Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 10.12.2024 – Au 2 K 24.423
Titel:

dienstliche Beurteilung eines Polizeivollzugsbeamten, Verwirkung, Überprüfungsverlangen erst mehrere Monate nach Eröffnung der Beurteilung für den Folgezeitraum, von einem Kollegen in dessen Beurteilungsrechtsstreit (erfolgreich) geltend gemachte Fehlbewertung eines Vorfalls

Normenketten:
LlbG Art. 54 ff.
BGB (analog) § 242
Schlagworte:
dienstliche Beurteilung eines Polizeivollzugsbeamten, Verwirkung, Überprüfungsverlangen erst mehrere Monate nach Eröffnung der Beurteilung für den Folgezeitraum, von einem Kollegen in dessen Beurteilungsrechtsstreit (erfolgreich) geltend gemachte Fehlbewertung eines Vorfalls
Fundstelle:
BeckRS 2024, 42202

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Verpflichtung des Beklagten, ihn für den Zeitraum 1. Juni 2017 bis 31. Mai 2020 erneut dienstlich zu beurteilen.
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Der Kläger stand im vorgenannten Zeitraum als Polizeihauptmeister im Dienst des Beklagten; seine Dienststelle war die Verkehrspolizeiinspektion ... Das Gesamturteil der ihm am 18. August 2020 eröffneten dienstlichen Beurteilung lautete auf zehn Punkte.
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Die dienstliche Beurteilung für den Zeitraum 1. Juni 2020 bis 31. Mai 2023 wurde dem Kläger am 20. Juli 2023 eröffnet. Das Gesamturteil fiel drei Punkte besser aus.
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Hinsichtlich der Beurteilung für den Zeitraum 1. Juni 2017 bis 31. Mai 2020 ließ der Kläger am 23. Oktober 2023 über seine Bevollmächtigte Akteneinsicht beantragen. Mit Schriftsatz vom 11. Dezember 2023 ließ der Kläger geltend machen, die Aufhebung der Beurteilung sei vom Beklagten telefonisch mitgeteilt worden. Es werde eine Frist zur Gewährung von Akteneinsicht und/oder zum Erlass des Widerspruchsbescheids bis 15. Dezember 2023 gesetzt.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 2024 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Der Widerspruch sei verwirkt, weil die angegriffene Beurteilung zum Stichtag 31. Mai 2020 bereits durch die Beurteilung zum Stichtag 31. Mai 2023 abgelöst worden sei. Der Kläger habe bis zum Ende des folgenden Beurteilungszeitraums ausreichend Zeit gehabt, gegen die vorangehende Beurteilung Einwendungen zu erheben.
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Der Kläger ließ am 22. Februar 2024 Klage zum Verwaltungsgericht Augsburg erheben. Zuletzt beantragt er,
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den Beklagten unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 16. Januar 2024 zu verpflichten, die dienstliche Beurteilung des Klägers für den Zeitraum vom 1. Juni 2017 bis 31. Mai 2020 aufzuheben und den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut für diesen Zeitraum dienstlich zu beurteilen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Die (frühere) Sachbearbeiterin des Beklagten habe der Klägerbevollmächtigten zunächst mitgeteilt, dass die angegriffene Beurteilung wegen eines Fehlers bei der Reihung aufgehoben werde. Der Beklagte könne und dürfe sich nicht auf Verwirkung berufen. Dem Kläger sei erst aufgrund eines Klageverfahrens eines Kollegen vor dem Verwaltungsgericht Augsburg betreffend die Beurteilung zum Stichtag 31. Mai 2020 (Au 2 K 22.736), in welchem der Kläger am 24. Juli 2023 als Zeuge ausgesagt habe, bekannt geworden, dass auch seine Beurteilung auf sachfremden Erwägungen beruhe (unzutreffender Vorwurf betreffend eine Einsatzzuteilung am 3.8.2018, statt Einsatz gefahren Pizza gegessen zu haben). Der Beklagte habe diesen so genannten „Pizza-Vorfall“ trotz detaillierter Einwendungen des Kollegen des Klägers nicht