Inhalt

LG München I, Endurteil v. 15.02.2024 – 6 O 12069/22
Titel:

Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid, Zustellung des Vollstreckungsbescheids, Mahnverfahren, Gesellschaftsgläubiger, Geschäftsführerhaftung, Haftung des Geschäftsführers, Insolvenzschuldner, Zahlung Zug-um-Zug, Versäumung der Einspruchsfrist, Insolvenzverwalter, Elektronisches Dokument, Abtretung der Ersatzansprüche, Haftungsanspruch, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Darlehensverträge, Zurückbehaltungsrecht, Basiszinssatz, Prozeßbevollmächtigter, Streitwert, Elektronischer Rechtsverkehr

Schlagworte:
Geschäftsführerhaftung, Insolvenzschuldnerin, Verjährung, Mahnverfahren, Hemmung der Verjährung, Gegenansprüche, Vorleistungspflicht
Vorinstanz:
AG Coburg vom 16.05.2022 – 21-7614407-02-N
Fundstelle:
BeckRS 2024, 41290

Tenor

I. Der Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Coburg vom 16.05.2022, Az. 21-7614407-02-N, wird aufrechterhalten, soweit der Beklagte dort zur Zahlung von 1.256,90 Euro – wegen einer verbotenen Zahlung vom 15.09.2017 – nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 25.08.2020 verurteilt worden ist.
II. Es wird infolge Teiklagerücknahme die Wirkungslosigkeit des genannten Vollstreckungsbescheids festgestellt, soweit der Beklagte zur Zahlung von 24.903,03 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 25.08.2020 wegen verbotener Zahlungen zwischen dem 04.10.2016 und 23.11.2016 verurteilt worden ist.
III. Im Übrigen wird der genannte Vollstreckungsbescheid aufgehoben und die Klage abgewiesen.
IV. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 98,6 % und der Beklagte 1,4 % zu tragen.
V. Das Urteil ist für beide Parteien jeweils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
I. Dem Beklagten wird Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Einspruchsfrist gegen den Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Coburg vom 16.05.2022, Az. 21-7614407-02-N gewährt.
II. Der Streitwert des Rechtsstreits wird für die Gerichtskosten auf 91.763,76 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Kläger ist Verwalter in dem nach Eigenantrag vom 06.09.2017 am 23.02.2018 eröffneten Insolvenzverfahren (Anlage TW 1) über das Vermögen der IM-CO Entwicklungs- und Vertriebs-GmbH (letztere im Folgenden auch kurz Schuldnerin oder Insolvenzschuldnerin). Er verlangt vom Beklagten gemäß § 64 GmbHG (a.F.) Auffüllung der Masse nach Abfluss von verbotenen Zahlungen. Dem hiesigen Rechtsstreit ging ein Mahnverfahren voraus, in dem Vollstreckungsbescheid gegen den Beklagten ergangen ist. Im Detail ist dazu folgendes relevant:
2
Der Beklagte ist durch Gesellschafterbeschluss im Umlaufverfahren vom 28.11./09.12.2013 als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der nachmaligen Insolvenzschuldnerin bestellt worden (Anlage TW 2). Der Kläger behauptet, der Beklagte sei dies noch bis mindestens 15.09.2017 gewesen. Der Beklagte hat, dies ist unstreitig, den Eigeninsolvenzantrag vom 06.09.2017 gestellt.
3
Von einem ständig im Guthaben befindlichen Konto der nachmaligen Insolvenzschuldnerin bei der Bayerischen Landesbank flossen im Zeitraum zwischen 04.10.2016 und 15.09.2017 in insgesamt 80 Fällen Zahlungen ab, in der Höhe von 5,06 Euro und 6.374,07 Euro, insgesamt 91.763,76 Euro. Hinsichtlich der Details der Zahlungen wird auf die Tabelle im Schriftsatz der Klägervertretrer vom 25.08.2022, Seiten 4/6 = Bl. 21/23 d.A.) verwiesen.
