Titel:
Arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Krankengeld-Zuschuß, Entgeltersatzleistungen, Bezug von Übergangsgeld, Tarifvertragliche Regelung, Rehabilitationsmaßnahmen, Betriebszugehörigkeit, Tarifvertragspartei, Kammertermin, Sozialleistungsträger, Kosten des Rechtsstreits, Normenvollzug, Kostenentscheidung, Rechtsmittelbelehrung, Gleichbehandlung von Arbeitnehmern, Andere Arbeitnehmer, Elektronischer Rechtsverkehr, Berufungsbegründungsschrift, Manteltarifvertrag
Schlagworte:
Klageabweisung, Anspruchsprüfung, Tarifvertragliche Auslegung, Entgeltfortzahlung, Krankengeld, Übergangsgeld, Gleichbehandlungsgrundsatz
Rechtsmittelinstanz:
LArbG München, Urteil vom 05.12.2024 – 3 SLa 184/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 41629
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 1.560,24 € festgesetzt.
4. Die Berufung wird gesondert zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über eine tarifvertragliche Leistung.
2
Der am … geborene Kläger ist seit mehreren Jahren bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie in seiner jeweils gültigen Fassung (MTV) Anwendung. In § 11 Ziffer 5 MTV ist geregelt:
„Arbeitnehmer erhalten nach
zweijähriger Betriebszugehörigkeit für die Dauer eines Monats,
vierjähriger Betriebszugehörigkeit für die Dauer von 2 Monaten,
sechsjähriger Betriebszugehörigkeit für die Dauer von 3 Monaten
nach Ablauf des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß Ziffer 4 als Unterstützung den Unterschied zwischen 100 v.H. des Nettoverdienstes und dem Krankengeld.“
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Im Zeitraum vom 30.03. bis 12.05.2023 hat der Kläger von der Deutschen Rentenversicherung anlässlich einer von dieser durchgeführten medizinischen Rehabilitationsmaßnahme für 44 Kalendertage Übergangsgeld erhalten. Die Differenz zwischen dem kalendertäglichen Nettoarbeitsentgelt und dem kalendertäglichen Übergangsgeld beträgt für den gesamten Zeitraum 1.560,24 € netto.
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Mit seiner am 20.11.2023 beim Arbeitsgericht Passau eingegangen und der Beklagten am 22.11.2023 zugestellten Klage vom 16.11.2023 macht der Kläger gegen die Beklagte den Differenzbetrag von 1.560,24 € netto geltend und trägt vor, ein Anspruch auf die tarifvertragliche Unterstützungsleistung bestehe nicht nur bei dem Bezug von Krankengeld, sondern auch bei dem Bezug von Übergangsgeld anlässlich der Durchführung einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme. Dies ergebe eine Auslegung des MTV. In beiden Fällen handele es sich um einen Krankheitsfall. Der Kläger werde entgegen des Gebots der arbeitsrechtlichen Gleichbehandlung ohne sachlichen Rechtfertigungsgrund benachteiligt. Zwei Mitarbeiter der Beklagten hätten während einer 8- bis 10-wöchigen ambulanten Rehabilitationsmaßnahme im Krankenhaus ebenso Unterstützungsleistungen erhalten, wie eine Mitarbeiterin anlässlich deren Arbeitsunfähigkeit während einer mehrmonatigen ambulanten Behandlung.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.560,24 € netto zuzüglich 5 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, § 11 Ziff. 5 MTV setze den Bezug von Krankengeld nach §§ 44 ff. SGB V voraus. Fälle des Bezugs von Übergangsgeld nach §§ 64 ff. SGB IX unterfielen nicht der tarifvertraglichen Regelung. Dies ergebe sowohl eine Auslegung nach dem Wortlaut als auch nach dem systematischen Zusammenhang der Ziffern 4 und 5 des § 11 MTV. Der Kläger könne seinen Anspruch nicht auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz stützen. Die tarifvertragliche Regelung sei eindeutig und die Beklagte habe in keinem Fall einer Rehabilitationsmaßnahme oder einer Kur mit Übergangsgeldbezug einen Krankengeldzuschuss bezahlt.
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Zum übrigen Vortrag der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll des Kammertermins vom 09.04.2024 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
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1. Ein Anspruch des Klägers folgt nicht aus § 11 Ziffer 5 MTV.
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a) Gemäß § 11 Ziffer 5 MTV haben Arbeitnehmer nach Ablauf des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für einen bestimmten Zeitraum einen Anspruch auf eine Unterstützung in Höhe des Unterschieds zwischen 100 v.H. des Nettoverdienstes und dem Krankengeld. Der Kläger hat im Zeitraum vom 30.03. bis 12.05.2023 kein Krankengeld nach Ablauf des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bezogen, sondern anlässlich einer Rehabilitationsmaßnahme durch die Deutsche Rentenversicherung Übergangsgeld erhalten.
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b) Entgegen der Ansicht des Klägers ergibt eine Auslegung des § 11 Ziffer 5 MTV nicht, dass der Bezug von Übergangsgeld mit dem Bezug von Krankengeld gleichzusetzen wäre.
