Inhalt

ArbG München, Beschluss v. 04.07.2024 – 12 BV 370/23
Titel:

Berechtigung einer Schwerbehindertenvertretung im Rahmen ihrer Aufgaben eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eines schwerbehinderten Menschen an den Arbeitgeber weiterzuleiten

Normenkette:
SGB IX § 178 Abs. 1 S. 1, Abs. 2
Leitsätze:
1. Die Schwerbehindertenvertretung hat die Eingliederung schwerbehinderter Menschen in den Betrieb zu fördern, ihre Interessen in dem Betrieb zu vertreten sowie ihnen beratend und helfend zur Seite zu stehen und ist damit zur Weiterleitung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eines schwerbehinderten Menschen berechtigt. Als kollektive Interessensvertretung darf sie in Rahmen ihres Aufgabenbezugs die seitens des Unternehmens administrierte Informations- und Kommunikationstechnik verwenden. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine arbeitgeberseitige Sanktionierung einer unterstützenden Tätigkeit stellt eine Behinderung der Arbeit der Schwerbehindertenvertretung dar. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schwerbehindertenvertretung, Eingliederung schwerbehinderter Menschen, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, Weiterleitung, arbeitgeberseitige Sanktionierung
Rechtsmittelinstanz:
LArbG München, Beschluss vom 05.12.2024 – 3 TaBV 56/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 41627

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die Schwerbehindertenvertretung im Rahmen der Aufgaben des § 178 Abs. 1 SGB IX berechtigt ist, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eines schwerbehinderten Menschen des Betriebes an den Arbeitgeber weiterzuleiten.
2. Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, es zu unterlassen, der Vertrauensperson in ihrer Funktion als Mitglied der Schwerbehindertenvertretung des Betriebs zu untersagen, schwerbehinderten Menschen des Betriebs mit der Weiterleitung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mittels des dienstlichen E-Mail-Accounts noch des dienstlichen Laptops zu unterstützen.
3. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus Ziffer II. wird der Beteiligten zu 2) ein Ordnungsgeld von bis zu EURO 10.000,00 angedroht.

Gründe

I.
1
Die Beteiligte zu 2. ist ein Unternehmen der A Inc., einem der weltweit größten Distributoren. Die Beteiligte zu 1. ist die bei der Beteiligten zu 2. in A-Stadt errichtete Schwerbehindertenvertretung.
2
Die Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen der Beteiligten zu 2., Herr B (im Folgenden „Vertrauensperson“), erhielt seitens des gem. § 2 Abs. 3 SGB IX schwerbehinderten Arbeitnehmers der Beteiligten zu 2., Herr E, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, mit der Bitte, diese an die Beteiligte zu 2. weiterzuleiten.
3
Dem kam die Vertrauensperson nach und leitete die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am 16.03.2023 unter Nutzung ihres dienstlichen E-Mail-Accounts an die Personalabteilung der Beteiligten zu 2. weiter.
4
Dies nahm die Beteiligte zu 2. zum Anlass, die Vertrauensperson mit Schreiben vom 19.05.2023 abzumahnen (vgl. Anl Ast 1 = Bl 6f dA).
5
Daraufhin leitete die Beteiligte zu 1 nach entsprechender Beschlussfassung das vorliegende Verfahren ein.
6
Sie beantragt zuletzt,
1.
Es wird festgestellt, dass die Schwerbehindertenvertretung im Rahmen der Aufgaben des § 178 Abs. 1 SGB IX berechtigt ist, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eines schwerbehinderten Menschen des Betriebes an den Arbeitgeber weiterzuleiten.
2.
Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, es zu unterlassen, der Vertrauensperson in ihrer Funktion als Mitglied der Schwerbehindertenvertretung des Betriebs zu untersagen, schwerbehinderten Menschen des Betriebs mit der Weiterleitung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mittels des dienstlichen E-Mail-Accounts noch des dienstlichen Laptops zu unterstützen.
3.
Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus Ziffer II. wird der Beteiligten zu 2) ein Ordnungsgeld von bis zu EURO 10.000,00 angedroht.
7
Die Beteiligte zu 2. beantragt
die Zurückweisung der Anträge.
8
Sie macht geltend, die Abmahnung sei bereits im Dezember 2023 aus der Personalakte von Herrn B entfernt worden, ist aber nicht bereit, das vorliegende Verfahren im Sinne der Antragstellerin für erledigt zu erklären.
II.
9
Die Anträge sind zulässig und begründet.
10
1. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist für die vorliegende Angelegenheit nach § 178 Abs. 1 SGB IX gemäß § 2a Abs. 1 Nr. 3a ArbGG eröffnet. Das Arbeitsgericht München ist örtlich zuständig gemäß § 82 Abs. 1 S. 1 ArbGG und entscheidet nach §§ 2a Abs. 2, 80 ArbGG im Beschlussverfahren.
11
Da die Beteiligte zu 2 an ihrer Rechtsansicht – auch nach Entfernung der Abmahnung – festhält, besteht auch ein Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs. 1 ZPO.
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2. Die Anträge sind auch begründet
13
Die Schwerbehindertenvertretung hat gem. § 178 Abs. 1 S. 1 SGB IX die Eingliederung schwerbehinderter Menschen in den Betrieb zu fördern, ihre Interessen in dem Betrieb zu vertreten sowie ihnen beratend und helfend zur Seite zu stehen und ist damit zur Weiterleitung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eines gem. § 2 Abs. 3 SGB IX schwerbehinderten Menschen jedenfalls berechtigt. Als kollektive Interessensvertretung darf sie in Rahmen ihres Aufgabenbezugs die seitens des Unternehmens administrierte Informations- und Kommunikationstechnik verwenden.
14
Der Unterlassungsanspruch ergibt sich aus § 179 Abs. 2 SGB IX. Die arbeitgeberseitige Sanktionierung einer unterstützenden Tätigkeit gem. § 178 Abs. 1 SGB IX stellt eine Behinderung der Arbeit der Schwerbehindertenvertretung gem. § 179 Abs. 2 SGB IX dar.
15
Das Ordnungsgeld war nach § 85 ArbGG anzudrohen.
16
3. Dieser Beschluss ergeht gerichtskostenfrei. Die Beteiligte zu 2 kann ihn mit der Beschwerde angreifen.
17
Im einzelnen gilt folgende Rechtsmittelbelehrung.