Titel:
Erlass eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung im Beschwerdeverfahren nach Widerruf durch das Ausgangsgericht.
Normenketten:
EuKtPVO Art. 7, Art. 28, Art. 34 Abs. 1 lit. a, Art. 36 Abs. 5, Art. 37
ZPO § 287, § 956
BGB § 252, § 826
BGB (Ungarn) Art. 207
StGB § 266
Leitsätze:
1. Im Verfahren zum Erlass eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung ist – auch im Verfahren der sofortigen Beschwerde gegen einen gem. Art. 33 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 655/2014 erfolgten Widerruf des Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung durch das Ausgangsgericht – ein Vollbeweis des Erlassanspruches nicht zu fordern. Entsprechend der Glaubhaftmachung des Arrestanspruchs gem. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO ist eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen der Voraussetzungen des Erlassanspruchs erforderlich, aber auch ausreichend. (Rn. 17)
2. Hinsichtlich des Erlassgrundes müssen konkrete Anzeichen und nicht bloß typische abstrakte Gefahren die Gefahr einer Vollstreckungsvereitelung oder Vollstreckungserschwerung ohne vorläufige Kontenpfändung belegen. Eine an sich gegebene Dringlichkeit entfällt im Rechtsmittelverfahren gegen einen gem. Art. 33 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 655/2014 erfolgten Widerruf des Beschlusses zur vorläufigen Pfändung nicht allein deswegen, weil die im nationalen Recht vorgesehene Rechtsmittelfrist des § 956 ZPO ausgeschöpft wurde oder weil der Schuldner, dem das laufende Verfahren bekannt ist, seit Widerruf der Kontenpfändung Wohlverhalten gezeigt hat. (Rn. 96)
3. Wenn das Beschwerdegericht der sofortigen Beschwerde gegen einen Widerruf des Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung stattgibt, kann es den widerrufenen ursprünglichen Kontenpfändungsbeschluss nicht aufrechterhalten, sondern muss diesen neu erlassen. Die Beschwerdeentscheidung und der Neuerlass des Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung bilden eine rechtlich einheitliche Entscheidung, die entsprechend Art. 28 Abs. 2 EuKtPVO auch einheitlich zuzustellen ist. (Rn. 102)
Schlagworte:
Europäischer Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung, Glaubhaftmachung, Erlassanspruch, Erlassgrund, vorläufige Kontenpfändung, europäischer Beschluss, Widerruf, Glaubhaftmachung des Erlassanspruchs, überwiegende Wahrscheinlichkeit, Vollbeweis des Erlassanspruchs, Vollstreckungsvereitelung, Vollstreckungserschwerung, konkrete Anzeichen, Neuerlass, Beschwerdeentscheidung
Vorinstanzen:
LG München I, Beschluss vom 23.05.2024 – 41 O 18067/23
LG München I, Beschluss vom 25.03.2024 – 41 O 18067/23
LG München I, Beschluss vom 19.01.2024 – 41 O 18067/23
Fundstellen:
FDZVR 2025, 942124
BeckRS 2024, 42124
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Landgerichts München I vom 25.03.2024, Az. 41 O 18067/23, aufgehoben. Der Widerspruch des Antragsgegners vom 14. Februar 2024 gegen den Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung des Landgerichts München I vom 19.01.2024 wird zurückgewiesen.
2. Auf Antrag der Antragstellerin vom 22.12.2023 wird der anliegende Beschluss zu vorläufigen Kontenpfändung gefasst.
3. Die Hilfsanträge des Antragsgegners gemäß Nr. 4 und 5 des Schriftsatzes vom 14.02.2024 werden verworfen.
4. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
5. Der Beschwerdewert wird auf 841.520,08 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin begehrt zur Sicherung der späteren Anspruchsvollstreckung von behaupteten Schadensersatzansprüchen gegen den Antragsgegner die vorläufige Pfändung von Konten des Antragsgegners in S[…] [Mitgliedstaat der EU] nach der Europäischen Kontenpfändungsverordnung (Verordnung (EU) Nr. 665/2014, im Folgenden „EuKtPVO“).
2
Die Antragstellerin wurde mit dem Ziel gegründet, notleidende Kredite von verbundenen Unternehmen zu übernehmen und abzuwickeln. Der Antragsgegner war bis zu seinem Ausscheiden zum 31.12.2019 leitender Angestellter bei der F-GmbH, einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft der Antragstellerin, die auf Grundlage eines mit der Antragstellerin geschlossenen Rahmenvertrags und eines dazugehörigen Leistungsscheins die übernommenen Kredite verwaltet. Alle portfoliorelevanten Entscheidungen sollten weiterhin von der Antragstellerin getroffen und zu diesem Zweck von der F-GmbH vorbereitet werden.
3
Zu den von der Antragstellerin übernommenen Krediten gehörten auch Immobilienkredite an (Stand: 2019) zwei ungarische Objektgesellschaften, die Eigentümerinnen von je einer vermieteten ungarischen Gewerbeimmobilie waren. Gemeinsame Muttergesellschaft der Darlehensnehmerinnen war die ungarische C-Kft., deren Anteile wiederum von der B-Ltd. gehalten wurden. Der Kreditvertrag (Restated Loan Agreement, im Folgenden „RLA) wurde mehrfach verlängert und dabei teilweise neu gefasst. Innerhalb der F-GmbH war der Antragsgegner u. a. für die Betreuung und Verwaltung dieser Kredite zuständig.
4
Nach § 5 Abs. 2 RLA waren operative Gewinne aus der Vermietung der beiden ungarischen Gewerbeimmobilien zur Darlehenstilgung quartalsweise an die Antragstellerin abzuführen (sog. „Cash Sweep-Mechanismus“). Nach § 6 Abs. 2 RLA stand der Antragstellerin als zusätzliche Vergütung für die Verlängerung des Darlehensvertrags im Falle einer Veräußerung der Immobilien bzw. der Objektgesellschaften 100% des Nettoverkaufserlöses, d.h. im Wesentlichen eines den Restdarlehensbetrag übersteigenden Veräußerungserlöses als sog. „Risk Premium“ zu. Dieser Mechanismus wurde von der Antragstellerin ab dem 30.06.2017 zunächst ausgesetzt und hierdurch freiwerdende Liquidität auf sog. „Reserve Accounts“ angespart. Nach § 11 Abs. 4 Buchst. d RLA bedurfte jede Verfügung über die auf den Reserve Accounts befindlichen Mittel einer vorherigen schriftlichen Zustimmung der Antragstellerin. Die angesparten Mittel sollten bei einem entsprechenden Verlangen des Mieters der Gewerbeimmobilien zu einer Sanierungsbeteiligung eingesetzt werden; Ziel war es, damit die Voraussetzungen für eine anstehende Verlängerung der Mietverträge positiv zu beeinflussen. Auf diese Weise wurden aus Mieterträgen insgesamt 1.992.643 € auf den Reserve Accounts angesammelt. Die Mietverträge wurden sodann um zehn Jahre verlängert, ohne dass die auf den Reserve Accounts liegenden Mittel eingesetzt wurden. Die Mittel verblieben daher zunächst auf den Reserve Accounts.
5
Anfang März 2019 – während laufender Verhandlungen über eine Veräußerung der streitgegenständlichen Immobilien – führten die Darlehensnehmerinnen die auf den Reserve Accounts befindlichen Mittel auf Grundlage entsprechender Gesellschafterbeschlüsse (Anlagen Ast 19 und 20) nach vorherigem E-Mail-Verkehr mit dem Antragsgegner (Anlage Ast 21 bis 26) vollständig als Dividende an die C-Kft. ab, welche ihrerseits eine Dividende in Höhe von 1.963.846 € an die B-Ltd. zahlte Durch Unternehmenskaufvertrag vom 08.07.2019 verkaufte die C-Kft. die Darlehensnehmerinnen im Wege des Share Deals an Immobilienfonds. Der Unternehmenskaufvertrag sah neben einem sehr geringen formalen Kaufpreis eine Kaufpreisanpassungsformel vor, nach der bei Übergang der Unternehmensanteile bei den Darlehensnehmern vorhandene Barmittel kaufpreiserhöhend berücksichtigt werden. Im Unternehmenskaufvertrag wurde zudem vereinbart, dass im Zusammenhang mit der Transaktion das Darlehen gegenüber der Antragstellerin vollständig zurückgezahlt bzw. abgelöst werden sollte. Der ausstehende Darlehensbetrag belief sich zur Zeit der Veräußerung noch auf 15,5 Mio. € Bei Durchführung („Closing“) der Transaktion im Juli/August 2019 wurde dieser ausstehende Betrag an die Antragstellerin gezahlt und das Darlehen damit vereinbarungsgemäß beglichen. Der Betrag von 15,5 Mio. € entsprach gemäß Wertgutachten in etwa dem Verkehrswert der Immobilien im Veräußerungszeitpunkt.
6
Das Angestelltenverhältnis des Antragsgegners bei der F-GmbH endete im Dezember 2019. Am 07.02.2020 wurde der Antragsgegner mit einer Beteiligung von 50% als Gesellschafter in die zwischenzeitlich umfirmierte B-Ltd aufgenommen. Der Verwaltungsrat der B-Ltd beschloss auf Vorschlag des Antragsgegners am 29.06.2020 die Ausschüttung einer Dividende an die Gesellschafter in Höhe von 1,6 Mio. €. Davon erhielt der Antragsgegner die Hälfte.
