Titel:
Positive Fortführungsprognose, Fortbestehensprognose, Überschuldungsprüfung, Gesellschafterdarlehen, Insolvenzschuldner, Rechtshängigkeit, Faktischer Geschäftsführer, Darlegungs- und Beweislast, Vermögen des Schuldners, Jahresabschluß, Unternehmensregister, Fehlendes Verschulden, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Basiszinssatz, Fortführung des Unternehmens, Steuerberatungsgesellschaft, Steuerberater, Prognosezeitraum, Rangrücktrittsvereinbarung, Darlehensrückzahlung
Schlagworte:
Insolvenzverwalter, Geschäftsführerhaftung, Überschuldung, Fortführungsprognose, Darlehensrückzahlung, Beweislast, Sanierungskonzept
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 19.08.2022 – 6 O 17695/20
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Berichtigungsbeschluss vom 13.02.2024 – 5 U 5810/22
BGH Karlsruhe vom -- – II ZR 15/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 42613
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 19.08.2022, Az. 6 O 17695/20, wird zurückgewiesen.
2. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten als Gesamtschuldner 23%, die Beklagte zu 1) weitere 64% und der Beklagte zu 2) weitere 13%.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des insgesamt vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 126.154,32 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Der Kläger macht in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter über das Vermögen … (nachfolgend: „Schuldnerin“ oder „Insolvenzschuldnerin“) Ansprüche gegen die Beklagten als ehemalige Geschäftsführer bzw. Gesellschafter der Schuldnerin geltend.
2
Mit Beschluss des Amtsgerichts München – Insolvenzgericht – vom 13.04.2018 wurde aufgrund Eigenantrags der Schuldnerin vom 21.11.2017 über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.
3
Die Beklagte zu 1) war im Zeitraum 26.01.2012 bis 12.02.2019 als Geschäftsführerin der Insolvenzschuldnerin bestellt. Der Beklagte zu 2) war im Zeitraum 19.10.2012 bis 08.06.2016 als Geschäftsführer der Schuldnerin bestellt. Beide Beklagte sind Gesellschafter der Insolvenzschuldnerin. Auf dem Konto der Insolvenzschuldnerin bei der HypoVereinsbank, Kontonummer …, fanden im Zeitraum 01.01.2016 bis zur Stellung des Insolvenzantrags am 21.11.2017 Aus – und Einzahlungen in einer Gesamthöhe von 126.154,32 € statt, hiervon entfielen Aus – und Einzahlungen von 33.502,46 € auf den Zeitraum 01.01.2016 bis 08.06.2016.
4
In den genannten Beträgen sind Zahlungen der Schuldnerin im Zeitraum 22.11.2016 bis 21.11.2017 an den Beklagten zu 2) in einer Gesamthöhe von 20.114,12 € enthalten.
5
Der letzte vollständige Jahresabschluss der Insolvenzschuldnerin wurde von … Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Steuerberatungsgesellschaft (nachfolgend …) am 15.12.2016 über das Geschäftsjahr 2014 erstellt (Anlage K8). Ausweislich des Jahresabschlusses wies die Bilanz der Schuldnerin eine bilanzielle Überschuldung von 85.595,46 € aus, wobei sich die Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern auf 46.890,83 € beliefen. Zum 31.12.2015 wies die im Unternehmensregister veröffentlichte Bilanz der Schuldnerin eine bilanzielle Überschuldung in Höhe von 117.959,50 € aus, wobei sich die Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern auf 36.580,62 € beliefen (Anlage K9). Zum 31.12.2016 wies die im Unternehmensregister veröffentlichte Bilanz eine bilanzielle Überschuldung von 112.534,67 € aus, wobei sich die Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern auf 35.577,49 € beliefen (Anlage K10).
6
Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, dass der Beklagte zu 2) nach seinem formalen Ausscheiden als Organ der Insolvenzschuldnerin weiterhin als faktischer Geschäftsführer tätig gewesen sei.
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Die Insolvenzschuldnerin sei spätestens ab dem 01.01.2015 insolvenzrechtlich überschuldet gern. § 19 Abs. 1 InsO gewesen. Die bilanzielle Überschuldung ergebe sich aus den vorgelegten Jahresabschlüssen bzw. Handelsbilanzen und stelle ein Indiz für die insolvenzrechtliche Überschuldung dar, das von den Beklagten vorliegend nicht widerlegt worden sei. Die Überschuldung habe jeweils zum 31.12.2014, 31.12.2015 und 31.12.2016 vorgelegen, dies auch dann, wenn man eine rechtswirksame Rangrücktrittsvereinbarung sämtlicher zum jeweiligen Jahresende gegenüber den Gesellschaftern bestehender Verbindlichkeiten unterstellen würde. Zudem wirke die im Jahresabschluss 2014 festgestellte rechnerische Überschuldung zum 31.12.2014 auch ab dem 01.01.2016 fort, da die Beklagten nicht dargelegt und bewiesen hätten, dass die Überschuldung nachhaltig beseitigt wurde. Stille Reserven seien nicht bekannt.
