Titel:
Bemessung des Streitwerts für das selbständige Beweisverfahren
Normenketten:
GKG § 40, § 61, § 68 Abs. 1
ZPO § 3, § 485
Leitsätze:
1. Für den Streitwert des selbständigen Beweisverfahrens ist grundsätzlich der Wert der gedachten Hauptsache maßgebend. Maßgeblich ist in der Regel der Wert, der sich nach der Beweiserhebung als „richtiger“ Hauptsachewert ergibt. Dies ist in der Regel der für die Mängelbeseitigung erforderliche Aufwand, der auf der Grundlage der Sachdarstellung des Antragstellers und dem Ergebnis der Beweisaufnahme nach objektiven Gesichtspunkten zu ermitteln ist. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Abzug „neu für alt“ kann aber dann das Interesse des Antragstellers wertmäßig verringern, wenn er bei Verfahrenseinleitung zum Ausdruck bringt, er werde diesen Abzugsposten auch in einem späteren Hauptsacheverfahren bei der Berechnung seiner Schadensersatzansprüche berücksichtigen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Streitwert, selbständiges Beweisverfahren, Antragstellerangaben, Ergebnis des Sachverständigengutachtens, Abzug neu für alt
Vorinstanz:
LG Würzburg, Beschluss vom 02.05.2024 – 64 OH 1527/22 Bau
Fundstellen:
BauR 2025, 529
BeckRS 2024, 42655
LSK 2024, 42655
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Landgerichts Würzburg vom 02.05.2024, Az. 64 OH 1527/22 Bau, unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen wie folgt abgeändert:
Der Streitwert wird auf 7.477,55 € festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsgegnervertreter erstrebt mit seiner Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Würzburg vom 02.05.2024, Az. 64 OH 1527/22 Bau, eine erhöhte Streitwertfestsetzung.
2
Der Antragsteller ließ mit Schriftsatz vom 21.10.2022 ein selbständiges Beweisverfahren vor dem Landgericht Würzburg einleiten. Die Beweisfragen lauteten:
„1. Zur fachgerechten Wiederherstellung/Reparatur/Instandsetzung der Müllboxenanlage auf dem Anwesen des Antragstellers, …, … sind folgende Maßnahmen und Kosten erforderlich und angemessen:
[Es folgt ein einkopiertes Angebot der X. vom 23.05.2022 für einen Aufwandsvertrag, der nach Personal-, Material- und Deponiekosten abgerechnet werden soll. Das Angebot endet mit einem Gesamtbetrag von 10.896,69 € brutto. Als durchzuführende Leistungen sind im Angebot u. a. genannt: Betonpflaster ausbauen und nach Abschluss der Maßnahme wieder verlegen, ggf. neues Betonpflaster liefern, Betonfundament oberflächig mit Abbruchhammer abtragen und entsorgen, Erdaushub entsorgen, Schotter liefern, einbauen und verdichten, Müllboxen fest mit Untergrund verbinden]
2. Eine Zeitwertminderung ist nicht zu berücksichtigen. Insbesondere beträgt die Restnutzungsdauer der beschädigten Müllboxen nicht lediglich 23 Jahre.“
3
Zur Begründung ließ der Antragsteller vortragen, dass Mitarbeiter der Beklagten bei Bauarbeiten eine Beschädigung der im Jahre 2009 installierten Boxen verursacht hätten. Verantwortlichkeit und Eintrittspflicht für den Schaden seien unstreitig. Streitig sei nur die Höhe des Schadensersatzes. Zur Reparatur sei ein Gesamtabbruch der Müllboxenanlage mit anschließender Neuherstellung erforderlich. Eine Sonderanfertigung einer einzelnen Müllbox sei nicht möglich. Den Streitwert gab der Antragsteller vorläufig mit 7.477,55 € an.
4
Die Antragsgegnerin ließ vortragen, zur Schadensbeseitigung fielen nach der Schätzung des von der Haftpflichtversicherung der Antragsgegnerin beauftragten Gutachters (vgl. Schadensbericht vom 28.09.2022, vorgelegt als Anlage AGG1) lediglich Kosten in Höhe von 5.204,17 € an. Im vorgenannten Schadensbericht wurde auch bereits darauf hingewiesen, dass keine Pflasterarbeiten auszuführen seien. Diesem Schadensbericht war das Angebot der X. vom 23.05.2022, das der Antragsteller mit seinem Beweisantrag in das Verfahren eingeführt hat, als Anlage beigefügt. Weiterhin hatte die Antragsgegnerin behauptet, es sei eine Sonderanfertigung einer einzelnen Müllbox möglich. Außerdem müsse eine Vorteilsanrechnung erfolgen, da die beschädigte Müllbox bereits zwölf Jahre alt sei.
