Titel:
Wiedereinsetzungsantrag, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, Terminsverlegungsantrag, Beschwerdeführer, Hauptverhandlungstermin, Unverschuldete Säumnis, Vertretungsvollmacht, Ausbleiben des Angeklagten, Anwaltspostfach, Wiedereinsetzungsgesuch, Bayerisches Oberstes Landesgericht, Schriftsätze des Verteidigers, Sofortige Beschwerde, Krankheitsbedingte Abwesenheit, Beschlüsse des Amtsgerichts, Wiedereinsetzungsgrund, Verhandlungsunfähigkeit, Verwerfungsurteil, Fehlende Glaubhaftmachung, Unentschuldigtes Fernbleiben
Schlagworte:
Strafbefehl, Hauptverhandlung, Einspruch, Verwerfung, Säumnis, Vertretungsvollmacht
Vorinstanz:
AG Nürnberg, Beschluss vom 29.05.2024 – 432 Ds 412 Js 60884/2
Fundstelle:
BeckRS 2024, 41995
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten vom 11.06.2024 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 29.05.2024 wird als unbegründet verworfen.
2. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
1
I. Mit Verfügung vom 05.09.2023 erhob die Staatsanwaltschaft N.-F. gegen den Beschwerdeführer Anklage (Blatt 22 bis 25), welche ihm aufgrund Verfügung vom 13.09.2023 (Blatt 26) am 15.09.2023 zugestellt wurde. Mit Beschluss vom 27.09.2023 eröffnete das Amtsgericht Nürnberg das Hauptverfahren (Blatt 27) und bestimmte mit Verfügung vom gleichen Tage (Blatt 28) Termin zur Hauptverhandlung auf den 08.11.2023 um 10:45 Uhr (Blatt 28), zu dem der Beschwerdeführer am 30.09.2023 geladen wurde. Mit Schriftsatz vom 05.10.2023 und Eingang am 06.10.2023 zeigte sich für den Beschwerdeführer ein Verteidiger an (Blatt 30 und zu 30). Eingereicht wurde die Kopie einer Vollmacht, deren Text um 180 Grad nach links gedreht ist. Aufgrund des Ausdrucks auf DIN A 4 sind keine Unterschrift und kein Datum erkennbar. Die Vollmacht wurde der „Anwaltskanzlei [ ]“ erteilt (Blatt 31).
2
Mit Schriftsatz vom 07.11.2023, bei Gericht eingegangen am gleichen Tage um 18:34:16 Uhr auf einem sicheren Übermittlungsweg aus einem besonderen Anwaltspostfach, beantragte der Verteidiger Terminverlegung mit der Begründung, dass er – als Einzelanwalt tätig – erkrankt sei und den Gerichtstermin nicht wahrnehmen könne. Ein Attest werde nachgereicht (Blatt 34). Der Hauptverhandlungstermin fand daraufhin nicht statt. Mit Schriftsatz vom 21.11.2023 reichte der Verteidiger eine „Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zur Vorlage beim Arbeitgeber“ vom 08.11.2023 ein, welche eine am 08.11.2023 festgestellte bis zum 10.11.2023 andauernde Arbeitsunfähigkeit bestätigte (Blatt 36 bis 37).
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II. Am 21.11.2023 bestimmte das Amtsgericht neuerlich Termin zur Hauptverhandlung auf den 17.01.2024, 09:00 Uhr (Blatt 38 bis 39), zu dem der Beschwerdeführer am 23.11.2023 und der Verteidiger am 21.11.2023 geladen wurden. Mit Schriftsatz vom 16.01.2024, eingegangen am 17.01.2024 um 08:35:00 Uhr auf einem sicheren Übermittlungsweg aus einem besonderen Anwaltspostfach, beantragte der Verteidiger die Verlegung des Termins mit der Begründung, der Beschwerdeführer sei „mit einer Infektion verhandlungsunfähig erkrankt“ (Blatt 40). Um 09:30 Uhr eröffnete die Vorsitzende die bis 09:40 Uhr andauernde Hauptverhandlung, zu der weder der Verteidiger noch der Beschwerdeführer erschienen waren. Die Vorsitzende gab zu Protokoll, sie habe vor der Hauptverhandlung mit dem Angeklagten (Beschwerdeführer) telefoniert, welcher ihr mitgeteilt habe, er wolle ohne bestimmte, sich in Bulgarien aufhaltende Zeugen und ohne den Verteidiger nicht erscheinen. Der Angeklagte (Beschwerdeführer) sei sehr erregt und unverschämt und nicht krank gewesen, was er bestätigt habe. Dem Angeklagten (Beschwerdeführer) sei mitgeteilt worden, er müsse zum Termin erscheinen (Blatt 42 bis 44).