7
Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass sie in Höhe der von den Darlehensnehmerinnen als Dividende ausgezahlten Mittel (zuzüglich Rechtsverfolgungskosten) einen Anspruch auf Schadensersatz gegen den Antragsgegner wegen vorsätzlicher unerlaubter Handlung habe. Die Dividendenauszahlung war nach Auffassung der Antragstellerin vertragswidrig. Sie sei nur dadurch möglich geworden, dass der Antragsgegner die Mittel im Namen der Antragstellerin gegenüber den Darlehensnehmern rechtswidrig freigegeben habe. Sie macht geltend, dass die Mittel bei rechtmäßigem Verhalten spätestens im Rahmen der Immobilienveräußerung als Risk Premium an die Antragstellerin geflossen wären. Bei der an den Antragsgegner geflossenen Dividendenzahlung in Höhe von EUR 800.000 habe es sich um eine Kickback-Zahlung dafür gehandelt, dass er die Dividendenausschüttung zuvor im Namen der Antragstellerin freigegeben habe. Die vorläufige Kontenpfändung sei zur Sicherung der späteren Vollstreckung der Forderungen dringend erforderlich.
8
Der Antragsgegner stellt sowohl Erlassanspruch als auch Erlassgrund in Abrede. Er habe in Bezug auf die Dividendenauszahlung nicht pflichtwidrig gehandelt; die Darlehensnehmerinnen hätten eigenverantwortlich gehandelt. Der Antragstellerin und ihren Rechtsanwälten habe er stets alle wesentlichen Umstände offengelegt, die Antragstellerin habe sämtliche maßgeblichen Umstände der streitgegenständlichen Transaktion gekannt, insbesondere, dass die Barmittel auf den Reserve Accounts nicht zur Investition in die Objekte verwendet worden seien. Ein kausaler Vermögensnachteil der Antragstellerin liege nicht vor. Das Guthaben auf den Reserve Accounts habe den Darlehensnehmerinnen zugestanden und allenfalls der Sicherung von Ansprüchen der Antragstellerin auf Darlehensrückzahlung gedient. Die Antragstellerin habe mit der vollständigen Rückzahlung des ausstehenden Darlehensbetrags in Höhe von 15,5 Mio. € deutlich mehr erhalten, als sie selbst erwartet hatte. Ein Risk Premium zugunsten der Antragstellerin sei nicht zu erzielen gewesen. Vorsatz liege nicht vor. Der Antragsgegner erhebt die Einrede der Verjährung.
9
Mit Beschluss vom 19.01.2024 hat das Landgericht die vorläufige Pfändung von Konten des Antragsgegners in S[…] angeordnet. Auf den Widerspruch des Antragsgegners hin hat das Landgericht mit Beschluss vom 25.03.2024 den Beschluss vom 19.01.2024 widerrufen und den Antrag auf Erlass eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass deliktische Schadensersatzansprüche jedenfalls deswegen ausscheiden würden, weil ein durch die behaupteten Pflichtverletzungen des Antragsgegners verursachter Schaden nicht feststellbar sei. Gemäß Kreditvertrag hätten die auf den Reserve Accounts angesammelten Einlagen, die aus Mieteinnahmen hergerührt und wirtschaftlich und rechtlich weiter den Darlehensnehmerinnen zugestanden hätten, allein der Rückzahlung des Darlehens gedient. Dieses sei jedoch im Zusammenhang mit der Veräußerung der Darlehensnehmerinnen in voller Höhe zurückgezahlt worden. Ein über die erfolgte Darlehensrückzahlung hinaus gehender Anspruch der Antragstellerin auf Auszahlung der auf den Reserve Accounts liegenden Mittel habe nicht bestanden. Auch sei auf Grundlage des Vortrags der Antragstellerin weder ersichtlich, dass die Antragstellerin einen Anspruch gegen die Darlehensnehmerinnen auf Realisierung eines Risk Premium zugunsten der Antragstellerin gehabt habe, noch, dass ein solches Risk Premium tatsächlich hätte realisiert werden können. Insbesondere sei zu sehen, dass im Falle eines von der auf Seiten der Darlehensnehmerinnen gewählten Veräußerungsstruktur abweichenden sog. Asset Deal ein Risk Premium auch dann nicht angefallen wäre, wenn die Mittel sich noch auf den Reserve Accounts befunden hätten. Vor diesem Hintergrund sei zudem ein Vorsatz des Antragsgegners nicht ersichtlich.
10
Gegen diesen Beschluss hat die Antragstellerin die sofortige Beschwerde erhoben. Sie verfolgt ihr ursprüngliches Rechtsschutzziel weiter. Nach Nichtabhilfebeschluss durch das Landgericht hat das Oberlandesgericht der sofortigen Beschwerde stattgegeben und den begehrten Europäischen Beschluss zur Kontenpfändung erlassen.
11
Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg und führt zum Erlass des begehrten Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung.
12
1. Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts gem. Art. 33 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 655/2014 (“EuKtPVO“) ist gem. Art. 37 Satz 1 EuKtPVO i.V.m. § 956 Abs. 1 Satz 2 ZPO statthaft. Sie ist auch sonst zulässig. Insbesondere erfolgte die Beschwerdeeinlegung vom 30.04.2024 (Prüfvermerk zu Bl. 320 der LG-Akte) fristgemäß gem. § 956 Abs. 2 ZPO innerhalb von einem Monat ab Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung beim Antragstellervertreter am 02.04.2024 (EB zu Bl. 287 der LG-Akte) und formgemäß gem. Art. 37 Satz 2 EuKtPVO auf dem hierfür vorgesehenen Formblatt (Anlage zu Bl. 320 der LG-Akte).
13
2. Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
14
Das Oberlandesgericht München ist international zuständig (Art. 6 Abs. 1 EuKtPVO). Nach dieser Vorschrift sind die Gerichte des Mitgliedstaates zuständig, die in der Hauptsache zuständig sind. Dies begründet vorliegend die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte. Hierbei kann dahinstehen, ob in der Hauptsache die EuGVVO anwendbar ist oder ob ein Auslandsbezug im Zeitpunkt der Anhängigmachung des Rechtsstreits fehlte (vgl. hierzu EuGH, Rs. C-478/12, NJW 2014, 530 Rn. 26 – Maletic). Nach jeder Auffassung gelangt man aufgrund des ursprünglichen Wohnsitzes des Antragsgegners im Bezirk des LG München I zur internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte (perpetuatio fori). Überdies hat sich der Antragsgegner rügelos eingelassen.
15
Die Antragstellerin hat die materiellen Voraussetzungen für den Erlass des Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung nachgewiesen. Sie hat hinreichende Beweismittel vorgelegt, die den Senat zu der berechtigten Annahme veranlassen, dass über die Forderung gegenüber dem Antragsgegner in der Hauptsache voraussichtlich zu ihren Gunsten entschieden werden wird (Art. 7 Abs. 2 EuKtPVO, siehe dazu Nr. 2.1) und dass eine Sicherungsmaßnahme in Form eines Beschlusses zur vorläufigen Pfändung dringend erforderlich ist, weil eine tatsächliche Gefahr besteht, dass ohne diese Maßnahme die spätere Vollstreckung der Forderung des Gläubigers gegenüber dem Schuldner unmöglich oder sehr erschwert wird (Art. 7 Abs. 1 EuKtPVO, dazu Nr. 2.2).
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2.1. Die Antragstellerin hat dem Senat im erforderlichen Maß (Nr. 2.1.1) nachgewiesen, dass ein Erlassanspruch vorliegt.
17
2.1.1. Das erforderliche Beweismaß ist autonom zu bestimmen. Entsprechend dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 2 EuKtPVO (“berechtigte Annahme“ und “voraussichtlich“ sowie „hinreichende Beweismittel“) ist ein Vollbeweis entsprechend dem Hauptsacheverfahren nicht erforderlich. Ein Vollbeweis widerspräche auch dem summarischen Charakter des Eilverfahrens, das zur vorläufigen Sicherung von Ansprüchen im Hinblick auf ein nachfolgendes Hauptsacheverfahren dienen soll. Teilweise wird in Verschärfung der Anforderungen gegenüber dem deutschen Arrestverfahren eine „überwiegend bis hohe Wahrscheinlichkeit“ gefordert (MüKoZPO/Lugani, 6. Aufl. 2022, EuKtPVO Art. 7 Rn. 7 m. w. N.). Mit der wohl herrschenden Meinung ist allerdings – entsprechend der Glaubhaftmachung des Arrestanspruchs gem. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO – eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erforderlich, aber auch ausreichend (vgl. Gebauer/Wiedmann EurZivilR/Sujecki, 3. Aufl. 2021, EuKtPVO Art. 7 Rn. 6; Geimer/Schütze EurZivilVerfR/Garber, 4. Aufl. 2020, EuKtPVO Art. 7 Rn. 3; Geimer/Schütze Int. Rechtsverkehr/Klöpfer, 66. EL Januar 2023, Verordnung (EU) Nr. 655/2014 Art. 7 Rn. 4; Kindl/Meller-Hannich, Zwangsvollstreckung, EuKoPfVO Art. 7 Rn. 6; vgl. auch die Gesetzesmaterialien zu § 947 ZPO, BR-Drs. 633/15 S. 43). Auf diese Weise wird ein angemessener Ausgleich zwischen den Gläubiger- und Schuldnerinteressen erreicht und die Effektivität des vorläufigen Kontenpfändungsverfahrens als Sicherungsmaßnahme vor der Durchführung des Hauptsacheverfahrens gewährleistet. Dies entspricht offensichtlich der Haltung des EuGH, der jüngst festgestellt hat, dass der Gläubiger nach Art. 7 Abs. 2 EuKtPVO „hinreichende Beweismittel nicht nur in Bezug auf die Dringlichkeit der beantragten Maßnahme vorlegen [muss], sondern auch in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit, dass über seine Forderung gegenüber dem Schuldner in der Hauptsache zu seinen Gunsten entschieden wird“ (EuGH, Rs. C-291/21, EuZW 2023, 607 Rn. 36 – Starkinvest; Unterstreichung durch Senat).
