Inhalt

VG München, Urteil v. 17.10.2024 – M 15 K 20.2716
Titel:

Zustimmung zur Kündigung einer Schwerbehinderten, Arbeitsgerichtlicher Vergleich, Erledigung der Zustimmungsentscheidung, Fortsetzungsfeststellungsklage, Besonderes Feststellungsinteresse (verneint), Wiederholungsgefahr, Rehabilitationsinteresse, Tiefgreifender Grundrechtseingriff, Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses, Folgenbeseitigungsanspruch

Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4
SGB IX §§ 168 ff.
Schlagworte:
Zustimmung zur Kündigung einer Schwerbehinderten, Arbeitsgerichtlicher Vergleich, Erledigung der Zustimmungsentscheidung, Fortsetzungsfeststellungsklage, Besonderes Feststellungsinteresse (verneint), Wiederholungsgefahr, Rehabilitationsinteresse, Tiefgreifender Grundrechtseingriff, Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses, Folgenbeseitigungsanspruch
Fundstelle:
BeckRS 2024, 41239

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.   

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen die Zustimmung zu ihrer Kündigung.
2
Die Arbeitgeberin der Klägerin beantragte beim Beklagten im J. … 2019 die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung der Klägerin. Die Klägerin hatte zu diesem Zeitpunkt laut Auskunft des Beklagten einen Grad der Behinderung von 20. Nach den eigenen Angaben der Klägerin war sie nicht schwerbehindert, hatte aber einen Antrag auf Schwerbehinderung gestellt und ein sozialgerichtliches Klageverfahren war anhängig. In der Akte findet sich ein Antrag auf Gleichstellung. Die Arbeitgeberin begründete den Antrag auf Zustimmung zur Kündigung damit, dass die von der Klägerin erbrachten Tätigkeiten nicht mehr aus Deutschland heraus erbracht würden. Die offenen Stellen, die dem Managementlevel der Klägerin entsprächen, erforderten sehr spezielle Fachkenntnisse in den aktuellen technischen Bereichen. Eine Schwerbehinderung oder Gleichstellung der Klägerin sei nicht bekannt.
3
Nach Anhörung und Stellungnahme der Klägerin, des Betriebsrates und der Schwerbehindertenvertretung und erneuter Stellungnahme der Arbeitgeberin, erteilte der Beklagte mit Bescheid vom ... 2019 die Zustimmung. Ein Zusammenhang zwischen dem vorgetragenen Kündigungsgrund und der beantragten Schwerbehinderung bestehe nicht. Ob – wie von der Klägerin vorgetragen – der Beschäftigungsbedarf weiterhin bestehe, sei von den Arbeitsgerichten zu klären. Nach eigener Überzeugung des Beklagten sei der Vortrag der Arbeitgeberin vor dem Hintergrund, dass ein Stellenabbau in ganz Deutschland vorgenommen werde, glaubhaft. Der Kündigungsgrund sei von der Arbeitgeberin auch nicht lediglich vorgeschoben worden. Die Interessenabwägung falle zugunsten der Arbeitgeberin aus. Die Kündigung sei nicht etwa offensichtlich unwirksam, weil Arbeitsplätze frei seien. Es stelle sich u.a. die Frage, ob die Klägerin qualifiziert genug sei, einen anderen von ihr vorgeschlagenen Arbeitsplatz auszufüllen. Die Arbeitgeberin habe konkret und glaubhaft vorgetragen, warum eine Beschäftigung auf der jeweiligen Stelle nicht möglich sei. Es ergäben sich für den Beklagten keine Anhaltspunkte für eine offensichtliche Unrichtigkeit der Sozialauswahl, zumal die Klägerin im Interessenausgleich berücksichtigt worden sei.
4
Die Klägerin legte am ... 2019 Widerspruch ein.