8
Eine positive Fortführungsprognose habe jedenfalls ab dem 01.01.2015 nicht mehr vorgelegen. Der Geschäftsbetrieb sei Mitte 2015 eingestellt worden. Die Ausführungen der Beklagtenseite zum Vorliegen einer positiven Fortführungsprognose seien unzureichend und die mit Schriftsatz vom 07.06.2022 vorgelegten weiteren Unterlagen verspätet, jedenfalls aber ungeeignet, um eine positive Fortführungsprognose zu belegen.
9
Die Beklagten hätten hinsichtlich der streitgegenständlichen Zahlungen auch schuldhaft gehandelt. Insbesondere sei die … von den Beklagten weder ausdrücklich noch konkludent mit der Prüfung der Insolvenzreife beauftragt worden.
10
Bei den zwischen dem 22.11.2016 und 21.11.2017 erfolgten Zahlungen an den Beklagten zu 2) habe es sich sämtlich um Zahlungen zur Rückführung von Darlehen gehandelt, die der Beklagte zu 2) zuvor der Insolvenzschuldnerin gewährt habe. Die Zahlungen würden der insolvenzrechtlichen Anfechtung gern. § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO unterliegen. Dies sei auch dann der Fall, wenn es sich nicht um Darlehensrückzahlungen handele, da die Zahlungen jedenfalls einem Darlehen gleichzustellen seien.
11
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger 126.154,32 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Hilfsweise für den Fall, dass das Gericht zu dem Ergebnis gelangen sollte, dass der Beklagte zu 2) kein faktischer Geschäftsführer ab dem 08.06.2016 war, die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an den Kläger 33.502,46 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, die Beklagte zu 1) zu weiteren 92.651,86 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit und den Beklagten zu 2) zu weiteren 20.114,12 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
12
Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt.
13
Sie haben vorgetragen, der Beklagte zu 2) sei nach dem 08.06.2016 kein faktischer Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin gewesen.
14
Die im Unternehmensregister veröffentlichten Bilanzen für die Jahre 2015 und 2016 seien nicht von der Beklagten zu 1) gezeichnet worden. Es werde mit Nichtwissen bestritten, dass die vom Kläger vorgelegten Zahlen den wirklichen Jahresabschlüssen und Ergebnissen entsprächen. Für den streitgegenständlichen Zeitraum habe für die Insolvenzschuldnerin eine positive Fortführungsprognose bestanden. Der Geschäftsbetrieb sei bis zur Antragstellung auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortgeführt worden, schon dies spreche für eine positive Fortführungsprognose. Obwohl die Schuldnerin bereits in den Jahren 2011, 2012, 2013 und 2014 rechnerisch über-schuldet gewesen sei, sei ihr von der … stets eine positive Fortführungsprognose attestiert worden. Demnach hätten die Beklagten auch für die Folgejahre von einer solchen ausgehen dürfen. Die Steuerberaterin … habe dem Beklagten zu 2) bei einem Telefonat am 19.04.2017 eine positive Fortführungsprognose aufgrund des fortgesetzten Geschäftsbetriebs auch für die Jahre 2014 ff. bestätigt. Der Dipl.-Kfm. Steuerberater … sei ausweislich seiner Stellungnahme vom 24.01.2022 (Anlage B7) der Auffassung, dass zum jeweiligen Jahresende 2015, 2016 und 2017 eine positive Fortführungsprognose habe angenommen werden dürfen, da die Planungen für das operative Geschäft positive Ergebnisse ausgewiesen hätten und bei entsprechenden Kostenoptimierungen auch noch hätten verbessert werden können. Es werde verwiesen auf die als Anlagen B11 und B14 vorgelegten Planungsunterlagen für die Jahre 2015 bis 2017.
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Jegliches Verschulden der Beklagten werde mit Nachdruck bestritten. Die getätigten Ausgaben seien alle mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns erfolgt.
16
Hinsichtlich der streitgegenständlichen Zahlungen an den Beklagten zu 2) werde bestritten, dass es sich bei diesen vollständig um die Rückführung von Darlehen gehandelt habe. Die Buchungen seien von den Beklagten einfachheitshalber aber fehlerhaft unter der Rubrik Rückzahlung/ Rückzahlung Darlehen verbucht worden, hätten aber in Wahrheit anderen Verwendungszwecken wie Auslagenerstattungen und Gehaltsüberweisungen gedient.
