Titel:
Tarifauslegung – Zuschuss zum Kranken-/Übergangsgeld
Normenketten:
Manteltarifvertrag der bayerischen Metall- und Elektroindustrie: § 11 Ziff. 4, Ziff. 5
BGB § 133, § 157
Leitsätze:
Soweit Arbeitnehmer Übergangsgeld beziehen, sind sie nach § 11 Ziff. 5 Manteltarifvertrag der bayerischen Metall- und Elektroindustrie nicht zu einem Zuschuss entsprechend den Arbeitnehmern mit Krankengeldbezug berechtigt. (Rn. 20)
Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zuschuss zum Kranken-/Übergangsgeld, Tarifvertrag, Auslegung
Vorinstanz:
ArbG Passau, Urteil vom 09.04.2024 – 4 Ca 859/23
Fundstelle:
BeckRS 2024, 41628
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Passau vom 09.04.2024 – 4 Ca 859/23 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Zahlung eines Zuschusses zum Übergangsgeld.
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Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.10.2003 beschäftigt. Kraft beiderseitiger Tarifbindung findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien der Manteltarifvertrag der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie in seiner jeweils gültigen Fassung (im Folgenden: MTV) Anwendung, der auszugsweise wie folgt lautet:
„§ 11 Betriebsunfall, Mitteilungspflicht bei Arbeitsverhinderung, Entgeltfortzahlung …
4. (I) Unabhängig von gesetzlichen Bestimmungen erhalten Arbeitnehmer in Fällen unverschuldeter, mit Arbeitsunfähigkeit verbundener Krankheit sowie während einer Vorbeugungs-, Heil- oder Genesungskur der Sozialversicherung, der Verwaltungsbehörde, der Kriegsopferversorgung oder eines sonstigen Sozialleistungsträgers das Arbeitsentgelt vom ersten Tag des Arbeitsverhältnisses an für die Zeit der dadurch gegebenen Arbeitsverhinderung bis zu einer Dauer von sechs Wochen weitergezahlt.
(II) Wird der Arbeitnehmer wegen derselben Erkrankung wiederholt arbeitsunfähig, so hat er nur insoweit Anspruch auf Entgeltfortzahlung, als die Dauer von 6 Wochen noch nicht ausgeschöpft ist (…).
(III) Das weiterzuzahlende Entgelt bemisst sich nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst, den der Arbeitnehmer in den letzten 3 abgerechneten Kalendermonaten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder Kur beanspruchen konnte.
Bei Verdiensterhöhungen nicht nur vorübergehender Natur (…) Das Ergebnis stellt den Geldfaktor dar, welcher mit der Zahl der gem. Abs. (I) ausgefallenen festgelegten regelmäßigen Arbeitsstunden zu vervielfältigen ist.
5. Arbeitnehmer erhalten nach zweijähriger Betriebszugehörigkeit für die Dauer eines Monats vierjähriger Betriebszugehörigkeit für die Dauer von 2 Monaten, sechsjähriger Betriebszugehörigkeit für die Dauer von 3 Monaten nach Ablauf des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß Ziffer 4 als Unterstützung den Unterschied zwischen 100 v.H. des Nettoverdienstes und dem Krankengeld.
Anmerkungen zu § 11 Nr. 5
Der „Nettoverdienst“ i.S. dieser Regelung ist aus dem Bruttoverdienst – jedoch ohne Mehrarbeitsvergütung und -zuschläge – zu errechnen, der dem Arbeitnehmer zustehen würde, wenn er nicht erkrankt wäre. Der Zuschuss errechnet sich aus der Differenz zwischen diesem „Nettoverdienst“ und dem als „Bruttobetrag“ zu beanspruchenden Krankengeld.“
3
Vom 30.03.2023 bis 12.05.2023 befand sich der Kläger in einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme der Deutschen Rentenversicherung und bezog von dieser Übergangsgeld. Nachdem er außergerichtlich vergeblich Zahlung eines Zuschusses zum Übergangsgeld gem. § 11 Ziff. 5 MTV gegenüber der Beklagten geltend gemacht hat, hat er Zahlungsklage in unstreitiger Höhe von 1.560,24 € netto erhoben, die der Beklagten am 22.11.2023 zugestellt worden ist.