4
Der Kläger behauptet, die nachmalige Insolvenzschuldnerin sei bereits vor der ersten hier relevanten Zahlung insolvenzreif, nämlich zahlungsunfähig, gewesen. Er beruft sich insoweit auf verschiedene ältere Verbindlichkeiten, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr erfüllt worden sind (Anlagen TW 3, TW 7, TW 8):
-) Forderung der K1. GmbH & Co. KG, fällig seit 03.07.2016, über 9.819,85 Euro
-) Forderung der K1. GmbH & Co. KG, fällig seit 03.07.2016, über 11.248,63 Euro
-) Forderung der I.G. Projektentwicklung K2. GmbH& Co. KG, fällig seit 05.09.2016, über 4.518,50 Euro
5
Der Kläger behauptet, diesen Forderungen hätten lediglich 8.268,09 Euro Guthaben auf dem Konto der Bayerischen Landesbank gegenüber gestanden (Anlagen TW 3, TW 9). In der Folgezeit bis 23.06.2017 seien die unbezahlt gebliebenen Verbindlichkeiten auf über 77.347 Euro angestiegen (Anlagen TW 3, TW 7, TW 8), während die Kontostände auf dem Konto der Bayerischen Landesbank jeweils zum Monatsende nie mehr als 8.268,09 Euro, teils sogar nur wenige hundert Euro betragen hätten (Tabelle Bl. 68 d.A., Kontoauszüge Anlagenkonvolut TW 10).
6
Der Kläger forderte den Beklagten vorprozessual zur Zahlung der oben dargestellten Summe bis 24.08.2020 auf (Anlage TW 5). Da der Beklagte nicht bezahlte, hat der Kläger sodann gegen den Beklagten mit am 24.11.2021 eingegangenen Antrag das Mahnverfahren betrieben, in dem es am 16.05.2022 zum Erlass eines Vollstreckungsbescheids über eine Hauptforderung von 91.763,76 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 25.08.2020 kam. Dieser Vollstreckungsbescheid wurde, wie sich erst später herausstellte, an eine nicht mehr zutreffende Anschrift des Beklagten zugestellt, die angebliche Zustellung erfolgte am 19.05.2022. Der Beklagte ließ mit Schreiben seiner damaligen Prozessbevollmächtigten am 04.07.2022 Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid einlegen (Bl. 9/10 d.A.), er beantragte vorsorglich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen eine etwaige Versäumung der Einspruchsfrist. Der Vollstreckungsbescheid, so behauptete der Beklagte, sei ihm erstmals am 22.06.2022 bekannt geworden.
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In der Sache bestreitet der Beklagte eine Zahlungsunfähigkeit der nachmaligen Insolvenzschuldnerin vor dem 30.06.2017 – danach liegen nur noch die letzten 5 Zahlungen – und ein etwaiges eigenes Verschulden. Er behauptet, er habe in finanziellen Angelegenheiten die Geschäfte der Insolvenzschuldnerin nicht geführt, vielmehr sei dies – einschließlich der Verwaltung der Bücher – durch die hälftige Mitgesellschafterin K1. GmbH & Co. KG erledigt worden. Er sei bereits durch Beschluss der Gesellschafter vom 29.02.2016 als Geschäftsführer verschiedener weiterer Gesellschaften der Gruppe abberufen worden (Anlagen B 2, B 5) und gegen ihn sei ein Betretungsverbot für die Geschäftsräume ausgesprochen worden, in denen durch die K1. GmbH & Co. KG die Bücher der Schuldnerin aufbewahrt worden seien. Die Schuldnerin sei nur ein Vehikel zur Durchführung bestimmter Projekte gewesen, das einerseits durch einen Darlehensvertrag mit der übergeordneten Gesellschaft wirtschaftlich abgesichert gewesen sei, während andererseits die übergeordnete Gesellschaft eben durchregiert habe. Als die K1. GmbH & Co. die von ihr geschuldeten Zahlungen aus dem Darlehensvertrag ab dem 30.06.2017 eingestellt habe, habe er zunächst eine Klärung der Angelegenheit versucht und dann zeitnah den Eigeninsolvenzantrag gestellt, der jedoch (zunächst) durch das Amtsgericht – Insolvenzgericht – als unzulässig zurückgewiesen worden sei (Anlage B 4). Letzteres ist unstreitig. Zuvor sei die Schuldnerin wegen der Verpflichtung zur Deckung aus dem Darlehensvertrag durch die K1. GmbH & Co. KG nicht zahlungsunfähig gewesen. Dementsprechend habe die K1. GmbH & Co. KG ihre später zur Tabelle angemeldeten Forderungen auf Darlehensrückzahlung damals auch nicht eingefordert, diese seien nicht einmal fällig gewesen. Die übrigen Gläubiger seien nach Eingang entsprechender Teilvalutierungen der Darlehensgeberin K1. GmbH & Co. KG alsbald ausbezahlt worden. Vorsorglich beruft sich der Beklagte auf Verjährung etwaiger Haftungsansprüche.