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Das Landgericht hat der Klage gegen die Beklagte zu 1) vollumfänglich und der Klage gegen den Beklagten zu 2) überwiegend stattgegeben; abgewiesen wurden lediglich die Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten zu 2), die auf den Zeitraum nach seiner Geschäftsführerstellung unter dem Gesichtspunkt einer faktischen Geschäftsführerstellung auf § 64 GmbHG a.F. gestützt wurden.
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Die Schuldnerin sei jedenfalls ab dem 01.01.2016 überschuldet im Sinne des § 64 S. 1 GmbHG a.F. gewesen, da das Vermögen der Schuldnerin die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr gedeckt habe und die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten nach den Umständen nicht überwiegend wahrscheinlich gewesen sei, § 19 Abs. 2 S. 1 InsO.
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Die Überschuldung ergebe sich aus den als Anlagen K9 und K10 vorgelegten, im Unternehmensregister veröffentlichten Handelsbilanzen und auch aus den Feststellungen des Steuerberaters … (Anlage B 7). Die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten sei nach den Umständen nicht hinreichend wahrscheinlich gewesen, von einer positiven Fortführungsprognose sei nicht auszugehen.
20
Eine Fortbestehensprognose müsse nach sachgerechten Kriterien für sachverständige Dritte nachvollziehbar erstellt werden und sei in drei Stufen aufzustellen. Zunächst müsse ein aussagekräftiges und plausibles Unternehmenskonzept erstellt werden, sodann sei in einem zweiten Schritt auf der Grundlage des Unternehmenskonzepts ein Finanzplan aufzustellen, in dem die liquiden Mittel den fälligen Verbindlichkeiten gegenübergestellt würden und die finanzielle Entwicklung des Unternehmens für den Prognosezeitraum dargestellt werde. Auf einer dritten Stufe sei schließlich die Fortbestehensprognose aus dem Ergebnis des Finanzplans abzuleiten (Uhlenbruck/Mock, 15. Aufl. 2019, Ins0 § 19 Rn. 218 ff. m.w.N.).
21
Der Vortrag der Beklagten genüge den angeführten Anforderungen an die Darlegung einer positiven Fortführungsprognose nicht. Die bloße Tatsache, dass der Geschäftsbetrieb der Schuldnerin bis zur Insolvenzantragstellung fortgeführt wurde, habe keinerlei Indizwirkung für das Vorliegen einer positiven Fortführungsprognose, da sie keinen Schluss auf die zukünftige Fortführung des Unternehmens zulasse. Die in früheren Jahren attestierte positive Fortführungsprognose von der … habe keinerlei Aussagegehalt für den hier streitgegenständlichen Zeitraum. So wirke eine einmal festgestellte positive Prognose nicht etwa zeitlich unbegrenzt fort, sondern unterliege einer regelmäßigen Neubewertung.
22
Auch die Ausführungen des Steuerberaters … in seinen Stellungnahmen vom 24.01.2022 (Anlage B7) und vom 14.04.2022 (Anlage B12) seien für sich genommen nicht geeignet, die Behauptung einer positiven Fortführungsprognose zu substantiieren. Diese enthielten lediglich die Einschätzung des Unterzeichners, dass aufgrund ihm vorliegender „Planungen in Form einer zukünftigen Gewinn- und Verlustrechnung“ eine positive Fortführungsprognose habe angenommen werden dürfen. Sollte es sich hierbei um die als Anlagen B11 und B14 vorgelegten Unterlagen handeln, erfüllten auch diese ersichtlich nicht die Anforderungen an ein aussagekräftiges und plausibles Unternehmenskonzept. Fest stehe, dass die Schuldnerin spätestens seit dem Jahr 2011 durchgehend einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag aufgewiesen habe. Ausweislich der Ausführungen in den Unterlagen der Anlage B14 hätten durch die Eröffnung zweier neuer Betriebsstätten Synergieeffekte erzielt werden sollen, so dass sich die Aufwandsseite unterproportional entwickeln und dadurch in der Zukunft höhere Erträge erzielt werden sollten. Obwohl ein Betriebsstart 2016 oder 2017 beabsichtigt gewesen sei, sei für die Jahre 2016 und 2017 kein erhöhter Personalaufwand, keine erhöhten Raumkosten und nur ein geringfügig erhöhter Wareneinsatz einkalkuliert worden. Damit seien die vorgelegten Planungsunterlagen ersichtlich unplausibel. Abgesehen von der Expansionsstrategie sei nicht ersichtlich, auf welcher Grundlage für die jeweils vorbestehenden 12 Monate eine Verbesserung der Liquiditätslage und eine Sicherung der Finanzierung hätte erreicht werden sollen. So sei etwa eine Umsatzsteigerung auf 156.000,00 € im Januar 2016 nicht absehbar gewesen, da bereits der für 2015 geplante Umsatz in Höhe von 144.000,00 € nicht erreicht worden wäre.