aufgeklärt; diese Klärung sei erst in der mündlichen Verhandlung im Beurteilungsrechtsstreit des Kollegen erfolgt. Deshalb könne sich der Beklagten nunmehr seinerseits nach Treu und Glauben nicht auf Verwirkung berufen. Der Kläger habe kurz nach dem Verhandlungstermin vom 24. Juli 2023 erneut Einwendungen gegen die streitgegenständliche Beurteilung erhoben. Schon nach deren Eröffnung habe er aber seinen Vorgesetzten immer wieder kundgetan, dass er mit dieser nicht einverstanden sei und dass er hiergegen verwaltungsgerichtlich vorgehen werde. Die entsprechenden Unterlagen befänden sich vermutlich in einem Beurteilungsordner des früheren Beurteilers, in den der Beklagte keine Einsicht gewährt habe; vielmehr habe der frühere Beurteiler eingeräumt, diese Unterlagen vor seinem Ruhestandseintritt – und damit Beweismittel – vernichtet zu haben. Bestritten werde, dass – wie vom Beklagten nunmehr geltend gemacht – der Kläger mit der Beurteilung zufrieden gewesen sei. Leistungsgespräche mit dem Kläger hätten nicht stattgefunden. Die Beurteilung sei auch der Sache nach rechtswidrig.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er trägt im Wesentlichen vor: Die Anrufung des Gerichts sei wegen Verwirkung unzulässig. Die Auskunft, die Beurteilung werde ohnehin aufgehoben, habe sich auf andere Widerspruchsverfahren bezogen, welche ebenfalls von der Klägerbevollmächtigten geführt würden. Der Kläger habe erstmals am 25. Juli 2023 – und damit nach Eröffnung der Folgebeurteilung – eine Strafanzeige gegen einen Vorgesetzten betreffend unrichtige Vorwürfe im Hinblick auf den Einsatz am 3. August 2018 übermittelt sowie geltend gemacht, er werde auch Einwände gegen die Beurteilung 2020 erheben. Das Vorbringen des Klägers, er habe immer wieder gegenüber Vorgesetzten angeführt, mit der Beurteilung nicht einverstanden zu sein, könne angesichts von nunmehr eingeholten Stellungnahmen der damaligen Vorgesetzten nicht nachvollzogen werden. Rechtliche Schritte gegen die Beurteilung 2020 habe der Kläger jedenfalls erst im Oktober 2023 unternommen.
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Mit Beschluss vom 1. Oktober 2024 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Am 6. Dezember 2024 fand die mündliche Verhandlung statt. Auf das Sitzungsprotokoll wird verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten, auch zum schriftsätzlichen Vortrag der Beteiligten, wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage bleibt ohne Erfolg. Der Kläger hat in Bezug auf die streitgegenständliche Beurteilung für den Zeitraum 1. Juni 2017 bis 31. Mai 2020 sein prozessuales Klagerecht und sein materielles Überprüfungsrecht verwirkt.
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1. Klage- und materielle Überprüfungsrechte unterliegen auch hinsichtlich einer dienstlichen Beurteilung der Verwirkung (vgl. BVerwG, B.v. 23.12.2015 – 2 B 40.14 – juris Rn. 21; BayVGH, B.v. 12.5.2020 – 3 ZB 19.1003 – juris Rn. 5 ff.; OVG NW, B.v. 27.6.2023 – 6 A 327/23 – juris Rn. 12 ff., jeweils m.w.N.). Voraussetzung für eine solche Verwirkung ist, dass seit der Entstehung des Rechts und der Möglichkeit seiner Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und der Berechtigte unter Verhältnissen untätig geblieben ist, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt (Umstandsmoment). Erst hierdurch wird die Situation geschaffen, auf die ein Beteiligter – entweder der Dienstherr oder ein begünstigter Dritter – vertrauen, sich einstellen und einrichten darf (Vertrauensmoment). Zeit-, Umstands- und Vertrauensmoment sind nicht präzise voneinander zu trennen. Maßgeblich ist eine Gesamtbewertung aller zeitlichen und sonstigen Umstände (BayVGH, B.v. 12.5.2020 – 3 ZB 19.1003 – juris Rn. 10 m.w.N.).