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Auf Antrag des Vertreters der Staatsanwaltschaft erließ das Amtsgericht hernach einen Strafbefehl, in dem gegen den Beschwerdeführer eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten verhängt wurde, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde (Blatt 43 bis 47).
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Mit Schriftsatz vom 22.01.2024, eingegangen per Fax am gleichen Tage (Blatt 51 und 52), reichte der Verteidiger ein „ÄRZTLICHES ATTEST zur Vorlage bei Gericht“ vom 17.01.2024 ein, in dem es heißt, der Angeklagte leide „an einer virusbedingten Durchfallerkrankung begleitet mit großen Erschöpfungserscheinungen“ und sei „daher mindestens bis 22.01.2024 verhandlungsunfähig“ (Blatt 52).
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Das Schriftbild dieses „Attestes“ ist mit dem das Attest einreichenden Schriftsatz des Verteidigers identisch. Im Kopf heißt es rechts
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Die Fax-Nummer des „[ ]“ lautet tatsächlich „[ ]“.
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Unten auf dem Attest heißt es in angekreuzter Form „Attestgebühr: Euro 7,58 gemäß GOÄ Ziffer 75 (ausführlicher Befund/Krankheitsbericht) 17,43 2,3 fache Steigerung“
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Die Variante GOÄ Ziffer 70 (Kurze Bescheinigung oder kurzes Zeugnis, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung) ist nicht angekreuzt. Die GOÄ Ziffer 75 hätte einen ausführlichen schriftlichen Krankheits- und Befundbericht (einschließlich Angaben zur Anamnese, zu dem(n) Befund(en), zur epikritischen Bewertung und gegebenenfalls zur Therapie) erfordert.
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III. Mit Schriftsatz vom 07.02.2024 wurde gegen den am 27.01.2024 dem Beschwerdeführer und am 29.01.2024 dem Verteidiger zugestellten Strafbefehl Einspruch eingelegt. Der Verteidiger begehrte die Gewährung von Akteneinsicht an ihn, welche das Amtsgericht am 12.02.2024 wie folgt verfügte (Blatt 53):
„AE f. Vert. mit Frist z. St. v. 1 Wo z. telefonischen „Auftritt“ d. Angekl. v. 17.1.24“
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Am 19.02.2024 ging die Akte bei dem Verteidiger ein (Blatt 54). Mit Schriftsatz vom 26.02.2024 bat der Verteidiger um Fristverlängerung bis zum 11.03.2024 mit folgender Begründung (Blatt 56):
„Aufgrund krankheitsbedingter Abwesenheit des Unterzeichners ist es nicht möglich eine Stellungnahme zu fertigen. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird nachgereicht.“
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Am 27.02., 07. und 15.03.2024 wurde um Rücksendung der Akte ersucht (Blatt 56 bis 58), am 18.03.2024 gelangte die Akte bei den Justizbehörden wieder in Rücklauf (Blatt 59).
