Titel:
Zur Zulässigkeit des Feststellungsantrags eines Strafgefangenen wegen Nichtbescheidung seines Antrags auf vollzugliche Lockerungen (Ausgang)
Normenketten:
GG Art.1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4
StVollzG § 109 ff., § 115 Abs. 3
BayStVollzG Art. 13 Abs. 1 Nr. 2, § 208
AGO § 17 Abs. 3 S. 1
Leitsätze:
1. I. Ein zulässiger Antrag auf gerichtliche Entscheidung gehört zu den allgemeinen Verfahrensvoraussetzungen, die im Rechtsbeschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfen sind und deren Fehlen zur Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde führt. (Rn. 17)
2. II. Eine der allgemeinen verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage nachgebildete allgemeine Feststellungsklage ist zwar über die gesetzlich in Art. 208 BayStVollzG i.V.m. §§ 109 ff. StVollzG aufgeführten Antragsarten hinaus grundsätzlich anerkannt, jedoch ausschließlich zur Schließung ansonsten bestehender Rechtsschutzlücken statthaft. In den Fällen, in denen ein zulässiger Anfechtungs- oder Verpflichtungsantrag erhoben wurde bzw. hätte erhoben werden können, ist sie also subsidiär. (Rn. 18 – 22)
3. III. Ein besonderes Rechtsschutzinteresse im Sinne von § 115 Abs. 3 StVollzG kommt nicht nur bei Wiederholungsgefahr, einem Rehabilitierungsinteresse des Antragstellers aufgrund des diskriminierenden Charakters der Maßnahme oder bei beabsichtigter Geltendmachung von Amtshaftungs-, Schadensersatz- und Folgenbeseitigungsansprüchen in Betracht, sondern insbesondere auch dann, wenn ein gewichtiger Grundrechtseingriff von solcher Art geltend gemacht wird, dass gerichtlicher Rechtsschutz dagegen typischerweise nicht vor Erledigungseintritt erlangt werden kann. (Rn. 21 – 25)
4. IV. Ein solches besonderes Rechtsschutzinteresse des Antragstellers kann darin bestehen, dass die Justizvollzugsanstalt seinen Antrag auf Lockerungen nicht verbescheidet. Die Gewährung von Ausgang gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 BayStVollzG stellt nämlich eine vollzugsöffnende (Lockerungs-) Maßnahme dar, die das Grundrecht des Gefangenen auf Resozialisierung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG betrifft. (Rn. 27 – 31)
5. V. § 17 Abs. 3 Satz 2 der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern (AGO) ist nicht anwendbar, wenn der Antragsteller die Gewährung einer begünstigenden Maßnahme zu einem bestimmten Datum begehrt und die Behörde darüber nicht entscheidet. (Rn. 31 – 36)
Schlagworte:
Strafgefangener, vollzugliche Lockerungen, Ausgangsantrag, Nichtbescheidung, Rechtswidrigkeit, Feststellungsantrag, Zulässigkeit, Feststellungsinteresse
Fundstelle:
BeckRS 2024, 4148
Tenor
1. Auf die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen K. wird der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 23. Oktober 2023 aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass die Nichtverbescheidung des Antrags des Strafgefangenen K. vom 25. Juli 2022, ihm am 13. August 2022 von 08.00 bis 18.00 Uhr Ausgang zu gewähren, durch die Justizvollzugsanstalt St. rechtswidrig war.
3. Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen einschließlich der dem Beschwerdeführer hierin entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.
4. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 500 € festgesetzt.
5. Dem Beschwerdeführer wird mit Wirkung ab Antragstellung für das Rechtsbeschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt. Sein Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts wird zurückgewiesen.
Gründe
1
Mit Schreiben vom 13.08.2022 beantragte der Strafgefangene die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Nichtbescheidung seines Antrags vom 25.07.2022 auf Ausgang am 13.08.2022, 8.00 bis 18.00 Uhr zur Vorbereitung einer Amtshaftungsklage und wegen Wiederholungsgefahr.