5
Mit Widerspruchsbescheid vom ... 2020, am ... 2020 zur Post gegeben, wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Für die Klägerin liege keine Anerkennung oder Gleichstellung als schwerbehinderter Mensch vor. Der vorgetragene Kündigungsgrund stehe in keinem Zusammenhang mit der Schwerbehinderung. Die Interessenabwägung falle zugunsten der Arbeitgeberin aus. Dem Beklagten komme im Hinblick auf unternehmerische Entscheidungen nur eine eingeschränkte Prüfungskompetenz dahingehend zu, ob die unternehmerischen Entscheidungen offensichtlich unsachlich oder willkürlich seien.
6
Die Klägerin erhob Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht.
7
Mit Urteil vom ... 2021 stellte das Arbeitsgericht M. … fest, dass das Anstellungsverhältnis zwischen der Klägerin und ihrer Arbeitgeberin durch die ordentliche Kündigung vom ... 2020 nicht zum … August 2020 beendet worden sei. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Der Weiterbeschäftigungsantrag der Klägerin sei unzulässig. Die Kündigung sei unwirksam, weil die Arbeitgeberin nicht hinreichend vorgetragen habe, dass die von ihr behauptete unternehmerische Entscheidung tatsächlich kausal für den Wegfall des Beschäftigungsbedarfs der Klägerin gewesen sei und welche konkreten Aufgabenstellungen der Klägerin durch die unternehmerische Entscheidung entfallen seien.
8
Im arbeitsgerichtlichen Verfahren schlossen die Klägerin und ihre Arbeitgeberin nach Vortrag der Klägerin in zweiter Instanz am ... 2022 einen gerichtlichen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis fortbestehe und zum ... 2025 beendet werde und die Vergütung seit dem ... 2020, jedoch ohne den variablen Anteil, bis zum ... 2022 nachschüssig und ab diesem Zeitpunkt kontinuierlich gezahlt werde.
9
Am ... 2020 erhob die Klägerin Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht M. … und beantragte zuletzt,
den Bescheid vom ... 2019 und den Widerspruchsbescheid vom ... 2020 aufzuheben,
hilfsweise auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage überzugehen, festzustellen, dass der Bescheid vom ... 2019 und der Widerspruchsbescheid vom ... 2020 rechtswidrig sind bzw. waren,
die Nichtigkeit des Bescheids vom ... 2019 und des Widerspruchsbescheids vom ... 2020 festzustellen,
hilfsweise auf eine Feststellungsklage überzugehen, die Nichtigkeit des Bescheids vom ... 2019 und des Widerspruchsbescheids vom ... 2020 festzustellen,
die Rückgängigmachung der Folgen der Vollziehung des Bescheids vom ... 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom ... 2019 auszusprechen.
10
Sie begründete ihre Klage in mehreren Schriftsätzen umfassend und trug u.a. vor, der Beklagte habe sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Es seien weitere Beschäftigungsmöglichkeiten vorhanden gewesen. Eine ordnungsgemäße Anhörung habe nicht stattgefunden, der Vortrag der Klägerin sei nicht hinreichend gewürdigt worden. Schwerbehindertenvertretung und Betriebsrat hätten vorgetragen, dass es weniger schutzbedürftige Mitarbeiter gebe, deren Tätigkeiten die Klägerin übernehmen könne, so dass auch ihre Stellungnahmen nicht berücksichtigt worden seien. Der Beklagte verkenne wesentliche offensichtliche Unwirksamkeitsmerkmale des Interessensausgleichs. Von Anfang 2018 bis zur Kündigungsfrist habe es über 70 freie Arbeitsplätze geben, für die die Klägerin geeignet sei und auf die sie sich weitgehend beworben habe. Vor allem in der Zeit der Coronakrise habe die Arbeitgeberin Mitarbeiter mit den Kenntnissen der Klägerin benötigt. Die Klägerin berufe sich auf einen Sonderkündigungsschutz nach §§ 38 Abs. 2 i.V.m. 6 Abs. 4 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG). Der Antrag beim Beklagten sei von einer nicht vertretungsberechtigten Person gestellt worden. Der Interessenausgleich enthalte weder den Namen der Klägerin noch sei er betriebsbezogen. In der Verfahrensakte seien Stellungnahmen der Interessenvertretung nicht vollständig abgedruckt. Eine Evidenzprüfung durch den Widerspruchsausschuss sei daher nicht mehr möglich gewesen. Trotz des Vergleichs sei die Richtigkeit der Begründung der Arbeitgeberin so sehr infrage gestellt, dass die Erwägungen der Beklagten die getroffene Entscheidung nicht tragen könnten. Aufgrund eines Sachbearbeiterwechsels und der konkreten Behandlung des Falles befürchte die Klägerin ein parteiisches, unfaires Verfahren.