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Eine solche Gesamtbewertung ergibt hier, dass sowohl das Zeit- als auch das Umstandsmoment und damit auch das Vertrauensmoment für eine Verwirkung gegeben sind.
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1.1 In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird überzeugend angenommen, dass (jedenfalls) das Zeitintervall, in dem für den jeweils betroffenen Beamten eine Regelbeurteilung zu erstellen ist, den Maßstab darstellt, ab wann der Dienstherr üblicherweise nicht mehr mit Einwendungen gegen eine dienstliche Beurteilung zu rechnen braucht. Bei einem regelmäßigen Beurteilungsrhythmus darf die zur Entscheidung über Beförderungen berufene Behörde grundsätzlich davon ausgehen, dass der betroffene Beamte eine frühere Beurteilung hingenommen hat, wenn er hiergegen innerhalb des allgemeinen Regelbeurteilungszeitraumes keine rechtlichen Schritte unternommen hat. Bei einem Beurteilungsrhythmus von – wie auch hier – drei Jahren darf die zur Entscheidung über Beförderungen berufene Behörde mithin in der Regel davon ausgehen, dass der betroffene Beamte eine frühere Beurteilung hingenommen hat, wenn er hiergegen drei Jahre lang keine rechtlichen Schritte unternommen hat (vgl. OVG LSA, B.v. 23.1.2014 – 1 L 138/13 – juris Rn. 12; VGH BW, B.v. 4.6.2009 – 4 S 213/09 – juris Rn. 17., beide mit zusätzlichem Verweis auf OVG Saarl, U.v. 3.12.1975 – III R 80/75 – ZBR 1976, 8; vgl. zu dieser Rspr. auch BayVGH, B.v. 22.5.2014 – 3 ZB 14.284 – juris Rn. 9 und B.v. 13.4.2010 – 3 ZB 08.1094 – juris Rn. 4; der Rspr. des BVerwG [B.v. 4.6.2014 – 2 B 108.13 – juris Rn. 11] entnehmend, dass bereits die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO eine zeitliche Orientierung für die Annahme des Zeitmoments bei der Frage der Verwirkung des Rechts bietet, gegen die dienstliche Beurteilung vorzugehen: OVG NW, B.v. 27.6.2023 – 6 A 327/23 – juris Rn. 31 f.).
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1.2 Vorliegend hat der Kläger (frühestens) durch das Akteneinsichtsgesuch seiner Bevollmächtigten vom 23. Oktober 2023 erstmals konkret zu erkennen gegeben, seine Beurteilung für den Zeitraum 1. Juni 2017 bis 31. Mai 2020 einer Überprüfung unterziehen zu wollen, wobei selbst aus diesem (bloßen) Akteneinsichtsgesuch nicht deutlich wird, ob der Kläger dann tatsächlich gegen seine Beurteilung würde vorgehen wollen. Zu diesem Zeitpunkt war nicht nur der (Dreijahres-) Zeitraum für die Folgebeurteilung (1.6.2020 – 31.5.2023) seit mehreren Monaten verstrichen; dem Kläger war diese Folgebeurteilung auch bereits am 20. Juli 2023, also etwa drei Monate zuvor eröffnet worden (Art. 61 Abs. 1 Satz 1 LlbG). Gem. Art. 61 Abs. 1 Satz 2 LlbG soll die oder der Dienstvorgesetzte bei der Eröffnung die Beurteilung mit den Beamtinnen und Beamten besprechen. Bei diesem Beurteilungsgespräch soll auf den wesentlichen Inhalt der Beurteilung eingegangen werden. Dadurch können Missverständnisse ausgeräumt und der Mitarbeiterin oder dem Mitarbeiter Hilfen gegeben werden, wie sie oder er etwa aufgetretene Schwächen beseitigen kann (Nr. 11.6 Satz 2 ff. der VV-BeamtR). Mit der Eröffnung der Folgebeurteilung war mithin eine klare Zäsur gesetzt, nach der der Dienstherr nicht mehr damit rechnen brauchte, der Kläger werde nunmehr noch eine Überprüfung der Vorbeurteilung verlangen. Hinzu kommt vorliegend, dass seit Eröffnung der Folgebeurteilung erneut drei Monate verstrichen waren.