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2.1.2. Die Antragstellerin hat einen Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gem. § 826 BGB glaubhaft gemacht. Danach hält der Senat es für überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsgegner die Antragstellerin vorsätzlich und in sittenwidriger Weise geschädigt hat und dieser Schaden nicht durch Kompensation aufgezehrt wurde. Ein Vollbeweis der Voraussetzungen war im vorliegenden Sicherungsverfahren gerade nicht erforderlich (oben Nr. 2.1.1); insofern wird das von der Antragstellerin vor dem Ausgangsgericht angestrengte Hauptsacheverfahren der weiteren Aufklärung dienen.
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Deutsches Deliktsrecht ist gem. Art. 4 Abs. 2 der Rom II-Verordnung anwendbar. Jedenfalls hinsichtlich § 826 BGB ist keine engere Verbindung zu dem Recht eines anderen Mitgliedstaates erkennbar (Art. 4 Abs. 3 der Rom II-Verordnung; diese Frage wird vom Antragsgegner soweit ersichtlich auch lediglich in Bezug auf eine – hier nicht näher zu untersuchende – Haftung wegen eines Verstoßes gegen § 261 StGB thematisiert, vgl. Schriftsatz vom 14.02.2024, S. 51 – Bl. 176 der LG-Akte).
20
Der Antragsgegner hat die Antragstellerin geschädigt, indem er, anstatt die Tilgung der ausstehenden Darlehensvaluta mit den Guthaben auf den Reserve Accounts der Darlehensnehmerinnen zu veranlassen (dazu Nr. 2.1.2.1.1), die Auszahlung der Guthaben auf den Reserve Accounts der Darlehensnehmerinnen an die Anteilseigner ausweislich des vorgelegten E-Mail-Verkehrs (Anlagen ASt 21 bis ASt 26) im Zusammenwirken mit Vertretern der Darlehensnehmerinnen und v. a. von deren Anteilseignern vorbereitet, mit E-Mail vom 26.02.2019 gegenüber den Darlehensnehmerinnen gebilligt hat, ohne hierzu durch eine Freigabe seitens der Antragstellerin berechtigt gewesen zu sein, und im Anschluss in Kenntnis des weiteren Auszahlungsprozesses die Auszahlung nicht verhindert (siehe Anlage ASt 26) und die Antragstellerin zu keinem Zeitpunkt informiert hat.
21
2.1.2.1. Damit verstieß er in eklatanter Weise gegen seine Pflichten aus dem Anstellungsverhältnis mit der F-GmbH.
22
2.1.2.1.1. Die Antragstellerin hatte (bis zur Dividendenauszahlung) einen aus dem geltenden Darlehensvertrag (RLA) folgenden Anspruch gegenüber den Darlehensnehmerinnen, dass diese das Guthaben auf den Reserve Accounts unmittelbar zur Darlehenstilgung einsetzen. Diese vom Landgericht im angefochtenen Beschluss offen gelassene Frage (unter B. II. 1. c.: „ggf.“ – LG-Beschluss, S. 10 – Bl. 282 der LG-Akte) wird vom Senat im Sinne der Antragstellerin beantwortet.
23
2.1.2.1.1.1. Die Auslegung des Darlehensvertrags hat nach dem Vertragsstatut zu erfolgen (Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Rom I-Verordnung). Zur Anwendung kommt hier aufgrund ausdrücklicher Rechtswahl in Sec. 17 Abs. 1 RLA ungarisches Recht (Art. 3 Rom I-Verordnung).
24
2.1.2.1.1.1.1. Der Senat hat den Parteien zur Ermittlung des ungarischen Rechts Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und selbst Internetrecherchen angestellt. Die übereinstimmenden Ergebnisse können wie folgt zusammengefasst werden:
25
Nach übereinstimmendem Parteivortrag ist Art. 207 des ungarischen Bürgerlichen Gesetzbuchs von 1959 gem. Sec. 18 Abs. 6 RLA i. V. m. Sec. 50 des Act CLXXVII von 2013 als zentrale Bestimmung für die Auslegung des RLA heranzuziehen.
26
Die Parteien haben im Detail abweichende Übersetzungen übermittelt. Der Vortrag zu den anwendbaren Rechtssätzen stimmt aber überein und lässt sich anhand der englischen Übersetzung des Art. 207 des ungarischen Bürgerlichen Gesetzbuchs von 1959, die auf den Seiten von Refworld, einer globalen Rechtsdatenbank des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen UNHCR (https://www.refworld.org/legal/legislation/natlegbod/1960/en/74370) abrufbar ist, bestätigen.
27
Beide Parteien tragen übereinstimmend und unter Zitierung aus ungarischer Rechtsprechung und Kommentarliteratur vor, dass die Auslegung gem. Sec. 207 Abs. 1 nach dem vernünftigen Empfängerhorizont erfolgt und hierbei vom Vertragswortlaut im Sinne der allgemein anerkannten Semantik auszugehen hat. Ausgehend hiervon ist unter Berücksichtigung aller Begleitumstände der Wille der Vertragsparteien zu ermitteln. Soweit die Antragsgegnerseite einschränkend vorträgt, dass die über den Wortlaut hinausgehenden Begleitumstände nur in Fällen berücksichtigt werden, in denen dies nötig erscheint, ist dies im vorliegenden Fall nicht entscheidungsrelevant.
28
Bei der Auslegung der Einzelbestimmungen ist – obwohl Sec. 6:86 des neuen Bürgerlichen Gesetzbuchs von 2013 (englische Fassung abrufbar auf den Seiten der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft, https://www.fao.org/faolex/results/details/en/c/LEX-FAOC209514/) keine Entsprechung im alten Bürgerlichen Gesetzbuch findet – im Sinne einer systematischen Auslegung der Vertragszweck als Ganzes zu berücksichtigen (Privatgutachten Antragsgegner, Anlage AG 12 Rn. 25).
29
Sec. 207 Abs. 4 (in der Fassung des UNHCR Abs. 3 – offenbar ergab sich im Laufe der Zeit eine Änderung der Absatznummerierung) stellt nach ebenfalls übereinstimmendem Parteivortrag klar, dass ein Rechtsverzicht grundsätzlich nur angenommen wird, wenn er ausdrücklich bzw. unmissverständlich geäußert wird; eine extensive Auslegung kommt insoweit nicht in Betracht (siehe auch Sec. 6:8 Abs. 3 des neuen Bürgerlichen Gesetzbuchs von 2013).
30
Zur Frage der Lückenfüllung im Sinne einer ergänzenden Vertragsauslegung findet sich Sec. 206 Abs. 4 des Bürgerlichen Gesetzbuchs 1959. Eine ergänzende Vertragsauslegung dürfte damit nicht für wesentliche Vertragspflichten in Betracht kommen – ist vorliegend auch nicht einschlägig.
31
2.1.2.1.1.1.2. Eine weitergehende Aufklärung des anzuwendenden ungarischen Rechts war im vorliegenden Verfahren nicht angezeigt.
32
Aufgrund des zu den Rechtsgrundsätzen übereinstimmenden Parteivortrags, der überdies nicht in Konflikt mit den Ergebnissen eigener Internetrecherchen des Senats steht, konnte das ausländische Recht für die Zwecke des Eilverfahrens mit hinreichender Sicherheit ermittelt werden. Jedenfalls hat der Senat auf diese Weise dem Gebot der größtmöglichen Annäherung an den tatsächlichen ausländischen Rechtszustand unter Berücksichtigung der durch das Eilverfahren gebotenen Grenzen Genüge getan (siehe hierzu Geimer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Auflage 2024, § 293 ZPO, Rn. 20 u. 27).
33
Der Senat bewegt sich mit der nachstehenden Auslegung im Rahmen der vorgenannten Rechtsgrundsätze und nicht im Widerspruch zu den von den Parteien darüber hinaus berichteten Einzelrechtssätzen aus Rechtsprechung und Literatur. Soweit der Senat hieraus andere Schlüsse bei der konkreten Auslegung des RLA zieht als eine Partei des Rechtsstreits, offenbart dies nicht eine Negierung bzw. Abweichung der mitgeteilten Rechtsgrundsätze, sondern deren abweichende Rechtsanwendung im Einzelfall, die dem erkennenden Gericht obliegt.
34
Ein Rechtsgutachten war im vorliegenden Verfahren jedenfalls schon aufgrund der besonderen Eilbedürftigkeit nicht einzuholen.
35
2.1.2.1.1.2. Die Auslegung des RLA auf Grundlage des Parteivortrags ergibt vor diesem Maßstab, dass die Antragstellerin vor der Dividendenauszahlung und im Zeitpunkt der Dividendenauszahlung einen Einsatz der Mittel der Reserve Accounts zur Darlehenstilgung hätte beanspruchen können.
36
2.1.2.1.1.2.1. Die Mittel auf den Reserve Accounts waren zwar rechtlich Vermögen der Darlehensnehmerinnen. Sie dienten aber wirtschaftlich der Absicherung der Antragstellerin gegen einen Kreditausfall. Dies ergibt sich aus Sec. 11 Abs. 4 Buchst. d Satz 1 und 5, Sec. 14 Abs. 1 RLA.
37
2.1.2.1.1.2.2. Die Mittel dienten nach dem Vertragsinhalt aber nicht nur zur Absicherung einer künftigen Darlehensrückzahlung, sondern konnten von der Antragstellerin nach Wegfall des Thesaurierungszwecks unmittelbar beansprucht werden.