2
Mit Schreiben vom 02.09.2022 begehrte er, dass die Strafvollstreckungskammer explizit anordnen möge, dass ihm Lockerungen gewährt werden müssen. Dies begründete er damit, dass der Leiter der Anstalt ihm gegenüber am 02.09.2022 in Bezug auf einen Lockerungsantrag geäußert habe, dass er ohne einen Verpflichtungsbeschluss nie Lockerungen erhalten werde.
3
Die Antragsgegnerin hielt den Antrag für unzulässig, da kein Feststellungsinteresse bestehe. Sie führte aus, dass gestützt auf § 17 Abs. 3 Satz 2 AGO kein Bescheid ergangen sei, und verwies darauf, sie habe wegen der zahlreichen Anträge des Antragstellers im Zeitraum vom November 2021 bis August 2022 bereits wegen bestehender Flucht- und Missbrauchsgefahr vier ablehnende Bescheide in schriftlicher Form erlassen, zuletzt vom 22.08.2022. Zwischenzeitliche Veränderungen, die eine anderslautende Entscheidung begründet hätten, hätten sich seit dem ersten Bescheid vom 11.11.2021 nicht ergeben, so dass in den drei nachfolgenden Bescheiden jeweils auf diese Entscheidung habe Bezug genommen werden können. Wegen der Rechtmäßigkeit der Ablehnung von Vollzugslockerungen könne zudem auf den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 27.09.2022 – SR StVK 943/22 – (betreffend den Bescheid vom 22.08.2022) Bezug genommen werden. Trotz zwischenzeitlicher Rechtshängigkeit stelle der Antragsteller eine Vielzahl weiterer gleichlautender Anträge auf Gewährung von Ausgang. Diesbezüglich würden ihm keine weiteren Bescheide mehr erteilt (§ 17 Abs. 3 Satz 2 AGO).
4
Hierauf erwiderte der Antragsteller, er habe nicht die nachträgliche Entscheidung beantragt, sondern die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Nichtentscheidens. Die Feststellung benötige er, um die 75 € Schadensersatz nach § 7 StrEG einzuklagen. Die Wiederholungsgefahr ergebe sich schon aus den nicht beschiedenen Anträgen vom August, September und Oktober (2022).
5
Die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing hat zunächst mit Beschluss vom 23.11.2022 den Antrag des Strafgefangenen auf gerichtliche Entscheidung vom 13.08.2022 kostenpflichtig zurückgewiesen, da dieser mangels Feststellungsinteresse unzulässig und darüber hinaus im Hinblick auf § 17 Abs. 3 Satz 2 AGO auch unbegründet sei.
6
Auf die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen hat der Senat mit Beschluss vom 29.03.2023 (Az. 204 StObWs 9/23) diesen (unzutreffend mit dem Datum „15. November 2022“ bezeichneten) Beschluss aufgehoben und das Verfahren zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.
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Die Justizvollzugsanstalt St. nahm mit Schreiben vom 14.04.2023 und vom 26.04.2023 erneut Stellung und führte insbesondere aus, dass die Strafvollstreckungskammer u.a. mit Beschluss vom 27.09.2022 (Az. SR StVK 943/22; bestätigt durch BayObLG, Beschluss vom 28.11.2022 – 204 StObWs 466/22) entschieden habe, dass die Versagung der Gewährung von Ausgängen aufgrund der Missbrauchsgefahr beim Antragsteller rechtmäßig gewesen sei.
8
Mit Schreiben vom 30.06.2023 teilte die Justizvollzugsanstalt St. mit, dass sie nicht mehr an ihrer bisherigen Rechtsauffassung hinsichtlich der Anwendung des § 17 AGO festhalte. Eine erneute Sachbehandlung potentieller weiterer (Ausgangs-) Anträge des Antragstellers nach dieser Rechtsnorm sei nicht vorgesehen. Infolgedessen bestehe nunmehr auch keine Wiederholungsgefahr mehr.
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Mit Schreiben vom 11.10.2023 erklärte der Beschwerdeführer gegenüber der Strafvollstreckungskammer u.a. für das hiesige Verfahren die Verpflichtungsanträge für erledigt. Die Feststellungsanträge erhalte er aufrecht wegen der Wiederholungsgefahr, des Rehabilitationsinteresses, der Vorbereitung einer Amtshaftungsklage und des jeweiligen neuen Tatsachenbestands für jeden neuen Ausgangstag.
