Titel:
Recht zum Besitz, Elektronisches Dokument, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Unterlassungsanspruch, Ordnungshaft, Elektronischer Rechtsverkehr, Wohnungsrecht, Familiengerichte, Streitwert, Aufenthaltsrecht, Kostenentscheidung, Klageantrag, Anderweitige Erledigung, Gebrauchsüberlassung, Verlöbnis, Wiederholungsgefahr, Räumungsansprüche, Aufgabe der Mietwohnung, Ordnungsgeld, Sofortige Beschwerde
Schlagworte:
Räumung und Herausgabe, Klagebegründung, Zuständigkeit Landgericht, Besitzrecht, Verlöbnis, Unterlassungsanspruch, Vorläufige Vollstreckbarkeit
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 03.02.2025 – 14 U 4036/24 e
Fundstelle:
BeckRS 2024, 42442
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, die von ihm bewohnten zwei Wohnräume im Kellerbereich (Abgang links) sowie das Gäste-WC (Erdgeschoss) im Haus ... zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.
Der Beklagte hat es bei Meidung eines für den Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, zu unterlassen, das Haus ...
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 15.000,00 € vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 10.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Klägerin macht gegen den Beklagten einen Räumungsanspruch sowie einen Unterlassungsanspruch betreffend ihr Haus ... geltend.
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Die Klägerin (geboren ...) ist Eigentümerin des Hauses ...
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Nach dem Tod ihres Mannes lernte sie spätestens im Jahr 2020 den Beklagten kennen. Beide befanden sich ab dem Jahr 2020 in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Der Beklagte zog Ende des Jahres 2020 mit Einverständnis der Klägerin in deren o.g. Haus ein. Der Beklagte verfügte zu diesem Zeitpunkt noch über eine eigene Mietwohnung in ..., die er nach dem Einzug bei der Klägerin im Juli 2021 endgültig aufgab und den entsprechenden Mietvertrag kündigte.
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Die Parteien sprachen untereinander seit Ende 2020 / Anfang 2021 davon, dass sie verlobt seien und äußerten dies auch gegenüber Dritten. Die Klägerin stellte den Beklagten auch als ihren Verlobten vor.
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Die Klägerin entschloss sich spätestens Ende 2023 zur Trennung. Mit Anwaltsschreiben vom 04.11.2023 (Anlage K 1) wurde der Beklagte aufgefordert, das Haus ... zu räumen und spätestens bis zum 31.01.2024 herauszugeben. Dem Beklagten wurde zudem ab dem 01.02.2024 ein Hausverbot erteilt.
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Der Beklagte ist dem Räumungsverlangen in der Folge nicht nachgekommen. Er bewohnte bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung zwei Wohnräume im Kellerbereich und benutzte das Gäste-WC im Erdgeschoss.
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Die Klägerin trägt im Wesentlichen vor:
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Es habe nie ein Verlöbnis im Sinne eines Eheversprechens gegeben. Die Klägerin habe von Anfang an erklärt, dass sie den Beklagten nicht heiraten und überhaupt nie mehr eine Ehe eingehen werden. Folglich sei auch nie über eine Eheschließung gesprochen worden.
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Die Klägerin ist daher der Ansicht, dass der Rechtsweg zu den Zivilgerichten eröffnet ist und insbesondere keine Zuständigkeit der Familiengerichte vorliege.
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Die Klägerin beantragt,
- 1.
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Der Beklagte wird verurteilt, zwei Wohnräume im Kellerbereich (Abgang links) sowie das Gäste-WC (Erdgeschoss) im Haus „...“ zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.
- 2.
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Der Beklagte hat es bei Meidung eines für den Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, zu unterlassen, das Haus „...“ zu betreten.
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Der Beklagte beantragt
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Der Beklagte trägt im Wesentlichen vor:
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Zwischen den Parteien habe ein Verlöbnis bestanden. Die Verlobungsfeier habe am Abend des 02.01.2021 im gemeinsam bewohnten Wohnhaus der Klägerin in stattgefunden.
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Der Beklagte ist daher der Ansicht, dass für die vorliegende Streitigkeit ausschließlich die Familiengerichte zuständig seien. Die Zuständigkeit des Landgerichts Kempten wurde gerügt.
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Der Beklagte habe gemäß § 1298 Abs. 1 BGB ein gesichertes Wohn- und Aufenthaltsrecht in dem Wohnhaus der Klägerin. Durch die vollständige Aufgabe der vorherigen Mietwohnung des Beklagten sei ein faktisches „Wohnrecht“ des Beklagten an und in der Wohnung der Klägerin begründet worden.
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Das Gericht hat am 03.06.2024 und am 14.10.2024 mündlich zur Sache verhandelt. Im ersten Termin hat es die Parteien informatorisch angehört und die Zeugen R uneidlich vernommen. Auf das Protokoll vom 03.06.2024 wird Bezug genommen. Aufgrund der Rüge des Beklagten hat das Gericht mit Beschluss vom 06.06.2024 entschieden, dass die Verfahrenszuständigkeit des Landgerichts für die Streitsache als bürgerlich-rechtliche Streitigkeit gegeben ist. Die sofortige Beschwerde des Beklagten hiergegen hat das Oberlandesgericht München mit Beschluss vom 23.09.2024 zurückgewiesen.
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Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf das gesamte schriftsätzliche Vorbringen der Parteien samt Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.