11
Zur Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage führte die Klägerin aus, die Zustimmung des Beklagten habe dem Arbeitgeber einen rechtswidrigen Vorteil verschafft, der im arbeitsgerichtlichen Verfahren in Form des Vergleichs fortwirke. Wegen eines ungleichen Verhältnisses habe die Klägerin sich in einer finanziellen „Bankrott-Situation“ befunden, in der sie sich zum Vergleichsschluss gezwungen gesehen habe. Nach Ansicht der Klägerin liege es in ihrem Ermessen, ob sie sich mit dem „rechtswidrigen Vergleichsabschluss“ abfinde oder sich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren weiter gegen die rechtswidrigen angefochtenen Bescheide wehre. Der Arbeitgeber könne sich auf die Wirksamkeit der angefochtenen Verwaltungsakte berufen, obwohl diese aus Sicht der Klägerin rechtswidrig seien. Damit entfalte der Verwaltungsakt des Beklagten weiterhin eine Regelungswirkung. Der arbeitsgerichtliche Vergleich sei nur aufgrund einer rechtswidrigen Kündigung zustande gekommen und könne einseitig aufgehoben werden. Die Arbeitgeberin habe bei der Nachzahlung der Vergütung der Klägerin für die Monate … 2020 bis … 2022 zu viel Steuern einbehalten. Das Finanzamt habe trotz des Antrags der Klägerin auf Steuerermäßigung die zu viel einbehaltene Steuer nicht erstattet, da es aufgrund der nicht aufgehobenen Zustimmung von einer schwebend unwirksamen Kündigung ausgehe. Es seien Einsprüche der Klägerin anhängig. Die Klägerin gehe von Einbußen von … EUR zuzüglich marktüblichen Zinsen aus, da sie das Geld hätte anlegen können. Die Klägerin habe Renteneinbußen erlitten wegen der Kürzung des Gehalts.
12
Zum letzten Klageantrag verwies die Klägerin auf den Folgenbeseitigungsanspruch. Der Beklagte habe die Zustimmung zur Kündigung erteilt, damit die Klägerin den Vergleich schließe. Auf eine Mitwirkung der Klägerin könne sich der Beklagte nicht berufen, da die Klägerin zu ihrem Verhalten durch den rechtswidrigen Erlass des Bescheids gezwungen gewesen sei.