38
Sämtliche operativen Nettoerlöse unterlagen gem. Sec. 5 Abs. 2 Buchst. a RLA dem „Full Cash Sweep“. Sie waren vierteljährlich vollständig zur Darlehenstilgung an die Antragstellerin abzuführen. Die Aussetzung des Cash Sweep mit Kreditentscheidung vom 29.06.2017 (Anlage ASt 12) ermöglichte die Thesaurierung der Mittel auf den Reserve Accounts und erfolgte offensichtlich unter Sec. 11 Abs. 3 Satz 3 RLA, der in dem die Kreditentscheidung vorbereitenden Papier (Anlage ASt 11) wörtlich zitiert wurde. Damit wurden die – bereits auf Grundlage von Sec. 5 Abs. 2 Buchst. a RLA wirtschaftlich (und rechtlich) der Antragstellerin zugeordneten Mittel – im Gesamtkontext des Vertrages nicht frei. Vielmehr erhielten sie – nach der Entscheidung der Antragstellerin, die die Thesaurierung freigab – eine klare Zwecksetzung zur Erhaltung bzw. Verbesserung der maßgeblichen Assets, die zur Erzielung der zur Tilgung benötigten Mieterlöse dienen sollte (vgl. Sec. 11 Abs. 3 Satz 3 RLA: “required funds“).
39
Dem Vertrag kann nicht entnommen werden, dass die Mittel nach einem Wegfall des Thesaurierungszwecks plötzlich als „Zufallsgewinn“ zur freien Verwendung der Darlehensnehmerinnen oder als bloßes Sicherungskapital dienen würden. Vielmehr ergibt die klare Zweckbindung der Freigabe in Anwendung von Sec. 11 Abs. 3 Satz 3 RLA, dass nach Fortfall der Sonderzweckbindung der Anspruch gemäß der allgemeinen Zweckbindung des Full Cash Sweep wiederauflebt. Eine andere Auslegung könnte nach Ansicht des Senats nicht den im Vertragswortlaut zum Ausdruck gekommenen Parteiinteressen gerecht werden. Aus dem Zusammenspiel von Sec. 5 Abs. 2 RLA ergibt sich, dass jegliche nicht-zweckgebundene Liquidität nach dem Willen der Darlehensgeberin zur Darlehenstilgung einzusetzen war. Der Vertrag bringt klar zum Ausdruck, dass nach dem Regelungsplan der Vertragsparteien keine zweckungebundene freie Liquidität bei den Darlehensnehmerinnen bestehen sollte.
40
Vor diesem Hintergrund gelangt der Senat zu der Auslegung, dass die Mittel nach Wegfall des Thesaurierungszwecks zur Darlehenstilgung einzusetzen waren, soweit nicht in der freigebenden Kreditentscheidung oder an anderer Stelle zwischen Parteien des Darlehensvertrages etwas anderes vereinbart wurde, wozu im hiesigen Fall nichts vorgetragen wurde.
41
2.1.2.1.1.2.3. Die Kreditvorlage vom 23.06.2017, die u.a. vom Antragsgegner gezeichnet wurde (Anlage ASt 11), und die Kreditentscheidung zur Aussetzung des Cash Sweep vom 29.06.2017 (Anlage ASt 12) verdeutlichen, dass auch die Akteure auf Seiten der Antragstellerin und der F-GmbH einschließlich dem Antragsgegner von diesem Verständnis ausgegangen sind, indem jeweils klargestellt wird, dass die Aussetzung des Cash Sweep nicht erfolgswirksam sei, weil die auf dem Reserve Account thesaurierten Mittel zur Rückzahlung verwendet werden können, wenn die Mietvertragsverlängerung nicht eintritt – also bei einem möglichen Fortfall des Thesaurierungszwecks.
42
2.1.2.1.1.2.4. Soweit die vorgenommene Auslegung des RLA mit einem „Rechtsverzicht“ im Sinne von Sec. 207 Abs. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs von 1959 verbunden ist, erfolgte dieser unmissverständlich durch Sec. 5 Abs. 2 und Sec. 6 Abs. 2 RLA. Das tut nach dem Verständnis des Senats auch unter Berücksichtigung des umfangreichen Vortrags im Privatgutachten des Antragsgegners zur Rechtspraxis (Anlage AG 12) Sec. 207 Abs. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs von 1959 Genüge.
43
Die Besonderheit des Falles liegt darin, dass das Full Cash Sweep zugunsten einer Thesaurierung gemäß Sec. 11 Abs. 3 Satz 3 RLA ausgesetzt wurde und die Sonderzweckbindung sodann in Wegfall geriet. Diese Vorgänge bilden aus Sicht der ursprünglichen Vertragskonstruktion eine Zufälligkeit. Somit geht es im Fall nicht streitentscheidend darum, dass die Darlehensnehmer auf ihre Erlösberechtigung verzichtet haben – das haben sie – unangegriffen durch den Antragsgegner – unmissverständlich gem. Sec. 6 Abs. 2 RLA getan. Vielmehr geht es darum, ob sie durch die Erlaubnis zur Thesaurierung auf Grundlage der Kreditentscheidung vom 29.06.2017 (Anlage ASt 12) die Berechtigung zurückerlangt haben – das haben sie nicht.
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Auch soweit das Privatgutachten des Antragsgegners meint, einen Verzicht der Anteilseigner der Darlehensnehmerinnen auf ihren gesellschaftsrechtlichen Anspruch auf Gewinnauskehr identifizieren zu können (Anlage AG 12 Rn. 9, 38 ff.), führt das nicht zu einem abweichenden Ergebnis. Erstens kann Gewinn der Darlehensnehmerinnen nur das sein, was ihnen nach RLA zusteht. Zweitens ist die C-Kft. nicht Vertragspartei. Drittens gälte ohnehin das Vorstehende: Die Vertragsparteien haben den Verzicht klar und unmissverständlich geregelt.
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2.1.2.1.1.2.5. Der Antragsgegner meint in der Beschwerdeerwiderung, eine Vorausabtretung aller zukünftiger Einnahmen wäre außerdem wirtschaftlich unvertretbar gewesen, weil die Darlehensnehmer damit ab 2016 ausschließlich zur Mehrung des Vermögens der Antragstellerin gewirtschaftet hätten (Beschwerdeerwiderung, S. 13 f.). Hieraus kann allerdings kein Auslegungsargument gewonnen werden, das dagegen spräche, dass der Vertrag der Antragstellerin einen Anspruch auf Darlehenstilgung mit den Mitteln auf den Reserve Accounts gewährt. Denn die vom Antragsgegner bemühte fehlende Erlösberechtigung folgte bereits vor der Kreditentscheidung vom 29.06.2017 aus dem Zusammenspiel von Art. 5 Abs. 2 und 6 Abs. 2 RLA (siehe soeben Nr. 2.1.2.1.1.2.4).
46
Konsequent wäre es, wenn der Antragsgegner mit der vorbrachten Argumentation die Wirksamkeit des Risk Premium in Höhe von 100% in Abrede stellen würde. Dies tut er nicht. Für eine Nichtigkeit der Bestimmung (womöglich unter dem rechtlichen Aspekt der Sittenwidrigkeit) finden sich im Gesamtkontext der Vertragsverlängerungen und im unternehmerischen Verkehr auch keine konkreten Anhaltspunkte, zumal es sich nicht um eine Vorausabtretung aller zukünftigen Gewinne, sondern letztlich um eine „Exit fee“ bei Veräußerung vor Rückzahlung handelte (siehe hierzu die Kreditentscheidung vom 29.06.2017, S. 1, Anlage ASt 12, und nochmals das Privatgutachten der Antragsgegnerseite, Anlage AG 12, Rn. 61: „This mechanism intended to discourage the sale of the properties, as the Borrowers faced no net profit gain from such a transaction irrespective of the purchase price agreed.“).
47
2.1.2.1.2. Es hätte dem Antragsgegner oblegen, Maßnahmen mit dem Ziel einer zeitnahen Überweisung der Guthaben auf den Reserve Accounts an die Antragstellerin zeitnah nach Wegfall des Thesaurierungszwecks, mithin nach Verlängerung der Mietverträge mit SPAR zu ergreifen und die Antragstellerin zu informieren.
48
Es war Pflicht der F-GmbH nach dem zugrundeliegenden Vertragsverhältnis zwischen der Antragstellerin und der F-GmbH (Anlage ASt 3 und ASt 4), Schaden von der Antragstellerin abzuwenden und ihre Interessen zu wahren, indem letztere auf die Vertragseinhaltung durch die Darlehensnehmerinnen hinwirkt. In concreto hatte die F-GmbH stets im Interesse der Antragstellerin tätig zu werden und deren Interessen zu wahren (Nr. 4.1.2 des Rahmenvertrags in Anlage ASt 3) sowie ausdrücklich die Erlöse aus dem Risikovermögen zu maximieren bzw. die Verluste zu minimieren (Nr. 5.2.1 Buchst. c des Rahmenvertrags). Sie war verpflichtet, die Antragstellerin „fortlaufend rechtzeitig und unverzüglich über alle wesentlichen bevorstehenden Ereignisse zu informieren, insbesondere über Umstände, die eine Neubewertung, Revidierung, Änderung, ein Treffen von Maßnahmen und/oder eine Ergänzung einer getroffenen Entscheidung und/oder Maßnahme erforderlich machen können. Dies umfasst insbesondere […] Maßnahmen zur Sicherung und Durchsetzung von Rechten und Ansprüchen“ der Antragstellerin (Nr. 1.2.1 Buchst. a Abs. 2 der Anlage 1.1 zum Rahmenvertrag, Anlage ASt 4). Aufgrund seines Anstellungsvertrags oblag es dem mit der Kreditverwaltung betrauten Antragsgegner, diese Pflichten der F-GmbH gegenüber der Antragstellerin einzuhalten.
49
Diesem Gebot hat der Antragsgegner klar zuwidergehandelt. Er hat die Darlehensnehmerinnen nicht zur Tilgung aufgefordert, sondern umgekehrt die Dividendenauszahlung vorbereitet und gebilligt. Seine Verteidigung, er habe die Antragstellerin und deren Anwälte bei der D-Kanzlei immer offen und transparent informiert, greift nicht durch. Eine ausdrückliche Information über die Verfügbarkeit der Mittel nach Wegfall des Thesaurierungszwecks oder eine Initiative zur Anspruchsgeltendmachung ist nicht bekannt.
