Streitwertbemessung, Streitwertbeschwerde, Abzug neu für alt, selbständiges Beweisverfahren, Elektronisches Dokument, Einholung eines Sachverständigengutachtens, Selbstständiges Beweisverfahren, Elektronischer Rechtsverkehr, Abhilfeverfahren, Verfahrenseinleitung, Wertfestsetzung, Beschwerde des Antragstellers, Beschwerdeschriftsatz, Wert des Beschwerdegegenstandes, Qualifizierte elektronische Signatur, Gerichtlich bestellter Sachverständiger, Formlose Mitteilung, Aufgabe zur Post, Obergerichtliche Rechtsprechung
Schlagworte:
selbständiges Beweisverfahren, Sachverständigengutachten, Streitwertfestsetzung, Abzug neu für alt, Beschwerde, Versicherungsleistung, Neubeschaffung Müllboxenanlage
Rechtsmittelinstanz:
OLG Bamberg, Beschluss vom 25.06.2024 – 12 W 29/24 e
Fundstelle:
BeckRS 2024, 42731
Tenor
1. Der Beschwerde des Antragstellers vom 11.04.2024 wird abgeholfen.
2. Der Beschluss vom 10.04.2024 wird in Ziffer 2 aufgehoben und der Streitwert wird stattdessen auf 1.606,46 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller beantragte im gegenständlichen selbständigen Beweisverfahren mit Schriftsatz vom 21.10.2022 die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass zur fachgerechten Wiederherstellung/Reparatur/Instandsetzung der Müllboxenanlagen auf dem Anwesen (…) folgende Maßnahmen und Kosten erforderlich und angemessen sind: Es folgte sodann ein Kostenvoranschlag bzw. ein Angebot in Kopie, das von Kosten in Höhe von 10.896,69 EUR ausgeht.
2
Der gerichtlich bestellte Sachverständige … geht in seinem Gutachten vom 24.01.2024 von den folgenden Kosten und Einzelpositionen aus:
1. Kosten für Abbruch und Entsorgung:
|
815,15 EUR brutto
|
2. Kosten für neue Müllbox:
|
4.643,38 EUR brutto
|
3. Kosten für Facharbeiter:
|
261,09 EUR brutto
|
Gesamtkosten:
|
5.719,62 EUR brutto
|
3
Von den grundsätzlich erforderlichen Gesamtkosten in Höhe von 5.719,62 EUR brutto hat der Sachverständige einen „Abzug neu für alt“ vorgenommen über 12/70, also über 980,51 EUR, sodass er die Kosten für eine neue Müllboxenanlage auf insgesamt 4.739,11 EUR errechnet.
4
Mit Schriftsatz vom 05.02.2024 vertrat der Antragsteller die aus Sicht des Gerichts nachvollziehbare Auffassung, dass die Positionen „Abbruch und Entsorgung“ sowie „Facharbeiter“ keiner Abnutzung unterlägen und daher ein „Abzug neu für alt“ nur für die neuen Müllboxen vorzunehmen sein dürfte. Er berechnete den Gesamtschaden daher wie folgt:
„4.643,38 EUR – (12/70 von 4.643,38 EUR) = 3.849,36 EUR + 815,15 EUR + 261,09 EUR = 4.925,60 EUR.
Das Gericht hat mit Beschluss vom 10.04.2024 den Streitwert auf die vom Antragsteller ursprünglich, jedoch vorläufig veranschlagten, voraussichtlichen Kosten von 10.896,69 EUR festgesetzt.“
5
Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde vom 11.04.2024. Er trägt vor, die gegnerische Versicherung habe unstreitig bereits einen Betrag in Höhe von 3.319,14 EUR bezahlt, sodass es dem Antragsteller lediglich noch um die Feststellung der Differenz von 7.477,55 EUR gegangen sei. Der Streitwert sei daher auf 7.477,55 EUR festzusetzen.