13
Die Klägerin habe erhebliche finanzielle Beeinträchtigungen erlitten, indem die Arbeitgeberin die Gehaltszahlungen für 22 Monate eingestellt habe. Mit dem Vergleich werde nicht mehr der variable Anteil der Vergütung ausbezahlt. Es sei offen, ob sie eine Anschlussbeschäftigung ab 2026 finden werde. Sie habe Vermögensverluste in Form von gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten gehabt. Zudem erhalte sie seit 2020 keinen Bonus und keine Gehaltserhöhung mehr. Es sei nicht auszuschließen, dass für die Jahre ab 2026 Verluste in ihrer Anwartschaft gegenüber der Deutschen Rentenversicherung entstehen würden. Die Klägerin beabsichtige, diese Schäden gegenüber dem Beklagten geltend zu machen. Da das Arbeitsverhältnis fortbestehe und die Arbeitgeberin durchgehend Kündigungen aus betrieblichen Gründen ausspreche, bestehe eine Wiederholungsgefahr. Zudem bestehe ein Rehabilitierungsinteresse, da der Beklagte in seinem Bescheid die von der Klägerin bestrittene und von der Arbeitgeberin nicht belegte Behauptung, die Klägerin sei für die offenen Stellen nicht geeignet, als eigene Meinung aufgefasst habe. Die Leugnung ihrer Qualifikationen stelle eine ehrverletzende Äußerung bzw. Beleidigung dar. Das Ansehen der Klägerin innerhalb des Unternehmens sei dadurch geschädigt. Dies habe zur Folge gehabt, dass die Bewerbungen der Klägerin auf neue Stellen innerhalb des Unternehmens über siebzigmal abgelehnt worden seien. Zudem liege ein tiefgreifender Grundrechtseingriff vor. Das Recht auf Arbeit der Klägerin sei erheblich verletzt, da sie Zeit mit den Verfahren verbracht habe und ihre Karriere durch die Zustimmung des Beklagten de facto zunichtegemacht worden sei. Ihre körperliche Unversehrtheit habe durch das Verfahren gelitten.
14
Nach Ansicht der Klägerin habe der Beklagte eine Kündigungsschutzklage herbeiführen wollen, die nach Vorstellung des Beklagten erfahrungsgemäß in einem Vergleich enden solle. Der Vergleich stelle deshalb einen Schaden dar. Es bestünden keine gleichartigen Schadensersatzansprüche, insbesondere nicht gegenüber der Arbeitgeberin, da diese auf die Zustimmung des Beklagten vertrauen dürfe.
15
Der Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
16
Das Rechtschutzbedürfnis der Klägerin sei durch den Abschluss des arbeitsgerichtlichen Vergleiches entfallen. Es bestehe kein Feststellungsinteresse. Die Absicht, einen Amtshaftungsprozess zu führen, sei offensichtlich aussichtslos. Die Gerichts- und außergerichtlichen Kosten könnten in einem Einstellungsbeschluss berücksichtigt werden. Soweit sich die Klägerin auf die nicht ausgezahlten Boni und ausgefallene Gehaltserhöhungen als möglichen Schadensposten berufe, sei festzustellen, dass die Klägerin selbst durch den Abschluss des Vergleiches vor dem Landesarbeitsgericht die Kündigung und damit die Beendigung des Arbeitsverhältnisses außer Streit gestellt habe.
17
Mit Schriftsatz vom ... 2024 beantragte die Klägerin, die aufschiebende Wirkung der Klage sowie die Aufhebung der Vollziehung des Bescheids vom ... 2024 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom ... 2020 anzuordnen (...). Der Antrag wurde mit Beschluss vom ... 2024 abgelehnt.
18
Am ... 2024 fand eine mündliche Verhandlung statt, in der mit den Beteiligten die Sach- und Rechtslage erörtert wurde.
19
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Behörden- und die Gerichtsakte, insbesondere auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom ... 2024 Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).

Entscheidungsgründe

20
Die Klage hat keinen Erfolg, da sie unzulässig ist.
21
1. Mit ihrem Hauptantrag zielt die Klägerin auf die Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids im Wege einer Anfechtungsklage.
22
Diese Anfechtungsklage ist nicht zulässig, da sich die angefochtene Zustimmung zur Kündigung durch Abschluss des Vergleichs zwischen der Klägerin und ihrer Arbeitgeberin erledigt hat (vgl. § 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – SGB X). Die Erledigung eines Verwaltungsakts tritt ein, wenn er nicht mehr geeignet ist, rechtliche Wirkungen zu erzeugen oder wenn die Steuerungsfunktion, die ihm ursprünglich innewohnte, nachträglich entfallen ist (vgl. BVerwG, U.v. 25.9.2008 – 7 C 5.08 – juris Rn. 14).