5
In seinem Gutachten vom 24.01.2024 ermittelte der Gerichtssachverständige A. einen Reparaturaufwand von 5.719,62 € brutto für die Erneuerung beider Müllboxen. Im Gutachten kam der Sachverständige zum Ergebnis, dass die im Angebot der X. enthaltenen Vor- und Nacharbeiten teilweise nicht auszuführen seien; ein Ausbau von Pflasterbelägen, ein Aufstemmen von Betonfundamenten und Erdaushubarbeiten seien nicht erforderlich. Es bedürfe lediglich der Entsorgung der alten und des Setzens der neuen Müllboxen (ohne feste Verbindung mit dem Untergrund); deren Lieferung könne frei Haus durch den Hersteller erfolgen. Unter Zugrundelegung eines Abzugs „neu für alt“ in Höhe von 980,51 € ergab sich nach Schätzung des Sachverständigen A. ein Schaden von 4.739,11 € brutto.
6
Ergänzungsfragen wurden nicht gestellt.
7
Auf entsprechende Anregung des Antragsgegnervertreters setzte das Landgericht mit Beschluss vom 10.04.2024 den Streitwert auf 10.896,69 € fest.
8
Mit Beschwerde vom 10.04.2024 begehrte der Antragsteller die Herabsetzung des Streitwerts auf 7.477,55 €, da (unstreitig) vorgerichtlich bereits eine Teilregulierung des Schadens in Höhe von 3.419,14 € (im Schriftsatz fehlerhaft mit 3.319,14 € benannt) durch die Versicherung der Antragsgegnerin erfolgt war. Diesen Betrag von 3.419,14 € hatte der von der Versicherung der Antragsgegnerin beauftragte Gutachter in seinem Schadensbericht vom 28.09.2022 (Anlage AGG1) unter Zugrundelegung eines Abzugs „neu für alt“ ermittelt.
9
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 02.05.2024 half das Landgericht der Beschwerde des Antragstellers ab, setzte den Streitwert jedoch von Amts wegen auf nur 1.606.46 € fest. Dies begründete es im Wesentlichen damit, dass der Sachverständige Reparaturkosten von 5.719,62 € brutto ermittelt habe. Es sei – abweichend von der Bezifferung des Sachverständigen – jedoch lediglich ein geringerer Abzug „neu für alt“ vorzunehmen, so dass sich als verbleibender Schadensbetrag ein solcher von 4.925,60 € ergebe. Von diesem Betrag sei die außergerichtliche Zahlung von „3.319,14 €“ in Abzug zu bringen. Hieraus ergebe sich ein Streitwert von 1.606,46 €.
10
Gegen diese Streitwertfestsetzung wendet sich der Antragsgegnervertreter mit seiner Beschwerde vom 11.06.2024, mit der er die Festsetzung eines Streitwerts von 10.896,69 €, hilfsweise 5.719,62 €, im Wesentlichen mit folgender Begründung erstrebt:
11
Das Interesse des Antragstellers im Zeitpunkt der Antragstellung belaufe sich auf 10.896,69 €. Der Antragsteller habe die Beweissicherung dazu begehrt, dass für die zur Schadensbeseitigung erforderlichen Instandsetzungsmaßnahmen dieser Betrag erforderlich und angemessen sei. Das Landgericht verkenne, dass es anders als in sonstigen selbständigen Beweisverfahrens nicht um die Feststellung des Vorhandenseins von Mängel gegangen sei. Streitig seien nur die für die Schadensbeseitigung erforderlichen Maßnahmen und deren Kosten gewesen. Das Interesse des Antragstellers habe deshalb darin gelegen, feststellen zu lassen, dass die im von ihm vorgelegten Angebot enthaltenen Instandsetzungsmaßnahmen und die hierfür anfallenden Kosten erforderlich seien. In dieser Höhe sei deshalb auch der Streitwert festzusetzen, ohne dass es eines Rückgriffs auf die Feststellungen des Sachverständigen bedürfe. Jedenfalls seien aber streitwertmindernde Abzüge nicht vorzunehmen. Die vorgerichtliche Zahlung habe der Antragsteller im verfahrenseinleitenden Schriftsatz nicht eindeutig zu erkennen gegeben. Eine Streitwertminderung durch einen Abzug „neu für alt“ komme schon deshalb nicht in Betracht, weil der Antragsteller durch seine zweite Beweisfrage einen solchen Abzug gerade ausgeschlossen wissen wollte.