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IV. Am 04.04.2024 bestimmte das Amtsgericht Termin zur Hauptverhandlung auf den 06.05.2024 um 10:30 Uhr (Blatt 60) und ordnete das persönliche Erscheinen an (Blatt 64). Dem Beschwerdeführer wurde die Ladung am 13.04.2024 und dem Verteidiger am 08.04.2024 zugestellt. Die Ladung enthielt den Hinweis, eine Abladung aus gesundheitlichen Gründen könne nur durch Vorlage eines Attestes der gerichtsärztlichen Dienststelle nachgewiesen werden. Am 06.05.2024 um 08:25 Uhr rief die Kanzlei des Verteidigers des Beschwerdeführers beim Amtsgericht an und teilte mit, der Verteidiger sei an Covid erkrankt und könne deshalb zum Termin nicht erscheinen. Er werde noch ein Terminverlegungsgesuch per beA einreichen (Blatt 67). Am 06.05.2024 um 08:22:24 Uhr ging der Terminverlegungsantrag auf einem sicheren Übermittlungsweg aus einem besonderen Anwaltspostfach beim Amtsgericht ein. Es heißt neben der Bitte um Verlegung, dem Verteidiger „als alleinigem Sachbearbeiter in dieser Angelegenheit ist es aufgrund einer am Wochenende ausgebrochenen COVID Erkrankung nicht möglich, am Termin teilzunehmen. Die Symptome haben sich von Tag zu Tag verschlimmert und führen nun zu nächtlichem Schüttelfrost, Hitzewallungen und Hustenanfällen.“ (Blatt 68)
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Eine ausdrückliche und dem Angeklagten und/oder seinem Verteidiger – auch ggf. mündlich – mitgeteilte Entscheidung über das Terminverlegungsgesuch traf das Amtsgericht nicht. Zum Termin erschienen nach Eröffnung der Hauptverhandlung um 10:30 Uhr weder der Angeklagte noch der Verteidiger (Blatt 69 bis 71), weshalb das Amtsgericht den Einspruch gegen den Strafbefehl mit Urteil vom 06.05.2024 verwarf (Blatt 72-73). Ausgeführt wird, dem Angeklagten (Beschwerdeführer) sei die Ladung ordnungsgemäß zugestellt worden, er sei gleichwohl ohne Entschuldigung ausgeblieben und auch nicht durch einen mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht versehenen Verteidiger vertreten worden. Das Urteil wurde am 08.05.2024 dem Verteidiger und am 13.05.2024 dem Angeklagten zugestellt.
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V. 1. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 08.05.2024 beantragte der Beschwerdeführer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Es wurde wie folgt ausgeführt:
„Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Sachen A [ ] wegen Körperverletzung wird die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Krankheitsbedingt war es dem Unterfertigten nicht möglich, am anberaumten Termin zur Fortsetzung der Hauptverhandlung teilzunehmen. Dies wurde dem Gericht am Termintag sowohl mit Terminverlegungsantrag per BeA (Ausgang um 08:22 Uhr) wie auch telefonisch der Geschäftsstelle mitgeteilt.
Der Beschuldigte wurde am Morgen des Termintages über die krankheitsbedingte Abwesenheit des Unterfertigten telefonisch unterrichtet, weswegen er, davonausgehend, dass der Termin umgeladen wird, nicht zum Termin erschienen ist.
Der Terminverlegungsantrag ist dem Gericht rechtzeitig vor dem Termin übermittelt worden. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist daher geboten.“
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Berufung oder Revision gegen das Urteil vom 06.05.2024 wurde nicht eingelegt.
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2. Mit Beschluss vom 29.05.2024 verwarf das Amtsgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand u. a. mit der Begründung (Blatt 78 bis 80), Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nur dann möglich, wenn jemand ohne Verschulden verhindert gewesen sei, eine Frist einzuhalten und die Tatsachen zur Begründung seines Antrages glaubhaft gemacht habe. An beidem fehle es. Es liege eine schuldhafte Säumnis vor, weil der Angeklagte (Beschwerdeführer) sich nicht darauf habe verlassen dürfen, der Verhandlungstermin werde verlegt.
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3. Gegen diesen am 05.06.2024 dem Angeklagten und am 06.06.2024 dem Verteidiger zugestellten Beschluss wurde mit Schriftsatz vom 11.06.2024, eingegangen am gleichen Tage auf einem sicheren Übermittlungsweg aus einem besonderen Anwaltspostfach, Beschwerde „gegen den Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 04.06.2024“ eingelegt (Blatt 83). Das Amtsgericht half der Beschwerde am 17.06.2024 nicht ab (Blatt 83) und legte die Akten am 25.06.2024 dem Landgericht Nürnberg-Fürth zur Entscheidung vor (Blatt 84).
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I. Die Beschwerde ist zulässig, da sie gemäß den §§ 412 Satz 1, 329 Abs. 7 Satz 1, 46 Abs. 3 StPO als sofortige Beschwerde statthaft ist und innerhalb der Frist des § 311 Abs. 2 1. Hs. StPO eingelegt wurde. Zwar heißt es im Beschwerdeschriftsatz „Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 04.06.2024“.
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Im gegenständlichen Verfahren gibt es keinen an diesem Tage ergangenen Beschluss. Der Akteninhalt lässt jedoch erkennen, dass nur der Beschluss vom 29.05.2024 gemeint sein kann, welcher am 04.06.2024 durch die Geschäftsstelle in Auslauf gegeben wurde.