23
Im Zeitraum 01.01.2016 (Eintritt Insolvenzreife) bis 08.06.2016 (Ausscheiden des Beklagten zu 2) als Geschäftsführer) seien Zahlungen im Sinne des § 64 S. 1 GmbHG a.F. in Höhe von 33.502,46 € und im Zeitraum 09.06.2016 bis 21.11.2017 (Stellung des Insolvenzantrags) weitere Zahlungen in Höhe von 92.651,86 € erfolgt, wobei vom Haftungsanspruch sämtliche Auszahlungen vom Konto der Insolvenzschuldnerin, soweit es kreditorisch geführt wurde, und Einzahlungen auf das Konto, soweit es debitorisch geführt wurde, erfasst seien.
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Schließlich liege auch ein Verschulden der Beklagten im Sinne des § 64 S. 2 GmbHG a.F. vor. Zu Lasten eines Geschäftsführers werde gem. S. 2 vermutet, dass er nicht mit der von einem Geschäftsführer zu fordernden Sorgfalt gehandelt habe, wenn er nach Eintritt der Insolvenzreife Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen leiste. Auch für sein fehlendes Verschulden trage der Geschäftsführer daher die Beweislast (BGH, Urteil vom 06.06.1994 – II ZR 292/91; BeckOK GmbHG/Mätzig, § 64, Rn. 64).
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Hinreichende Anhaltspunkte für ein fehlendes Verschulden gebe es vorliegend nicht. Soweit die Beklagte zu 1) behaupte, die im Unternehmensregister eingestellten Handelsbilanzen der Jahre 2015 und 2016 nicht unterzeichnet und nicht gekannt zu haben, sei dies unerheblich. Der Beklagten zu 1) müssten aufgrund ihrer Stellung als Geschäftsführerin jedenfalls die den Bilanzen zugrunde liegenden Zahlen bekannt sein.
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Aus dem Vortrag der Beklagten ergebe sich auch nicht, dass die streitgegenständlichen Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar gewesen seien. Hierfür genüge nicht die Behauptung, dass einige der Zahlungen dem operativen Geschäftsbetrieb der Schuldnerin zuzuordnen seien. Es sei nicht ersichtlich, dass die Zahlungen zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs erforderlich waren (BGH, Beschluss vom 05.11.2007 – II ZR 262/06).
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Die Beklagten könnten sich auch nicht damit exkulpieren, dass die Schuldnerin nach eigenem Vortrag regelmäßig die Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft beauftragt hatte, die üblichen Dokumente (Jahresabschluss, Bilanz etc.) zu erstellen. Grundsätzlich könne der Geschäftsführer sich dadurch entlasten, dass er sich unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen von einem unabhängigen, für die zu klärenden Fragestellungen fachlich qualifizierten Berufsträger zum Bestehen einer positiven Fortführungsprognose habe beraten lassen und die Auskunft einer sorgfältigen Plausibilitätsprüfung unterzogen habe.
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Vorliegend werde von Beklagtenseite bereits nicht substantiiert vorgetragen, dass die … rechtzeitig für die Jahre 2016 und 2017 mit der Prüfung der Insolvenzreife beauftragt worden sei. Ein allgemeiner Auftrag mit der Erstellung von Buchhaltungsunterlagen reiche in diesem Zusammenhang nicht aus. Ebenfalls nicht vorgetragen sei, dass die … eine Einschätzung zur positiven Fortführungsprognose für die Jahre 2016 und 2017 abgegeben habe und diese von den Beklagten einer Plausibilitätsprüfung unterzogen worden sei. Soweit die Beklagten behaupteten, im April 2017 habe ein Telefonat mit einer Mitarbeiterin der … stattgefunden, in dem diese eine positive Fortführungsprognose bestätigt worden sei, sei bereits nicht ersichtlich, welcher Prüfungsauftrag und welche Unterlagen dieser Aussage zugrunde gelegen haben sollen.
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Die Beklagte zu 1) hafte somit für sämtliche Zahlungsvorgänge im Zeitraum 01.01.2016 bis 21.11.2017 in einer Gesamthöhe von 126.154,32 € gem. § 64 GmbHG a.F., der Beklagte zu 2) hafte auf dieser Grundlage lediglich für die Zahlungsvorgänge im Zeitraum 01.01.2016 bis 08.06.2016 in einer Gesamthöhe von 33.502,46 €.