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Der Beklagte stellt daher folgenden Sachantrag:
Der Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Coburg vom 16.05.2022 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.
9
Der Kläger hält den Einspruch wegen Versäumung der Einspruchsfrist für unzulässig, Er kündigte daher zunächst folgenden Antrag an:
Der Einspruch ist als unzulässig zu verwerfen
hilfsweise, für den Fall der Zulässigkeit des Einspruchs:
1.
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 91.763,76 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 25. August 2020 zu zahlen.
2.
Dem Beklagten ist vorzubehalten, seine Gegenansprüche, die sich nach Rang und Höhe mit den Beträgen decken, welche die durch die verbotswidrigen Zahlungen begünstigten Gesellschaftsgläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätten, nach Erstattung des Verurteilungsbetrages gegen den Kläger in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter als Insolvenzforderung zu verfolgen.
10
Mit Schriftsatz vom 10.05.2023, übergeben in der mündlichen Verhandlung vom 11.05.2023, nahm der Kläger die Klage für die Zahlungen, die mehr als 5 Jahre vor dem 24.11.2021 (= Eingang des Mahnantrags beim Mahngericht, die ersten 19 Zahlungen der o.g. Tabelle) liegen, also im Umfang von 24.903,03 Euro, zurück.
11
Der Kläger stellt daher folgenden Antrag:
1.
Der Vollstreckungsbescheid wird im Umfang von EUR 66.860,73 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 25. August 2020 aufrechterhalten.
2.
Dem Beklagten ist vorzubehalten, seine Gegenansprüche, die sich nach Rang und Höhe mit den Beträgen decken, welche die durch die verbotswidrigen Zahlungen begünstigten Gesellschaftsgläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätten, nach Erstattung des Verurteilungsbetrages gegen den Kläger in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter als Insolvenzforderung zu verfolgen.
12
Der Kläger hält die Voraussetzungen eines Haftungsanspruchs nach § 64 GmbHG (a.F.) weiterhin für gegeben und den Anspruch für durchsetzbar, da er nicht verjährt sei. Der vom Bundesgerichtshof im Urteil vom 11.07.2005 – II ZR 235/03 judizierte, von Amts wegen aufzuführende Rückgriffsvorbehalt stehe der Benutzung des Mahnverfahrens nicht entgegen, weil zunächst alleine der Geschäftsführer eine Leistung zu erbringen habe. Es handele sich insbesondere nicht um eine Gegenseitigkeit im Leistungsaustausch Zug um Zug, für die die Verwendung des Mahnverfahrens verboten sei. Auch eine Versagung der Berufung auf die Hemmungswirkung des Mahnverfahrens sei daher nicht geboten, schon weil der Kläger bisher aus der Rechtsprechung nicht habe ersehen können, dass das Mahnverfahren für die Verfolgung von solchen Haftungsansprüchen nicht benutzt werden könne. Es fehle daher zumindest subjektiv an der Vorwerfbarkeit entsprechenden Verhaltens, die aber bei einer etwaigen Anwendung des § 242 BGB Voraussetzung sei. Dass auch der Bundesgerichtshof insoweit keine Bedenken habe, zeige das Urteil vom 08.05.2018 – II ZR 314/16, das sonst nicht hätte so ergehen können. Auch der vom 8. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs angelegte Maßstab, nämlich einer bewusst wahrheitswidrigen Erklärung im Mahnbescheidsverfahren (BGH, Urteil vom 21.12.2011 – VIII ZR 15/11), werde erkennbar nicht erreicht.