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Der Kläger hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, dass die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (Krankenkasse) mit dem Bezug von Übergangsgeld (Rentenversicherung) gleichzusetzen sei, da in beiden Fällen ein Krankheitsfall vorliege. Darüber hinaus sei die Tarifvorschrift erweiternd auszulegen, weil sie ihn andernfalls im Sinne des arbeitsgerichtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes benachteilige. Es bestehe keine sachliche Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung mit Arbeitnehmern im Krankengeldbezug. Auch bei ihm sei Voraussetzung für das gezahlte Übergangsgeld der Deutschen Rentenversicherung eine Erkrankung gewesen.
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Schließlich stütze der Kläger seinen Anspruch auf den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Beklagte habe an andere Mitarbeiter Unterstützungsleistungen gezahlt, nämlich während einer acht- bis zehnwöchigen ambulanten Rehabilitationsmaßnahme im Krankenhaus bzw. bei Arbeitsunfähigkeit während einer mehrmonatigen ambulanten Behandlung.
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Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag darauf gestützt, dass Voraussetzung der Unterstützungsleistung gem. § 11 Ziff. 5 MTV der Bezug von Krankengeld nach §§ 44 ff. SGB IX sei, der in der Person des Klägers nicht vorliege. Eine Auslegung des § 11 Ziff. 5 MTV dahingehend, dass auch bei Bezug von Übergangsgeld nach § 64 ff. SGB IX ein Anspruch auf Unterstützungsleistung bestehe, sei nach dem Wortlaut und dem systematischen Zusammenhang der Regelung nicht möglich.
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Das Arbeitsgericht Passau hat die Klage durch Urteil vom 09.05.2024 – 4 Ca 859/23 – abgewiesen. Dem Kläger stehe der geltend gemachte Anspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Die Auslegung des § 11 Ziff. 5 MTV ergebe nicht, dass der Bezug von Übergangsgeld mit dem Bezug von Krankengeld gleichzusetzen wäre. Der Wortlaut der tarifvertraglichen Regelung sei eindeutig. In § 11 Ziff. 5 MTV hätten die Tarifvertragsparteien nur das Krankengeld bezeichnet. Anhaltspunkte dafür, dass sie den Begriff „Krankengeld“ stellvertretend für andere Entgeltersatzleistungen aufgeführt hätten oder andere Entgeltersatzleistungen hätten einbeziehen wollen, bestehe nicht. „Krankengeld“ und „Übergangsgeld“ seien feststehende Begriffe des Sozialrechts, würden in § 64 Abs. 1 Satz 1 SGB IX als voneinander abgegrenzte „ergänzende Leistungen“ aufgeführt werden und unterschieden sich in Höhe und Berechnung, wie sich aus § 47 SGB V und § 66 SGB IX ergebe. Bei der Verwendung feststehender Rechtsbegriffe sei mangels anderer Anhaltspunkte davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien diese Rechtsbegriffe im feststehenden Sinn hätten verwenden wollen. Auch spreche der systematische Zusammenhang in § 11 Ziff. 4 und 5 MTV für eine Beschränkung auf den Bezug von Krankengeld. § 11 Ziff. 5 MTV knüpfe ausdrücklich an den Ablauf des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gem. § 11 Ziff. 4 MTV an. Der Anspruch des Klägers folge auch nicht aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, weil der Kläger nicht vorgetragen habe, dass die Beklagte Arbeitnehmern bei dem Bezug von Übergangsgeld zusätzliche Leistungen gewährt hätte.
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Gegen dieses, seiner Prozessbevollmächtigten am 16.04.2024 zugestellte Urteil hat der Kläger am 07.05.2024 Berufung beim Landesarbeitsgericht München eingelegt und diese am 13.06.2024 begründet.