23
Die streitgegenständliche Zustimmung durch den Beklagten zur Kündigung der Klägerin zeitigt nach dem arbeitsgerichtlichen Vergleich keine Rechtswirkungen mehr (vgl. VG Bayreuth, U.v. 25.3.2013 – B 3 K 12.807 – juris Rn. 29; VG Saarlouis, U.v. 12.10.2018 – 3 K 1276/16 – juris Rn. 25). Die Parteien haben sich in Ausübung ihrer grundrechtlich geschützten Privatautonomie (Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz – GG) geeinigt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum … Dezember 2025 endet. Anders als die Klägerin annimmt, könnte auch eine Aufhebung der streitgegenständlichen Zustimmungsentscheidung den Vergleich nicht unwirksam machen und das Arbeitsverhältnis daher nicht wieder aufleben lassen. Ein Vergleich wird durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen geschlossen und unterliegt hinsichtlich seiner Wirksamkeit den Regeln des Zivilrechts, insbesondere materiell-rechtlich § 779 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und prozessrechtlich § 278 Abs. 6 Zivilprozessordnung (ZPO, vgl. z.B. zu Anfechtung wegen arglistiger Täuschung bzw. Rücktritt BAG, U.v. 20.6.2024 – 2 AZR 156/23 – juris). Eine behördliche Zustimmung ist für die Wirksamkeit des Vergleichs nicht erforderlich, so dass ihre etwaige Aufhebung oder Nichtigkeit auch die Wirksamkeit des Vergleichs nicht berührt. Dies gilt unabhängig von den Motiven, aus denen der Vergleich geschlossen wurde. Auch wenn verständlich ist, dass die rechtliche Wirksamkeit des Zustimmungsbescheids für die Klägerin beim Abschluss des Vergleichs für ihre Willensbildung eine Rolle spielte, verhindert die Zustimmung des Beklagten nicht die Fähigkeit der Klägerin, sich einen freien Willen zu bilden.
24
2. Auch die von der Klägerin im Hilfsantrag erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage ist unzulässig. Hat sich ein Verwaltungsakt vor einer Entscheidung durch das angerufene Gericht durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. (sog. Fortsetzungsfeststellungsklage, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO). Ein solches Interesse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Natur sein. Entscheidend ist, dass die gerichtliche Entscheidung geeignet ist, die Position der Klägerin in den genannten Bereichen zu verbessern (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 16.5.2013 – 8 C 20/12 – juris Rn. 11). Als Sachentscheidungsvoraussetzung muss das Fortsetzungsfeststellungsinteresse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorliegen. Danach kommt es hier auf den Schluss der mündlichen Verhandlung an. Für das Fortsetzungsfeststellungsinteresse haben sich die folgenden Fallgruppen herausgebildet (vgl. aktuell BVerwG, U.v. 4.4.2024 – 6 C 2.22 – juris), die im Fall der Klägerin jedoch nicht vorliegen:
25
a) Ein Rehabilitationsinteresse kann die Klägerin für sich nicht in Anspruch nehmen. Denn ein derartiges Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts besteht nur, wenn sich aus der angegriffenen Maßnahme eine Stigmatisierung des Betroffenen ergibt, die geeignet ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen. Diese Stigmatisierung muss Außenwirkung erlangt haben und noch in die Gegenwart andauern (BVerwG, U.v. 16.5.2013 – 8 C 20/12 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 25.4.2014 – 12 ZB 13.1197 – juris Rn. 10). Die im Bescheid geäußerten Einschätzungen des Beklagten erfüllen diese Voraussetzungen bereits nicht, da der Inhalt des Bescheids einem weiteren Personenkreis nicht bekannt wird. Zudem genügt die Aussage, es stelle „sich die Frage, ob die Klägerin [für andere Aufgaben] qualifiziert genug ist“, den Anforderungen an eine Herabsetzung nicht. Die Klägerin wird dadurch nicht herabgewürdigt, zumal der Beklagte allein die Frage in den Raum stellt, nicht aber feststellt, die Klägerin sei für Aufgaben nicht qualifiziert genug. Allein der Umstand, dass die Klägerin schwerbehindert ist und ihr Arbeitsverhältnis gekündigt wurde, begründet noch kein Rehabilitationsinteresse (vgl. VG Magdeburg, U.v. 24.10.2013 – 4 A 155/13 – juris Rn. 28).