13
Der Kläger nimmt im Übrigen Stellung zum vom Beklagten vorgelegten Abberufungsbeschluss vom 22.04.2016 (Anlage B 5), bezweifelt dessen ordnungsgemäßes Zustandekommen und weist auf die fehlende Unterschrift des Mitgesellschafters ... hin. Ein etwaig fehlendes Verschulden des Beklagten sieht der Kläger nicht. Wenn ihm der Zugang zu den Geschäftsunterlagen verwehrt worden sei, sei es dessen Pflicht gewesen, diesen Zugang entweder herzustellen oder aber sein Amt umgehend fristlos niederzulegen. Auf eine etwaige Aufgabenteilung in der Geschäftsführung könne sich der Beklagte nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht berufen.
14
Die Kammer hat Hinweise erteilt mit der Verfügung vom 20.12.2022 (Bl. 47 d.A.) und durch Beschluss vom 25.08.2023 (Bl. 115 d.A.), die Sache wurde eingehend erörtert zu Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11.05.2023 (Bl. 96/99 d.A.) und 15.02.2024. Zur weiteren Ergänzung des Tatbestands wird auf die genannten Fundstellen sowie die Schriftsätze der Parteivertreter samt Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

15
Auf den Einspruch des Beklagten ist – soweit nicht die Klage zurückgenommen worden ist – der Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Coburg nur im Umfang der letzten streitgegenständlichen Zahlung aufrecht zu erhalten. Im Übrigen ist der Vollstreckungsbescheid aufzuheben und die Klage abzuweisen, da die Ansprüche des Klägers gemäß § 64 GmbHG (a.F.) verjährt sind. Auf das Verfahren findet das bis zum 31.12.2000 geltende Recht Anwendung, Art. 103m EGInsO. Im Detail ist Folgendes auszuführen:
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1. Der Kläger kann vom Beklagten gemäß §§ 64 GmbHG a.F., 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB die Zahlung von 1.256,90 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 25.08.2020 verlangen, in diesem Umfang ist der Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Coburg daher aufrecht zu erhalten.
17
a) Der Beklagte war – auch nach eigener Ansicht – zum 15.09.2017 noch Geschäftsführer der nachmaligen Insolvenzschuldnerin, wie sich zwanglos schon aus dem Umstand ergibt, dass er noch am 06.09.2017 den Insolvenzantrag in dieser Eigenschaft unterzeichnet hat. Der Beklagte behauptet selbst nicht, dass es zwischen dem 06.09.2017 und dem 15.09.2017 zu seiner Abberufung gekommen sei. Die vom Beklagten behauptete Abberufung vom 22.04.2016 (Anlage B 5) aus seinem Amt ist schon deswegen unwirksam, weil ausweislich der Unterschriftszeile nicht alle Gesellschafter der nachmaligen Insolvenzschuldnerin unterzeichnet haben. Es handelt sich bei dem gefassten Schriftstück nach dem Text nicht um ein Protokoll der entsprechenden Beschlussfassung, bei dem das Fehlen einer Unterschrift entbehrlich sein mag, sondern um den Beschluss selbst.
18
b) Am 15.09.2017 ist unstreitig eine Zahlung in Höhe von 1.256,90 Euro aus positivem Bankguthaben an eine Gesellschaftsgläubigerin geleistet worden.
19
c) Zu diesem Zeitpunkt war die nachmalige Insolvenzschuldnerin, wie der Beklagte wusste, nicht mehr zahlungsfähig. Der Beklagte stellt dies für die Zeiträume ab 30.06.2017 unstreitig.
20
d) Der Beklagte handelte schuldhaft. Auf eine interne Aufgabenverteilung unter den Geschäftsführern kann er sich nicht berufen, weil in der (erkannten) Krise der Gesellschaft die Kollegialverantwortung aller Geschäftsführer für finanzielle Angelegenheiten wieder unabhängig von einer zuvor vereinbarten Aufgabenteilung eintritt (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 09.01.2001 – VI ZR 407/99, dort für den Fall der Zahlung von Sozialversicherungen). Soweit der Beklagte meinte, er sei wirksam abberufen worden, war der entsprechende Rechtsfehler vermeidbar, eine einfache Prüfung der Formalien des Beschlusses hätte zur entsprechenden Erkenntnis ausgereicht. Das gegen ihn ausgesprochene Hausverbot hätte er entweder bekämpfen oder vorsorglich selbst sein Amt als Geschäftsführer niederlegen müssen.