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aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 05.10.1999 – 4 AZR 578/98 und BAG 26.04.2017 – 10 AZR 589/15) ist der normative Teil eines Tarifvertrages nach den für die Gesetzesauslegung anzuwendenden Regeln auszulegen. Dabei ist zunächst der Tarifwortlaut maßgeblich, ohne am Buchstaben zu haften. Darüber hinaus sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien sowie beabsichtigter Sinn und Zweck einer Tarifnorm zu berücksichtigen, sofern und soweit diese in den Tarifnormen Niederschlag gefunden haben. Abzustellen ist auf den Gesamtzusammenhang des Tarifvertrages, da nur aus ihm und nicht aus den einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und nur bei Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs Sinn und Zweck zutreffend ermittelt werden können. Verbleibende Zweifel sind ohne Bindung an eine Reihenfolge mithilfe weiterer Kriterien, wie der Historie des Tarifvertrages und gegebenenfalls die praktische Tarifübung zu klären. Im Zweifel ist derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt.
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bb) Dem Kläger ist zwar zuzugeben, dass der Bezug von Übergangsgang ebenso wie der Bezug von Krankengeld eine Entgeltersatzleistung darstellt. Diese wird jedoch von § 11 Ziffer 5 MTV nicht erfasst. Die Vorschrift ist, wie die Beklagte zutreffend dargelegt hat, nicht auf andere Ersatzleistungen übertragbar. Der Wortlaut der tarifvertraglichen Regelung ist eindeutig. In § 11 Ziffer 5 MTV haben die Tarifvertragsparteien nur das „Krankengeld“ bezeichnet. Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass die Tarifvertragsparteien den Begriff „Krankengeld“ stellvertretend für andere Entgeltersatzleistungen aufgeführt haben oder andere Entgeltersatzleistungen einbeziehen wollten. So knüpft § 11 Ziffer 5 MTV ausdrücklich an den in § 11 Ziffer 4 MTV geregelten „Ablauf des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall“ an. „Krankengeld“ und „Übergangsgeld“ sind feststehende Begriffe des Sozialrechts und werden in § 64 Abs. 1 Satz 1 SGB IX als voneinander abgegrenzte „ergänzende Leistungen“ aufgeführt. Sie unterscheiden sich in Höhe und Berechnung, wie sich aus § 47 SGB V und § 66 SGB IX ergibt. Die Leistungen werden von unterschiedlichen Sozialleistungsträgern erbracht. Bei der Verwendung feststehender Rechtsbegriffe ist mangels anderer Anhaltspunkte davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien diese Rechtsbegriffe im feststehenden Sinn verwenden wollten (BAG 26.04.2017 – 10 AZR 589/15). Der systematische Zusammenhang in § 11 Ziffern 4 und 5 MTV spricht ebenfalls für eine Beschränkung auf den Bezug von Krankengeld. § 11 Ziffer 5 MTV knüpft ausdrücklich an den Ablauf des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß § 11 Ziffer 4 MTV an.
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2. Ein Anspruch des Klägers folgt nicht aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.
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a) Zu den Grundprinzipien des Arbeitsrechts gehört die Pflicht zur Gleichbehandlung von Arbeitnehmern. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist privatrechtlicher Natur. Die Rechtsprechung sieht den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz als privatrechtliche Ausprägung des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG, der dem Arbeitgeber gebietet, seine Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern gleich zu behandeln, soweit sie sich in gleicher oder vergleichbarer Lage befinden, beschränkt die Gestaltungsmacht des Arbeitgebers und ist zugleich Anspruchsgrundlage und Schranke der Rechtsausübung (hierzu Schaub-Linck, Arbeitsrechts-Handbuch, 20. Aufl., § 112, Rn. 1, m.w.N., insbesondere zur Rechtsprechung). Das Gebot der Gleichbehandlung greift bei einem selbst geschaffenen Regelwerk, mithin dann, wenn der Arbeitgeber freiwillig nach einer abstrakten selbst gesetzten Regel und einem erkennbar generalisierenden Prinzip Leistungen gewährt (Schaub-Linck, Arbeitsrechts-Handbuch, 20. Aufl., § 112, Rn. 3, m.w.N.).
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b) Eine Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes hat der Kläger nicht dargelegt. Der Vortrag des Klägers enthält – wie anlässlich seiner informatorischen Befragung im Kammertermin klargestellt – nicht, dass die Beklagte Arbeitnehmern bei dem Bezug von Übergangsgeld zusätzliche Leistungen gewährt hätte.
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Soweit der Kläger die Ansicht vertritt, Arbeitnehmer seien bei dem Bezug von Übergangsgeld ebenso zu behandeln wie bei dem Bezug von Krankengeld, kann sich der Kläger nicht auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz berufen. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz greift nur bei einem gestaltenden Verhalten des Arbeitgebers, nicht beim bloßen Normenvollzug, da der Arbeitgeber insoweit keine eigene Ordnung schafft, sondern Leistungen auf der Grundlage vorgegebener generellabstrakter Regelungen verteilt (Schaub-Linck, Arbeitsrechts-Handbuch, 20. Aufl., § 112, Rn. 12, m.w.N.). Die von der Beklagten gegebenenfalls anderen Arbeitnehmer beim Bezug von Krankengeld gewährten Leistungen finden ihre Grundlage in § 11 Ziffer 5 MTV und beruhen auf einem Normenvollzug des Arbeitgebers und nicht auf einer von ihm geschaffenen eigenen Ordnung.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 495 ZPO in Verbindung mit § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG. Der unterliegende Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
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Die Regelung des § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG bleibt unberührt.
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Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 61 Abs. 1 Satz 1, 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i.V.m. §§ 39 Abs. 1, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, §§ 495, 3 ZPO und entspricht dem bezifferten Betrag der Klageforderung.
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Die gesonderte Zulassung der Berufung beruht auf § 64 Abs. 2 lit. a, Abs. 3 Ziffer 2 b ArbGG).