6
Die Streitwertbeschwerde ist zulässig und begründet, weshalb ihr nach § 68 Abs. 1 S. 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 S. 1 GKG abzuhelfen war.
7
1. Der Streitwert wurde vom Gericht im Beschluss vom 10.04.2024 fehlerhaft festgesetzt.
8
a) Bei der Streitwertbemessung für das selbstständige Beweisverfahren ist der vom Antragsteller bei Verfahrenseinleitung gem. § 61 GKG geschätzte Wert nicht bindend (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 07.12.2016, Az. 19 W 31/16 = NJOZ 2017, 1402). Vielmehr hat das Gericht nach Einholung des Gutachtens den „richtigen“ Haüptsachewert, bezogen auf den Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung und das Interesse des Antragstellers, festzusetzen (OLG Köln, a.a.O.). Ergibt sich im Laufe des Verfahrens aus dem vom Gericht eingeholten Sachverständigengutachten, dass der vom Antragsteller bei Verfahrenseinleitung geschätzte Wert nicht zutrifft, sind die Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen für die Wertfestsetzung maßgebend (ständige obergerichtliche Rechtsprechung, vgl. zum Ganzen BGH, NJW 2004, 3488 = NZBau 2005, 45 Ls.; BGH, NJW-RR 2005, 1011 = DS 2005, 231 = NZBau 2005, 590 Ls.; dem folgend ua OLG Celle, Beschl. v. 5.3.2008 – 14 W 6/08, BeckRS 2008, 09886, m.w.N.).
9
b) Entgegen der Auffassung des Antragstellers aus dem Beschwerdeschriftsatz vom 11.04.2024 ist der Streitwert nach der vorgenannten Maßgabe daher allerdings auch nicht – wie vom Antragsteller beantragt – auf 7.477,55 EUR festzusetzen, sondern auf lediglich 1.606,46 EUR.
10
Denn maßgeblich ist zunächst der vom Gutachter ermittelte, tatsächlich zu erwartende Kostenaufwand für die Neubeschaffung der gegenständlichen Müllboxenanlage. Zur korrekten Berücksichtigung eines „Abzugs neu für alt“ und auf die korrekte Ermittlung der zu erwartenden Gesamtkosten wird vollumfänglich auf die Berechnung des Antragstellervertreters aus dessen Schriftsatz vom 05.02.2024 Bezug genommen. Die dort vorgenommene Berechnung macht sich das Gericht zu eigen und geht daher ebenfalls – wie der Antragsteller – von erforderlichen Kosten für eine Neubeschaffung in Höhe 4.925,60 EUR aus. Damit hat es allerdings noch nicht sein Bewenden:
11
Nachdem die Versicherung der Antragsgegnerin außergerichtlich nach dem Vortrag des Antragstellers bereits 3.319,14 EUR an den Antragsteller gezahlt hat und sich das Interesse des Antragstellers nach seinem Vortrag damit bereits von Anfang an nur auf die Feststellung der Differenz zwischen den zu erwartenden Kosten für die Schadensbeseitigung und dem bereits durch die Versicherung gezahlten Betrag bezogen habe, ist der durch die Versicherung gezahlte Betrag in Höhe von 3.319,14 EUR von den genannten Kosten für die Neubeschaffung in Abzug zu bringen. Somit ergibt sich ein festzusetzender Streitwert in Höhe von 1.606,46 EUR.
12
Das Gericht war dabei in der Höhe des festzusetzenden Streitwerts auch im Abhilfeverfahren nicht an den Antrag des Antragstellers (7.477,55 EUR) gebunden, da das Gericht anlässlich des Abhilfeverfahrens die Streitwertfestsetzung auch gem. § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GKG von Amts wegen ändern kann, und zwar auch abweichend von den gestellten Anträgen (Laube in Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn, BeckOK Kostenrecht, 45. Edition, Stand: 01.04.2024, § 68, Rn. 138).