Inhalt

VG München, Beschluss v. 14.11.2024 – M 22 K 24.1734
Titel:

Prozesskostenhilfe (teilweise bewilligt)

Normenketten:
VwGO § 166
ZPO § 114
Schlagwort:
Prozesskostenhilfe (teilweise bewilligt)
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 19.02.2025 – 4 C 24.2061
Fundstelle:
BeckRS 2024, 42327

Tenor

I. Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin … … wird bewilligt, soweit mit der Klage beantragt ist,
1. die Beklagte zu verurteilen, den Klägern eine zum gemeinsamen Bewohnen bestimmte, näher bezeichneten Anforderungen genügende, insbesondere mindestens 60 Quadratmeter Wohnfläche aufweisende Obdachlosenunterkunft zuzuweisen, hilfsweise eine ebensolche Obdachlosenunterkunft mit der nächstkleineren Quadratmeterzahl,
2. die Beklagte zu verurteilen, den Klägern für diese, von ihnen begehrte Unterkunft maximal 12 Euro inklusive Betriebskosten pro Quadratmeter pro Monat zu berechnen,
hilfsweise den nächsthöheren Euro-Betrag,
3. festzustellen, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, vor Zuweisung einer angemessenen Unterkunft von den Klägern die Räumung der gegenwärtig bewohnten Räume in der T. Str. ... zu fordern.
II. Im Übrigen wird der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin … … abgelehnt.
III. Auf den bewilligten Teil des Antrags entfällt die Hälfte des Streitwertes.

