Titel:
Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens bei Erwerb eines Diesel-Fahrzeugs mit Thermofenster und Verbotsirrtum
Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
Leitsätze:
1. Der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems rechtfertigt die Bewertung als sittenwidriges Verhalten für sich genommen auch bei unterstellter Gesetzwidrigkeit der Applikation nicht. Denn anders als die Umschaltlogik differenziert das Thermofenster nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit wäre daher nur dann gerechtfertigt, wenn weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten als besonders verwerflich erscheinen ließen (hier verneint). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es besteht eine von der objektiven Schutzgesetzverletzung ausgehende Verschuldensvermutung, die von dem beklagten Fahrzeughersteller ausgeräumt werden muss. Insbesondere ist der Fahrzeughersteller darlegungs- und beweisbelastet sowohl für einen Verbotsirrtum als auch für dessen Unvermeidbarkeit. Vorliegend ist dem Beklagten eine Widerlegung der Verschuldensvermutung nicht gelungen. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, sittenwidrige Schädigung, Schutzgesetz, Dieselskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, EA 189, Software-Update, Thermofenster, Differenzschaden, Verbotsirrtum
Fundstelle:
BeckRS 2024, 4272
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.789,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 19.07.2023 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 90 % und die Beklagte 10 %.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Der Streitwert wird auf 16.761,74 € festgesetzt.
Tatbestand
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Der Kläger verlangt von der beklagten Automobilherstellerin die Rückabwicklung eines Kaufvertrages im Zusammenhang mit dem sog. Diesel-Abgasskandal, hilfsweise die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten und den Ausgleich des Differenzhypothesenvertrauensschadens.
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Die Klagepartei erwarb am 04.02.2019 bei der W3. GmbH & Co in 8... H. das Fahrzeug VW Passat Variant R-Line 4Motion mit der Fahrgestellnummer …16, das zum Zeitpunkt des Verkaufs einen Kilometerstand von 80.982 km aufwies. Der Bruttokaufpreis betrug 17.890,00 € (vgl. Anlage K1). Der Kilometerstand bei Klageerhebung betrug 97.948 km. Am Tag der letzten mündlichen Verhandlung vom 07.12.2023 betrug der Kilometerstand 100.234 km.
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In dem klägerischen Fahrzeug ist ein Dieselmotor des Typs EA189 verbaut, der von der Beklagten entwickelt und gebaut wurde. Das Fahrzeug verfügt über eine EG-Typengenehmigung für die Emissionsklasse EU5. Zur Erlangung dieser Typengenehmigung müssen die Fahrzeuge bestimmte Emissionsgrenzwerte einhalten, die unter Laborbedingungen gemessen werden. Der im klägerischen Fahrzeug verbaute Dieselmotor des Typs EA189 EU5 war mit einer Software ausgestattet, welche die Abgasrückführung steuert (in Folge: „AGRS“). Das AGRS erkannte, wenn das Fahrzeug den Testlauf für das Typengenehmigungsverfahren den sog. neuen europäischen Fahrzyklus (in Folge: “NEFZ“) durchlief. Im NEFZ war das AGRS im Modus 1 aktiv, welcher zu einer höheren Abgasrückführungsrate führt. Im Straßenverkehr war beim AGRS der Modus 0 aktiv, durch den die Abgasrückführung dauerhaft nur in einem geringeren Maß stattfand und mehr Stickoxid ausgestoßen wurde. Für die Erteilung der Typengenehmigung der Emissionsklasse EU5 war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand maßgeblich. Die Stickoxidgrenzwerte der EU5-Norm wurden nur im AGR-Modus 1 eingehalten. Das Kraftfahrt-Bundesamt (in Folge: „KBA“) hat mit Bescheid vom 14.10.2015 die Beklagte verpflichtet, bei allen betroffenen Fahrzeugen mit dem Motor EA 189 EU5 „die unzulässige Abschalteinrichtung“ zu entfernen. Die Beklagte hat zwischenzeitlich selbst und über entsprechende Autohäuser ein Softwareupdate angeboten, das auf das streitgegenständliche Fahrzeug am 27.12.2016 aufgespielt wurde. Mit dem Software-Update wurde eine temperaturabhängige Regelung der Abgasrückführung, sog. „Thermofenster“ implementiert, wobei zwischen den Parteien streitig ist, in welchem Temperaturbereich die Abgasrückführung voll stattfindet und in welchem Bereich die Abgasrückführung reduziert bzw. deaktiviert ist.
