Titel:
			Voraussetzungen für die Gewährung von Räumungsschutz
			Normenkette:
			ZPO § 765a
			Leitsätze:
			1. Die Anwendung des § 765a ZPO setzt voraus, dass die Vollstreckungsmaßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses der Gläubigerpartei wegen ganz besonderer Umstände für den Schuldner eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren wäre. Bei der Abwägung ist § 765a ZPO als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
			2. Für die Räumungsunfähigkeit ist der Schuldner darlegungs- und beweisbelastet. Er trägt daher die Nachteile, die durch Unbeweisbarkeit aufgrund fehlender Mitwirkung bei der Begutachtung durch einen Sachverständigen entstehen. (Rn. 10 – 13) (redaktioneller Leitsatz)
			Schlagworte:
			Räumungsschutz, Abwägung, Härte, Beweislast, Sachverständigengutachten, Mitwirkung
			Rechtsmittelinstanz:
			LG München I, Beschluss vom 04.09.2024 – 14 T 10419/24 (1)
			Fundstelle:
			BeckRS 2024, 41688
		 
		 
		Tenor
		
			
			1. Der Antrag des Schuldners ... vom 22.04.2024, gerichtet auf die Gewährung von Räumungsschutz nach § 765a ZPO betreffend die durch den Gerichtsvollzieher ... zu ... für den 14.05.2024 angekündigte Räumung, wird in vollem Umfang zurückgewiesen.
		 
		
			
			2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Schuldner.
		 
		Gründe
		
			1
			Der Schuldner beantragte am 22.04.2024, die Räumung aus dem Urteil für 6 Monate einzustellen.
		 
		
			2
			Der gestellte Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
		 
		
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			Das Vollstreckungsgericht kann auf Antrag eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstellen.
		 
		
			4
			Die Anwendung des § 765a ZPO setzt aber voraus, dass die Vollstreckungsmaßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses der Gläubigerpartei wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren wäre. § 765a ZPO ist eine absolute Ausnahmevorschrift und als solche trotz des scheinbaren Ermessensspielraums des Gerichts eng auszulegen.
		 
		
			5
			Für die Anwendung genügen weder allgemeine wirtschaftliche Erwägungen noch soziale Gesichtspunkte. Mit Härten, die jede Zwangsvollstreckung mit sich bringt, muss sich die Schuldnerin grundsätzlich abfinden.
		 
		
			6
			Im Rahmen des § 765a ZPO ist das Schutzbedürfnis der Gläubigerpartei, die aufgrund ihres Titels ein erhebliches Vollstreckungsinteresse hat, in vollem Umfang zu würdigen. Demgegenüber dürfen die Schwierigkeiten und sozialen Nöte der Schuldnerin nicht einseitig berücksichtigt werden (BGH NZM 2016, 654 Rn. 12).
		 
		
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			Nur soweit nach umfassender Abwägung die Interessen des Schuldners die des Gläubigers erheblich überwiegen, kommt eine Schutzanordnung in Betracht (vgl. Münchener Kommentar, ZPO, 6. Aufl., § 765a, Rn. 42).
		 
		
			
			Interessen der Schuldnerpartei:
		 
		
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			1. Der Schuldner wendet ein, dass ihm das Urteil des Amtsgerichts München nie zugestellt worden sei.
		 
		
			9
			Das Vollstreckungsgericht geht jedoch davon aus, dass der Schuldner das Urteil erhalten habe, da der Bevollmächtigte des Schuldners nach Zustellung des Versäumnisurteils mit den Gläubigervertreter verhandelt habe. Der Schuldner wurde dann durch den Gläubigervertreter informiert, dass bis zum 30.09.2023 von einer Vollstreckung abgesehen werde. Selbst wenn dem Schuldner also tatsächlich das Urteil nie zugestellt worden sei, hätte er spätestens durch die Korrespondenz mit der Gläubigerpartei von dem Urteil Kenntnis erlangt.
		 
		
			10
			2. Weiter begründet der Schuldner seinen Antrag damit, dass er aufgrund seiner Krebserkrankung zu 100% schwerbehindert sei und derzeit nicht räumungsfähig sei.
		 
		
			11
			Die vorgelegten Nachweise (Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom ... und das Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin und Innere Medizin vom ...) reichten jedoch nicht aus, um dem Räumungsschutzantrag stattzugeben, da nicht attestiert wurde, ob die Gefahr der Gesundheitsverschlechterung eventuell verringert werden kann, indem der Schuldner ambulant versorgt oder stationär untergebracht werden wird. Aus diesem Grund hat das Gericht mit Beschluss vom 30.04.2024 die Vollstreckung bis 30.08.2024 einstweilen eingestellt und von Amts wegen ein Sachverständigengutachten eingeholt. Um weitere Wiederholungen zu vermeiden, wird auf den Beschluss vom 30.04.2024 verwiesen.
		 
		
			12
			Der Schuldner ist trotz zweimaliger Ladung zur Begutachtung nicht erschienen und hat auch keine Hinderungsgründe mitgeteilt. Daher konnte keine Begutachtung durch den bestellten Sachverständigen stattfinden. Da der Schuldner die Einstellung der Zwangsvollstreckung begehrt, kann durchaus von ihm erwartet werden, dass er alles ihm Zumutbare unternimmt, um Gefahren für Leben und Gesundheit möglichst auszuschließen und zudem bei der Gutachtenserstellung mitwirkt. Hierauf wurde der Schuldner auch ausdrücklich mit Beschluss vom 30.04.2024 hingewiesen, ist dieser Pflicht jedoch nicht nachgekommen.
		 
		
			13
			Da ohne sein Mitwirken kein Gutachten erstellt werden konnte, ist nicht eindeutig nachgewiesen, dass der Schuldner derzeit nicht räumungsfähig sei und die Gefahr einer Gesundheitsverschlechterung nicht anders abzuwenden seien.
		 
		
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			3. Der Schuldner wendet zudem ein, dass er nur aufgrund seiner Krebserkrankung in Rückstand mit der Zahlung der Miete geraten ist und diese nun abbezahlen wird.
		 
		
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			Es spielt jedoch keine Rolle, ob und warum Mietrückstände bestehen und ob diese abbezahlt werden oder nicht. Denn auch die Tilgung der gesamten Schulden hebt den Räumungstitel nicht auf.
		 
		
			
			Interessen der Gläubigerpartei:
		 
		
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			Die Gläubiger sind aufgrund des allgemeinen Gewaltverbots auf die Zwangsvollstreckung angewiesen, um ihren sich aus Art. 14 GG ergebenden titulierten Anspruchs durchzusetzen. Diese teilten mit Schreiben vom 29.04.2024 mit, dass nach wie vor erhebliche Mietrückstände in Höhe von mindestens 7.000,00 € bestehen. Weiter werde bestritten, dass eine ernsthafte Krebserkrankung bestehe bzw. der Schuldner aufgrund dieser Erkrankung räumungsunfähig sei.
		 
		
			17
			Vor diesem Hintergrund überwiegt das Interesse der Gläubigerin an der Durchsetzung ihrer Rechte. Es liegen daher unter Berücksichtigung der abweichenden Interessen jedenfalls keine besonderen Umstände vor, die eine mit den guten Sitten nicht zu vereinbarende Härte ergeben würden, die über die mit einer Zwangsräumung zweifelsfrei verbundenen Belastungen und Beeinträchtigungen so deutlich hinausgeht, dass keine Möglichkeit besteht, die Zwangsvollstreckung einzustellen.
		 
		
			18
			Der Räumungsschutzantrag ist somit zurückzuweisen.
		 
		
			19
			Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 788 ZPO.