10
Die Strafvollstreckungskammer hat mit Beschluss vom 26.10.2023 den Antrag auf gerichtliche Entscheidung erneut zurückgewiesen. Der Feststellungsantrag sei bereits mangels Feststellungsinteresse unzulässig. Eine Wiederholungsgefahr bestehe aufgrund der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt nicht mehr. Ein Rehabilitationsinteresse sei nicht gegeben. Es habe sich nur um einen Tag gehandelt, an dem Ausgang begehrt worden sei, ohne dass erkennbar sei, dass der Ausgang einer konkreten Entlassungsvorbereitung diene. Auch aus der Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses ergebe sich kein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. Bei Verbescheidung hätte der begehrte Ausgang wohl nicht erreicht werden können.
11
Gegen diesen ihm am 16.11.2023 zugestellten Beschluss hat der Strafgefangene am 14.12.2023 zur Niederschrift des Urkundsbeamten des Amtsgerichts Straubing Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der er die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Entscheidung gemäß seinem Antrag, hilfsweise die Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer zur erneuten Entscheidung beantragt. Zudem stellt er Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die zweite Instanz und Beiordnung eines Rechtsanwalts. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts (allgemein) und macht eine Verletzung der Aufklärungspflicht geltend. Vor allem rügt er, dass sich eine Wiederholungsgefahr aus den Verfahren SR StVK 610/23 u.a. ergebe, aufgrund des schwerwiegenden Eingriffs in sein Grundrecht auf Resozialisierung ein Rehabilitationsinteresse bestehe und er die Feststellung zur Vorbereitung des Amtshaftungsprozesses benötige.
12
Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt mit Schreiben vom 21.12.2023 die Verwerfung der Rechtsbeschwerde als unzulässig und die Zurückweisung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
13
Hierauf entgegnete der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 10.01.2024.
14
Mit Verfügung vom 15.01.2024 teilte die Strafvollstreckungskammer mit, dass der Beschwerdeführer in der mündlichen Anhörung am 15.01.2024 im Verfahren SR StVK 1241/23 seinen Verpflichtungsantrag gerichtet auf schnellstmögliche Lockerungen für erledigt erklärt habe und diese Erledigung auch auf alle bereits anhängigen gleichgelagerten Verfahren erstrecke.
15
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 116 Abs. 1 StVollzG liegen bereits deshalb vor, da eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.
16
Bei dem noch aufrechterhaltenen Antragsgegenstand handelt es sich um keinen Fortsetzungsfeststellungsantrag, sondern um einen primären Feststellungsantrag auf gerichtliche Entscheidung. Dieser ist zulässig.
17
1. Ein zulässiger Antrag auf gerichtliche Entscheidung gehört zu den allgemeinen Verfahrensvoraussetzungen, die nach überwiegender Auffassung im Rechtsbeschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfen sind und deren Fehlen zur Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde führt [vgl. nur KG, Beschlüsse vom 25.09.2017 – 2 Ws 145/17 Vollz –, StraFo 2017, 521, juris Rn. 5; vom 01.02.2017 – 2 Ws 253/16 Vollz –, juris Rn. 8; vom 18.05.2009 – 2 Ws 8/09 Vollz –, juris Rn. 6; OLG Koblenz, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 Ws 184/10 (Vollz) –, juris Rn. 11; OLG Nürnberg, Beschluss vom 28.02.2008 – 2 Ws 66/08 –, juris Rn. 21; Spaniol in: Feest/ Lesting/Lindemann, StVollzG, 8. Aufl., Teil IV, § 116 StVollzG, Rn. 4 m.w.N.; Laubenthal in: Schwind/Böhm/Jehle/ Laubenthal, StVollzG, 7. Aufl., 12. Kap., Abschn. J Rn. 3]. Der Senat hat sich dieser Ansicht in mehreren nicht veröffentlichten Entscheidungen angeschlossen (vgl. Beschlüsse vom 19.03.2020 – 204 StObWs 2688/19 –; vom 24.01.2022 – 204 StObWs 9/22 –; vom 29.06.2022 – 204 StObWs 263/22 –; vom 01.12.2022 – 204 StObWs 198/22 –).