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Insoweit handelt es sich auch nicht bloß um eine Frage des für eine Verwirkung erforderlichen Zeitmoments. Abgesehen davon, dass das Vertrauensmoment einem gewissen Automatismus allein aufgrund des Zeitablaufs folgt, der in der Regel eine Verschlechterung der Beweislage nach sich zieht, und dem Umstandsmoment (vgl. BayVGH, B.v. 12.5.2020 – 3 ZB 19.1003 – juris Rn. 11), ist vorliegend nicht nachvollziehbar, weshalb der Kläger erst deutlich nach Eröffnung seiner Folgebeurteilung gegen seine Vorbeurteilung vorging. Dies gilt auch und gerade im Hinblick darauf, dass der Kläger nach seinem Vorbringen aus seiner deutlich besseren Folgebeurteilung geschlossen hat, dass die vorliegend angegriffene Beurteilung rechtsfehlerhaft war.
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1.3 Dass der Kläger, wie er schriftsätzlich vorgetragen hat, schon zuvor immer wieder deutlich gemacht und Vorbehalte geäußert habe, mit der dienstlichen Beurteilung nicht einverstanden zu sein, rechtfertigt nicht die Annahme, beim Beklagten sei ein Vertrauen darauf, dass der Kläger die Beurteilung nicht mehr einer (auch gerichtlichen) Überprüfung unterziehen lasse, nicht entstanden. Abgesehen davon, dass nicht nachvollziehbar ist, weshalb der Kläger in seiner vom Beklagten vorgelegten Strafanzeige vom 17. Juli 2023 am Ende davon spricht, er müsse „auch Einwände gegen die 2020er Beurteilung erheben“, wenn er solche bereits vielfältig zuvor erhoben haben will, macht es einen Unterschied, ob eine solche Einwendungsabsicht oder ein solcher Unmut über die Beurteilung geäußert wird, oder ob der Beamte – wie (frühestens) erstmals mit anwaltlichen Schreiben vom 23. Oktober 2023 – zu erkennen gibt, die Beurteilung tatsächlich – ggfs. auch gerichtlich – einer Überprüfung unterziehen zu wollen (vgl. OVG NW, B.v. 27.6.2023 – 6 A 327/23 – juris Rn. 17). Gerade wenn der Kläger, wie er geltend macht, früher wiederholt seine Unzufriedenheit mit der streitgegenständlichen Beurteilung zum Ausdruck gebracht haben will, musste für den Dienstherrn Klarheit entstehen, ob diese klägerische Unzufriedenheit tatsächlich in ein – notfalls gerichtliches – Überprüfungsverlangen münden würde. Der Kläger hatte aber eine solche Überprüfung bis zur Eröffnung der – dann auch deutlich besser ausgefallenen – Folgebeurteilung nicht eingeleitet und auch seit Eröffnung jener Beurteilung noch etwa drei Monate zugewartet.