50
2.1.2.1.3. Überdies durfte eine Auszahlung der Mittel auf den Reserve Accounts nach Sec. 11 Abs. 4 Buchst. d Satz 1 und 5 RLA nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung seitens der Darlehensgeberin erfolgen. Auch dieser Pflicht hat der Antragsgegner klar zuwidergehandelt.
51
An dieser Stelle kann offenbleiben, ob die E-Mail des Antragsgegners vom 26.02.2019 als eine solche Zustimmungserklärung zu werten ist oder nicht.
52
Als Zustimmungserklärung wäre diese unter klarer Überschreitung des rechtlichen Dürfens des Antragsgegners im Innenverhältnis erfolgt. Denn nach dem zugrundeliegenden Vertragsverhältnis zwischen der Antragstellerin und der F-GmbH (Anlage ASt 3 und ASt 4) war eine solche Entscheidung „in Bezug auf das Risikovermögen, die Auswirkungen auf den Gewinn oder Verlust des Risikovermögens haben“ konnte, der Antragstellerin vorbehalten (Nr. 4.5 Satz 1 des Rahmenvertrags über die Auslagerung von Geschäftsprozessen und Dienstleistungen, Anlage ASt 3). Aufgrund seines Anstellungsvertrags oblag es dem mit der Kreditverwaltung betrauten Antragsgegner, die Pflichten der F-GmbH gegenüber der Antragstellerin einzuhalten.
53
Soweit die Erklärung gegenüber den Darlehensnehmern nicht als Zustimmung i. S. d. Sec. 11 Abs. 4 Buchst. d RLA zu werten sein sollte, wäre es die Pflicht der F-GmbH und damit des Antragsgegners gewesen, Schaden von der Antragstellerin abzuwenden, indem er auf die Vertragseinhaltung durch die Darlehensnehmerinnen hinwirkt. Diesem Gebot hat der Antragsgegner klar zuwidergehandelt, indem er umgekehrt die Darlehensnehmerinnen bzw. deren Anteilseigner darin bestärkt hat, die Dividendenauszahlung vorzunehmen.
54
2.1.2.2. Hierdurch hat er das Vermögen der Antragstellerin geschädigt.
55
2.1.2.2.1. Der Schaden trat, worauf die Antragstellerin zu Recht hinweist, bereits im Zeitpunkt der Dividendenauszahlung, mithin im März 2019 ein. Zu diesem Zeitpunkt wurden die dem Vermögen der Antragstellerin zuzurechnenden Ansprüche gegen die Darlehensnehmerinnen auf Auszahlung der auf den Reserve Accounts liegenden Einlagen (oben Nr. 2.1.2.1.1) jedenfalls wirtschaftlich entwertet, indem die Mittel dem durch Sec. 11 Abs. 4 Buchst. e RLA gesicherten Zugriff der Antragstellerin entzogen wurden. Auf die Frage, ob die Konten zugunsten der Antragstellerin verpfändet waren, kommt es daher nicht entscheidungserheblich an.
56
Gegen die Schadensentstehung kann nicht eingewandt werden, dass im Zeitpunkt der Dividendenausschüttung bereits der Verkauf der Darlehensnehmerinnen in Aussicht genommen wurde und auf diese Weise eine vollständige Darlehensrückzahlung herbeigeführt werden sollte. Eine solche Argumentation ist schon deshalb nicht zulässig, weil ein entsprechender Vertrag erst viel später (im Juli 2019) gezeichnet wurde und somit die Darlehensrückführung bestenfalls eine Hoffnung ohne wirtschaftlichen Wert war.
57
2.1.2.2.2. Im Rahmen der Veräußerung der Darlehensnehmerinnen sind unstreitig im Sommer 2019 Mittel in Höhe der ausstehenden Darlehensvaluta (15,5 Mio. €) an die Antragstellerin geflossen. Jedenfalls für Zwecke des summarischen Verfahrens ist insofern jedoch nicht von einem Entfall des Schadens auszugehen.
58
2.1.2.2.2.1. Der Senat geht davon aus, dass die C-Kft. auch bei pflichtgemäßer vorheriger Überweisung der Mittel auf den Reserve Accounts an die Antragstellerin denselben Kaufpreis für die Anteile in Höhe von 15,5 Mio. € erzielt hätte.
59
2.1.2.2.2.1.1. Der Antragsgegner hat hiergegen eingewandt, die Käuferin wäre bei einer geringeren Darlehensvaluta nicht bereit gewesen, einen so hohen Kaufpreis zu zahlen. Zunächst habe sie allenfalls 13,5 Mio. € bezahlen wollen; er habe sie erst nach schwierigen Verhandlungen dazu bewegen können, zumindest einen Kaufpreis in Höhe der offenen Darlehensverbindlichkeit von 15,5 Mio. € zu zahlen, damit das Darlehen vollständig abgelöst werden kann.
60
2.1.2.2.2.1.1.1. Grundsätzlich trägt die Antragstellerin als Geschädigte die Beweislast für alle anspruchsbegründenden Tatsachen. Ihr kommt allerdings gem. § 252 Satz 2 BGB eine Beweiserleichterung zugute, die § 287 ZPO ergänzt. Nach § 252 Satz 2 BGB gilt der Gewinn als entgangen, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Der Geschädigte muss nur die Ausgangs- und Anknüpfungstatsachen darlegen und beweisen, die nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge oder den besonderen Gegebenheiten des Einzelfalls einen Gewinneintritt als wahrscheinlich erscheinen lassen. Dann wird widerleglich vermutet, dass dieser Gewinn vom Geschädigten auch erzielt worden wäre (Beck-OGK/Brand, 01.03.2022, BGB § 252 Rn. 64 f.; Staudinger/Höpfner [2021] BGB § 252 Rn. 4; MüKoBGB/Oetker, 9. Aufl. 2022, BGB § 252 Rn. 30 f.).
61
Letztlich ist im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens ohnehin nur eine Glaubhaftmachung, also der Nachweis der überwiegenden Wahrscheinlichkeit hinsichtlich der Anknüpfungstatsachen zu fordern (vgl. oben Nr. 2.1.1).
62
2.1.2.2.2.1.1.2. Der Senat hält es bei Würdigung des Tatsachenvortrags der Parteien und der Beweismittel für zumindest überwiegend wahrscheinlich, dass der letztlich vereinbarte Kaufpreis auch dann gezahlt worden wäre, wenn die Mittel auf den Reserve Accounts pflichtgemäß vor Veräußerung an die Antragstellerin zur Darlehenstilgung gezahlt worden wären.
63
Insofern erhält entscheidendes Gewicht, dass ausweislich der objektiven Beweismittel der zu zahlende Kaufpreis bereits Ende Januar vereinbart wurde (siehe hierzu die E-Mail des Antragsgegners vom 29.01.2019, Anlage ASt 24, S. 16/18). Die Darlehensvaluta hat sich erst im weiteren Verlauf diesem Betrag angenähert; selbst am 14.06.2019 betrug sie noch 15,93 Mio. € (Anlage ASt 44). Selbst wenn man zugrunde legt, dass das Anfang 2019 ausstehende Darlehensvolumen hilfreich beim Ausverhandeln des letztlich vereinbarten Kaufpreises gewesen sein mag (siehe die vom Landgericht zitierte E-Mail des Antragsgegners vom 22.01.2019, Anlage ASt 35, S. 20 oben), hält es der Senat für überwiegend wahrscheinlich, dass der Kaufpreis auch dann in dieser Höhe gezahlt worden wäre, wenn die Mittel auf den Reserve Accounts zwischenzeitlich zur Darlehenstilgung genutzt worden wären. Es ist nicht dargetan, dass die Käuferin interne Geldflüsse im Verhältnis zwischen den Darlehensnehmerinnen und der Antragstellerin zum Anlass genommen hätte, um die erzielte Einigung erneut in Frage zu stellen, zumal der Kaufpreis zumindest nach den vorliegenden Wertgutachten (Anlage ASt 17) noch immer knapp unter dem Verkehrswert der Immobilien lag.
64
Darauf, ob die Darlehensnehmerinnen (bzw. die C-Kft.) aufgrund der vertraglichen Vereinbarungen zum Risk Premium ggf. keine große Motivation hatten, sich für die Beibehaltung eines Kaufpreises, der die offenen Darlehensverbindlichkeit übersteigt, stark zu machen (LG-Beschluss, S. 12), kommt es damit nicht mehr an. Insofern weist die Antragstellerin zu Recht darauf hin, dass sie nach dem Vertragswerk Einflussmöglichkeiten auf die Ausgestaltung der Kaufverträge hatte (Sec. 11 Abs. 5 Buchst. d und e RLA) und ein Unterwertverkauf pflichtwidrig gewesen wäre (vgl. Beschwerdebegründung, S. 23 – Bl. 316 der OLG-Akte). Somit ist, auch wenn die Regelungen zum Risk Premium keinen Anreiz für die Darlehensnehmerseite, eine möglichst hohe Kaufpreissumme erreichen zu wollen, bildete, zumindest überwiegend wahrscheinlich, dass es bei dem im Januar 2019 vereinbarten Kaufpreis geblieben wäre.
65
2.1.2.2.2.1.2. Der Einwand des Antragsgegners, eine Veräußerung der Darlehensnehmerinnen mit Barmitteln wäre nicht zustande gekommen, da dies weder die Verkäufer- noch die Käuferseite akzeptiert hätte (vgl. die eidesstattliche Versicherung in Anlage AG 8, S. 1 unten; siehe hierzu auch den LG-Beschluss, S. 12 unten), greift nach dem Vorstehenden nicht durch. Angesichts des Anspruchs der Antragstellerin auf Rückzahlung der Mittel (oben Nr. 2.1.2.1.1) und dem Erfordernis zur vorherigen Zustimmung der Antragstellerin vor Verwendung der Mittel auf den Reserve Accounts gem. Sec. 11 Abs. 4 Buchst. d RLA (oben Nr. 2.1.2.1.3) ist vielmehr für den Fall pflichtgemäßen Handelns des Antragsgegners davon auszugehen, dass die Barmittel vor Verkauf zur Darlehenstilgung genutzt worden wären.