18
2. Eine der allgemeinen verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage nachgebildete allgemeine Feststellungsklage ist zwar über die gesetzlich in Art. 208 BayStVollzG i.V.m. §§ 109 ff. StVollzG aufgeführten Antragsarten hinaus grundsätzlich anerkannt (vgl. hierzu KG, Beschluss vom 29.08.2007 – 2 Ws 66/07 Vollz –, NStZ-RR 2008, 92, juris Rn. 13; Spaniol in: Feest/Lesting/ Lindemann, a.a.O., Teil IV, § 109 StVollzG, Rn. 34), jedoch ausschließlich zur Schließung ansonsten bestehender Rechtsschutzlücken statthaft (vgl. KG, Beschluss vom 01.02.2017 – 2 Ws 253/16 Vollz –, juris Rn. 10; OLG Frankfurt, Beschluss vom 18.07.2003 – 3 Ws 606/03 –, NStZ-RR 2004, 29; OLG Nürnberg, Beschluss vom 28.02.2008 – 2 Ws 66/08 –, juris Rn. 23; BeckOK Strafvollzug Bund/Euler, 2. Ed. 01.08.2023, StVollzG § 109 Rn. 5).
19
Sie kommt somit vor allem dann in Betracht, wenn sich eine angeordnete oder beantragte Maßnahme oder deren Ablehnung vor der möglichen Erhebung eines Anfechtungs- oder Verpflichtungsantrags auf gerichtliche Entscheidung bereits erledigt hat (Spaniol in: Feest/Lesting/ Lindemann, a.a.O., Teil IV, § 115 StVollzG, Rn. 73; Bachmann, in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/ Verrel/Baier, StVollzG, 13. Aufl. 2024, Kap. P Rn. 31), demzufolge ein Anfechtungs- oder Verpflichtungsantrag ausgeschlossen ist und damit die Möglichkeit zur Anbringung eines Fortsetzungsfeststellungsantrags gemäß Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 115 Abs. 3 StVollzG gerade nicht eingreift. In den Fällen, in denen ein zulässiger Anfechtungs- oder Verpflichtungsantrag erhoben wurde, bzw. hätte erhoben werden können, ist die allgemeine Feststellungsklage hingegen subsidiär [vgl. KG, Beschluss vom 01.02.2017 – 2 Ws 253/16 Vollz –, juris Rn. 10; OLG Frankfurt, Beschluss vom 18.07.2003 – 3 Ws 606/03 –, NStZ-RR 2004, 29; OLG Naumburg, Beschluss vom 14.06.2017 – 1 Ws (RB) 24/17 –, juris Rn. 3; OLG Nürnberg, Beschluss vom 28.02.2008 – 2 Ws 66/08 –, juris Rn. 23; Arloth/Krä/Arloth, StVollzG, 5. Aufl., § 109 Rn. 5 m.w.N.; BeckOK Strafvollzug Bund/Euler, a.a.O., StVollzG § 109 Rn. 5; Spaniol in: Feest/Lesting/ Lindemann, a.a.O., Teil IV, § 109 StVollzG, Rn. 34; and. Ans. für einen hier nicht vorliegenden Sonderfall OLG Karlsruhe, Beschluss vom 31.01.2005 – 1 Ws 279/04 –, ZfStrVo 2005, 299, juris Rn. 8].
20
Eine solche Subsidiarität der Feststellungsklage ist vorliegend nicht gegeben. Dem Antragsteller wäre es nicht möglich gewesen, eine Verbescheidung seines Lockerungsantrags vom 25.07.2022 durch rechtzeitige und zulässige Verpflichtungsklage auf Gewährung von Ausgang am 13.08.2022 rechtzeitig zu erreichen.
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3. Auch das besondere Feststellungsinteresse ist gegeben. Dieses bedeutet kein rechtliches, sondern ein schutzwürdiges Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art (OLG Nürnberg, Beschluss vom 22.11.2012 – 2 Ws 633/12 –, juris Rn. 9).