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Der Kläger vertritt die Auffassung, dass der Begriff „Krankengeld“ auch auf andere Sozialleistungen wie z.B. das Übergangsgeld anzuwenden sei. § 11 Ziff. 5 MTV sei dem Wortlaut nach nicht eindeutig. In Tarifverträgen werde öfters der Begriff „Krankengeld“ für weitere Entgeltersatzleistungen verwendet, wie das BAG in der Entscheidung vom 25.04.2007 – 10 AZR 110/16 – Rn. 17 festgestellt habe. Auch seien die Fälle aus § 11 Ziff. 4 MTV für den Anspruch aus § 11 Ziff. 5 MTV „mitzudenken“. Der in § 11 Ziff. 5 MTV verwandte Begriff „Krankengeld“ sei deshalb nur als Oberbegriff für die jeweiligen Entgeltersatzleistungen verwandt worden. § 11 Ziff. 5 MTV rede auch von „Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gem. Ziff. 4“. Der Wille der Tarifvertragsparteien sei also dahingehend auszulegen, dass der Zuschuss gem. § 11 Ziff. 5 MTV auf alle in § 11 Ziff. 4 MTV genannten Fälle anzuwenden sei, wie durch eine Auskunft der Tarifvertragsparteien, die durch das Gericht einzuholen sei, unter Beweis gestellt werde. Der Auffassung des Klägers habe sich auch das Arbeitsgericht Rosenheim im Urteil vom 22.11.2016 – 1 Ca 1109/16 – angeschlossen.
das Urteil des Arbeitsgerichts Passau vom 09.04.2024 – Az. 4 Ca 859/23 – abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.560,24 € netto zuzüglich 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Das Arbeitsgericht habe zutreffend festgestellt, dass der Bezug von Übergangsgeld mit dem Bezug von Krankengeld nicht gleichzusetzen sei. Es sei nicht Aufgabe der Instanzgerichte, tarifvertragliche Regelungen aus Billigkeitsaspekten abzuändern. Die streitgegenständliche Tarifvertragsregelung sei klar und eindeutig. § 11 Ziff. 4 und 5 MTV enthielten Besserstellungen der Arbeitnehmer im Vergleich zu den gesetzlichen Regelungen, die als Sonderregelungen Ausnahmefälle beschrieben und nicht im Wege einer Umdeutung in ihrem Anwendungsfall erweitert werden könnten. Der Wortlaut in § 11 Ziff. 5 MTV „Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall“ spreche zudem eindeutig dafür, dass tatsächlich nur die Entgeltfortzahlung während Krankheit, nicht während einer Vorbeugungs-, Heil- und Genesungskur gemeint sei. Hätten die Tarifvertragsparteien alle Fälle der Entgeltfortzahlung erfassen wollen, hätten sie einen Wortlaut gewählt, der ausdrücklich alle Fälle der Entgeltfortzahlung nach § 11 Ziff. 4 MTV erfasse. Die seitens des Klägers zitierte BAG-Entscheidung sei nicht auf den vorliegenden Fall zu übertragen, da sie zum Manteltarifvertrag für die Beschäftigten in der Wohnungswirtschaft vom 03.06.1997 ergangen sei.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die von ihnen eingereichten Schriftsätze und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 05.12.2024 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.
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Die nach § 64 Abs. 2 lit. b) ArbGG statthafte Berufung ist form- und fristgemäß eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO und damit zulässig.
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Die Berufung hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung einen Anspruch des Klägers auf Zahlung eines Zuschusses zum Übergangsgeld verneint. Hierauf wird nach § 69 Abs. 2 ArbGG ausdrücklich Bezug genommen. Die seitens des Klägers im Rahmen der Berufung weiterverfolgte Rechtsauffassung kann keine abweichende Beurteilung begründen.
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1. Dem Kläger steht der streitgegenständliche Anspruch nicht aus § 11 Ziff. 5 MTV zu.
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Dies folgt aus der Auslegung der Tarifnorm.
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a) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (stRspr, vgl. nur BAG, Urteil vom 20.11.2019 – 5 AZR 39/19 – Rn. 20 m.w.N.).
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b) Nach diesen Grundsätzen, denen sich die erkennende Kammer anschließt, hat ein Arbeitnehmer, der Übergangsgeld bezieht, keinen Anspruch auf Unterstützung im Sinne des § 11 Ziff. 5 MTV.
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aa) Nach dem Wortlaut des § 11 Ziff. 5 MTV wird Arbeitnehmern in Abhängigkeit von ihrer Betriebszugehörigkeit für eine bestimmte Dauer nach Ablauf des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gem. Ziff. 4 als Unterstützung der Unterschied zwischen 100 v. H. des Nettoverdienstes und dem Krankengeld bezahlt. Krankengeld ist im SGB V gesetzlich geregelt und beträgt 70 v. H. des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsbemessung unterliegt (Regelentgelt, § 47 Abs. 1 Satz 1 SGB V) und darf 90 v. H. des entgangenen Nettoentgelts nicht übersteigen (§ 47 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Im Falle des Bezugs von Krankengeld trägt der Arbeitnehmer als Leistungsempfänger die Hälfte der Beiträge zur Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung und ggf. den Beitragszuschlag für Kinderlose in der Pflegeversicherung (vgl. BAG, Urteil vom 29.04.2021 – 6 AZR 215/20 – Rn. 20).