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Vor dem Hintergrund des Vorstehenden kommt es nicht darauf an, ob es zu Lasten des Beklagten geht, dass, wie der Kläger annimmt, Unterlagen über Gespräche mit Vorgesetzten über die streitgegenständliche Beurteilung sich in inzwischen vernichteten Aktenordnern befinden. Es kann als wahr unterstellt werden, dass der Kläger, wie von ihm schriftsätzlich vorgebracht, negativ über die Beurteilung geäußert hatte. Im Oktober 2023 musste der Beklagte aber nicht mehr damit rechnen, dass der Kläger eine – auch ggfs. gerichtliche – Überprüfung der nunmehr angegriffenen Beurteilung aus dem Jahr 2020 beanspruchen würde.
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1.4 Dem Beklagten ist die Berufung auf eine Verwirkung auch nicht deshalb verwehrt bzw. ein schutzwürdiges Vertrauen konnte bei ihm nicht deshalb nicht entstehen, weil ihm seinerseits der Umgang mit dem so genannten „Pizza-Vorfall“ vom August 2018 im Rahmen der Beurteilung des Klägers entgegen gehalten werden müsste (vgl. zur grundsätzlich bestehenden Verwirkungsgrenze wegen treuwidrigem oder gar rechtsmissbräuchlichem Verhalten des Dienstherrn OVG LSA, B.v. 23.1.2014 – 1 L 138/13 – juris Rn. 11). Der entsprechende Vorfall, bei dem es um den Vorwurf einer verzögerten Anfahrt zu einem Großereignis am 3. August 2018 im AnkER-Zentrum * ging, weil der Kläger und ein Kollege sich eine Pizza geholt hatten, ist Gegenstand des von dem Kollegen gegen seine Beurteilung 2017 – 2020 angestrengten Verwaltungsrechtsstreits gewesen (Au 2 K 22.736), in dem am 24. Juli 2023 die mündliche Verhandlung stattgefunden hat, bei der der Kläger als Zeuge einvernommen wurde und in dem der Beklagte mit (rechtskräftig gewordenem) Urteil vom 28. Juli 2023 verpflichtet wurde, den Kollegen des Klägers für den Zeitraum vom 1. Juni 2017 bis zum 31. Mai 2020 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut dienstlich zu beurteilen. Im Unterschied zu seinem Kollegen ist der Kläger aber nicht, insbesondere nicht unter Berufung auf den Vorfall vom 3. August 2018, gegen seine Beurteilung für den genannten Zeitraum mit Widerspruch – die (als Widerspruch behandelten) Einwendungen des Kollegen des Klägers stammten vom 31. Mai 2021 – und Klage innerhalb des Folgebeurteilungszeitraums vorgegangen.
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Dem Kläger kann auch nicht zu Gute kommen, dass er bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht in jenem Rechtsstreit am 24. Juli 2023 habe davon ausgehen müssen bzw. nicht klar war, ob bzw. inwieweit der Vorfall vom 3. August 2018 auch Einfluss auf seine dienstliche Beurteilung gehabt habe. Wie sich aus der vom Beklagten im vorliegenden Rechtsstreit vorgelegten E-Mail des Klägers vom 13. August 2018 ergibt, war dieser Vorfall – wie nahe liegt – bereits zeitnah Diskussionsgegenstand zwischen dem Kläger und anderen Polizeibeamten gewesen und hatte der Kläger seinem Unmut über das auf diesen Vorfall folgende Verhalten von Dienstvorgesetzten Ausdruck verliehen. Damit wäre es dem Kläger unbenommen geblieben – und wäre zur Vermeidung eines Vertrauenstatbestands zu erwarten gewesen –, dass auch der Kläger gegen seine dienstliche Beurteilung – von der er selbst geltend macht, mit ihr nicht zufrieden gewesen zu sein – unter Hinweis auf das aus seiner Sicht fehlerhaft beurteilte Geschehen vom 3. August 2018 vorgeht. Dass sich sein Vorgesetzter – wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat – auf das klägerische Verlangen, wie sein Kollege einen Tadel zu erhalten, nicht geäußert hat, konnte nicht zu der Annahme führen, der Vorfall sei für die dienstliche Beurteilung des Klägers ohne Bedeutung, zumal der Kläger, wie ausgeführt, nach Eröffnung der streitgegenständlichen Beurteilung mit dieser nicht einverstanden gewesen sein will. Der Kläger war jedenfalls nicht – insbesondere nicht durch den Dienstherrn – gehindert, wie sein Kollege unter Berufung auf den Vorfall deutlich zu machen, die dienstliche Beurteilung einer Überprüfung unterziehen zu wollen, zumal der Kläger in dem Rechtsstreit seines Kollegen bereits vor der mündlichen Verhandlung eine Stellungnahme zu dem Vorfall abgegeben hatte.