66
2.1.2.2.2.2. Gemäß Sec. 6 Abs. 2 RLA somit in Höhe des Differenzbetrages von ca. 2 Mio. € ein sog. Risk Premium für die Antragstellerin in Form eines Anspruchs gegen die Darlehensnehmerinnen angefallen.
67
Unschädlich ist in diesem Zusammenhang, dass es den Darlehensnehmerinnen und ihrer Muttergesellschaft C-Kft. einerseits und der Erwerberin andererseits auch offen gestanden hätte, anstelle eines Verkaufs der Objektgesellschaften (Share Deal) die Grundstücke selbst im Wege des Asset Deals zu veräußern und dass Sec. 6 Abs. 2 RLA nicht die Verpflichtung zu entnehmen ist, eine Gestaltung zu wählen, die ein möglichst großes Risk Premium für die Antragsgegnerin hervorruft. Nachdem die Mittel auf den Reserve Accounts nämlich bei korrektem Verhalten des Antragsgegners schon vor Durchführung des Asset Deal von der Antragsgegnerin hätten beansprucht werden können (siehe oben Nr. 2.1.2.1.1), wäre auch im Falle eines Asset Deals das Risk Premium angefallen.
68
2.1.2.2.2.3. Dabei handelt es sich um den entgangenen Gewinn der Antragstellerin, dessen Ersatzfähigkeit § 252 Satz 1 BGB klarstellt. Die Argumentation des Beklagten, dass der geltend gemachte Schaden als positives Interesse nicht nach Deliktsrecht beansprucht werden könnte, geht fehl. Die Antragsgegnerin ist nach der Differenzhypothese so zu stellen, wie sie stünde, wenn der Antragsgegner die Mittel nicht pflichtwidrig freigegeben hätte. Dieses ersatzfähige Interesse umfasst gemäß § 252 Satz 1 BGB auch das entgangene Risk Premium. Hiergegen kann nicht eingewandt werden, dass die Bindung der Reserve Accounts gem. Sec. 11 Abs. 4 Buchst. d RLA und die Regelung zum Cash Sweep primär nur die Darlehenstilgung sicherstellen sollten. Dies ändert nichts daran, dass wie aufgezeigt, die auszugleichende Vermögenseinbuße adäquat-kausale Folge der schädigenden Handlung und somit ersatzfähiger Folgeschaden ist.
69
2.1.2.2.2.4. Ob die Antragstellerin zuvor eine verlustfreie Ablösung des Darlehens erwartet hatte oder nicht, ist mithin unerheblich.
70
2.1.2.3. Es ist überdies glaubhaft gemacht, dass der Antragsgegner vorsätzlich sittenwidrig handelte und Schädigungsvorsatz hatte.
71
2.1.2.3.1. Der Antragsgegner stand in einer besonderen Pflichtenposition, die durch Selbständigkeit und Eigenverantwortung sowie die Aufgabe zur Wahrung der Vermögensinteressen der Antragstellerin gekennzeichnet war. Diese Position war rechtlich durch den Rahmenvertrag der F-GmbH mit der Antragstellerin (Nr. 4.1.2 Satz 1 der Anlage ASt 3) und seinen Anstellungsvertrag mit der F-GmbH abgesichert. Danach oblag dem Antragsteller die Pflicht, die Interessen der Antragstellerin im Verhältnis zu den Darlehensnehmerinnen zu wahren. Indem der Antragsgegner diese Funktion ausfüllte, setzte er eine Ursache, dass die Antragstellerin ihre Interessenwahrung nicht anderweitig organisierte.
72
Nicht durchgreifend ist der – zur Frage der Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 StGB vorgebrachte – Einwand des Antragsgegners, er habe letztlich keine Entscheidungskompetenzen gehabt und sich nur innerhalb eines engmaschigen Kontrollsystems bewegt (Bl. 172 f. der LG-Akte). Die vorgelegten objektiven Beweismittel, namentlich der E-Mail-Verkehr mit der Darlehensnehmerseite (siehe insbesondere die Anlagen ASt 21 bis ASt 26 sowie die E-Mail-Zitate aus ASt 35), belegen deutlich, dass der Antragsgegner mit „einer gewissen Selbständigkeit und Bewegungsfreiheit“ bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben agiert hat (vgl. zur Frage der Vermögensbetreuungspflicht: BGH NJW 1960, 53 [54]). Es ist der Antragsgegner selbst, der geltend macht, sein kreatives Verhandlungsgeschick habe die aus seiner Sicht positive Abwicklung des Kreditverhältnisses erst möglich gemacht. Seine herausgehobene Funktion und seine Gestaltungsmacht werden nicht zuletzt auch dadurch dokumentiert, dass er die maßgeblichen Entscheidungsvorlagen verantwortet und mitgestaltet hat (siehe seine Unterschriften auf den Anlagen ASt 11 und ASt 44). Die herausgehobene Pflichtenstellung wird vor diesem Hintergrund nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Antragsteller nicht in allen Fragen Letztentscheidungskompetenz hatte, dass Richtlinienkompetenzen der Antragstellerin zu beachten waren und dass Kontrollmechanismen vorgesehen waren. Der Antragsgegner agierte eben nicht nur als Sachbearbeiter, der lediglich fremde Entscheidungen in die Tat umsetzte.
73
Der Senat ist davon überzeugt, dass der Antragsgegner jederzeit im Bewusstsein seiner besonderen Pflichtenstellung gegenüber der Antragstellerin handelte.
74
2.1.2.3.2. Es ist darüber hinaus glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller die wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin, zu deren Schutz er in besonderem Maße berufen war (siehe oben Nr. 2.1.2.3.1), bewusst hintanstellte, um in kollusivem Zusammenwirken mit den Vertragspartnern der Antragstellerin den zielgerichtet von ihm verursachten Schaden der Antragstellerin zum eigenen Vorteil auszunutzen. Dies macht sein Handeln in besonderem Maße verwerflich.
75
Es kann dahinstehen, ob der Antragsgegner davon ausging, dass die Dividendenausschüttung an die Anteilseigner zur Vorbereitung eines Verkaufs der Objektgesellschaften im Allgemeinen ein übliches Verfahren im Sinne einer best practice war. Denn der Senat hält es für schlicht nicht glaubhaft und geradezu abwegig, dass der Antragsgegner davon ausgegangen sein könnte, eine Zustimmung nach Sec. 11 Abs. 4 Buchst. d RLA bzw. die Freigabe durch die Antragstellerin ihm gegenüber im Wege einer informierten Kreditentscheidung sei hierfür nicht erforderlich.
76
Überdies sprechen gute Gründe dafür, dass der Antragsgegner auch wusste, dass die Antragstellerin in jenem Zeitpunkt einen Anspruch auf Auszahlung dieser Mittel geltend machen konnte. Insofern würdigt der Senat, dass der Antragsgegner in der von ihm unterzeichneten Kreditvorlage vom 23.06.2017 (Anlage ASt 11) festgehalten hat, dass die Thesaurierung der Mittel auf den Reserve Accounts aus Perspektive des Darlehensgebers nicht erfolgswirksam ist, weil die thesaurierten Mittel zur Darlehensrückzahlung genutzt werden können (“can be used to repay our loan if the lease is not extended“).
77
Ein Indiz für Schädigungsvorsatz bildet des Weiteren, dass der Antragsgegner die Antragstellerin vor Freigabe der Mittel nicht informiert und pflichtwidrig nicht ihre Zustimmung eingeholt hat.
78
Für vorsätzliche Handlung und Schädigungsvorsatz spricht außerdem maßgeblich der – unstreitige – Geldfluss: Es ist in höchstem Maße auffällig und macht eine Unrechtsabrede zwischen dem Antragsgegner und den auf Darlehensnehmerinnenseite Beteiligten schon Anfang 2019 überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsgegner im Juni 2020 eine Summe von 800.000 € aus den durch die Dividendenauszahlung der Antragstellerin entzogenen Mitteln erhalten hat. Dies spricht dafür, dass die B-Ltd. als Vehikel genutzt wurde, um dem Antragsgegner einen Anteil an den im Februar/März 2019 abgezogenen Mitteln von den Reserve Accounts zukommen zu lassen – und damit für kollusives Zusammenwirken mit den Darlehensnehmerinnen bzw. deren Anteilseignern und für Vorsatz und Bereicherungsabsicht des Antragsgegners.
79
Die hierzu von Antragsgegnerseite vorgebrachte Erklärung ist hingegen nicht plausibel und erschüttert die Glaubhaftigkeit des Antragstellerinnenvortrags nicht. Es dürfte sich um eine bloße Schutzbehauptung handeln:
80
Für den Senat ist nicht nachvollziehbar, dass die [… – hinter der B-Ltd. stehenden wirtschaftlich berechtigten Personen] dem Antragsgegner letztlich mehr als 800.000 € (siehe zur monatlichen Vergütung weiter unten) freigiebig zugewendet haben sollen, ohne dass dieser die behauptetermaßen ursprünglich angedachte Gegenleistung erbracht hat. Der Antragsgegner selbst behauptet, er habe die 800.000 € erhalten, obwohl letztlich bereits im Zeitpunkt der Dividendenauszahlung klar war, dass keine Tätigkeit entfaltet wurde und der Gesellschaftszweck gescheitert war (Schriftsatz vom, S. 18 f. – Bl. 143 f. der LG-Akte; eidesstattliche Versicherung Anlage AG 8). Im geschäftlichen Verkehr – noch dazu mit versierten internationalen Investoren – ist nicht anzunehmen, dass dies Ergebnis einer Verkettung unglücklicher Umstände ist. Es ist schlicht nicht vorstellbar, dass die Geschäftspartner des Antragsgegners keine vertragliche Vorsorge getroffen haben sollten, um einer freigiebigen Zuwendung ohne jede Gegenleistung in dieser Größenordnung vorzubeugen. Die Verträge betreffend die Zuwendung der Geschäftsanteile an der B-Ltd. hat der Antragsgegner nicht vorgelegt.