30
Zudem schulde der Beklagte zu 2) gern. § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO die Rückzahlung der an ihn erfolgten Zahlungen von Gesellschafterdarlehen bzw. darlehensgleichen Finanzierungsleistungen im Zeitraum 19.01.2017 bis 06.11.2017 in einer Gesamthöhe von 20.114,12 €, da er Gesellschafter der Schuldnerin gewesen und im letzten Jahr vor dem Eröffnungsantrag Zahlungen in dieser Höhe von der Schuldnerin erhalten habe. Die Behauptung, dass es sich hierbei entgegen der Angaben im Verwendungszweck um ausstehende Lohnzahlungen an den Beklagten zu 2) gehandelt habe, erscheine wenig plausibel. Soweit den Zahlungen Auslagen des Beklagten zu 2) zugrunde lägen, handele es sich jedenfalls um darlehensgleiche Finanzierungsleistungen, die ebenfalls der Anfechtung gem. § 135 InsO unterlägen.
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Der Kläger habe auch einen Anspruch auf Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gern. §§ 288 Abs. 1, 291 ZPO ab Rechtshängigkeit.
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Gegen das ihnen am 08.09.2022 zugestellte Ersturteil wenden sich die Beklagten mit ihrer am 29.09.2022 eingegangenen Berufung. Sie wiederholen und vertiefen ihren Sachvortrag dahingehend, dass eine positive Fortführungsprognose sowohl zum 31.12.2015 als auch zum 31.12.2016 vorgelegen habe und von … bestätigt worden sei. Die Planungen erfüllten die Anforderungen an einen dreistufigen Prozess in Bezug auf Fortbestehensprognosen. Die Beklagten hätten die Planungsunterlagen für 2015 bis 2017 (Anlage B14) vorgelegt und den Zeugen … dafür benannt, dass eine positive Fortführungsprognose vorgelegen habe. Die Eröffnung neuer Betriebsstätten sei lediglich ein potentielles Zusatzprojekt gewesen und habe nicht als Teilplanung zur vorgelegten Geschäftsplanung gehört. Jedenfalls träfe die Beklagten kein Verschulden angesichts der von … und auch des Steuerberaters … attestierten positiven Fortführungsprognose. Hinsichtlich des Rückzahlungsanspruches gem. § 135 InsO werde daran festgehalten, dass es sich um nicht zurück zu gewährende Gehaltszahlungen und Auslagenerstattungen handele.
33
Die Beklagten beantragen:
Das Urteil des Landgerichts München I, Aktenzeichen 6O 1796/20 vom 09.05.2022 wird aufgehoben, soweit
- gemäß Ziffer 1 des angegriffenen Endurteils die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt wurden, an den Kläger 33.502,46 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 27.02.2021 zu zahlen;
- gemäß Ziffer 2 des angegriffenen Endurteils die Beklagte zu 1) über den in Ziffer 1 genannten Betrag in Höhe von 33.502,46 € hinaus verurteilt wurde, an den Kläger einen weiteren Betrag in Höhe von 92.651,86 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 27.02.2021 zu zahlen und
- gemäß Ziffer 3 des angegriffenen Endurteils der Beklagte zu 2) über den in Ziffer 1 genannten Betrag in Höhe von 33.502,46 € hinaus verurteilt wurde, an den Kläger einen weiteren Betrag in Höhe von 20.114,12 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 27.02.2021 zu bezahlen.
Die inhaltlich gleichlautenden Klageanträge werden abgewiesen.
die Berufung zurückzuweisen.
35
Mit Beschluss vom 24.01.2023 (Bl. 235/241 d.A.) hat der Senat darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Dem sind die Beklagten entgegengetreten und haben erneut die Einvernahme der von ihnen benannten Zeugen … und Wergin zum Bestehen einer positiven Fortführungsprognose beantragt.
36
Der Senat hat mit Ladungsverfügung vom 24.05.2023 weitere rechtliche Hinweise erteilt und im Termin vom 22.11.2023 Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugen … und … Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift (Bl. 335/341 d.A.) die erteilten Hinweise, das Ersturteil und die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
37
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
38
Die Voraussetzungen für eine Haftung gem. § 64 Satz1 GmbHG aF liegen vor. Beide Beklagten sind der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft bzw. nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet wurden, wobei es sich bei der Beklagten zu 1) um Zahlungsvorgänge im Zeitraum 01.01.2016 bis 21.11.2017 in Höhe von 126.154,32 € und bei dem Beklagten zu 2) um Zahlungsvorgänge von 33.502,46 € vom 01.01.2016 bis 08.06.2016 handelt. Des Weiteren besteht gegen den Beklagten zu 2) ein anfechtungsrechtlicher Rückgewähranspruch gem. § 135 Abs. 1 Nr.2 InsO wegen darlehensgleicher Finanzierungsleistungen, die der Beklagte zu 2) von der Schuldnerin im Zeitraum 19.01.2017 bis 06.11.2017 in Höhe von 20.114,12 € erhalten hat.