4
Die Klagepartei behauptet, das Thermofenster bewirke, dass das Fahrzeug außerhalb des vordefinierten Temperaturfeldes von 18°C bis 32 °C die Abgasreinigung linear auf 0 reduziere. Dies sei technisch nicht notwendig und damit unzulässig. Durch das Software-Update seien neben dem Thermofenster weitere unzulässige Abschalteinrichtungen aufgespielt worden, nämlich u.a. eine Höhenerkennung und eine Taxi-Schaltung, welche die Beklagte gegenüber dem KBA beim Genehmigungsverfahren ebenso verschwiegen habe wie das Thermofenster. Die Höhenerkennung führe dazu, dass die Abgasreinigung nur bis zu einer Höhe von 1.000 m stattfinde. Die Taxi-Schaltung fahre nach 900 Sekunden im Stand die Abschalteinrichtung runter. Außerdem sei durch das Software-Update das „On-Board-Diagnose-System“ (OBD), das durch ein akustisches Warnsignal auf die unzureichende bzw. fehlerhafte Abgasreinigung hinweisen solle, deaktiviert worden, was ebenfalls gegenüber dem KBA im Genehmigungsverfahren verschwiegen worden sei. Es bestehe daher die Gefahr der Stilllegung des Fahrzeugs.
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Die Klagepartei habe darauf vertraut, dass nach Aufspielen des Software-Updates keine unzulässigen Abschalteinrichtungen mehr vorhanden seien. Die Klagepartei trägt vor, es sei ihr beim Kauf des Fahrzeugs gerade darauf angekommen, dass das Fahrzeug nach dem Software-Update die geltenden Stickoxidgrenzwerte einhalte. Bei Kenntnis der Sachlage hätte sie den Kauf nicht getätigt.
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Die Vorstände der Beklagten hätten Kenntnis von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung gehabt und hätten mit Schädigungsvorsatz gehandelt. Die Beklagte habe die Klagepartei darüber getäuscht, dass das Fahrzeug nach dem Software-Update den gesetzlichen Vorschriften entspreche, keine illegalen Abschalteinrichtungen enthalte, die EU 5-Norm erfülle, die Angaben der EG-Übereinstimmungserklärung der Typengenehmigung einhalte, über einen umweltfreundlichen und schadstoffarmen Motor verfüge, die gesetzlichen Anforderungen an den Schadstoffausstoß einhalte, die gesetzlichen Anforderungen hinsichtlich der gesetzlichen Abgasgrenzwerte sowohl im Prüfstand als auch im Realbetrieb einhalte und wertstabil sei.
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Die Klagepartei meint, das Aufspielen des Software-Updates stelle ein neues, eigenständiges Delikt dar. Das Thermofenster verstoße gegen Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 und stelle daher eine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Das Verhalten der Beklagten sei als Betrug und sittenwidrige vorsätzliche Schädigung zu werten. Die Beklagte habe über die Gesetzeskonformität des Fahrzeugs getäuscht. Zudem habe sie Schutzgesetze verletzt. Der Klagepartei habe daher einen Schadensersatzanspruch aus § 311 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 BGB, § 826 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. 27 EG-FGV und gemäß § 831 BGB jeweils i.V.m. § 31 BGB (analog).
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Der Kläger beantragt zuletzt,
1. Die Beklagte wird verurteilt an die Klagepartei EUR 17.890,00 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 1.280,28 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges V. Passat Variant R-Line 4Motion mit der Fahrgestellnummer …16 zu bezahlen.
Hilfsweise beantragt die Klagepartei mit der Beklagten am 18.07.2023 zugestellten Schriftsatz:
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klagepartei Schadenersatz zu bezahlen für Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagte in den gegenständlichen Motor mindestens eine unzulässige Abschalteinrichtung in der Form einer Software eingebaut hat, welche bei Erkennung standardisierter Prüfstandsituationen (NEFZ) die Abgasaufbereitung so optimiert, dass möglichst wenige Stickoxide (NOx) entstehen und Stickstoffemissionsmesswerte reduziert werden, im Normalbetrieb allerdings außer Betrieb setzt, sodass es zu einem höheren NOx-Ausstoß kommt bzw. in Gestalt einer Funktion, welche durch Bestimmung der Außentemperatur, die Parameter der Abgasnachbehandlung so verändert, dass die Abgasnachbehandlung außerhalb eines Temperaturfensters von 15 °C bis 33 °C reduziert wird (sog. Thermofenster).
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von EUR 2.683,50 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, das Fahrzeug verfüge über eine wirksame EG-Typengenehmigung und über eine wirksame Betriebserlaubnis. Das Fahrzeug entspräche unter Laborbedingungen den Anforderungen, die im Typengenehmigungsverfahren für Laborbedingungen gestellt würden. Der Normgeber habe bewusst auf eine Prüfung im praktischen Fahrbetrieb verzichtet. Das Software-Update habe keine negativen Auswirkungen auf Kraftstoffverbrauch, CO₂-Emisionswerte, Motorleistung, maximales Drehmoment und Geräuschemissionen. Ebenso wenig habe das Update einen negativen Einfluss auf die Lebensdauer des Motors und dessen Komponenten. Das Thermofenster sei eine zulässige Abschalteinrichtung, da es zum Zwecke des Motorschutzes erforderlich sei. Lediglich bei Temperaturen unter ca. +10°C (oder niedriger) und hohen Umgebungstemperaturen von ca. +33 °C (oder höher) werde die AGR-Rate graduell reduziert und lediglich bei Umgebungstemperaturen von ca. -5°C bis -20 °C und oberhalb von mindestens ca. 110°C werde die AGR deaktiviert. Dies sei auch gegenüber dem KBA offengelegt worden und vom KBA als zulässig betrachtet worden. Durch das Software-Update drohe der klagenden Seite kein Entzug der Zulassung. Der Händlereinkaufswert betreffend das streitgegenständliche Fahrzeug am 07.12.2023 betrage 10.816 €.