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Demgegenüber finden sich die gesetzlichen Regelungen zum Übergangsgeld im SGB IX. Das Übergangsgeld wird regelmäßig aus 80 Prozent des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts errechnet, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt (§ 66 Abs. 1 S. 1 SGB IX), und beträgt nach § 66 Abs. 1 S. 2 SGB IX für Leistungsempfänger, die ein Kind haben, ein Stiefkind in ihren Haushalt aufgenommen haben oder die den mit ihnen in häuslicher Gemeinschaft lebenden Ehegatten oder Lebenspartner pflegen bzw. von diesem gepflegt werden, 75 v.H., für die übrigen Leistungsempfänger 68 v.H. der maßgebenden Bemessungsgrundlage. Der Arbeitnehmer hat beim Bezug von Übergangsgeld mit Ausnahme des etwaigen Beitragszuschlags für Kinderlose in der Pflegeversicherung keine Beiträge zur Sozialversicherung zu tragen; diese werden vielmehr vollständig vom Leistungsträger übernommen (vgl. BAG, Urteil vom 29.04.2021 – 6 AZR 215/20 – Rn. 21). Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts führt dieser Unterschied im Verhältnis zum Krankengeld zu einer – sozialrechtlich bedingten – Besserstellung des Beschäftigten beim Übergangsgeld (vgl. BAG, Urteil vom 29.04.2021 – 6 AZR 215/20 – Rn. 21).
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Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen kann nicht angenommen werden, die Tarifvertragsparteien hätten Kranken- und Übergangsgeld in § 11 Ziff. 5 MTV gleichgesetzt. Es ist bei der Wortlautauslegung eines Fachbegriffs, der im allgemeinen oder in fachlichen Kreisen eine bestimmte Bedeutung hat, vielmehr davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien mit diesem Begriff den allgemein üblichen Sinn verbinden wollten (vgl. BAG, Urteil vom 26.04.2017 – 10 AZR 589/15 – Rn. 15). Insbesondere beim Krankengeld handelt es sich um einen sozialversicherungsrechtlichen Begriff mit einer ganz bestimmten Bedeutung in der Rechtsterminologie. Verwenden die Tarifvertragsparteien einen solchen Begriff im Tarifvertrag, ist davon auszugehen, dass er hier ebenfalls diese Bedeutung haben soll, soweit sich nicht aus dem Tarifvertrag selbst etwas Anderes ergibt (vgl. BAG, Urteil vom 13.02.2002 – 5 AZR 604/00 – unter 1. der Gründe). Hiervon ist im vorliegenden Fall nicht auszugehen; es fehlt an einer – etwa § 22 Abs. 2 S. 2 TVöD-V vergleichbaren Formulierung „Zuschuss zum Krankengeld oder einer entsprechenden gesetzlichen Leistung“. Zudem haben die Tarifvertragsparteien in der Anmerkung zu § 11 Ziff. 5 MTV zwar klargestellt, wie der Zuschuss zum Krankengeld zu berechnen ist („Bruttokrankengeld“), aber nicht erklärt, dass § 11 Ziff. 5 MTV auf den Anspruch auf Zuschuss zum Übergangsgeld entsprechend anzuwenden sei. Dies hätte aber nahegelegen, wenn die Tarifvertragsparteien Entsprechendes erwogen hätten. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Anwendung des § 11 Ziff. 5 MTV auf Fälle des Bezugs von Übergangsgeld zu erheblichen zusätzlichen Belastungen des Arbeitgebers führen würde; ohne eine ausdrückliche Regelung kann nicht davon ausgegangen werden, die Tarifvertragsparteien hätten dem Arbeitgeber auch den Zuschuss zum Übergangsgeld auferlegen wollen (vgl. BAG, Urteil vom 29.04.2021 – 6 AZR 215/20 – Rn. 20 zu der vergleichbaren Konstellation der Auferlegung der vom Arbeitnehmer zu tragenden Beitragsanteile zur Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung beim Zuschuss zum Krankengeld auf den Arbeitgeber im Rahmen des § 22 Abs. 1 Satz 1 TVöD-V).