22
a) Gemäß § 115 Abs. 3 StVollzG ist (auch) bei der Feststellungsklage ein besonderes Rechtsschutzinteresse notwendig. Ein solches kommt nicht nur bei Wiederholungsgefahr, einem Rehabilitierungsinteresse des Antragstellers aufgrund des diskriminierenden Charakters der Maßnahme oder bei beabsichtigter Geltendmachung von Amtshaftungs-, Schadensersatz- und Folgenbeseitigungsansprüchen in Betracht (vgl. hierzu OLG Nürnberg, Beschluss vom 22.11.2012 – 2 Ws 633/12 –, juris Rn. 9; Bachmann, in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baier, a.a.O., Kap. P Rn. 3; Arloth/Krä/Arloth, a.a.O., StVollzG § 115 Rn. 8; Laubenthal, in: Schwind/Böhm/Jehle/ Laubenthal, a.a.O., 12. Kap. Abschn. I, Rn. 18), sondern insbesondere auch dann, wenn ein gewichtiger Grundrechtseingriff von solcher Art geltend gemacht wird, dass gerichtlicher Rechtsschutz dagegen typischerweise nicht vor Erledigungseintritt erlangt werden kann. Effektiver Grundrechtsschutz gebietet es in diesen Fällen, dass der Betroffene Gelegenheit erhält, die Berechtigung des schwerwiegenden – wenn auch tatsächlich nicht mehr fortwirkenden – Grundrechtseingriffs gerichtlich klären zu lassen (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 08.11.2006 – 2 BvR 578/02, 2 BvR 796/02 –, BVerfGE 117, 71, juris Rn. 154 und – zu Strafvollzugssachen – BVerfG, Kammerbeschluss vom 07.03.2012 – 2 BvR 988/10 –, BVerfGK 19, 326 = NJW 2012, 2790, juris Rn. 27; s.a. Bachmann, in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baier, a.a.O., Kap. P Rn. 31 und 81). Nur so kann verhindert werden, dass Rechte und insbesondere Grundrechte in bestimmten Konstellationen in rechtsstaatlich unerträglicher Weise systematisch ungeschützt bleiben (BVerfG, Beschluss vom 20.03.2013 – 2 BvR 67/11 –, BVerfGK 20, 249 = NJW 2013, 1943, juris Rn. 19).
23
b) Gemessen hieran ist ein besonderes Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers zu bejahen.
24
aa) Allerdings liegt eine Wiederholungsgefahr nicht mehr vor, da die Justizvollzugsanstalt St. im Schreiben vom 30.06.2023 (Bl. 120 d.A.) ausdrücklich erklärt hat, sich hinsichtlich zukünftiger Lockerungsanträge nicht mehr auf § 17 Abs. 3 Satz 2 AGO berufen zu wollen.
25
bb) Der Beschwerdeführer kann auch, wovon die Strafvollstreckungskammer zutreffend bereits im Beschluss vom 23.11.2022 ausgegangen ist und woran sie im Beschluss vom 26.10.2023 festgehalten hat, aus dem Gesichtspunkt der Vorbereitung einer Amtshaftungsklage kein Feststellungsinteresse ableiten. Da der beantragte Ausgangstag zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung bereits verstrichen war, ist insoweit die Erhebung einer zivilrechtlichen Schadensersatzklage vorrangig. Ein berechtigtes Feststellungsinteresse besteht nämlich im Hinblick auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen dann nicht, wenn sich der zunächst gestellte Anfechtungs- oder Verpflichtungsantrag (hier der Lockerungsantrag vom 25.07.2022) schon vor Stellung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 109 ff. StVollzG durch Zeitablauf erledigt hat, wie es vorliegend der Fall ist; dann ist ausschließlich der Rechtsweg zu den Zivilgerichten gegeben. In diesen Fällen war die Strafvollstreckungskammer mit der Sache nämlich noch gar nicht befasst, so dass es aus prozessökonomischen Gründen nicht gerechtfertigt ist, dass der Strafgefangene zunächst die Vorfrage der Rechtmäßigkeit der erledigten Maßnahme vor der Strafvollstreckungskammer klären lässt und erst nach diesem Umweg das Zivilgericht anruft. Vielmehr muss er seinen Anspruch sofort beim Zivilgericht geltend machen, das seinen Anspruch gleich umfassend prüfen kann (vgl. BayObLG, Beschluss vom 07.09.2020 – 203 StObWs 311/20 –, juris Rn. 14 m.w.N.; Bachmann, in: Laubenthal/Nestler/ Neubacher/Verrel/Baier, a.a.O., Kap. P Rn. 81).