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Die Beklagtenseite meint, dass ein Anspruch nach § 826 BGB nicht bestehe, weil der Beklagten für nach Bekanntmachung der EA189-Thematik am 22.09.2015 erworbene Fahrzeuge kein sittenwidriges Verhalten vorgeworfen werden könne. Die Verwendung des Thermofensters begründe ebenfalls keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigungshandlung. Dafür sei nicht ausreichend, dass das Verhalten gegen ein Gesetz verstößt, sondern es müsse eine besondere Verwerflichkeit des Handelns gegenüber der Klagepartei hinzu kommen. Es fehle auch am Schädigungsvorsatz der Beklagten. Auf einen solchen könne auch nicht aus der Verwendung eines Thermofensters geschlossen werden. Gleiches gelte für etwaige weitere unzulässige Abschalteinrichtungen bzw. Fahrzeugfunktionen nach dem Update. Außerdem fehle es an der haftungsbegründenen Kausalität. Etwaige bestrittene Verstöße gegen die VO (EG) Nr. 715/2007 oder falsche Angaben nach der Pkw-EnVKV würden kein sittenwidriges Verhalten gegenüber der Klagepartei begründen. Es fehle schließlich am Schädigungsvorsatz und an der Kausalität. Nachdem das Fahrzeug erst im Februar 2019 gekauft wurde, die Beklagte jedoch bereits am 22. September 2015 über die Verwendung der beanstandeten Software berichtet und informiert habe, könne man vorliegend nicht von einem Betrug sprechen. Der Kläger habe sich in Kenntnis der Umschaltlogik zum Erwerb des Fahrzeugs entschieden. Der Kläger erwarb das Fahrzeug 2019, zu einem Zeitpunkt, als die Beklagte die Verwendung der Umschaltlogik längst öffentliche bekannt gemacht und konkrete Schritte zur Bearbeitung der Motorsteuerungssoftware eingeleitet habe. Der Kläger habe sich trotz der Berichterstattung für das Fahrzeug entschieden, sodass eine Täuschung nicht vorliege. Die Verwendung eines Thermofensters in dem aufgespielten Softwareupdate begründe keinen Schadensersatzanspruch.
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Die Ansprüche des Klägers seien jedenfalls verjährt.
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Das Gericht hat mündlich verhandelt am 07.12.2023. Insoweit wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 07.12.2023 (Blatt 435/437). Im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst deren Anlagen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig. Das Landgericht Traunstein ist zuständig. Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 1 ZPO i.V.m. §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG. Die örtliche Zuständigkeit folgt aus § 32 ZPO. Die Klagepartei macht deliktische Schadensersatzansprüche geltend. Für derartige Klagen ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die schädigende Handlung begangen wurde. Begehungsort ist dabei neben dem Handlungsort auch der Erfolgsort, d.h. der Ort, an dem in das geschützte Rechtsgut eingegriffen wurde. Da bei §§§ 823, 826 BGB der Eintritt des Schadens zum Tatbestand gehört, ist auch der Ort des Schadenseintritts Begehungsort i.S.v. § 32 ZPO. Schadenseintrittsort ist hier der Wohnort des geschädigten Klägers, welcher sich zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Landgerichtsbezirk Traunstein befand.
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Die Klage ist nur insoweit begründet, als dem Kläger ein Anspruch auf Ersatz des Differenzhypothesenvertrauensschadens in Höhe von 1.789,00 € nebst Zinsen zusteht. Der Kläger hat hingegen keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsentschädigung.
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I. Soweit sich die Klagepartei auf einen Anspruch gemäß § 311 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 BGB beruft, gilt, dass gemäß § 311 Abs. 3 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB ausnahmsweise eine persönliche Haftung eines Dritten wegen Verletzung vorvertragliche Aufklärungspflichten zwar in Betracht kommen kann, wenn der Dritte nicht selbst Vertragspartner ist, aber in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch genommen hat und dadurch die Vertragsverhandlungen den Vertragsschluss erheblich beeinflusst hat. Um ein solches Vertrauen in besonderem Maße für sich in Anspruch zu nehmen, muss der Dritte jedoch unmittelbar oder mittelbar durch eine für ihn handelnde Person an den Vertragsverhandlungen teilgenommen haben (OLG München, Hinweisbeschluss vom 12.05.2023 – 27 U 565/23 e, BeckRS 2023, 10850). Im konkreten Einzelfall erwarb die Klagepartei das Fahrzeug nicht bei der Beklagten, sondern bei der W3. GmbH & Co. Von der Klagepartei wurde nicht behauptet, dass ein Vertreter der Beklagten an den Vertragsverhandlungen teilgenommen habe.