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b) Auch einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff bzw. eine tiefgreifende Ungleichbehandlung entgegen Art. 2 Abs. 1, Art. 3 oder 12 GG konnte die Klägerin nicht darlegen. Ein Feststellungsinteresse ist in Fällen tiefgreifender Grundrechtseingriffe gegeben, in denen die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann (vgl. BVerwG, U.v. 4.4.2024 – 6 C 2.22 – juris). Daran fehlt es im vorliegenden Fall, da der Klägerin zeitnaher Rechtsschutz durch das Verwaltungsgericht zur Verfügung gestanden und sie im Übrigen die Erledigung ihres Rechtsschutzbegehrens durch den Abschluss eines arbeitsgerichtlichen Vergleichs selbst herbeigeführt hat (vgl. BayVGH, B.v. 25.4.2014 – 12 ZB 13.1197 – juris Rn. 11).
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Auch wenn in Kündigungsstreitigkeiten häufig Vergleiche geschlossen werden, die zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen, liegt es in der Entscheidungsbefugnis des Arbeitnehmers, ob er sich mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abfindet oder sich in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren gegen die Kündigung und in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren gegen die Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung wehrt. Das Zustimmungserfordernis hat gerade den Zweck, den schwerbehinderten Arbeitnehmer vor einer an seine Schwerbehinderteneigenschaft anknüpfenden Kündigung zu schützen. Geht der Arbeitnehmer arbeitsrechtlich gegen die Kündigung nicht vor oder beendet er das Arbeitsverhältnis einvernehmlich durch einen arbeitsgerichtlichen Vergleich, bedarf er dieses Schutzes nicht mehr. Entscheidet sich der Arbeitnehmer, gerichtlichen Rechtsschutz gegen die Zustimmung zur Kündigung in Anspruch zu nehmen, so ist bei gewöhnlichem Ablauf gewährleistet, dass das Gericht über die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts entscheidet, bevor die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen feststeht (vgl. VG Magdeburg, U.v. 24.10.2013 – 4 A 155/13 – juris Rn. 29 ff.). Die Situation der Klägerin ist mithin mit einer sich kurzfristig erledigenden, z.B. polizeilichen, Maßnahme nicht vergleichbar.
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c) Ebenso wenig liegt eine Wiederholungsgefahr vor. Es ist bereits in keiner Weise substantiiert dargelegt oder sonst ersichtlich, dass die Arbeitgeberin der Klägerin, die selbst im Vergleichswege dem (vorübergehenden) Verbleib der Klägerin im Betrieb zugestimmt hat, eine weitere betriebsbedingte Kündigung entgegen dieses Vergleichs vornehmen könnte. Allein dass diese Möglichkeit denklogisch nicht ausgeschlossen ist, genügt nicht für ein besonderes Feststellungsinteresse. Vor allem setzt eine Wiederholungsgefahr jedoch voraus, dass die für die Beurteilung des Sachverhalts maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert sind. Bei der Entscheidung des Integrationsamts über die Zustimmung zur Kündigung eines schwerbehinderten Menschen handelt es sich indes um eine Ermessensentscheidung im Einzelfall, bei der die jeweils vom Arbeitsgeber vorgetragenen Kündigungsgründe mit dem spezifischen Schutzinteresse des Arbeitnehmers gegeneinander abgewogen werden (vgl. BayVGH, B.v. 25.4.2014 – 12 ZB 13.1197 – juris Rn. 9 m.w.N.). Bei einer etwaigen erneuten Kündigung wären die Umstände hinsichtlich der Tätigkeit, der Dauer der Betriebszugehörigkeit und vergleichbarer Stellen derart unterschiedlich, dass keine Vergleichbarkeit vorläge (vgl. BayVGH, B.v. 25.4.2014 – 12 ZB 13.1197 – juris Rn. 9). Bei der nach den §§ 168 ff. Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) im Ermessenswege zu treffenden Entscheidung über die Erteilung einer Zustimmung zur Kündigung ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen (vgl. VG Bayreuth, U.v. 14.2.2011 – B 3 K 10.918 –, Rn. 23, juris; VG Saarlouis, U.v. 12.10.2018 – 3 K 1276/16 – juris Rn. 29, VG Magdeburg, U.v. 24.10.2013 – 4 A 155/13 – juris Rn. 24). Eine etwaige weitere Kündigung wäre mithin erneut zustimmungspflichtig und nach den Umständen des Einzelfalls ggf. erneut gerichtlich zu überprüfen.