Gründe

I.
1
Die Klage bezieht sich auf Fragen einer obdachlosenrechtlichen Unterbringung der Kläger.
2
Die Kläger bewohnen seit dem … Juni 2018 eine Unterkunft in der T. Straße, … … (. ...), Zimmer …6 und …8. Diese Unterkunft wurde zum Zeitpunkt des Einzugs der Kläger bis 30. Oktober 2024 von der … … … gGmbH – … … … … … – (im Folgenden: Diakonie) betrieben. Zwischen der Beklagten und der Diakonie bestand eine Vereinbarung zur Belegung der Plätze in dieser Unterkunft und zu der sich daraus ergebenden Vergütung. Die Beklagte bescheinigte den Klägern jeweils einen Unterbringungsanspruch und wies ihnen – jeweils befristet – sechs Bettplätze in o.a. Unterkunft zu. Gleichzeitig setzte sie die hierfür anfallenden Übernachtungskosten (Bettplatzentgelt) fest und bestimmte eine von den Klägern monatlich im Voraus zu begleichende Eigenleistung. Die Übernachtungskosten sollte die Diakonie abzüglich der Eigenleistung der Kläger der Beklagten in Rechnung stellen, die Eigenleistung der Kläger sollten diese direkt an die Diakonie erbringen. Die Kosten der Unterkunft wurden jedenfalls teilweise durch das Jobcenter übernommen, wobei Voraussetzung hierfür die Stellung eines SGB-II-Antrags durch die Kläger war.
3
Der den Klägern zugewiesene Raum …8 hat eine Länge von 7,72 m und eine Breite von 3,39 m, der Raum …6 eine Länge von 7,61 m und eine Breite von 2,70 m. Dazwischen befindet sich der Raum …7, der anderweitig belegt ist. Beide Räume verfügen über ein Bad sowie über eine in einem Schrank untergebrachte kleine Küche in Form eines kleinen Herdes. Eine direkte Verbindung zwischen den beiden Räumen besteht nicht.
4
Mit Schreiben vom 4. März 2024 kündigte die Diakonie den Klägern „außerordentlich und fristlos“ zum 8. März 2024, setzte eine Frist zur Räumung der Unterkunft bis 10. März 2024 fest und begründete dies damit, diese seien ihren Zahlungspflichten seit Juli 2023 jedenfalls nicht mehr in voller Höhe nachgekommen.
5
Die Beklagte wies den Klägern mit Bescheinigung vom 5. März 2024, gültig am Tag der Ausstellung, neue Bettplätze in der K. Straße, … …, zu. Ein Umzug der Kläger erfolgte nicht.
6
Mit Bescheinigung vom 19. April 2024, gültig am Tag der Ausstellung, wies die Beklagte nach einer außergerichtlichen Auseinandersetzung den Klägern befristet von 1. April bis 30. September 2024 die bisherigen Bettplätze in der T. Straße ... wieder zu. Sie setzte hierbei den von den Klägern zu leistenden Eigenanteil auf 257,06 Euro pro Monat fest.
7
Mit Bescheinigung vom 24. Juni 2024, gültig am Tag der Ausstellung, wies die Beklagte den Klägern Bettplätze im Notquartier H. weg …, … …, zu, die die Kläger ebenfalls nicht bezogen.
8
Mit Schreiben vom 11. Oktober 2024 teilt die Beklagte den Klägern mit, dass die von ihnen derzeit bewohnte Unterkunft in der T. Straße ... nur noch kurzfristig zur Verfügung stehe. Diesem Schreiben lag eine auf den 21. Oktober 2024 vordatierte Bescheinigung bei, mit der die Beklagte den Klägern Bettplätze in der A. Allee …, … …, zuwies.
9
Mit Schriftsatz ihrer Klägerbevollmächtigten vom ... April 2024 erhoben die Kläger Klage und beantragten,
(I.) den Bescheid der Beklagten über die Zuweisung der Unterkunft K. Straße, … … vom 5. März 2024, übermittelt ohne Rechtsbehelfsbelehrungdurch das … …, gemeinnützige GmbH an die Klägervertreterin, dortige Räume Nummer …4 und …3, an die Kläger aufzuheben,
(II.) die Beklagte zu verurteilen, den Klägern eine zum gemeinsamen Bewohnen durch die Kläger bestimmte Obdachlosenunterkunft zuzuweisen, die über 1 Küche/Kochgelegenheit, 1 Bad (Dusche) mit WC sowie 6 Betten, einen Tisch für 6 Personen und 6 Stühle sowie 3 Schränke, mindestens 60 m² Wohnfläche mit mindestens 3 nebeneinander oder gegenüber gelegenen Räumen sowie einer Möglichkeit zum Anschluss eines Fernsehers verfügt,
hilfsweise die nächstniedrigere Quadratmeterzahl,
(III.) die Beklagte zu verurteilen, den Klägern für die Unterkunft nach II. maximal zwölf Euro inklusive Betriebskosten pro Quadratmeter pro Monat zu berechnen,
hilfsweise den nächsthöheren Euro-Betrag, und (IV.) festzustellen, dass die Beklagte nicht berechtigt sei, vor Zuweisung einer angemessenen Unterkunft von den Klägern die Räumung der gegenwärtig bewohnten Räume in der T. … Straße ... zu fordern.