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II. Der Klagepartei steht kein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsentschädigung wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung aus § 826 BGB zu (vgl. OLG München, Endurteil vom15.11.2023 – 7 U 1977/22, BeckRS 2023, 33959; BGH, Urteil vom 24.10.2023 – VI ZR 493/20, BeckRS 2023, 35039). Denn es fehlt bereits an einem sittenwidrigen Verhalten der Beklagten gegenüber der Klagepartei.
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1. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (OLG München, a.a.O. Rz. 11).
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Danach liegt ein sittenwidriges Verhalten eines Fahrzeug- bzw. Motorherstellers vor, wenn dieser sich im Rahmen einer von ihm bei der Motorenentwicklung getroffenen strategischen Entscheidung, die Typengenehmigung durch arglistige Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes [im folgenden: KBA] zu erschleichen und die derart bemakelten Fahrzeuge alsdann in Verkehr zu bringen, die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer gezielt zunutze macht (OLG München, a.a.O. Rn. 12). Dies ist der Fall, wenn der Automobilhersteller dem KBA zwecks Erlangung der Typengenehmigung mittels einer zu diesem Zweck entwickelten Software, die bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden (Umschaltlogik), wahrheitswidrig vorspiegelt, die Fahrzeuge würden die Grenzwerte einhalten (OLG München, a.a.O. Rn. 12; BGH, Beschluss vom 19.1.2021 – VI ZR 433/19, NJW 2021, 921, Rn. 17).
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Dabei kann im Rahmen des § 826 BGB ein Verhalten, das sich gegenüber zunächst betroffenen (anderen) Geschädigten als sittenwidrig darstellte, aufgrund einer Verhaltensänderung des Schädigers vor Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten diesem gegenüber als nicht mehr sittenwidrig zu werten sein. Eine solche Verhaltensänderung kann somit bereits der Bewertung seines Verhaltens als sittenwidrig – gerade in Bezug auf den geltend gemachten, erst später eingetretenen Schaden und gerade im Verhältnis zu dem erst später Geschädigten – entgegenstehen (BGH, Urteil vom 30.7.2020 – VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798, Rz. 31).
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2. Zwar stellte sich der massenweise Einbau der ursprünglich in den Motoren EA189 verbauten unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgaseinrichtung, die den Betrieb auf dem Prüfstand erkannte und dazu führte, dass nur auf dem Prüfstand die gesetzlichen Stickoxidgrenzwerte eingehalten waren, gegenüber Personen, die eines der betroffenen Fahrzeuge vor den von der Beklagten im September 2015 ergriffenen Maßnahmen erwarben und keine Kenntnis von der illegalen Abschalteinrichtung hatten, als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung dar (vgl. BGH, Urteil vom 24.10.2023 – VI ZR 493/20, BeckRS 2023, 35039, Rn. 8).
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Aufgrund der ab September 2015 eingetretenen Verhaltensänderung der Beklagten stellt sich der Einbau der Abschaltautomatik jedenfalls gegenüber dem Kläger, der das Fahrzeug erst am 04.02.2019 erworben hat, nicht mehr als sittenwidrig dar. Denn die Beklagte hat ihr Verhalten im September 2015 nach außen erkennbar maßgeblich geändert, ist mit einer Ad-hoc-Mitteilung vom 22.09.2015 an die Öffentlichkeit getreten, hat Unregelmäßigkeiten eingeräumt und Maßnahmen wie das streitgegenständliche Software-Update zur Beseitigung des gesetzwidrigen Zustandes erarbeitet, um die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder – untersagung zu bannen. Außerdem hat die Beklagte eine Webseite freigeschalten, auf der durch Eingabe der Fahrzeug-Identifikationsnummer überprüft werden kann, ob ein konkretes Fahrzeug mit der Abschalteinrichtung versehen ist (BGH, a.a.O. Rn. 9 ff.). Aufgrund der umfangreichen Presseberichterstattung konnte der „Dieselskandal“ auch dem Kläger jedenfalls zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Fahrzeugkaufs Anfang Februar 2019 nicht verborgen geblieben sein, sodass sich der Einbau der ursprünglichen Abschalteinrichtung jedenfalls gegenüber dem Kläger nicht mehr als sittenwidrig darstellt, wobei es auf eine konkrete Kenntnis des Klägers von der Betroffenheit seines Fahrzeugs nach der Rechtsprechung des BGH ohnehin nicht ankommt (vgl. BGH, a.a.O. Rn. 15).
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3. Das unstreitig mit dem Software-Update vom 27.12.2016 im Klägerfahrzeug implementierte Thermofenster stellt ebenfalls kein sittenwidriges Verhalten der Beklagten dar (vgl. OLG München, Endurteil vom 15.11.2023 – 7 U 1977/22, BeckRS 2023, 33959; BGH, Urteil vom 24.10.2023 – VI ZR 493/20, BeckRS 2023, 35039).
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Die Abgasrückführung im streitgegenständlichen Fahrzeug ist unstreitig abhängig von der Umgebungstemperatur. Streitig sind allerdings die genauen Temperaturdaten, zu denen eine Verminderung oder Abschaltung erfolgen soll. Die Klagepartei behauptet, dass die Abgasrückrührung nur im Bereich zwischen 18°C und 30°C vollständig aktiv sei. Die Beklagte bestreitet dies und behauptet, dass die Abgasrückführung im Temperaturbereich zwischen 10°C und 33 °C ohne Abrampung vollständig aktiv sei und lediglich bei Temperaturen unter – 5 °C und oberhalb 110°C vollständig deaktiviert werde.