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Insbesondere wenn, wie vorliegend und gerade bei Polizeivollzugsbeamten regelmäßig auftretend, ein Vorfall mehrere Beamte betrifft, muss für den Dienstherrn Klarheit entstehen, welcher Beamte unter Berufung auf eine fehlerhafte Berücksichtigung eines solchen Vorfalls gegen seine dienstliche Beurteilung vorgeht. Dass erst aufgrund eines solchen Vorgehens eines Beamten, ggfs. auch erst nach gerichtlicher Sachaufklärung, der Vorfall und sein Einfluss auf eine Beurteilung tatsächlich und rechtlich zutreffend bewertet werden können, liegt in der Natur der Sache. Müsste der Dienstherr aber damit rechnen, dass auch andere betroffenen Beamten gegen ihre Beurteilung vorgehen, nachdem ein Beamter gleichsam im Wege einer „Musterklage“ die Relevanz eines solchen Vorfalls für die Beurteilung gerichtlich hat überprüfen lassen, müsste ggfs. nach etlichen Jahren und weit nach Ablauf auch eines Folgebeurteilungszeitraums der betreffende Beurteilungszeitraum – mit entsprechenden Beweis- und/oder Substantiierungsproblemen – für jeden einzelnen Beamten wieder aufgegriffen werden. Dem Beamten wird insoweit auch nichts Unzumutbares abverlangt, denn es ist ohne weiteres möglich, dass nach Geltendmachung eines Überprüfungsverlangens durch mehrere von einem Vorfall betroffene Beamte zunächst ein Überprüfungsverlangen – auch gerichtlich – durchgeführt wird, während andere Verfahren ruhend gestellt werden. Dies erfordert aber, dass alle betreffenden Beamten Einwendungen erheben, aus denen sich hinreichend klar ergibt, dass ihre jeweiligen dienstliche Beurteilung einer Überprüfung unterzogen werden soll. Solche Einwendungen hat der Kläger, wie ausgeführt, jedoch bis (frühestens) Oktober 2023 und damit auch bis deutlich nach Eröffnung der Folgebeurteilung nicht erhoben. Zu diesem Zeitpunkt musste der Dienstherr nicht mehr damit rechnen, dass der Kläger insbesondere im Hinblick auf den Vorfall vom August 2018 gegen die Beurteilung für den Zeitraum 1. Juni 2017 bis 31. Mai 2020 Rechtsbehelfe einlegt und dass er deren materiell-rechtliche Überprüfung verlangt.
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1.5 Der Verwirkungseinwand ist dem Beklagten auch nicht deshalb abgeschnitten, weil der Klägerbevollmächtigten eine Neuerstellung der fraglichen Beurteilung angekündigt worden wäre. Hierzu hat der Beklagte nachvollziehbar schriftsätzlich ausgeführt, dass es sich um ein Missverständnis gehandelt haben muss, weil es sich um Widersprüche anderer, von der Klägerbevollmächtigten ebenfalls vertretenen Beamte handelte. Auch die Klägerseite spricht im Schriftsatz vom 21. Juni 2024 von einer Verwechslung durch die (frühere) Beklagtenvertreterin; in dem betreffenden Telefonat sei es um einen Beurteilungsstichtag aus dem Jahr 2023 gegangen, während vorliegend der bis Mai 2020 reichende Beurteilungszeitraum in Streit steht.
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2. Die Klage war nach allem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.