26
cc) Auch unter dem Gesichtspunkt des Rehabilitierungsinteresses besteht kein Feststellungsinteresse des Beschwerdeführers. Die Beseitigung einer fortbestehenden Diskriminierung steht nicht in Frage.
27
dd) Ein besonderes Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers besteht aber, weil durch die Nichtverbescheidung seines Antrags auf Lockerungen ein gewichtiger Eingriff in sein Grundrecht auf Resozialisierung vorliegt und er bis zum beantragten Ausgangstag typischerweise gerichtlichen Rechtsschutz nicht hätte erlangen können.
28
(1) Die Anforderungen an das Gewicht des Grundrechtseingriffs dürfen dabei nicht derart überspannt werden, dass Rechte – und insbesondere Grundrechte – in bestimmten Konstellationen in rechtsstaatlich unerträglicher Weise systematisch ungeschützt bleiben. Gewichtig im hier maßgeblichen Sinne können daher neben Grundrechtseingriffen, die das Grundgesetz ihres besonders hohen Gewichts wegen unter Richtervorbehalt gestellt hat, auch Eingriffe in andere Grundrechte sein (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 15.07.2010 – 2 BvR 1023/08 –, BVerfGK 17, 420, juris Rn. 29; BayObLG, Beschluss vom 25.01.2021 – 203 StObWs 514/20 –, FS 2022, 202, juris Rn. 11 mit umfassenden Nachweisen zu der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung; OLG Celle, Beschluss vom 07.01.2019 – 3 Ws 321/18 –, NdsRpfl 2019, 119, juris Rn. 12; OLG Hamburg, Beschluss vom 20.06.2022 – 1 Ws 16/22 –, StraFo 2022, 334, juris Rn. 39).
29
(2) Die Gewährung von Ausgang gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 BayStVollzG stellt eine vollzugsöffnende (Lockerungs-) Maßnahme dar und betrifft somit das Grundrecht des Gefangenen auf Resozialisierung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. nur BVerfG, Kammerbeschluss vom 19.09.2018 – 2 BvR 286/18 –, juris Rn. 36 f. m.w.N.). Dieses Interesse richtet sich nicht nur darauf, vor schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzuges im Rahmen des Möglichen bewahrt zu werden, sondern auch auf die Rahmenbedingungen, die einer Bewährung und Wiedereingliederung förderlich sind. Die Gewährung von Ausgang dient diesem Ziel (vgl. zum Ganzen BayObLG, Beschluss vom 25.01.2021 – 203 StObWs 514/20 –, FS 2022, 202, juris Rn. 11 m.w.N.).
30
Der Eingriff in dieses Grundrecht durch die Nichtverbescheidung des Ausgangsantrags für den 13.08.2022 war auch schwerwiegend. Dies folgt insbesondere daraus, dass der Beschwerdeführer zahlreiche Anträge auf Lockerungen in Form von Ausgängen gestellt hat, von denen zwar einige im Zeitraum vom 11.11.2021 bis August 2022 durch insgesamt vier Bescheide abgelehnt worden sind, aber eine Vielzahl unter Berufung auf § 17 Abs. 3 Satz 2 AGO überhaupt nicht verbeschieden worden ist (so die Justizvollzugsanstalt in ihrer Stellungnahme vom 07.11.2022). Angesichts der Bedeutung lockerungsbezogener Entscheidungen für die Chance des Betroffenen auf Wiedererlangung der Freiheit steht hier ein im Sinne dieses Grundsatzes gewichtiger Grundrechtsverstoß in Rede (BVerfG, Kammerbeschluss vom 05.08.2010 – 2 BvR 729/08 –, BVerfGK 17, 459, juris Rn. 28). Im Blick auf die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Resozialisierungsinteresses in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ist dem Strafgefangenen somit das erforderliche Feststellungsinteresse zuzubilligen (vgl. auch OLG Nürnberg, Beschluss vom 19.08.2014 – 1 Ws 213/14 –, juris Rn. 25; Bachmann, in: Laubenthal/ Nestler/Neubacher/Verrel/Baier, a.a.O., Kap. P Rn. 81).