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Der Einsatz einer derart temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems rechtfertigt die Bewertung als sittenwidriges Verhalten für sich genommen auch bei unterstellter Gesetzwidrigkeit der Applikation nicht (BGH, Beschluss vom 19.1.2021 – VI ZR 433/19, Rn. 13.; OLG München, a.a.O. Rn. 27). Denn anders als die Umschaltlogik differenziert das Thermofenster nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet (BGH vom 19.1.2021, a.a.O. Rn. 18). Bei dieser Sachlage wäre der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten nur dann gerechtfertigt, wenn zu dem – unterstellten – Gesetzesverstoß weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen (BGH vom 19.1.2021, a.a.O. Rz. 19). Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und / oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH vom 19.1.2021, a.a.O. Rz. 19, OLG München, a.a.O. Rn. 27).
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Davon ist hier nicht auszugehen. Die Rechtsfrage, ob das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt oder nicht, war hoch umstritten. Daher liegt es keineswegs auf der Hand und kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Beklagte von der Unzulässigkeit des Thermofensters ausging oder die Augen hiervor bewusst verschlossen hätte (OLG München, a.a.O. Rn. 28).
27
Zwar könnten sich unter Umständen aus einer etwaigen Verschleierung im Typengenehmigungsverfahren, dass die Abgasrückführung (auch) temperaturabhängig ist, Anhaltspunkte für ein Bewusstsein der für die Beklagte handelnden Personen, eine unzulässige Abschalteinrichtung einzusetzen, und mithin für die Täuschungsabsicht ergeben. Jedoch lässt sich aus dem Klägervortrag hier keine derartige Verschleierung ableiten, der ein solcher Indizcharakter zukäme. Eine unterbliebene Offenlegung des Thermofensters oder dessen genauer Wirkungsweise gegenüber dem KBA reichen insofern nicht aus (OLG München, a.a.O. Rn. 29).
28
Ebenso fehlt es an dem für § 826 BGB erforderlichen Schädigungsvorsatz. Allein aus einer etwaigen objektiven Unzulässigkeit des Thermofensters folgt kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer; im Hinblick auf die unsichere Rechtslage ist nicht dargetan, dass sich den für die Beklagte tätigen Personen die Gefahr einer Schädigung der Klagepartei hätte aufdrängen müssen (OLG München, a.a.O. Rn. 30).
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4. Die Ausführungen unter Ziff. 3 gelten entsprechend für die Höhenerkennung und die Taxi-Schaltung. Denn diese differenzieren ebenfalls nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet.
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5. Der Vorwurf der Klagepartei, die Beklagte habe mittels eines manipulierten On-Board-Diagnosesystems (OBD) getäuscht, begründet ebenfalls keinen Anspruch aus § 826 BGB (OLG München, a.a.O. Rn. 41, BGH, Urteil vom 24.10.2023, Rn. 20)
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6. Auch in der Gesamtschau der vorgenannten Umstände ergibt sich kein den Vorwurf der Sittenwidrigkeit tragendes besonders verwerfliches Verhalten der Beklagten gegenüber der Klagepartei (vgl. OLG München, a.a.O. Rn. 42).
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III. Der Klagepartei steht jedoch ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 1.789,00 € aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 6, 27 EG-FGV zu.
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Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259; BGH, Urteil vom 24.10.2023 – VI ZR 493/20, BeckRS 2023, 35039) und des OLG München (Endurteil vom 15.11.2023 – 7 U 1977/22, BeckRS 2023, 33959) steht dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehenen Kraftfahrzeugs unter den Voraussetzungen des § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Schadensersatz zu. Ausgehend hiervon haftet die Beklagte der Klagepartei dem Grunde nach auf Schadensersatz.
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1. Art. 5 Abs. 1 und 2 VO (EG) Nr. 715/2007, § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV sind Schutzgesetze i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB, in deren persönlichen Schutzbereich der Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs einbezogen ist.
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2. Das im streitgegenständliche Fahrzeug vorhandene Thermofenster stellt eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 dar (OLG München, Urteil vom 15.11.2023, Rn. 46, 47).
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a) Nach Art. 3 Nr. 10 der VO Nr. 715/2007/EG ist Abschalteinrichtung „ein Konstruktionsteil, das die Temperatur … ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind“, reduziert wird (OLG München, Urteil vom 15.11.2023, Rn. 46, 47). Nach dieser Definition handelt es sich bei dem Thermofenster um eine Abschalteinrichtung. Denn diese Funktionen können dazu führen, dass die Abgasrückführung in Abhängigkeit (auch) von der gemessenen Umgebungstemperatur im gewöhnlichen Fahrbetrieb reduziert und dadurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems verringert wird (OLG München, Urteil vom 15.11.2023, Rn. 46, 47).