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Das Erstgericht geht aufgrund der im Unternehmensregister veröffentlichen Handelsbilanzen zum 31.12.2015 und zum 31.12.2016 zutreffend davon aus, dass die Schuldnerin zum 31.12.2015 und 31.12.2016 jeweils rechnerisch überschuldet war. Die Beklagten räumen die rechnerische Überschuldung ein (Berufungsbegründung S. 6), sind aber der Auffassung, nicht gem. § 64 GmbHG a.F., § 19 InsO zu haften, weil ausweislich der Bescheinigung der Wirtschaftsprüfer … eine positive Fortführungsprognose vorgelegen habe; jedenfalls aber könne den Beklagten kein Verschulden vorgeworfen werden, da sie guten Gewissens darauf hätten vertrauen dürfen, dass eine positive Fortführungsprognose vorliege. Dem kann nicht gefolgt werden, da die Beklagten hinsichtlich des behaupteten fehlenden Verschuldens ihrer Darlegungs- und Beweislast nicht nachgekommen sind. Die mündliche Verhandlung und die Beweisaufnahme geben keinen Anlass, von der im Hinweisbeschluss vom 24.10.2023 (Bl. 235 d.A.) enthaltenen rechtlichen Beurteilung des Sachverhalts abzurücken; auf die Gründe des Hinweisbeschlusses wird Bezug genommen.
40
Ergänzend dazu ist auszuführen:
41
Macht der Insolvenzverwalter gegen den Geschäftsführer einer GmbH einen Ersatzanspruch nach § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. geltend und beruft er sich dabei auf eine Überschuldung der Gesellschaft i.S. des § 19 InsO, hat er lediglich die rechnerische Überschuldung anhand von Liquidationswerten darzulegen. Gemäß § 19 Abs. 2 InsO liegt eine Überschuldung vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Bei der Bewertung des Vermögens des Schuldners ist jedoch die Fortführung des Unternehmens zugrunde zu legen, wenn diese nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist.
42
Hinsichtlich § 19 Abs. 1 InsO in der bis zum 17.10.2008 geltenden Fassung hat der BGH entschieden, dass aus dem Aufbau des § 19 Abs. 2 InsO a.F. zu entnehmen sei, dass die Überschuldungsprüfung nach Liquidationswerten in Satz 1 den Regelfall und die Überschuldungsprüfung nach Fortführungswerten in Satz 2, der eine positive Fortführungsprognose voraussetze, den Ausnahmefall darstelle. Im Haftungsprozess wegen verbotener Zahlungen nach § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. habe die Geschäftsleitung daher die Umstände darzulegen und notfalls zu beweisen, aus denen sich eine günstige Prognose für den fraglichen Zeitraum ergebe (BGH, Urteil vom 18.10.2010 – II ZR 151/09, Rn. 11 juris). Diese Rechtsprechung ist auf die hier anzuwendende Fassung des § 19 InsO (Zeitraum 1.11.2008 – 31.12.2020) weiterhin anzuwenden, da durch die Formulierung in Abs. 2 Satz 1 Hs 2 („es sei denn“) eine Beweislastumkehr angeordnet wird (Uhlenbruck/Mock InsO § 19 Rn. 54 m.w.N.). Die Beklagten haben keine tatsächlichen Umstände vorgetragen oder nachgewiesen, die auf eine positive Fortführungsprognose schließen ließen:
43
Grundsätzlich muss eine positive Fortführungsprognose auf einem Ertrags- und Finanzierungsplan mit einem schlüssigen und umsetzbaren Unternehmenskonzept beruhen, der sich auf einen angemessenen Prognosezeitraum bezieht (BGH, Urteil vom 18. Oktober 2010 – II ZR 151/09, NZG 2010, S. 1393, 1394 Rn. 13; Beschluss vom 9. Oktober 2006 – II ZR 303/05, NZI 2007, S. 44 Rn. 3). Notwendig ist damit eine Prognoserechnung, aus der sich ergibt, dass das Unternehmen mittelfristig mit überwiegender Wahrscheinlichkeit über ausreichende Liquidität verfügen wird, um seine im jeweiligen Zeitabschnitt fälligen Verbindlichkeiten zu erfüllen (OLG Koblenz, Urteil vom 17. Juli 2014 – 6 U 1344/13, BeckRS 2015, 11560; OLG Schleswig, Urteil vom 11. Februar 2010 – 5 U 60/09, NZI 2010, S. 492, 493; Arnold, in: Henssler/Strohn, GesR 5. Aufl., § 19 InsO Rn. 6). Der Prognosezeitraum soll grundsätzlich das laufende und das folgende Geschäftsjahr des Unternehmens umfassen (Arnold, in: Henssler/Strohn, a.a.O.).