12
Das Landgericht hat der Beschwerde durch Beschluss vom 13.06.2024 nicht abgeholfen, sondern dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
13
Auf die gemäß § 32 Abs. 2 RVG zulässigerweise im eigenen Namen – dies ergibt zumindest eine vorzunehmende Auslegung (Rech, in:
14
Ahlmann/Kapischke/Pankatz/Rech/Schneider/Schütz, RVG (2024), § 32 Rn. 123) – form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragsgegnervertreters gemäß § 68 Abs. 1 GKG gegen den Abhilfebeschluss vom 02.05.2024, der erstmals eine Beschwer für den Antragsgegnervertreter begründete und deshalb ein zulässiger Beschwerdegegenstand ist (OLG Karlsruhe BeckRS 2011, 06250), war der angefochtene Beschluss des Landgerichts abzuändern und der Streitwert auf 7.477,55 € € festzusetzen.
15
a) Nicht zu beanstanden ist zwar die Auffassung des Landgerichts, dass Ausgangspunkt für die Streitwertfestsetzung der vom Sachverständigen geschätzte Mangelbeseitigungskostenaufwand ist.
16
Für den Streitwert des selbständigen Beweisverfahrens ist nämlich grundsätzlich der Wert der gedachten Hauptsache maßgebend. Dieser kann jedoch weder aus den Wertangaben des Antragstellers (§ 61 GKG) noch aus einer Schlüssigkeits- oder Erheblichkeitsprüfung gewonnen werden. Erstere binden das Gericht nicht, letztere erfolgt nicht. Maßgeblich ist deshalb in der Regel der Wert, der sich nach der Beweiserhebung als „richtiger“ Hauptsachewert ergibt. Dies ist in der Regel der für die Mängelbeseitigung erforderliche Aufwand, der auf der Grundlage der Sachdarstellung des Antragstellers und dem Ergebnis der Beweisaufnahme nach objektiven Gesichtspunkten zu ermitteln ist (BGH NJW 2004, 3488 (3489 f.); OLG Hamburg NJW-RR 2000, 827 f.; OLG Düsseldorf BauR 1996, 758; OLG Frankfurt BauR 1997, 518). Werden nicht sämtliche Behauptungen des Antragstellers durch die Beweiserhebung bestätigt, führt dies nicht dazu, dass diese Behauptungen bei der Wertfestsetzung nicht mehr in Ansatz zu bringen wären. Vielmehr ist auch für die nicht erwiesenen Behauptungen der Mehrwert zu schätzen, der ihnen im Falle ihrer Erweislichkeit zugekommen wäre (BGH NJW 2004, 3488 (3490) und NJW-RR 2005, 45 OLG Stuttgart NZBau 2009, 39; OLG Koblenz JurBüro 2005, 312; OLG Jena OLGR 2001, 132; Schindler, in: BeckOK-KostR (Stand: 01.01.2024), § 40 GKG Rn. 21).
17
Allerdings ist dem Antragsgegnervertreter beizupflichten, dass sich das vorliegende selbständige Beweisverfahren von einem üblichen Beweisverfahren, das der Beweissicherung hinsichtlich vorliegender Mängel und deren Beseitigungskosten dient, dahingehend unterscheidet, dass die Beschädigung – also untechnisch gesprochen: der Mangel – unstreitig war und das Beweisverfahren damit allein die vorzunehmenden Reparaturmaßnahmen und deren Kosten (nach dem vom Antragsteller vorgelegten Angebot der X.) betraf, und zwar nach einer Teilregulierung des Schadens, bei der die Haftpflichtversicherung der Beklagten u. a. die Auffassung vertreten hat, es seien keine Pflasterarbeiten erforderlich.