21
e) Der Beklagte schuldet Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz, § 288 Abs. 1 BGB, ab 25.08.2020, weil die vom Kläger gesetzte Zahlungsfrist am 24.08.2020 abgelaufen ist, § 286 Abs. 1 BGB.
22
f) Dieser Anspruch des Klägers ist nicht verjährt. Die Verjährungszeit beträgt 5 Jahre, § 64 Satz 4 GmbHG i.V.m. § 43 Abs. 4 GmbHG. Die am 25.08.2022 eingegangene Anspruchsbegründung bezeichnet (auch) diesen Anspruch, sie wurde gemäß Verfügung über das schriftliche Vorverfahren vom 13.09.2022 dem damaligen Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 14.09.2022 zugestellt.
23
f) Dem Beklagten ist insoweit sein Gegenrecht (BGH, Urteil vom 11.07.2005 – II ZR 235/03) gegen die Masse vorzubehalten, das sich nach Rang und Höhe mit dem Betrag deckt, welchen die durch diese verbotswidrige Zahlung begünstigte Gesellschaftsgläubigerin im Insolvenzverfahren erhalten hätte.
24
2. Hinsichtlich der 60 Zahlungen, die zwischen dem 24.11.2016 und dem 09.08.2017 (einschließlich dieser beiden Tage) liegen, sind die Haftungsansprüche des Klägers verjährt, weil der Kläger sich insoweit wegen Fehlgebrauchs des Mahnverfahrens nicht auf dessen Hemmung berufen kann, § 242 BGB.
25
a) Die Benutzung des Mahnverfahrens ist kraft Gesetzes ausgeschlossen, wenn die verlangte Zahlung von einer Gegenleistung abhängt, die noch nicht erbracht ist, § 688 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Dies erfasst nach allgemeiner Auffassung insbesondere die im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Leistungspflichten eines Vertragspartners, hinsichtlich derer ein Zug-um-Zug-Verhältnis besteht und bei denen daher ohne Erbringung der Gegenleistung ein Zurückbehaltungsrecht nach § 320 BGB bestehen würde (z.B. Dörndorfer in Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, Rn. 22 zu § 688 ZPO). Aber auch ein Zurückbehaltungsrecht nach §§ 273 BGB führt nach zutreffender Auffassung wegen § 274 BGB ebenfalls zum Ausschluss des Mahnverfahrens. Lediglich wenn der Gläubiger der mit dem Mahnverfahren geforderten Leistung Vorleistung verlangen kann, greift dieser Ausschluss nicht (Dörndorfer, a.a.O.). Im Falle einer noch zu erbringenden Gegenleistung darf der Antragsteller diese aber nicht erst mit dem Mahnverfahren anbieten (Becker in Anders/Gehle, ZPO, Rn. 14 zu § 688 ZPO).
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b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der die Geschäftsführerhaftung nach § 64 GmbHG (a.F., heute ggf. neu § 15 b InsO) verfolgende Insolvenzverwalter gegenüber dem in Haftung genommenen Geschäftsführer eine Gegenleistung zu erbringen, die nach Auffassung der Kammer die Benutzung des Mahnverfahrens in gleicher Art und Weise ausschließt. Der Bundesgerichtshof hat bereits mit Urteil vom 08.01.2001 – II ZR 88/99 (BGHZ 146, 264) entschieden, dass der Insolvenzverwalter dem ersatzpflichtigen Geschäftsführer etwaige Ersatzansprüche der Masse gegen Dritte Zug um Zug abzutreten hat. Dies ist Ausfluss des Bereicherungsverbots der Masse (BGH, a.a.O., Rn. 31 am Ende) und entspricht dem allgemeinen Bereicherungsverbot nach § 255 BGB (ebenda, Rn. 32). Diese Rechtsprechung ist bisher nie aufgegeben worden.
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(1) Die Kammer verkennt nicht, dass der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 11.07.2005 – II ZR 235/03, es für ausreichend gehalten hat, dass dem Geschäftsführer – allerdings von Amts wegen zu tenorieren – ein Vorbehalt für ein Verfolgungsrecht zugesprochen wird (ebenda, Leitsatz 3 nach juris). Im genannten Leitsatz ist dies als „Ergänzung zu BGH, 8. Januar 2001, II ZR 88/99“ bezeichnet.