31
Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet und hat mit der Sachrüge endgültigen Erfolg.
32
1. Die Strafvollstreckungskammer hat das Vorliegen eines berechtigten Feststellungsinteresses im Sinne des § 115 Abs. 3 StVollzG i.V.m. Art. 208 BayStVollzG verneint und somit den Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung vom 13.08.2022 rechtsfehlerhaft als unzulässig verworfen. Darin liegt eine unzulässige Verkürzung des Rechtsschutzes. Der Beschluss vom 26.10.2023 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG. Da die Sache spruchreif ist, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden (Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 119 Abs. 4 Satz 2 StVollzG).
33
2. Der vom Beschwerdeführer aufrechterhaltene Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Nichtverbscheidung seines Antrags vom 25.07.2022 auf Ausgang am 13.08.2022 durch die Justizvollzugsanstalt St. ist – wie ausgeführt – zulässig und auch begründet.
34
Die Antragsgegnerin hat unstreitig den Antrag des Strafgefangenen vom 25.07.2022 auf Ausgang am 13.08.2022 bis zur Stellung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung nicht verbeschieden. Zur Begründung hierfür hat sie sich im vorliegenden Verfahren wie (nach eigenem Vorbringen) auch in weiteren entsprechenden Verfahren der Nichtverbescheidung von Urlaubsanträgen auf § 17 Abs. 3 Satz 2 der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern (AGO) gestützt. Dies war rechtsfehlerhaft. Diese Regelung ist – wie der Senat bereits im hiesigen Strafvollzugsverfahren in seinem Beschluss vom 29.03.2023 (204 StObWs 89/23) entschieden hat – ersichtlich nicht anwendbar, wenn der Antragsteller die Gewährung einer begünstigenden Maßnahme zu einem bestimmten Datum begehrt und die Behörde darüber noch nicht entschieden hat (so auch BayObLG, Beschluss vom 02.05.2023 – 203 StObWs 543/22 –, ebenfalls den hiesigen Strafgefangenen betreffend).
35
Hat die Anstalt bereits über den Antrag auf Lockerung bezogen auf einen bestimmten Zeitpunkt oder Zeitraum entschieden, hat ein Gefangener zwar grundsätzlich kein Recht darauf, dass die Vollzugsbehörde über diesen – identischen – Antrag nochmals entscheidet. Ein derartiger Fall liegt jedoch nicht vor. Die Anstalt kann im übrigen gleichartige Anträge, die vom Antragsteller identisch begründet werden, jedoch unterschiedliche Daten betreffen, in einem Bescheid zusammenfassen. Auch ein solcher Fall ist aber nicht gegeben.
36
Damit war festzustellen, dass die Nichtverbescheidung des gegenständlichen Lockerungsantrags durch die Justizvollzugsanstalt rechtswidrig war.
37
1. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Antragstellers beruht auf Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 121 Abs. 1 und Abs. 4, § 467 Abs. 1 StPO.
38
2. Die Festsetzung des Gegenstandswerts für das Rechtsbeschwerdeverfahren ergibt sich aus § 1 Abs. 1 Nr. 8, §§ 65, 60, 52 Abs. 1 GKG.
39
3. Die Entscheidung über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren folgt aus Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 120 Abs. 2 StVollzG, §§ 114, 115, 119 Abs. 1 ZPO. Der Beiordnung eines Rechtsanwalts bedarf es insoweit nicht, da die vom Beschwerdeführer form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde in der Sache vollumfänglich Erfolg hat, so dass die Tätigkeit eines Rechtsanwalts im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr erforderlich ist (Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 120 Abs. 2 StVollzG, § 121 Abs. 2 ZPO; st. Rspr. des Senats, u.a. Beschlüsse vom 09.11.2022 – 204 StObWs 322/22, vom 23.08.2021 – 204 StObWs 83/21, juris Rn. 24, und vom 07.02.2023 – 204 StObWs 22/23).