18
Der Antragsteller hat damit bei Verfahrenseinleitung – anders als in den zitierten Entscheidungen des BGH (NJW 2004, 3488 und NJW-RR 2005, 1011) – nicht lediglich eine subjektive Schätzung des Reparaturaufwands vorgenommen, die regelmäßig kein bestimmtes Anspruchsziel darstellt und deshalb auch das Interesse des Antragstellers nicht bestimmen kann; vielmehr wollte der Antragsteller auf der Grundlage des von ihm sogar in den Beweisantrag einkopierten Angebots die Erforderlichkeit der in diesem Angebot genannten Schadensbeseitigungsmaßnahmen und der dafür angegebenen Kosten konkret festgestellt haben. Bei einem solchen Antrag geht das Interesse des Antragstellers nicht dahin, die Kosten der Schadensbehebung erst ermitteln zu lassen. Vielmehr will er die von ihm auf der Grundlage des eingeholten Angebotes angenommenen Kosten für einen etwaigen Hauptsacheprozess verbindlich feststellen lassen (ebenso OLG Frankfurt NJW 2010, 1822; auch OLG Stuttgart NZM 2008, 823 (824); Herget, in: Zöller, ZPO (2024), § 3 Rn. 16.151). Dafür spricht im vorliegenden Fall gerade auch, dass die Haftung der Antragsgegnerin dem Grunde nach unstreitig war und es bereits zu einer vorgerichtlichen Teilregulierung des Schadens gekommen war. Die nur teilweise Regulierung beruhte aber u. a. gerade darauf, dass die eintrittspflichtige Haftpflichtversicherung einige der im vom Kläger beigebrachten Angebot enthaltenen Maßnahmen für die Schadensbehebung als nicht erforderlich ansah. Damit ging es dem Antragsteller bei Einleitung des Verfahrens explizit darum, auch die Erforderlichkeit dieser weiteren im Angebot enthaltenen Maßnahmen und die hieraus folgenden zusätzlichen Kosten feststellen zu lassen. Aus diesem Grund bilden im vorliegenden Fall die im Angebot der X. genannten Schadensbeseitigungskosten von 10.896,69 € brutto den Ausgangspunkt für die Streitwertfestsetzung.
19
Diese Interessenbestimmung widerspricht auch nicht den herrschenden Grundsätzen der Streitwertfestsetzung im selbständigen Beweisverfahren. Da der Antragsteller konkrete Schadensbeseitigungsmaßnahmen und die damit verbundenen Kosten behauptet hat, von denen sich nach der Sachverständigenbegutachtung jedoch nur einzelne als zutreffend erwiesen haben, muss auch für die nicht erforderlichen Schadensbeseitigungsmaßnahmen ein zusätzlicher Wert in Ansatz gebracht werden. Dies kann dadurch geschehen, dass für die wertmäßige Interessenermittlung bei Verfahrenseinleitung der Betrag des vorgelegten Angebots heranzuziehen ist.
20
b) Von diesen Kosten ist allerdings ein Abzug für die unstreitig erfolgte vorgerichtliche Zahlung von 3.419,14 € vorzunehmen.
21
Soweit der Antragsgegner darauf abstellt, dass diese Interessenbeschränkung mangels Nennung der vorgerichtlichen Zahlung im Antragsschriftsatz nicht zum Ausdruck gekommen war, übersieht er, dass der Antragsteller seine Streitwertangabe im verfahrenseinleitenden Schriftsatz bereits um diesen Betrag reduziert hatte. „Richtiger“ Hauptsachewert – bezogen auf den Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung und das Interesse des Antragstellers – war deshalb hinreichend erkennbar der um die vorgerichtliche Zahlung reduzierte Wert von 7.477,55 €. Dies musste auch der Antragsgegnerin klar sein, die ihrerseits im Antragserwiderungsschriftsatz die sachverständige Stellungnahme vom 28.09.2022 (Anlage AGG1) vorgelegt hat, aus der sich genau der vorgerichtliche Zahlungsbetrag ergab. Hätte das Landgericht die Unklarheit zwischen Streitwertangabe und Angebotsbetrag bereits bei Verfahrenseinleitung klären wollen, hätte – wovon der Senat überzeugt ist – eine Nachfrage des Landgerichts beim Antragstellervertreter keinen höheren anderen Wert ergeben, sondern die vorgerichtliche Zahlung zutage gefördert.
22
c) Eine weitere Verringerung des Streitwertes um einen Abzug „neu für alt“ war nicht vorzunehmen.
23
Insofern weist die Antragsgegnerin zu Recht darauf hin, dass das Interesse des Antragstellers bei Einleitung des Beweisverfahrens auf ein Unterbleiben dieses Abzuges gerichtet war. Ein Abzug „neu für alt“ kann aber nur dann das Interesse des Antragstellers wertmäßig verringern, wenn er bei Verfahrenseinleitung zum Ausdruck bringt, er werde diesen Abzugsposten auch in einem späteren Hauptsacheverfahren bei der Berechnung seiner Schadensersatzansprüche berücksichtigen (OLG Nürnberg BeckRS 2002, 30276173; OLG Köln BeckRS 2006, 4115; OLG Rostock BeckRS 2008, 10266; OLG Karlsruhe IBRRS 2015, 0105). Genau das Gegenteil hat der Antragsteller bei Verfahrenseinleitung getan.
24
Eines Kostenausspruchs bedurfte es wegen § 68 Abs. 3 GKG nicht.
25
Eine Entscheidung über die Zulassung der weiteren Beschwerde war ebenfalls nicht veranlasst, §§ 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 4 GKG. Eine weitere Beschwerde gegen Entscheidungen des Oberlandesgerichts ist nicht statthaft.