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(2) Tatsächlich sind die beiden Kompensationsmodelle zugunsten des Geschäftsführers wohl miteinander unvereinbar. Werden dem Geschäftsführer in Befolgung des Urteils vom 08.01.2021 Ersatzansprüche der Masse gegen Dritte, insbesondere z.B. Anfechtungsansprüche gegen einen Gesellschaftsgläubiger abgetreten, muss der Geschäftsführer den Auffüllungsanspruch gegenüber der Masse erfüllen, erhält Zug um Zug die Ersatzansprüche gegen die Gesellschaftsgläubiger abgetreten und kann sich dann an diese halten und dort teilweise erholen. Handelt es sich dabei um einen Anfechtungsanspruch, dann lebt mit der Durchsetzung dieses Anspruchs gemäß § 144 InsO der Leistungsanspruch des Gesellschaftsgläubigers gegen die Masse wieder auf und kann im Wege der nachträglichen Tabellenanmeldung durch den Gesellschaftsgläubiger gegen die Masse verfolgt werden – falls das Insolvenzverfahren noch nicht abgeschlossen ist.
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(3) Dagegen wird bei Befolgung des Vorbehaltes gemäß dem Urteil vom 11.07.2005 der haftende Geschäftsführer dazu ermächtigt, nach Ausgleich seiner eigenen Haftungsverbindlichkeit direkt gegenüber der Masse seine Gegenansprüche zu verfolgen. Bei dieser Gestaltung bleiben also die Gesellschaftsgläubiger unberührt von der Geltendmachung etwaiger Ansprüche durch den Geschäftsführer, zeitliche Probleme bei Abwicklung der Gegenansprüche bestehen nicht.
30
c) Beiden Abwicklungsvarianten gemeinsam ist jedenfalls – und das ist nach Auffassung der Kammer der entscheidende Gesichtspunkt – dass durch die judizierte Vorgehensweise dem Geschäftsführer Gegenansprüche gegen die Masse vermittelt werden, die er sonst nicht hätte. Diese Gegenansprüche werden ihm entweder abgetreten oder bereits im Urteil tenoriert zur Verfolgung vorbehalten. In der zweitgenannten Variante ist die Tenorierung sogar zwingend, denn es geht um sonst fiktive Ansprüche, die tatsächlich nur bei einem alternativen Geschehensablauf bestehen würden, nämlich dann, wenn der Empfänger der verbotenen Zahlung diese gerade nicht erhalten hätte und deswegen seine Ansprüche gegen die Masse geltend machen würde. Nicht ohne Grund hat der Bundesgerichtshof am 11.07.2005 judiziert, dass dieser Vorbehalt von Amts wegen aufzunehmen ist.
31
Beide Abwicklungsvarianten lassen eine entsprechende Tenorierung im Mahnverfahren nicht zu, weder ist dort der Ausspruch der Zug um Zug-Abtretung (Urteil vom 08.01.2001) noch der Vorbehalt der Verfolgung von fiktiven Gegenansprüchen (Urteil vom 11.07.2005) möglich. In beiden Fällen würde daher der Geschäftsführer bei Zulassung der Benutzung des Mahnverfahrens zur Zahlung verurteilt, ohne dass ihm die Gegenansprüche zukommen würden. Es würde eine entsprechende Schutzlücke für den haftenden Geschäftsführer entstehen, die kaum mehr zu schließen wäre, obwohl schon nach § 255 BGB ein entsprechender Ausgleich erforderlich ist. Das Mahnverfahren ist jedoch nicht dafür da, einer Partei Nachteile zuzufügen (oder der anderen Partei Vorteile zu verschaffen), die sie bei Benutzung des regulären Klageverfahrens nicht hätte. Das Mahnverfahren soll keine anderen Entscheidungen produzieren, als dies im regulären Rechtsstreit – bei Richtigkeit der Darstellung des Mahnantragstellers – ebenfalls der Fall wäre.