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b) Es handelt sich dabei um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der genannten Verordnung. Die Funktion kann zu einer Verringerung der Wirkung der Abgasrückführung führen und ist damit grundsätzlich unzulässig (OLG München, Urteil vom 15.11.2023, Rn. 46, 47). Eine Ausnahme nach lit. a) – c) der Vorschrift greift vorliegend nicht. Ernsthaft in Betracht käme nur, dass die Funktion erforderlich wäre, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten (lit. a)). Diese beiden Voraussetzungen müssten kumulativ vorliegen (EuGH, Urteil vom 21.2023 – C-101/21, Rz. 62). Nicht notwendig in diesem Sinn ist eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und den sicheren Betrieb des Fahrzeuges zu gewährleisten (EuGH, a.a.O. Rz. 65, 66). So liegt es hier. Nach dem Vortrag der Beklagten sind die genannten Funktionen im Rahmen der Motorsteuerung ständig aktiv und führen somit unter den programmierten Parametern auch bei normalen Betriebsbedingungen zu Veränderungen der Abgasrückführung. Damit sind sie auf der Basis der Rechtsprechung des EuGH selbst dann nicht als notwendig im Rechtssinne einzustufen, wenn sie aus technischer Sicht zum Motorschutz usw. erforderlich wären (OLG München, Urteil vom 15.11.2023, Rn. 46, 47).
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3. Die Beklagte handelte jedenfalls fahrlässig und damit schuldhaft. Es besteht eine von der objektiven Schutzgesetzverletzung ausgehende Verschuldensvermutung, die von der Beklagten ausgeräumt werden muss (OLG München, Urteil vom 15.11.2023, Rn. 48). Insbesondere ist die Beklagte darlegungs- und beweisbelastet sowohl für einen Verbotsirrtum als auch für dessen Unvermeidbarkeit (OLG München, Urteil vom 15.11.2023, Rn. 48). Vorliegend ist der Beklagten eine Widerlegung der Verschuldensvermutung nicht gelungen.
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Den Nachweis für einen unvermeidbaren Verbotsirrtum kann der Fahrzeughersteller zum einen mittels einer tatsächlich erteilten EU-Typengenehmigung führen, wenn diese Genehmigung die verwendete unzulässige Abschalteinrichtung in allen ihren maßgeblichen Einzelheiten umfasst (OLG München, Urteil vom 15.11.2023, Rn. 49). Dies scheitert vorliegend jedenfalls an hinreichend konkretem Vortrag der Beklagtenseite dazu, ob dem KBA bereits bei Erteilung der Typengenehmigung auch die mittelbaren Einwirkungen der Außentemperatur auf das Abgasverhalten in ihren Einzelheiten offengelegt wurden; die lediglich pauschale Behauptung, dass die sog. BES/AES-Beschreibung dem KBA ab Mai 2016 beim Antrag auf Genehmigung dargestellt wurde, genügt insoweit schon deshalb nicht, weil in diesem Zusammenhang nicht dargelegt wird, wann die Typengenehmigung für den konkreten Fahrzeugtyp beantragt wurde (vgl. OLG München, Urteil vom 15.11.2023, Rn. 49).
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Zum anderen kann der Fahrzeughersteller sich dadurch entlasten, dass er darlegt und erforderlichenfalls nachweist, dass seine Rechtsauffassung bei entsprechender Nachfrage von der für die EG-Typengenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde bestätigt worden wäre (hypothetische Genehmigung, OLG München, Urteil vom 15.11.2023, Rn. 50). Steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung des einem Verbotsirrtum unterliegenden Schädigers dessen Fehlvorstellung bestätigt hätte, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB infolge eines unvermeidlichen Verbotsirrtums auch dann aus, wenn der Schädiger eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt hat (OLG München, Urteil vom 15.11.2023, Rn. 50). Für das Vorstellungsbild der Beklagten ist dabei auf den Zeitpunkt des Erwerbs des gegenständlichen Fahrzeugs abzustellen (OLG München, Urteil vom 15.11.2023, Rn. 50), hier also auf den 04.02.2019 Das Gericht ist jedoch nicht davon überzeugt (§ 286 ZPO), dass die Beklagte hinsichtlich der Unzulässigkeit des mittelbaren Einflusses der Außentemperatur auf die Abgasrückführung einem Verbotsirrtum unterlag. Dies geht zu Lasten der hierfür darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten. Angesichts der lediglich allgemeinen Ausführungen der Beklagten, die nicht konkret auf das Vorstellungsbild der satzungsmäßigen Organe der Beklagten und der ihnen im Rahmen des § 31 BGB gleichzustellenden Leitungspersonen hinsichtlich des Zusammenwirkens der unmittelbar und mittelbar durch die Umgebungstemperatur beeinflussten Parameter für die Abgasrückführung (im Zeitraum Februar 2019) eingehen, erscheint dem Gericht ein Schluss darauf, dass diese Personen diese Funktion kannten und für rechtmäßig hielten, allein aus der Tatsache, dass das KBA das Thermofenster nie beanstandet hat, nicht möglich.