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Die Klage ist zulässig. Das Landgericht Kempten ist gem. §§ 71 Abs. 1, 23 GVG sachlich und gem. §§ 12, 13 ZPO örtlich zuständig.
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Insbesondere liegt keine Verfahrenszuständigkeit des Familiengerichts nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GVG vor. Dem formell rechtskräftigen Beschluss des Landgerichts Kempten vom 06.06.2024 kommt insoweit die Bindungswirkung des § 17a Abs. 1 GVG zu (Stein/Jacobs GVG § 17a Rn. 18).
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Die Klage ist auch begründet.
I. Räumung und Herausgabe (Klageantrag Ziffer 1)
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Es kann offen bleiben, ob hier zwischen den Parteien ein mit dem erforderlichen Rechtsbindungswillen geschlossener Leihvertrag über Wohnräume vorliegt (vgl hierzu BeckOK BGB/C. Wagner BGB § 598 Rn. 16) und somit ein Anspruch aus § 604 BGB in Betracht zu ziehen wäre.
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Denn ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe folgt jedenfalls aus § 985 BGB.
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1. Die Klägerin ist unstreitig Eigentümerin des Wohnhauses Der Beklagte bewohnt unstreitig zwei Kellerräume und benutzt das Gäste-WC im Erdgeschoss regelmäßig. Er hat insoweit jedenfalls Mitbesitz.
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2. Der Beklagte ist nicht zum Besitz berechtigt.
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a) Als schuldrechtliche Grundlage für die Einräumung des Wohnrechts des Beklagten kommt hier nur eine Leihe nach § 598 BGB in Betracht, da die Gebrauchsüberlassung unstreitig unentgeltlich erfolgte. Da der Beklagte bereits nichts zu einer bestimmten Leihdauer vorgetragen hat und eine solche auch nicht aus dem Zweck zu entnehmen ist, kann die Klägerin die Sache jederzeit nach § 604 Abs. 3 BGB zurückfordern. Dies hat sie spätestens durch das anwaltliche Schreiben vom 04.11.2023 (Anlage K 1) getan.
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b) Entgegen der Ansicht des Beklagten folgt auch aus dem von ihm behaupteten Verlöbnis kein Recht zum Besitz. Dies folgt aus zwei unabhängig voneinander bestehenden Gründen: (1.) es bestand zwischen den Parteien nie ein Verlöbnis, (2.) selbst bei einem bestehenden Verlöbnis erwächst aus diesem kein Recht zum Besitz. aa) Der für das Recht zum Besitz darlegungs- und beweispflichtige Beklagte kann bereits nicht zur Überzeugung des Gerichts nachweisen, dass zwischen den Parteien jemals ein Verlöbnis im Rechtssinne bestanden hatte. Folglich können hieraus oder aus dessen Auflösung keine Rechte hergeleitet werden. Das Gericht ist sogar zu der Überzeugung gelangt, dass ein Verlöbnis im Rechtssinne nie bestand. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Begründung des Beschlusses vom 06.06.2024 sowie des Abhilfebeschlusses vom 10.07.2024 vollumfänglich Bezug genommen.
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bb) Selbst wenn man hier ein Verlöbnis sowie einen Rücktritt der Klägerin von diesem Verlöbnis annimmt, folgt hieraus kein Recht zum Besitz iSd § 986 BGB.
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Ein solches Recht ergibt sich entgegen der Ansicht des Beklagten insbesondere nicht aus § 1298 Abs. 1 BGB. Unabhängig von den tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm gewährt § 1298 Abs. 1 BGB in der Rechtsfolge nur einen Anspruch auf Ersatz von Vermögensschäden, die auf dem durch das Verlöbnis begründeten Vertrauen auf die künftige Eheschließung beruhen, sog. negatives oder Abwicklungsinteresse (vgl BeckOK BGB/Hahn BGB § 1298 Rn. 1). Nicht zu ersetzen sind hingegen Vorteile, die durch die Ehe erst entstanden wären (BeckOK BGB/Hahn BGB § 1298 Rn. 19).
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Den Vortrag des Beklagten als wahr unterstellt, hat er im Vertrauen auf die künftige Eheschließung seine alte Mietwohnung aufgegeben. Zu ersetzen wären damit alle darauf beruhenden Vermögensschäden. Selbst wenn man die Aufgabe der Mietwohnung an sich als Vermögensschaden wertet (was sich aus dem Vortrag des Beklagten so nicht ergibt) und hier eine Naturalrestitution nach § 249 Abs. 1 BGB annimmt, würde hieraus zunächst lediglich die Pflicht zur Wiederherstellung des alten Mietverhältnisses folgen. Unter keinen Umständen werden hier aber irgendwelche Rechte bezüglich des Wohnens im Haus der Klägerin neu begründet.
II. Unterlassungsanspruch (Klageantrag Ziffer 2)
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Der Unterlassungsanspruch ergibt sich aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB.
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Der Beklagte beeinträchtigt durch seinen unrechtmäßigen Aufenthalt im klägerischen Haus deren Eigentumsrecht. Bereits die seit Monaten bestehenden Beeinträchtigung indiziert die notwendige Wiederholungsgefahr.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht nach § 709 ZPO. § 708 Nr. 7 ZPO ist nicht anzuwenden. Diese umfasst nur Streitigkeiten aus einem Mietverhältnis. Aufgrund des Ausnahmecharakters der Norm ist eine erweiternde bzw. analoge Anwendung abzulehnen.