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bb) Darüber hinaus bestätigt die Auslegung nach dem Regelungszusammenhang des § 11 Ziff. 5 MTV, dass der Begriff des Übergangsgeldes nicht mit dem des Krankengeldes in § 11 Ziff. 5 MTV gleichzusetzen ist. § 11 Nr. 4 Abs. 1 MTV zeigt, dass den Tarifvertragsparteien die Fälle unverschuldeter, mit Arbeitsunfähigkeit verbundener Krankheit einerseits und die Fälle der Vorbeugungs-, Heil- oder Genesungskur der Sozialversicherung oder eines sonstigen Sozialleistungsträgers andererseits bekannt waren, so dass die Nichtregelung einer Unterstützungsleistung für Übergangsgeldbezieher in § 11 Ziff. 5 MTV den Rückschluss zulässt, eine solche Leistung sollte dieser Arbeitnehmergruppe nicht zu Teil werden.
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cc) Zudem spricht der Sinn und Zweck des Zuschusses zum Krankengeld, die wirtschaftlichen Nachteile aufgrund des Bezugs des Krankengeldes zu mildern, nicht dafür, auch Arbeitnehmern beim Übergangsgeldbezug einen Zuschuss entsprechend der für den Krankengeldbezug getroffenen Regelung zu gewähren (a. A.: LAG Hamm, Urteil vom 30.01.2013 – 2 Sa 830/12 – bei einer arbeitsvertraglichen Regelung des Zuschusses zum Krankengeld). Wegen den Unterschieden in der Bemessungsgrundlage und dem Bemessungssatz sowie vor allem der unterschiedlichen sozialrechtlichen Regelungen liegen bei Beziehern von Übergangsgeld nicht dieselben oder vergleichbare wirtschaftliche Nachteile wie bei den Beziehern von Krankengeld vor.
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dd) Schließlich gebietet der allgemeine Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG keine Auslegung des § 11 Ziff. 5 MTV in dem Sinne, dass „Krankengeld“ auch „Übergangsgeld“ umfasst.
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Zwar wollen Tarifvertragsparteien im Zweifel Regelungen treffen, die mit zwingendem höherrangigen Recht im Einklang stehen und damit auch Bestand haben, weshalb eine Tarifnorm, deren Auslegung zu einem mit höherrangigem Recht zu vereinbarenden Ergebnis führt, in diesem Sinne anzuwenden ist (vgl. BAG, Urteil vom 20.11.2019 – 5 AZR 39/19 – Rn. 27). Doch steht den Tarifvertragsparteien als selbständigen Grundrechtsträgern bei ihrer Normsetzung aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Ihnen kommt eine Einschätzungsprärogative zu, soweit die tatsächlichen Gegebenheiten, die betroffenen Interessen und die Regelungsfolgen zu beurteilen sind. Darüber hinaus verfügen sie über einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Regelung und sind nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund vorliegt. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz ist vor diesem Hintergrund erst dann anzunehmen, wenn die Tarifvertragsparteien es versäumt haben, tatsächliche Gemeinsamkeiten oder Unterschiede der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise hätten beachtet werden müssen (vgl. BAG, Urteil vom 20.11.2019 – 5 AZR 39/19 – Rn. 26 m.w.N.).
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Aufgrund der genannten Unterschiede des Kranken- und Übergangsgeldes begründen sich keine Bedenken aus dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz im Hinblick darauf, dass die Tarifvertragsparteien Übergangsgeldbezieher von der Unterstützung während des Übergangsgeldbezugs ausgenommen haben.
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2. Der streitgegenständliche Anspruch begründet sich auch nicht aus der Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes durch die Beklagte im Hinblick auf die Behandlung anderer Arbeitnehmer. Es wird insoweit auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts gem. § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen, denen sich die Berufungskammer ausdrücklich anschließt. Der Kläger ist in seiner Berufung diesen Erwägungen auch nicht entgegengetreten.
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Der Kläger hat die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO i.V.m.
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Es bestand kein Grund im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG, die Revision zum Bundesarbeitsgericht zuzulassen.