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d) Das Gericht geht schließlich auch nicht davon aus, dass ein besonderes Feststellungsinteresse aus Gründen des Präjudizinteresses vorliegt. Ein besonderes Feststellungsinteresse unter dem Aspekt der präjudiziellen Wirkung besteht nach der Rechtsprechung insbesondere dann, wenn die Feststellung für die Geltendmachung von Ansprüchen aus Amtshaftung nach Art. 34 GG, § 839 BGB oder von sonstigen Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüchen erheblich ist, ein entsprechender Prozess mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist und nicht offenbar aussichtslos erscheint (vgl. VG Bayreuth, U.v. 25.3.2013 – B 3 K 12.807 – juris; Heinrich/Wolff in NK-VwGO, 5. Aufl. 2018, § 113 Rn. 279). Dass diese Voraussetzungen erfüllt sind, muss der Kläger von sich aus substantiiert darlegen (vgl. BayVGH, B.v. 27.3.2014 – 15 ZB 12.1562 – juris Rn. 12). Insbesondere muss er aufzeigen, was er konkret anstrebt, welchen Schaden bzw. welche Schadens- oder Entschädigungspositionen er im Zivilrechtsweg geltend machen will und dass ein Schadensersatz- bzw. Entschädigungsprozess bereits anhängig oder mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist. Die bloße Behauptung, einen Schadensersatzprozess führen zu wollen, genügt hierfür nicht (vgl. BayVGH, B.v. 27.3.2014 – 15 ZB 12.1562 – juris Rn. 12; OVG NRW, U.v. 25.3.2014 – 2 A 2679/12 – juris Rn. 47). Zwar dürfen an den Vortrag keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Insbesondere bedarf es regelmäßig keiner Vorlage einer genauen Schadensberechnung. Jedoch muss der Vortrag zur Rechtfertigung des mit der Fortsetzung des Prozesses verbundenen Aufwands über die bloße Behauptung hinaus nachvollziehbar erkennen lassen, dass er einen Amtshaftungsprozess tatsächlich anstrebt und dieser nicht offensichtlich aussichtslos ist. Hierzu gehört auch eine zumindest annähernde Angabe der Schadenshöhe (vgl. BayVGH B.v. 13.06.2014 – 15 ZB 14.510 – juris Rn. 11 f.; BayVGH, B.v. 24.10.2011 – 8 ZB 10.957 – Rn. 13; OVG NRW, B.v. 5.7.2012 – 12 A 1423/11 – juris Rn. 22 ff.; OVG NRW, U.v. 25.3.2014 – 2 A 2679/12 – juris Rn. 47). Offensichtliche Aussichtslosigkeit kann i.d.S. nur angenommen werden, wenn ohne eine in die Einzelheiten gehende Prüfung erkennbar ist, dass der behauptete zivilrechtliche Anspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt bestehen kann (vgl. BVerwG BVerwG, U.v. 28.8.1987 – 4 C 31/86 – juris; OVG Münster, B.v. 23.1.2003 – 13 A 4859/00 – juris).