32
Anders als der Kläger dies sieht, löst sich dieses Problem nicht dadurch, dass der Geschäftsführer vorleistungspflichtig sein soll. Bei einer Verurteilung zur Zahlung Zug um Zug gegen Abtretung der Ersatzansprüche (Urteil vom 08.01.2001) ist der Geschäftsführer gerade nicht vorleistungspflichtig, sondern eben nur gleichzeitig gegen die Abtretung der Ersatzansprüche. Bei der Verurteilung unter Vorbehalt der Verfolgung der Gegenansprüche (Urteil vom 11.07.2005) besteht zwar zunächst die Vorleistungspflicht des Geschäftsführers, jedoch ist nur durch die bereits im Ausgangsurteil von Amts wegen vorzunehmende Tenorierung der Gegenansprüche eine Verfolgung dieser Ansprüche für den Geschäftsführer überhaupt möglich. Der Geschäftsführer wird so gestellt, als würde es Ansprüche der Gesellschaftsgläubiger geben, die tatsächlich nicht vorhanden sind und die der Geschäftsführer, schon mangels Aktivlegitimation, nicht geltend machen könnte, und diese Ansprüche werden zur eigenen Verfolgung auf ihn übertragen. Mit fiktiven Falllagen haben sich die Zivilgerichte sonst nicht zu befassen, ein isolierter Rückgriffsprozess ohne diesen vorherigen Vorbehalt müsste für den Geschäftsführer regulär verloren gehen.
33
Nach Auffassung der Kammer ist daher für die Verfolgung der Haftungsansprüche nach § 64 GmbHG (a.F.)/15 b InsO (n.F.) die Benutzung des Mahnverfahrens ausgeschlossen. Der Kläger kann sich nach Auffassung der Kammer daher auf das tatsächlich von ihm benutzte Mahnverfahren samt der damit verbundenen Hemmung nicht berufen. Einer bewusst rechtswidrigen Handlungsweise (z.B. BGH, Urteil vom 21.12.2011 – VIII ZR 157/11) bedarf es für diesen Einwand nicht, weil die Berufung auf die Hemmung durch ein Mahnverfahren auch aus sonstigen Gründen ohne eine solche Gesinnung versagt werden kann (z.B. fehlende Individualisierung, BGH, Beschluss vom 25.04.2017 – VIII ZR 217/16). Es geht nicht um doloses Verhalten des Klägers, sondern um widersprüchliches Verhalten.
34
Dem Kläger ist zuzugeben, dass es mit der von der Kammer vertretenen Rechtsauffassung nicht zum zusprechenden Urteil des Bundesgerichtshofs vom 08.05.2018 – II ZR 314/16 hätte kommen können. Dort hat der Bundesgerichtshof die Hemmungswirkung eines Mahnverfahrens auch für die Haftung des Geschäftsführers nach § 64 GmbHG nochmals ausdrücklich bejaht. Allerdings ist das hier von der Kammer aufgegriffene Problem, wie denn eigentlich die Ersatzansprüche des Geschäftsführers, die nach der eigenen Rechtsprechung des II. Zivilsenats von Amts wegen zu tenorieren sind, im Mahnverfahren berücksichtigt werden sollen, nicht erörtert und daher auch nicht ausdrücklich verbeschieden worden.
Nebenentscheidungen:
35
Die Kammer hält die Zustellung des Vollstreckungsbescheids für unwirksam, da sie an einer Anschrift erfolgt ist, unter der der Beklagte tatsächlich nicht mehr aufhältlich war. Vorsorglich, wegen des durch die entsprechende Postzustellungsurkunde gesetzten Anscheins, ist dem Beklagten jedenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist zu gewähren.
36
Die Kostenfolge ergibt sich als Kostenmischentscheidung gemäß §§ 92 Abs. 1 ZPO nach dem Obsiegen/Unterliegen und § 269 Abs. 3 ZPO im Umfang der Teilklagerücknahme. Die Teilunwirksamkeit des Vollstreckungsbescheids als Folge der Teilklagerücknahme ist gemäß § 269 Abs. 3 ZPO zur Klarstellung auszusprechen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1, Satz 2 ZPO. Der Streitwert für die Gerichtskosten bemisst sich nach dem höchsten begehrten Forderungsbetrag in der Hauptsache gemäß §§ 3, 4 Abs. 1 ZPO.