10
Darüber hinaus beantragten sie unter Darlegung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, ihnen Prozesskostenhilfe zu gewähren.
11
Mit Schriftsatz ihrer Klägerbevollmächtigten vom … Juni 2024 beantragten sie darüber hinaus,
festzustellen, dass die Zuweisung der Unterkunft K. Straße, … …, vom 5. März 2024 rechtswidrig gewesen sei, und den Bescheid der Beklagten vom 24. Juni 2024 über die Zuweisung der Unterkunft Notquartier H. weg …, … …, an die Kläger aufzuheben.
12
Mit Schriftsatz ihrer Klägerbevollmächtigten vom … Oktober 2024 beantragten sie zudem,
festzustellen, dass die Zuweisung der Unterkunft A. Allee …, … …, vom 21. Oktober 2024 rechtswidrig gewesen sei, und die „(eventuell intendierte) Anordnung der Aufhebung/Widerruf/Rücknahme der Unterbringung in der T. Straße ... durch Schreiben vom 11. Oktober 2024 aufzuheben“.
13
Die Beklagte beantragt,
die Klage und den Antrag auf Prozesskostenhilfe abzuweisen.
14
Die Klage sei weder zulässig noch begründet. Die Beklagte sei ihrer Unterbringungsverpflichtung nachgekommen.
15
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
16
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe hat teilweise Erfolg, weil die Kläger die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen können, die Erfolgsaussichten der Klage zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife zum Teil hinreichend waren und die Rechtsverfolgung insgesamt auch nicht mutwillig erscheint.
17
Nach § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO in Verbindung mit § 166 VwGO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder -verteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
I.
18
Im gemäß § 120a ZPO i.V.m. § 166 VwGO maßgeblichen Zeitpunkt der tatsächlichen Bewilligung (Zeitpunkt der vorliegenden gerichtlichen Entscheidung) sind die Kläger nicht in der Lage, die Prozesskosten selbst zu tragen.
II.
19
Die Klage hat bezogen auf den insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife (die eintritt, wenn alle für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderlichen Unterlagen vorgelegt wurden und der Gegner Gelegenheit zur Stellungnahme hatte) allerdings nur zum Teil hinreichende Erfolgsaussichten. Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist dabei bereits dann gegeben, wenn ein Obsiegen der Partei ebenso wahrscheinlich ist wie ihr Unterliegen.
20
Im Hinblick auf die Erfolgsaussichten ist zwischen den einzelnen Anträgen zu differenzieren.
21
1. Soweit die Kläger mit ihren Anträgen zu II. bis IV. vom 5. April 2024 einen Anspruch auf obdachlosenrechtliche Unterbringung in einer menschenwürdigen Unterkunft bzw. die Umquartierung in eine solche Unterkunft geltend machen, liegen im prozesskostenrechtlichen Sinne hinreichende Erfolgsaussichten vor. Die Modalitäten eines solchen Anspruchs sind im Hauptsacheverfahren zu klären.
22
2. Soweit die Kläger die Aufhebung von Unterkunftszuweisungen durch die Beklagte bzw. die Feststellung, dass diese rechtswidrig gewesen seien, begehren, liegen keine hinreichenden Erfolgsaussichten im vorgenannten Sinne vor.
23
2.1. Die Anfechtungsklagen waren schon anfänglich unzulässig, da den Klägern insoweit jedenfalls die Klagebefugnis fehlt, § 42 Abs. 2 VwGO. Die Bescheinigungen der Beklagten stellen jedenfalls keine die Kläger belastenden Verwaltungsakte dar, da diese für die Kläger ausschließlich begünstigend sind. Mit der Bescheinigung eines Unterbringungsanspruchs ist keine Verpflichtung zum Einzug in dieser konkreten Unterkunft verbunden (st. Rspr., BayVGH, B.v. 17.8.2017 – 4 C 17.1340, BeckRS 2017, 122985; vgl. auch Huttner, Die Unterbringung Obdachloser durch die Polizei- und Ordnungsbehörden, 2. Aufl. 2017, Seite 101 f., m.w.N.).
24
2.2. Vorliegend haben sich die angefochtenen Verwaltungsakte außerdem tatsächlich dadurch erledigt‚ dass ein Einzug der Kläger in den zugewiesenen Unterkünften nicht erfolgt ist. Da die Bescheinigungen nur am Tag der Ausstellung gültig waren, haben sie sich mit Ablauf dieses Tages jeweils erledigt.
25