81
Hinzu kommen weitere Aspekte, die letztlich wenig plausibel sind und die Behauptungen des Antragsgegners in Frage stellen:
82
Zwingend erscheint es nicht, dass ein dreimonatiger (so der Vortrag des Antragsgegners, Bl. 143 der LG-Akte) oder zweimonatiger (so der Vortrag unter Angabe genauer Anfangs- und Enddaten der Antragstellerin, Bl. 212 der LG-Akte) Lockdown eine Tätigkeit des Antragstellers vollständig verhindert haben sollte. Der Antragsgegner bleibt hierzu auch nebulös, wenn er zunächst meint, dies habe den „Aufbau des Servicing-Geschäfts erschwert[…]“, dann aber behauptet, „im Juni 2020 erstmals wieder im Büro vor Ort“ gewesen zu sein. Seine Behauptung, dass die verbleibenden [… – wirtschaftlich berechtigten Personen an der B-Ltd.] die Liquidation vorgeschlagen hätten, wird nicht weiter untermauert: Nach unbestrittenem Vortrag der Antragstellerin hat die Liquidation bislang nicht stattgefunden, sondern schied lediglich der Antragsgegner im Dezember 2021 aus der Gesellschaft aus (siehe hierzu auch Anlage ASt 30). Das einzige objektive Beweismittel zur Frage der Initiative hinsichtlich der Dividendenzahlung bildet Anlage ASt 31; die darin befindliche E-Mail des Antragsgegners vom 05.06.2020 spricht klar dafür, dass die Initiative vom Antragsgegner ausging. Von einer Liquidation ist in seiner E-Mail nicht die Rede.
83
Nach dem eigenen Vortrag des Antragsgegners war bereits im Juni 2020 klar, dass der Aufbau des Geschäfts der B.-Ltd. nicht weiter erfolgen würde. Gleichwohl erhielt er weiterhin bis jedenfalls Dezember 2020 monatliche Vergütungen von jeweils mehr als 8.000 € brutto einschließlich einem dreizehnten Monatsgehalt (vorgelegt in Anlagenkonvolut AG 11 für 12 Zahlungen für das Jahr 2020). Es bleibt unklar und wird vom Antragsgegner nicht erklärt, für welche Leistungen diese Vergütung erfolgt sein soll und warum die einvernehmliche Aufhebung des Anstellungsvertrags erst Ende Januar 2021, und damit sogar noch nach seinem Ausscheiden aus der B.-Ltd. erfolgt ist.
84
Die vom Antragsgegner in der Beschwerdeerwiderung vorgelegten objektiven Beweismittel zur Untermauerung des von ihm behaupteten dreijährigen Anstellungsvertrags und seines Umzugs nach Zypern (Anlagenkonvolut AG 11) sind nicht ergiebig. Anstellungsvertrag und Gehaltsabrechnungen sind nicht weiter überprüfbar und können auch bei einem Scheinvertrag vorgelegt werden. Dass der Antragsgegner sich in Zypern angemeldet hat, ist zu seiner Darstellung der Ereignisse stimmig, macht aber nicht die Behauptung der Antragstellerin unwahrscheinlich. Der Frachtbrief vom 13.04.2021 belegt letztlich nichts.
85
Die vom Antragsgegner herangezogene E-Mail aus dem Dezember 2019 (Schriftsatz vom 14.02.2024, S. 53 f. – Bl. 178 f. der LG-Akte) belegt lediglich eine dahingehende Äußerung des Antragsgegners, nicht die Wahrhaftigkeit seiner Äußerung.
86
Dabei übersieht der Senat nicht, dass der Antragsgegner für den maßgeblichen E-Mail-Verkehr die ihm von seinem Arbeitgeber zugeteilte E-Mail-Adresse (…) genutzt hat und maßgebliche E-Mails auch an zwei Berufsträger der von der Antragstellerin mandatierten Anwaltskanzlei D. gingen; der Antragsgegner benennt insbesondere die E-Mail des [… – wirtschaftlich berechtigte Person an der C.-Kft.] und seine Antwort-E-Mail jeweils vom 06.02.2019 (Anlage ASt 24, S. 9 ff.) sowie eine E-Mail vom 29.01.2019, aus der hervorgeht, dass er die Transaktionsstruktur umfassend mit Herrn S. aus rechtlicher Perspektive besprochen habe.
87
In der Tat könnte eine transparente Einbindung von Rechtsanwälten der Antragstellerin in die Verabredung pflichtwidrigen und schädigenden Handelns ein Beweisanzeichen gegen vorsätzliches Handeln bilden. Eine solche klare Beweiswirkung lässt sich den E-Mails aber nicht entnehmen.
88
Zunächst könnte es so sein, dass der Vorsatz des Antragstellers erst nach dem 06.02.2019 gefasst wurde. Immerhin sah seine E-Mail vom 06.02.2019 noch gar keine Dividendenausschüttung an die C-Kft. vor.
89
Unabhängig davon, wann der Vorsatz gefasst wurde, ist es plausibel, dass der Antragsteller aufgrund des E-Mail-Inhalts schlicht das Aufdeckungsrisiko seitens der Anwälte als nicht vorhanden oder sehr gering einschätzte. In den E-Mails, in denen ausdrücklich der Plan zur Dividendenausschüttung diskutiert und freigegeben wird (neuere E-Mails in Anlage ASt 24 sowie in den Anlagen ASt 25 und ASt 26), war die D-Kanzlei nicht auf cc gesetzt. Vor diesem Hintergrund ist es plausibel, dass der Antragsteller die Diskussion einschließlich der Frage des [… – wirtschaftlich berechtigte Person hinter C-Kft.], ob klar sei, „that we get the free cash until closing“, nicht unbedingt als misstrauenerweckend einschätzte. In dem gesamten vorgelegten E-Mail-Verkehr, der der D-Kanzlei zur Kenntnis gelangte, kamen die Ausdrücke „Reserve Account“, „Risk Premium“ oder „Exit fee“ nicht vor. Die Hinweise auf möglicherweise pflichtwidriges Handeln waren allenfalls obskur und mussten durch die konkret bei der D-Kanzlei involvierten Berufsträger ([…] und […]), die nachweislich mit der Ausarbeitung des Sale and Purchase Agreement (Endfassung in Anlage ASt 15) befasst waren, von denen aber nicht bekannt ist, ob sie auch mit den Einzelbestimmungen des RLA und vor allem mit der Vorgeschichte zur zweckgebundenen Aussetzung des Full Cash Sweep vertraut waren, nicht als auffällig bewertet werden. Hinzu kommt, dass zum damaligen Zeitpunkt ein redlicher Rechtsanwalt annehmen musste, dass die Aussagen des Antragsgegners entweder mit der Antragstellerin abgestimmt waren oder noch abgestimmt würden.
90
In einer Gesamtschau reichen die vorbenannten Umstände, um ein vorsätzlich sittenwidriges Handeln und Schädigungsvorsatz des Antragsgegners auf Grundlage des Parteivortrags und der vorgelegten Beweismittel zumindest überwiegend wahrscheinlich zu machen. Weitere tatsächliche Klärung muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
91
2.1.3. In dem Pay-off-Letter (Anlage ASt 16) kann kein wirksamer „Verzicht“ der Antragstellerin auf ein Risk Premium erblickt werden. Der Antragsgegner hat nicht ansatzweise glaubhaft gemacht, dass auf Seiten der Antragstellerin ein Bewusstsein bestanden hat, mit der Erklärung gegenüber der Darlehensnehmerseite bestehende Ansprüche zu erlassen, bzw. dass die Erklärungsgegner ein solches Verständnis von der Erklärung der Antragstellerin hätten haben können. Nicht ausreichend ist die Behauptung, dass einzelne Mitarbeiter oder Anwälte im Vorfeld des Pay-off-Letters Kenntnis über maßgebliche Umstände (Aussetzung Cash Sweep, Guthaben auf Reserve Accounts, Wegfall des Thesaurierungszwecks) gehabt haben. Entscheidend wäre, dass die Erklärung selbst im Bewusstsein des tatsächlich gegebenen Anspruchs erfolgt wäre bzw. von den Darlehensnehmerinnen so verstanden werden musste – hierfür bestand im geschäftlichen Verkehr überhaupt kein Anhaltspunkt. Im Gegenteil trägt der Antragsgegner selbst vor, dass „die letzten dokumentierten Kreditentscheidungen […] – im Gegensatz zu den früheren Entscheidungen – das „Risk Premium“ schlicht gar nicht mehr“ thematisierten (Bl. 140 f. der LG-Akte). Eine Information im Wege einer Kreditvorlage über die Dividendenauszahlung hat unstreitig ebenfalls nicht stattgefunden.