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4. Der schuldhafte Schutzgesetzverstoß ist auch ursächlich für den sogleich zu erörternden Schaden der Klagepartei. Die Beklagte hat die hierfür streitende Vermutung nicht widerlegt.
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5. Der Klagepartei steht ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 1.789,00 € zu.
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a) Der Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007, § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV gibt keinen Anspruch gegen den Hersteller auf Rückerstattung des an den Verkäufer gezahlten Kaufpreises, weil die vorgenannten Abgasnormen nicht die allgemeine Handlungsfreiheit und als deren Ausfluss das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht des Käufers, d.h. das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, schützen (BGH, Urteil vom 24.10.2023 – VI ZR 493/20, BeckRS 2023, 35039, Rn. 22, 23).
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Der Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB ist vielmehr auf den Ersatz des sogenannten Differenzschadens gerichtet (BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 5/21, Rn. 39 ff., OLG München, Urteil vom 15.11.2023, Rn. 53). Es handelt sich um das rechnerische Minus, welches sich daraus ergibt, dass der objektive Wert des erworbenen Fahrzeugs hinter dem Kaufpreis zurückbleibt, wobei auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen ist (OLG München, Urteil vom 15.11.2023, Rn. 53).
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b) Die Höhe dieses Schadens ist nach § 287 ZPO zu schätzen, und zwar im Bereich zwischen 5% und 15% des Kaufpreises (BGH, Urteil vom 26.6.2023 – VIa ZR 5/21, Rn. 42, 43). Dabei ist insbesondere auf das Risiko behördlicher Anordnungen in Bezug auf die Nutzbarkeit des Fahrzeugs, vor allem auf Umfang und Eintrittswahrscheinlichkeit möglicher Betriebsbeschränkungen im Zeitpunkt des Vertrages abzustellen. Ferner ist, um dem europarechtlichen Gebot hinreichender Sanktionierung Rechnung zu tragen, auf das Gewicht des Rechtsverstoßes und den Grad des Verschuldens abzustellen. Der Erholung eines Sachverständigengutachtens bedarf es nicht (OLG München, Urteil vom 15.11.2023, Rn. 54).
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Das Gericht schätzt nach diesen Grundsätzen den Differenzschaden vorliegend auf 10% des Kaufpreises (vgl. OLG München, Urteil vom 15.11.2023, Rn. 53). Auszugehen ist insoweit von einem nicht unbeträchtlichen, aber nur fahrlässigen Verstoß gegen die europarechtlichen Anforderungen. Andererseits erschien im Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses das Risiko behördlicher Nutzungsbeschränkungen angesichts der Genehmigungspraxis des Kraftfahrzeugbundesamtes eher gering. Dem Gericht erscheinen daher 10% angemessen (vgl. OLG München, Urteil vom 15.11.2023, Rn. 55) Dies ergibt bei einem Kaufpreis von 17.890,00 € im Ausgangspunkt einen klägerischen Schaden von 1.789,00 €.
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c) Gegenzurechnen sind jedoch die Vorteile, die die Klagepartei aus dem erworbenen Fahrzeug gezogen hat. Dies sind der Restwert des klägerischen Fahrzeugs und die von ihm gezogenen Nutzungsvorteile (jeweils nach dem Stand der letzten mündlichen Verhandlung), allerdings nur, soweit die Summe dieser Positionen den wahren Wert des Fahrzeugs bei Vertragsschluss (Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) übersteigt (OLG München, Urteil vom 15.11.2023, Rn. 56).
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Der wahre Wert des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Vertragsschlusses betrug (17.890,00 € – 1.789,00 € =) 16.101,00 €.
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Die von der Klagepartei gezogenen Nutzungsvorteile betragen 1.572,56 €. Die Klagepartei ist mit dem Fahrzeug 19.252 km gefahren (km-Stand bei Schluss der mündlichen Verhandlung 100.234 km – km-Stand bei Erwerb 80.982 km). Das Gericht geht von einer Gesamtfahrleistung bei Dieselfahrzeugen von 300.000 km aus. Folglich war bei Erwerb des Fahrzeugs durch die Klagepartei eine mögliche Restfahrleistung von 219.018 km (300.000 – 80.982) zu erwarten. Der von der Klagepartei gezogene Nutzungsvorteil ergibt sich daher bei einem Kaufpreis von 17.890 € nach der Formel Kaufpreis x gefahrene Kilometer zu Restfahrleistung (= 17.890 € x 19.252 km: 219.018 km).
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Hinsichtlich des Restwerts des Fahrzeugs geht das Gericht vom Händlereinkaufspreis gemäß Gebrauchtwagenbewertung erstellt mit SilverDAT aus (§ 287 ZPO) (vgl. OLG München, Urteil vom 15.11.2023, Rn. 59). Vorliegend ergab die SilverDAT-Abfrage des Gerichts einen aktuellen Restwert des Fahrzeugs von 10.000,00 €.