Die Kläger haben ihre Klage insoweit zwar auf Fortsetzungsfeststellungsklagen umgestellt bzw. von Anfang an eine solche erhoben, allerdings setzt dies voraus, dass die Anfechtungsklagen ursprünglich zulässig erhoben waren bzw. zulässig hätten erhoben werden können. Dies ist aus den vorgenannten Gründen bereits nicht der Fall. Abgesehen davon erweisen sich die Fortsetzungsfeststellungsklagen deswegen als unzulässig‚ weil das erforderliche besondere Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht vorliegt. Dieses lässt sich nicht mit drohender Wiederholungsgefahr begründen. Hierfür reicht allein die bestehende Gefahr‚ die Beklagte werde den Klägern erneut solche Bescheinigungen über das Bestehen eines Unterbringungsanspruchs mit Zuweisung von Bettplätzen ausstellen, nicht aus. Zum einen gibt es kein anerkennenswertes Bedürfnis an der Feststellung, die Beklagte dürfe etwas rein Begünstigendes nicht vornehmen. Zum anderen setzt eine konkrete Wiederholungsgefahr voraus, dass auch in Zukunft, bei einer gedachten Wiederholung des gerügten Verhaltens durch die Beklagte, die im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse vorliegen, wie in dem für die Beurteilung des erledigten Verwaltungsakts maßgeblichen Zeitpunkt (BVerwG‚ U.v. 26.7.1996 – 8 C 20.95 – juris Rn. 7). Ist diese Voraussetzung hingegen ungewiss‚ besteht keine das Feststellungsinteresse rechtfertigende Wiederholungsgefahr (BVerwG‚ U.v. 12.10.2006 – 4 C 12.04 – juris). Von im Wesentlichen auch in der Zukunft unveränderten tatsächlichen Umständen kann im vorliegenden Fall jedoch nicht ausgegangen werden. Denn auch wenn die Kläger – wie sie vortragen – möglicherweise über Jahre keine Wohnung finden werden und deshalb auf eine Obdachlosenunterkunft angewiesen sein werden‚ ist es doch unwahrscheinlich, dass ihnen dieselben Bettplätze zu denselben Modalitäten noch einmal zugewiesen werden. Die Beklagte verfügt über eine Vielzahl an Unterkünften unterschiedlichster Art für Wohnungslose, die laufend belegt und wieder frei werden und sich überdies im Laufe der Zeit ändern. Die Feststellung, dass eine konkrete in der Vergangenheit liegende Zuweisung unter bestimmten Modalitäten rechtswidrig gewesen sei, hätte für die Kläger also keinen Nutzen.
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3. Soweit die Kläger beantragen, die „(eventuell intendierte) Anordnung der Aufhebung/Widerruf/Rücknahme der Unterbringung in der T. Straße ... durch Schreiben vom 11. Oktober 2024 aufzuheben“, ist dem Schreiben der Beklagten vom 11. Oktober 2024 an die Kläger ein solcher Wille schon nicht zu entnehmen. Darüber hinaus wäre eine Aufhebung ohnehin nicht erforderlich, da die letzte Zuweisung bis 30. September 2024 befristet gewesen war und somit ausgelaufen ist.
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Soweit die Kläger damit die Aufhebung von Unterkunftszuweisungen durch die Beklagte bzw. die Feststellung, dass diese rechtswidrig gewesen seien, begehren, liegen keine hinreichenden Erfolgsaussichten im vorgenannten Sinne vor.
III.
28
Hat das Begehren eines Prozesskostenhilfeantragstellers in der Hauptsache nur zu einem Teil hinreichende Aussicht auf Erfolg, ist Prozesskostenhilfe grundsätzlich nur für den erfolgversprechenden Teil des Begehrens zu gewähren (BayVGH, B.v. 4.2.2010 – 7 C 10.90 – juris Rn. 20-22). Der erfolgreiche Teil des Prozesskostenhilfeantrags macht hier im Ergebnis die Hälfte des Gesamtstreitwertes aus. Dieser wurde mit Beschluss vom 9. April 2024 vorläufig auf 5.000 Euro festgesetzt. Da es sich im Kern bei allen Anträgen um denselben Streitgegenstand – die obdachlosenrechtliche Unterbringung der Kläger – handelt und die Kläger als Rechtsgemeinschaft anzusehen sind, ist hiervon auch im Prozesskostenhilfeverfahren weiterhin auszugehen (Nrn. 1.1.1 und 1.1.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).
29
Antragsgemäß war den Klägern auch ihre zur Vertretung bereite Bevollmächtigte beizuordnen, soweit Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist. Denn eine rechtsanwaltliche Vertretung erscheint aufgrund der Schwierigkeit der Angelegenheit erforderlich (§ 121 Abs. 2 Satz 1 ZPO i.V.m. § 166 VwGO.
IV.
30
Die Entscheidung über die Prozesskostenhilfe ergeht kostenfrei.