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So liegt der Fall hier. Soweit die Klägerin sich auf Nachteile bezieht, die ihr durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstanden sind, ist für diese nicht die Zustimmung des Beklagten kausal, sondern der Abschluss des arbeitsgerichtlichen Vergleichs durch die Klägerin (s.o.). Soweit die Klägerin ihren Schaden in einem Differenzbetrag sieht, der ihr steuerrechtlich dadurch entstanden sein könnte, dass die Arbeitgeberin nach der erfolgten Kündigung zunächst kein Gehalt ausgezahlt hat und nach dem erfolgten Vergleich den offenstehenden Betrag schließlich auf einmal nachgezahlt hat, scheiterte diesbezüglich eine Amtshaftung am Erfordernis der Kausalität und an der Subsidiarität staatlicher Haftung (vgl. § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB), nachdem die Arbeitgeberin die Entscheidung getroffen hat, die Auszahlung in dieser Weise vorzunehmen und die Klägerin sich im Wissen, dass solche Nachteile entstehen können, auf den Vergleich eingelassen hat (vgl. BGH, U.v. 11.6.1992 – III ZR 134/91 – juris). Nach ihrem eigenen Vortrag hat die Klägerin sich im Vergleichswege damit einverstanden erklärt, dass die Nachzahlung des nicht gezahlten Gehalts nachlaufend erfolgte.
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3. Die hilfsweise beantragten Nichtigkeitsfeststellungsklagen, deren Anträge denselben Inhalt haben, sind nicht zulässig. Für den Fall des nachträglichen Rechtsschutzes gegen einen erledigten Verwaltungsakt trifft § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO eine im Verhältnis zu § 43 VwGO spezielle und damit vorrangige Regelung (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, § 113 Rn. 99 f; Glaser, NJW 2009, 1043, 1045).
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4. Auch soweit die Klägerin beantragt, die Rückgängigmachung der Folgen auszusprechen, hat die Klage keinen Erfolg. Nach § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann der Aufhebungsantrag mit dem Folgenbeseitigungsantrag verbunden werden, wenn der angefochtene Verwaltungsakt bereits vollzogen wurde. Im vorliegenden Fall wird der Verwaltungsakt jedoch nicht vom Gericht aufgehoben, so dass die Voraussetzung des § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht vorliegen. Somit kommt es nicht darauf an, dass auch die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des nicht ausdrücklich normierten, aber allgemein anerkannten öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruchs (Schoch/Schneider/Riese, 45. EL Januar 2024, VwGO § 113 Rn. 91) nicht vorliegen, weil die Behörde nicht in der Lage ist, eine Vollziehung rückgängig zu machen (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 3 VwGO). Die Behörde ist nicht verpflichtet, bei rechtlicher oder tatsächlicher Unmöglichkeit bzw. bei Unzumutbarkeit (irgendwelche) Maßnahmen zur Verringerung des Nachteils zu ergreifen (vgl. Schoch/Schneider/Riese, 45. EL Januar 2024, VwGO § 113 Rn. 91; VG Leipzig, B.v. 25.2.2003 – 7 K 637/02 – juris). Der Folgenbeseitigungsanspruch erfasst zudem nicht alle rechtswidrigen Folgen, die durch ein Tun oder ein Unterlassen der vollziehenden Gewalt eingetreten sind, insbes. nicht diejenigen rechtswidrigen Folgen einer Amtshandlung, die erst dadurch eintreten, dass sich der Betroffene zu einer bestimmten Maßnahme entschließt (BVerwG, Beschluss vom 03.07.2007 – 9 B 9/07 – juris).
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Den arbeitsgerichtlichen Vergleich, zu deren Abschluss sich die Klägerin entschieden hat, zu beseitigen, ist dem Beklagten nicht möglich (s.o.), so dass ein Folgenbeseitigungsanspruch nicht in Betracht kommt. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch scheiterte ebenfalls an der Kausalität (s.o.).
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5. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 188 Satz 2 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).