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Die Nutzungsvorteile von 1.572,56 € und der Restwert von 10.000,00 € (zusammen 11.572,56 €) übersteigen den wahren Wert des Fahrzeugs bei Vertragsschluss (16.101,00 €) eindeutig nicht. Dies gilt selbst dann, wenn man den von der Beklagten zum 07.12.2023 ermittelten Händlereinkaufswert von 10.816,00 € (Anlage B5) zugrundelegt. Der Differenzschaden von 1.789,00 € ist daher nicht zu kürzen.
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6. Die Ansprüche der Klagepartei sind nicht verjährt.
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Gemäß § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre. Sie beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Der Anspruch ist bereits mit Vertragsschluss am 04.02.2019 entstanden. Es ist aufgrund der umfangreichen Presseberichterstattung und den Pressemitteilungen der Beklagten auch davon auszugehen, dass der Kläger bereits vor Vertragsschluss Kenntnis oder jedenfalls grob fahrlässige Unkenntnis von der Betroffenheit seines Fahrzeugs vom „Dieselskandal“ hatte. Hierauf kommt es jedoch nicht an. Maßgeblich ist nach Ansicht des Gerichts, wann die Klagepartei Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis davon hatte, dass mit dem Software-Update erneute eine Abschalteinrichtung – wie das Thermofenster – im Fahrzeug implementiert wurde. Denn hierbei handelt es sich entgegen der Ansicht der Beklagten im Schriftsatz vom 28.12.203 um ein neues schadensstiftendes Ereignis. Wann der Kläger Kenntnis vom „Thermofenster“ in seinem Fahrzeug hatte, ist von der beweisbelasteten Beklagten nicht vorgetragen und konnte mangels Erscheinens des Klägers im Termin vom 07.12.2023 auch nicht vom Kläger erfragt werden. Die beweisbelastete Beklagte hat auch nicht nachgewiesen, dass der Kläger noch im Jahr 2019 grob fahrlässige Unkenntnis vom mit dem Softwareupdate implementierten Thermofenster in seinem Fahrzeug hatte. Grob fahrlässige Unkenntnis liegt vor, wenn die anspruchsbegründenden Umstände dem Gläubiger nur deshalb nicht bekannt sind, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt und auch ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt hat oder das nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen, wie etwa dann, wenn sich dem Gläubiger die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben und er leicht zugängliche Informationsquellen nicht genutzt hat (MüKo BGB, 9. Auflage 2021, § 199 BGB Rn. 31). Die Beklagte hat schon nicht vorgetragen, wann aufgrund konkreter Informationen/Pressemitteilungen der Beklagten oder umfangreicher Presseberichterstattung die Allgemeinheit Kenntnis davon erlangen musste, dass mit dem Software-Update erneut eine Abschalteinrichtung wie das Thermofenster implementiert wurde. Die Beklagte hat zwar umfangreich zur allgemein bekannten Presseberichterstattung über die ursprünglich verbaute Abschaltautomatik vorgetragen. Zwar gab es – wie die Klagepartei selbst vorträgt (vgl. Anlagen K8, K9) – bereits Ende 2018 und Anfang 2019 Pressemitteilungen darüber, dass auch nach dem Software-Update weiterhin erhöhte Stickoxidwerte von der DHU gemessen wurden. Demgegenüber hat die Beklagte selbst in der Klageerwiderung vorgetragen (Bl. 110) dass es noch Anfang 2020 z.B. einen KBA-Bericht vom 10.01.2020 über die Wirksamkeit der Updates zur Reduzierung von Stickoxid bei Dieselmotoren gab. Im Schriftsatz vom 28.12.2023 hat die Beklagte zwar umfangreiche Rechtsausführungen zur Verjährung des Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB gemacht, aber nicht vorgetragen, dass es sich dem Kläger aufgrund konkreter umfangreicher Presseberichterstattung bereits im Jahr 2019 aufdrängen hätte müssen, dass das Software-Update mit dem Thermofenster erneut eine umstrittene Abschalteinrichtung enthielt. Auch sonst ist nicht ersichtlich, dass sich der Klagepartei bereits im Jahr 2019 aufdrängen musste, dass mit dem Software-Update ein Thermofenster und damit möglicherweise erneut eine (unzulässige) Abschalteinrichtung implementiert wurde und die Klagepartei leicht zugängliche Informationsquellen nicht genutzt hat. Da eine Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkennntnis der Klagepartei bereits im Jahr 2019 nicht nachgewiesen ist, begann die Verjährung frühestens mit Ablauf des 31.12.2020 und endet frühestens Ende 2023, weshalb die erhobene Klage bzw. der der Beklagten am 18.07.2023 zugestellte Antrag auf Erstattung des Differenzschadens jedenfalls die Verjährung rechtzeitig gehemmt haben.
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IV. Der Zinsanspruch ab Rechtshängigkeit des Hilfsantrags ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
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V. Der Feststellungsantrag ist unbegründet. Neben dem Anspruch auf den Differenzschaden besteht kein Anspruch auf den Ersatz weiterer möglicher Vermögensnachteile (BGH, Urteil vom 16.10.2023 – VIa ZR 37/21, Rz. 19, OLG München, Urteil vom 15.11.2023, Rn. 68).
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VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ZPO.
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VII. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 1, Satz 2 ZPO.