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II. Die Beschwerde ist unbegründet, weil das Amtsgericht den Wiedereinsetzungsantrag zu Recht verworfen hat.
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Statthafter (Prüfungs-) Gegenstand des Wiedereinsetzungsantrags konnten allein neue, das Ausbleiben entschuldigende Tatsachen sein, und nicht solche, welche dem Amtsgericht bereits bekannt waren, aber als nicht genügend angesehen wurden.
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Der Wiedereinsetzungsantrag war bereits unzulässig, weil der einzige vorgetragene und in diesem Sinne „neue“ und im Wiedereinsetzungsverfahren berücksichtigungsfähige Grund für die unverschuldete Säumnis im Antrag nicht glaubhaft gemacht wurde.
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1. a) Der Angeklagte kann binnen einer Woche nach der Zustellung des Urteils die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter den in den §§ 44 und 45 StPO bezeichneten Voraussetzungen beanspruchen (§§ 412 Satz 1, 329 Abs. 7 Satz 1 StPO).
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b) Das Wiedereinsetzungsgesuch eröffnet die Möglichkeit, neue, das Ausbleiben entschuldigende Tatsachen vorzutragen. Es wird auch zugelassen, wenn neue Tatsachen geltend gemacht werden, die andere Verwerfungsvoraussetzungen entfallen lassen (vgl. MüKoStPO/Eckstein, 1. Aufl. 2019, StPO § 412 Rn. 35). Der Wiedereinsetzungsantrag kann nicht auf Tatsachen gestützt werden, die bereits als Entschuldigung für das Ausbleiben vorgebracht und vom Gericht im Verwerfungsurteil als nicht genügend bezeichnet worden sind (KK-StPO/Maur, 9. Aufl. 2023, StPO § 412 Rn. 17; Meyer-Goßner/Schmitt, 66. Auflage 2023, § 329 Rn. 42). Rechtsfehler der Verwerfungsentscheidung als solcher können nur auf Rechtsmittel (Berufung oder Revision) hin überprüft werden (vgl. MüKoStPO/Eckstein, 1. Aufl. 2019, StPO § 412 Rn. 35). Im Falle der zulässigen Berufung würde das Landgericht prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Verwerfung als solche nach § 412 StPO vorgelegen haben (vgl. BeckOK StPO/Temming, 51. Ed. 1.4.2024, StPO § 412 Rn. 10; KK-StPO/Maur, 9. Aufl. 2023, StPO § 412 Rn. 18).
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c) Das Wiedereinsetzungsgesuch ist zulässig, wenn es fristgemäß innerhalb einer Woche nach Zustellung des Verwerfungsurteils eingegangen ist (§§ 412 Satz 1, 329 Abs. 7 Satz 1 Satz 1 StPO) und die Gründe für die unverschuldete Säumnis im Antrag genau dargelegt (vgl. OLG Brandenburg Beschluss vom 06.09.2023 – 1 Ws 82/23 (S)) und glaubhaft gemacht sind (§§ 412 Satz 1, 329 Abs. 7 Satz 1 Satz 1, 45 Abs. 2 Satz 1 StPO). Es ist begründet, wenn die angeführten Gründe stichhaltig sind (BeckOK StPO/Eschelbach, 51. Ed. 1.4.2024, StPO § 329 Rn. 54).
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aa) Erklärungen eines Verteidigers sind zur Glaubhaftmachung i. d. R. geeignet, wenn er in dem Antrag die Wiedereinsetzungsgründe als eigene Wahrnehmung bestätigt (vgl. BGH, Beschluss vom 29.08.2006 – 1 StR 371/06; Beschluss vom 15.11.1995 – 3 StR 353/95; KG, Beschluss vom 28.08.2014 – 4 Ws 70/14 – 141 AR 358/14; OLG Köln, Beschluss vom 20.12.1963 – 1 Ws 76/63), die Handlungen, Unterlassungen oder Wahrnehmungen müssen dann aber in der Person des Anwaltes selbst liegen (vgl. OLG Hamm (5. Strafsenat), Beschluss vom 15.02.2018 – 5 Ws 44/18).