44
Das Unternehmenskonzept und die sie tragenden Sachverhaltsumstände sind im Sinne einer Transparenz und Selbstkontrolle dringend ausführlich schriftlich zu dokumentieren; für den Geschäftsführer folgt die Notwendigkeit hierzu aus der in § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO angeordneten Umkehr der Beweislast im Hinblick auf die positive Fortführungsprognose (BeckOK GmbHG/Mätzig GmbHG § 64 Rn. 36). Vorliegend gab es keine schriftlich fixierten konkreten Sanierungsbemühungen oder Sanierungsaussichten und erst recht kein Sanierungskonzept. Die gleichlautenden Bescheinigungen des Wirtschaftsprüfers zur positiven Fortführungsprognose vom 22.05.2013 (Anlage B 4), vom 03.06.2014 (Anlage B 3) und vom 29.01.2016 (Anlage B 2) betreffen die Jahre 2011 bis 2013. Die tatsächlichen Grundlagen für die Annahme der positiven Prognose werden dort nicht näher erläutert. Es ist nicht ersichtlich, dass die „vorgelegte Planung“ an die Geschäftsentwicklung angepasst wurde; der Zeitraum der Bilanzaufstellungen beläuft sich auf immerhin über 2 ½ Jahre. Die Erläuterung in der Anlage zur Bilanz 2014 vom 15.12.2016 (Anlage B 5; Anlage K 8, dort Anhang Seite 4) teilt – im Wortlaut abweichend von B2 bis B4 – mit, dass die Bilanzierung „unter einer positiven Going Concern Annahme“ vorgenommen worden sei und „Grundlage hierfür die positive Fortführungsprognose der Gesellschaft“ sei. Die Anlage B 14 bezieht sich offenbar auf den Stand Januar 2015 und Januar 2017, eine geschlossene und fortentwickelte Darstellung des Geschäftsmodells und seiner Entwicklung seit 2013 fehlt; das Vorhaben weitere Filialen zu eröffnen, war lediglich „angedacht“.
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Dass es eine den Anforderungen der Rechtsprechung genügende positive Fortbestehensprognose in mündlicher Form gegeben hätte, hat die Einvernahme der Zeugen … und … nicht ergeben, obwohl sich beide Zeugen bemüht haben, sich an die damaligen Vorgänge zurückzuerinnern und die ihnen noch erinnerlichen Umstände dem Senat zu schildern.
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Die Zeugin …, die bei … eine Vielzahl Mandate zu betreuen hatte, konnte sich an die Betreuung der … nur bruchstückhaft erinnern, weshalb sie in weiten Teilen nur angeben konnte, wie die Abläufe im Allgemeinen waren. Ein Team habe bei … die Bilanzen vorbereitet und wenn Fragen zu klären gewesen seien, hätten die Kollegen bei der Mandantschaft nachgefragt. Nach Vorhalt der in den Abschlüssen erwähnten bilanziellen Überschuldung gab sie an, dass sie sich bei der Bilanzerstellung „sicherlich mit Herrn … intensiv auseinandergesetzt habe und sich habe überzeugen lassen“, dass er in der Lage sei, die finanziellen Verbindlichkeiten der Gesellschaft für die nächsten 12 Monate zu begleichen. Es „müsse für die erteilte Bescheinigung Unterlagen gegeben haben“, die Zeugin habe sich an die Arbeitsanweisungen gehalten und im berufsrechtlichen Rahmen bewegt.
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Die Aussage der Zeugin … war von Erinnerungslücken geprägt und blieb vage. Die Erstellung einer Fortbestehensprognose wurde nicht bestätigt. Zwar hat die Zeugin nach ihren Angaben üblicherweise „geschaut, dass ihr keine Fantasiezahlen vorgelegt werden“, das genügt aber nicht für eine fundierte Fortbestehensprognose. Die Zeugin hatte sich nach ihren Angaben auch nur auf die Zahlen fokussiert, konnte sich nach Vorhalt nur dunkel erinnern, dass Geschäftsgegenstand der Schuldnerin damals ein Pizzalieferservice in Augsburg war, hatte sie doch die Schuldnerin als ehemaligen Raucherverein in Erinnerung bzw. erinnerte sich an einen privaten Besuch in einer von der Schuldnerin früher betriebenen Gaststätte in München. Die Zeugin gab weiter an, man sei verpflichtet gewesen, bei bilanzieller Überschuldung die Bescheinigung um einen entsprechenden Passus zu ergänzen, in dem explizit auf die Überschuldung hingewiesen wurde. Andernfalls habe man die Bescheinigung nicht erteilen dürfen, da der Abschluss sonst nicht korrekt gewesen wäre. Auch dies lässt erkennen, dass es sich eher um einen formalen Vorgang gehandelt hat, der keineswegs mit der Erstellung eines Sanierungsplanes o.ä. verbunden war. Es liegt deshalb nicht mehr als eine Fortführungsprognose im Sinne des § 252 Abs. 1 Nr.2 HGB vor.