92
Anträgen des Antragsgegners auf Vorlage von internem E-Mail-Verkehr der Antragstellerin (wie in der Beschwerdeerwiderung, S. 22) oder gar von E-Mail-Verkehr zwischen Mitarbeitern der Antragstellerin und dem Antragsgegner (Schriftsatz vom 14.02.2024, S. 14 f. – Bl. 139 f. der LG-Akte) war nicht stattzugeben. Denn die Anordnung zur Vorlage gem. § 142 ZPO darf nicht der Ausforschung der von einer richterlichen Anordnung betroffenen Partei Vorschub leisten (BGH NJW-RR 2007, 1393 Rn. 10). Das Gericht darf die Urkundenvorlage nicht zum bloßen Zwecke der Informationsgewinnung, sondern nur bei Vorliegen eines schlüssigen, auf konkrete Tatsachen bezogenen entscheidungserheblichen Vortrags der Partei anordnen (BGH WM 2010, 1448 Rn. 25; NJW 2007, 2989 Rn. 20). Hieran fehlt es.
93
2.1.4. Die Einrede der Verjährung geht fehl. Der Antragsgegner hat nicht schlüssig zur Kenntnis bzw. zur grob fahrlässigen Nichtkenntnis der Antragstellerin hinsichtlich des Anspruchs gegen ihn vorgetragen. Erforderlich, um eine hinreichend aussichtsreiche Klage zu erheben, ist nicht nur eine Kenntnis eines Anspruchs gegen die Darlehensnehmerinnen, sondern in Richtung auf den Antragsgegner insbesondere auch Kenntnis oder grob fahrlässige Nichtkenntnis der seinen Vorsatz begründenden Umstände.
94
2.1.5. Ein Ausschluss gem. Ziff. 17 des Anstellungsvertrags (Anlage AG 6) kommt nicht in Betracht, da der Vertrag schon nicht im Verhältnis zwischen den Parteien des hiesigen Rechtsstreits geschlossen wurde.
95
2.2. Ein Erlassgrund im Sinne des Art. 7 Abs. 1 EuKtPVO liegt vor. Die Sicherungsmaßnahme in Form eines Beschlusses zur vorläufigen Pfändung ist dringend erforderlich, weil eine tatsächliche Gefahr besteht, dass ohne diese Maßnahme die spätere Vollstreckung der Forderung des Gläubigers gegenüber dem Schuldner unmöglich oder sehr erschwert wird.
96
Dabei müssen konkrete Anzeichen und nicht bloß typische abstrakte Gefahren die Gefahr einer Vollstreckungsvereitelung oder Vollstreckungserschwerung ohne vorläufige Kontenpfändung belegen (OLG Karlsruhe NJW-RR 2024, 122 Rn. 9; MüKoZPO/Lugani, 6. Aufl., ZPO Anh. §§ 946-959 (EuKoPfVO), Art. 7 Rn. 10; Rauscher/Wiedemann Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 5. Aufl., EuKoPfVO Art. 7 Rn. 8; vgl. auch OLG Hamm NJW 2019, 1235 Rn. 14 f.). Es reicht nicht aus, dass der Schuldner sein Kontoguthaben von einem Mitgliedstaat in einen anderen transferiert (OLG Hamm Beschluss vom 14.1.2019 – I-8 W 51/18, BeckRS 2019, 769 Rn. 13, unter Hinweis auf Erwägungsgrund 14 UAbs. 3).
97
Vorliegend ist zu sehen, dass die Antragstellerin planmäßiges Verhalten des Antragstellers zur ihrer sittenwidrigen Schädigung glaubhaft gemacht hat. Hierbei hat der Antragsteller den Geldfluss planmäßig unter Einsatz einer Zweckgesellschaft als Zahlstelle verschleiert und damit gezeigt, dass er willens und in der Lage ist, sein Vermögen wennmöglich dem Zugriff der Antragstellerin zu entziehen.
98
Unschädlich ist der Zeitablauf seit Widerruf der ursprünglichen vorläufigen Kontenpfändung und ein – unterstelltes – Wohlverhalten des Antragsgegners seitdem, wenn er die freigewordenen Guthaben auf den freigegebenen Konten belassen hat.
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Zum einen ist der Zeitablauf notwendige Begleiterscheinung des in Art. 37 EuKtPVO vorgesehenen Rechtsmittelverfahrens; es widerspräche dem effet utile, wenn bei Durchführung des unionsrechtlich vorgegebenen Verfahrens regelmäßig der Erlassgrund entfallen würde. Die Ausschöpfung der gem. § 956 ZPO vorgesehenen Beschwerdefrist durch die Antragstellerin kann somit auch nicht als Selbstwiderlegung gewertet werden.
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Zum anderen lässt ein Wohlverhalten nach dem für den Antragsgegner günstigen erstinstanzlichen Beschluss nicht die vorstehend begründete tatsächliche Gefahr entfallen, dass der Antragsgegner im Angesicht der für ihn ungünstigen obergerichtlichen Würdigung zu einer Neubewertung gelangt. Entsprechend dem Vorstehenden liegt damit weiterhin ein Erlassgrund vor.
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3. Die Widerrufsentscheidung des Landgerichts kann daher nicht bestehen bleiben.
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3.1. Nachdem die Widerrufsentscheidung gem. Art. 36 Abs. 5 UAbs. 1 EuKtPVO sofort vollstreckbar ist, kann der ursprüngliche Beschluss vom 19.01.2024 nicht aufrechterhalten werden, sondern muss neu erlassen werden. Denn mit Wirksamwerden der sofort vollstreckbaren Widerrufsentscheidung existiert kein Titel mehr, der wiederherzustellen wäre (siehe zur h. M. zu der parallelen Fragestellung beim Arrestverfahren Vollkommer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Auflage 2024, § 925 ZPO, Rn. 11; MüKoZPO/Drescher, 6. Aufl. 2020, ZPO § 925 Rn. 13 je m. w. N.). Dieses Rechtsschutzziel kann der Antragstellung in der sofortigen Beschwerde durch verständige Auslegung entnommen werden.
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3.2. Die Zinsen in Ziff. 8.1.2 werden, um eine Vollstreckung auch nach s[…] Recht unzweifelhaft zu ermöglichen, für den beantragten Zeitraum vom 06.03.2019 bis heute ausgerechnet (551.399,37 €).
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3.3. Damit ist der vorläufig pfändbare Gesamtbetrag in Ziff. 6.1 und 8.1 des neu zu erlassenden Pfändungsbeschlusses um die ausgerechneten Zinsen zu erhöhen. Dem stehen weder die Antragstellung der Beschwerdeführerin (Aufrechterhaltung) noch das grundsätzliche Verbot der reformatio in peius entgegen, zumal der Senat nach Aufhebung des ursprünglichen Pfändungsbeschlusses vom 19.01.2024 eine neue eigene Sachentscheidung zu treffen hat. Jedenfalls greift der Rechtsgedanke der – jederzeit von Amts wegen möglichen – Berichtigung von offenbaren Unrichtigkeiten, um die es sich an dieser Stelle im Beschluss vom 19.01.2024 handelte (§ 319 ZPO in Verbindung mit Art. 46 Abs. 1 EuKtPVO).
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3.4. Die vom Antragsgegner im Schriftsatz vom 14.02.2024 hilfsweise gestellten Anträge Nr. 4 und 5 sind unzulässig.
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Bei verständiger Würdigung des Antrags auf Zurückweisung der sofortigen Beschwerde geht der Senat davon aus, dass die Hilfsanträge aus dem Widerspruchsschriftsatz vom 14.02.2024 (Bl. 127 der LG-Akte) auch in der Beschwerdeinstanz gestellt sind. Die Bedingung ist eingetreten.
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Einen Antrag mit dem Ziel der Freistellung bestimmter Beträge ist im Rechtsbehelfssystem der EuKtPVO lediglich in Art. 34 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 31 EuKtPVO vorgesehen. Dieser Antrag ist jedoch im Vollstreckungsmitgliedstaat anzubringen und mithin im vorliegenden Verfahren unzulässig. Darauf hatte die Antragstellerin bereits hingewiesen (Schriftsatz vom 29.02.2024, S. 18 – Bl. 215 der LG-Akte), sodass ein weiterer Hinweis des Senats nicht erforderlich war.
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Das Rechtsbehelfssystem der EuKtPVO ist abschließend. Dies ergibt sich bereits aus dem ausdifferenzierten Katalog der einzelnen Rechtsbehelfe in Art. 33 ff. EuKtPVO. Im Übrigen spricht hierfür Erwägungsgrund 30 der Verordnung: „Diese Verordnung sollte […] es ihm [dem Schuldner] ermöglichen, den Beschluss oder seine Vollstreckung aus den in dieser Verordnung vorgesehenen Gründen … anzufechten.“ (Hervorhebung durch Senat). Das Rechtsschutzsystem der EuKtPVO würde ausgehöhlt, wenn weitere Rechtsbehelfe aus dem nationalen Recht zugelassen würden (vgl. Kindl/Meller-Hannich, Zwangsvollstreckung, 4. Aufl. 2021, EuKoPfVO Art. 46 Rn. 2; Schlosser/Hess/Hess, 5. Aufl. 2021, VO (EU) Nr. 655/2014 Art. 46 Rn. 1).
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO i.V.m. Art. 46 Abs. 1 EuKtPVO (MüKoZPO/ Lugani, 6. Aufl. 2022, EuKoPfVO Art. 46 Rn. 4).
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5. Die Entscheidung ist formell rechtskräftig (§ 957 ZPO). Eines Ausspruchs zur vorläufigen Vollstreckbarkeit oder über die Zulassung der Rechtsbeschwerde bedarf es damit nicht.
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6. Die Festsetzung des Streitwertes gem. §§ 47, 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG erfolgte in Übereinstimmung mit dem Erstgericht (Beschluss vom 23.05.2024, Bl. 12 der OLG-Akte).
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7. Die Zustellung dieses Beschlusses, der mit dem Neuerlass des Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung eine rechtliche Einheit bildet, erfolgt einheitlich entsprechend Art. 28 Abs. 2 EuKtPVO, nachdem der Antragsgegner bei Einleitung des Verfahrens seinen Wohnsitz in Deutschland hatte. Die Zustellung wird an den Prozessbevollmächtigten zu erfolgen haben.