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bb) Wiedereinsetzung ist der Sache nach zu gewähren, wenn der Angeklagte ohne sein Verschulden verhindert war, zum Hauptverhandlungstermin zu erscheinen (§§ 412 Satz 1, 329 Abs. 7 Satz 1, 44 Satz 1 StPO). Nach den obigen Vorgaben sind im Rahmen der Prüfung des Wiedereinsetzungsantrags aber nur neue Tatsachen berücksichtigungsfähig, welche dem Amtsgericht zum Zeitpunkt seiner Entscheidung noch nicht bekannt waren.
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Das Ausbleiben des Angeklagten ist genügend entschuldigt, wenn ihm nach den Umständen des Einzelfalles ein Erscheinen nicht zumutbar war und ihm deshalb wegen seines Ausbleibens billigerweise kein Vorwurf gemacht werden kann (vgl. MüKoStPO/Quentin, 2. Aufl. 2024, StPO § 329 Rn. 29 m. w. N.; BeckOK StPO/Eschelbach, 51. Ed. 1.4.2024, StPO § 329 Rn. 22 m. w. N.; Gössel in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 329, Rn. 35 m. w. N.).
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2. a) Ob in dem Urteil des Amtsgerichts vom 06.05.2024 die Voraussetzungen unentschuldigten Fernbleibens – auch – des Verteidigers nach den §§ 412 Satz 1, 329 Abs. 1 Satz 1 StPO zu Recht bejaht wurden und ob der Beschwerdeführer, der sich in der Hauptverhandlung durch einen Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht hätte vertreten lassen können (§ 411 Abs. 2 Satz 1 StPO), aufgrund dessen Verhinderung aufgrund behaupteter Erkrankung entschuldigt nicht erschienen ist, hätte nach den obigen Vorgaben allenfalls mit Berufung und Revision geltend gemacht werden können, nicht aber mit einem Wiedereinsetzungsantrag. Dessen Umdeutung in eine Berufung oder Revision (mit der Folge der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses) war auch unter Würdigung des § 300 StPO nicht veranlasst, weil der Wortlaut des Antrages vom 08.05.2024 eindeutig und unmissverständlich nur von Wiedereinsetzung spricht und bei der Auslegung der Erklärung eines Rechtskundigen eher auf den gewählten Wortlaut abzuheben ist als bei der eines Rechtsunkundigen (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 13.06.2000 – 1 AR 636/00 – 5 Ws 408/00), wobei eine Auslegung entgegen dem Wortlaut nicht erfolgen darf (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 09.03.2001 – 1 AR 262/01 – 5 Ws 104 – 105/01; Beschluss vom 26.02.2004 – 5 Ws 696/03; OLG Hamm, Beschluss vom 5. September 2019 – III-2 Ws 102/19; LG Arnsberg, Beschluss vom 09.02.2007 – 2 Qs 18/07).
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„Neu“ im Sinne der obigen Vorgaben und im Rahmen der §§ 412 Satz 1, 329 Abs. 7 Satz 1, 44, 45 StPO berücksichtigungsfähig ist allein der Vortrag, der Beschwerdeführer sei – am Morgen des Termintages über die krankheitsbedingte Abwesenheit seines Verteidigers unterrichtet – davon ausgegangen, der Termin werde umgeladen, weshalb (auch) er nicht erscheinen müsse.
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b) Der fristgerecht eingegangene Wiedereinsetzungsantrag vom 08.05.2024 war unzulässig, weil dieser Grund für die unverschuldete Säumnis im Antrag nicht glaubhaft gemacht ist.
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Dass der Beschwerdeführer der (fehlerhaften) Einschätzung unterlag, der Termin werde umgeladen, weshalb (auch) er nicht erscheinen müsse, konnte durch bloße Verteidigererklärung nicht glaubhaft gemacht werden, weil die subjektive Sichtweise des Beschwerdeführers als innere Tatsache nicht Gegenstand der Wahrnehmung des Verteidigers sein konnte. Dass der Beschwerdeführer gegenüber dem Verteidiger eine dahingehende und von diesem wahrgenommene Äußerung dergestalt getätigt hätte, er gehe nunmehr davon aus, auch nicht zum Termin erscheinen zu müssen, ist nicht dargelegt und damit auch nicht in dieser Weise glaubhaft gemacht.