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Auch der Zeuge … hat eine Fortbestehensprognose nicht abgegeben. Der Zeuge wurde erst im Jahr 2022 im Auftrag der Beklagten zu 1) tätig. Den Jahresabschluss hat er mangels vollständiger Unterlagen teilweise aufgrund von Annahmen erstellt, seine schriftliche Stellungnahme (Anlage B 8) bleibt hinsichtlich etwaiger Kostenoptimierungen vage. Die Angabe des Zeugen, er habe die ihm vom Beklagten zu 2) vorgelegten Zahlen mit diesem besprochen, tragen nicht die Annahme, dass es sich um ein tragfähiges Sanierungskonzept handelte. Ohnehin war zu diesem Zeitpunkt bereits ein Insolvenzverfahren eröffnet, so dass aufgrund des zeitlichen Ablaufs eine Prognose gar nicht mehr möglich war.
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Die Haftung der Beklagten entfällt insbesondere auch nicht wegen fehlenden Verschuldens. Liegt insolvenzrechtliche Überschuldung vor, haftet der deshalb zum Antrag Verpflichtete nur dann nicht, wenn er darlegt und gegebenenfalls beweist, dass ihn an der verspäteten Antragsstellung kein Verschulden trifft, weil er vom Bestehen einer positiven Fortbestehensprognose habe ausgehen dürfen. (vgl. BGH, Urteil vom 13.07.2021 – II ZR 84/20, Rn. 86 m.w.N). Das ist vorliegend nicht der Fall. Umstände, nach denen die Verschuldensvermutung als widerlegt angesehen werden könnte, sind nicht gegeben. Die Beklagten haben nicht für eine ausreichende Beurteilungsgrundlage gesorgt. Es lag kein aussagekräftiger Ertrags – und Finanzplan vor, der für den gesamten Prognosezeitraum die zu erwartenden Zahlungsströme und damit den zukünftigen Liquiditätsbedarf hinreichend abbildete. Die Beklagten können sich insbesondere nicht auf den Bestätigungsvermerk im Jahresabschluss betreffend die Fortführung der Unternehmenstätigkeit nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB als Entschuldigungsgrund berufen. Aus einer positiven Fortführungsprognose im Sinn des § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB lassen sich bereits im Hinblick auf die bilanzrechtliche Fortführungsvermutung und den regelmäßig geringeren Prognosezeitraum keine zwingenden Schlüsse auf eine positive Fortbestehensprognose im Sinn des § 19 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 InsO aF ziehen (vgl. BGH, Urteil vom 13.07.2021 – II ZR 84/20, Rn. 87 m.w.N). Hinzu kommt, dass die Beklagten nur einen Jahresabschluss und kein Sanierungsgutachten beauftragt hatten und die Fortführungsprognose erkennbar (nur) „aufgrund der vorgelegten Planung“ positiv eingestuft wird. Dass es darüber hinaus eine positive Fortbestehensprognose gegeben hat, die noch dazu regelmäßig überwacht worden wäre (vgl. dazu BGH, Urteil vom 13.07.2021 – II ZR 84/20, Rn. 85), hat die Beweisaufnahme nicht ergeben.
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Hinsichtlich der Überweisungen vom 19.01.2017 bis 06.11.2017 in einer Gesamthöhe von 20.114,12 € ist der Senat überzeugt, dass es sich entsprechend den Buchungstexten um Darlehensrückzahlungen bzw. Auslageerstattung handelte, die gem. § 135 InsO als darlehensgleiche Finanzierungsleistungen der Insolvenzanfechtung unterliegen. Auf die zutreffenden Ausführungen im Ersturteil und auf die Ausführungen im Hinweisbeschluss hierzu wird verwiesen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97, 100 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr.10, 711 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen. Der von den Beklagten zitierte Beschluss des OLG Düsseldorf vom 20.07.2021, I-12 W 7/21 (und dessen Urteil vom 16.08.2023 – I-12 U 59/22) betreffen einen anders gelagerten Sachverhalt. Bei der Schuldnerin handelte es sich weder um ein Start up noch geht es um die Auswirkungen einer Patronatserklärung auf die Fortbestehensprognose.
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Der Streitwert folgt aus § 3 ZPO.