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c) Zwar können die Tatsachen zur Begründung des Antrags auch noch im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden (§§ 412 Satz 1, 329 Abs. 7, 45 Abs. 2 Satz 1 StPO), und die Glaubhaftmachung kann sogar noch im Beschwerderechtszug erfolgen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.02.1976 – 2 BvR 849/75; MüKoStPO/Valerius, 2. Aufl. 2023, StPO § 45 Rn. 17 m. w. N.; BeckOK StPO/Cirener, 51. Ed. 1.4.2024, StPO § 45 Rn. 8; KK-StPO/Schneider-Glockzin, 9. Aufl. 2023, StPO § 45 Rn. 15). Ein an den rechtskundigen Verteidiger unter Fristsetzung für deren Nachholung gerichteter Hinweis der Beschwerdekammer auf die fehlende Glaubhaftmachung war unter diesem Gesichtspunkt gleichwohl nicht veranlasst. Bereits der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts vom 29.05.2024 macht hierzu Ausführungen, welche dem Verteidiger seit dessen Zustellung am 06.06.2024 bekannt sind.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.
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Die Kammer bemerkt, dass das Amtsgericht Nürnberg den Einspruch gemäß den §§ 412 Satz 1, 329 Abs. 1 Satz 1 StPO zu Recht verworfen hat.
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1. Im Falle eines Vertretungsauftrags nach § 411 Abs. 2 Satz 1 StPO müssen zwar sowohl das Ausbleiben des Angeklagten, als auch das Ausbleiben des Verteidigers nicht genügend entschuldigt sein, sofern eine Entscheidung nach den §§ 412 Satz 1, 329 Abs. 1 Satz 1 StPO getroffen werden soll (vgl. MüKoStPO/Quentin, 2. Aufl. 2024, StPO § 329 Rn. 28, 54; MüKoStPO/Eckstein, 1. Aufl. 2019, StPO § 411 Rn. 26; KK-StPO/Paul, 9. Aufl. 2023, StPO § 329 Rn. 11a). Für die Anwendung von § 412 StPO ergibt sich aus der Anordnung nach § 236 StPO im Übrigen nichts (vgl. OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 12.12.1983 – 2 Ws 678/83; Gaede in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 411 StPO, Rn. 26; BeckOK StPO/Temming, 51. Ed. 1.4.2024, StPO § 411 Rn. 5), sie setzt die § 411 Abs. 2 Satz 1 StPO anerkannte Vertretungsmacht des Verteidigers nicht außer Kraft (vgl. Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 31. Oktober 1977 – RReg 2 St 359/77; OLG Hamburg, Urteil vom 22. 5. 1968 – 1 Ss 58/68). Ist ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht erschienen (bzw. entschuldigt nicht erschienen) und vertritt er den Angeklagten, scheidet ein Vorgehen nach den §§ 412, 329 StPO aus (vgl. MüKoStPO/Eckstein, 1. Aufl. 2019, StPO § 412 Rn. 25). Ein Verschulden des Angeklagten kann in dieser Konstellation auch nicht darin gesehen werden, dass er trotz Kenntnis von einer erkrankungsbedingten Verhinderung seines Verteidigers gleichwohl nicht selbst zum Termin erschienen ist (vgl. BayObLG, Beschluss vom 24.07.2001 – 1St RR 97/01).
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2. Ein wirksamer Vertretungsauftrag nach den §§ 234, 411 Abs. 2 Satz 1 StPO mit den o. g. Konsequenzen lag hier allerdings nicht vor, weil dem Amtsgericht keine vom Angeklagten eigenhändig unterschriebene Erklärung mit einer Vertretungsvollmacht vorlag, welche auch durch die Übermittlung eines mit einer qualifizierten elektronischen Signatur des Angeklagten versehenen Dokuments hätte eingereicht werden können, in dem er den Verteidiger bevollmächtigt oder eine solch bestehende Vollmacht bestätigt hätte (vgl. MüKoStPO/Arnoldi, 2. Aufl. 2024, StPO § 234 Rn. 6). Die unter 3 auf die §§ 234, 411 Abs. 2 Satz 1 StPO abgestimmte entsprechende Ausführungen enthaltene Urkunde (Blatt 31) lässt zum einen kein Datum und keine Unterschrift erkennen. Zum anderen wurde die Vollmacht der „Anwaltskanzlei [ ]“ erteilt und nicht etwa einem bestimmten Verteidiger als natürlicher Person.