Titel:
Sanierungspflicht für Balkone
Normenkette:
WEG § 18, § 19
Leitsatz:
Sieht die Gemeinschaftsordnung eine Instandsetzungspflicht für Gemeinschaftseigentum vor, das sich "innerhalb des Sondereigentums" befindet, erfasst dies Balkone nicht. (Rn. 24 – 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Instandsetzungspflicht, Balkon, Sondereigentum, Gemeinschaftseigentum
Fundstellen:
ZMR 2025, 177
LSK 2024, 41101
BeckRS 2024, 41101
Tenor
1. Das Versäumnisurteil vom 13.02.2024 wird aufrechterhalten.
2. Die Beklagte hat die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 150.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Kläger sind als Eigentümer der Wohnung Nr. ... Mitglieder der beklagten WEG.
2
Die klägerische Wohnung Nr ... ist in der Teilungserklärung wie folgt beschrieben:
„Miteigentumsanteil von 180/1000 verbunden mit dem Sondereigentum an der im Aufteilungsplan mit Nrbezeichneten Wohnung im Obergeschoß nebst Kellerraum Nr. ...“.
3
An die klägerische Wohnung Nr. ... grenzt ein kleiner begehbarer Balkon mit einer Auskraglänge von ca. 75 cm an. In der Teilungserklärung mit Gemeinschaftsordnung (Anlage K 2) wird dieser Balkon nicht erwähnt. Der Balkon ist erheblich instandsetzungsbedürftig. Die Tragkonstruktion des Balkons ist in einem sehr schlechten Zustand. Die tragenden Bauteile sind in Folge der Rissbildung im Belag und diversen Schäden an der Oberfläche der Ummantelung nicht ausreichend gegen Witterungseinflüsse geschützt. Die tragenden Stahlbauteile weisen zum Teil erhebliche Korrosionsschäden auf. Teilweise löst sich der Rost plattenförmig ab und führt zu entsprechenden Querschnittschwächungen. Durch die Volumenvergrößerungen in Folge der Korrosion ist es bereits zu Abplatzungen der Betonummantelung gekommen, d.h. es sind bereits Betonteile des Balkons vom OG heruntergefallen. Das Fachbüro hat in dem Bericht zur Bewertung der Bestandskonstruktion des Balkons vom 21.09.2021 die Sperrung des Balkons empfohlen.
4
Die Sanierungskosten betragen ca. 150.000 EUR.
5
In der geltenden Teilungserklärung/Gemeinschaftsordnung sind u.a. folgende Regelungen enthalten:
Instandhaltung und Instandsetzung des Gemeinschaftseigentums:
9. Schönheits- und sonstige Reparaturen am Gemeinschaftseigentum, soweit dieses sich innerhalb des Sondereigentums befindet (Innenseite der Wohnungsabschlußtüren, Innenseite und Verglasung der Außenfenster etc.), sind von den jeweiligen Wohnungs- bzw. Teileigentümern in gleicher Weise wie bei ihrem Sondereigentum auf ihre Kosten durchzuführen..
Sorgfaltspflicht der Wohnungseigentümer
1. Jeder Wohnungseigentümer haftet den übrigen Wohnungseigentümern für Schäden, die durch schuldhaftes Verletzen der ihm nach den §§ 4 und 5 obliegenden Sorgfalts- und Instandhaltungspflichten an deren Sondereigentum oder am gemeinschaftlichen Eigentum entstehen. Dies gilt auch für Schäden, welche durch seine Angehörigen, Mieter oder durch sonstige Personen schuldhaft verursacht werden, wenn diese mit seinen Willen die in seinem Sondereigentum stehenden Räume aufsuchen oder sich darin aufhalten. Er hat ferner dafür zu sorgen, daß diese Personen, die sich aus § 2 ergebenden Pflichten erfüllen. Es obliegt ihm der Nachweis, daß ein schuldhaftes Verhalten nicht vorgelegen hat.
2. Schäden am gemeinschaftlichen Eigentum, für die ein Wohnungseigentümer nach Abs. 1 einstehen muß, hat er unverzüglich zu beseitigen, anderenfalls kann der Verwalter die erforderlichen Maßnahmen auf Kosten des säumigen Wohnungseigentümers vornehmen lassen.“
6
Im Protokoll der Eigentümerversammlung der Beklagten vom 21.11.2023 ist zu TOP 11 folgendes enthalten:
„TOP 11 Besprechung ggf. Beschlussfassung über die Kostenregelung der Balkonsanierung Beschlussantrag: Die Hausverwaltung wird aufgefordert folgenden Beschlussantrag aufzunehmen:
„Die Eigentümergemeinschaft ist der Auffassung, dass die Eigentümer der Wohnung Nr., Familie Dr., ihrer Sorgfaltspflicht (§ 6 der Teilungserklärung) in Verbindung mit der Verpflichtung zur Durchführung notwendiger Reparaturen am allein verfügbaren Gemeinschaftseigentum innerhalb des Sondereigentums (§ 5 Zi. 9 der Teilungserklärung) nicht nachgekommen sind und daher für die Kosten der Balkonsanierung haften.
Die Grundlage für diese Meinung entnehmen die Eigentümer aus dem Bericht Projekt Nr. vom 21.9.2021.“
Beschlussergebnis/Verkündung: mehrheitlich angenommen (1 Gegenstimme)
7
Das Gericht hat im schriftlichen Vorverfahren am 13.02.2024 ein Versäumnisurteil erlassen, das der Beklagten am 16.02.2024 zugestellt wurde. Am 22.02.2024 hat die Beklagte Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt.
8
Die Kläger führen aus, der Beschluss sei nicht ausreichend angekündigt worden. Konstitutive Handlungs- und Zahlungspflicht könnten nicht beschlossen werden.
9
Es liege kein „Nichtbeschluss“ vor, sondern es sei förmlich abgestimmt worden. Es handle sich auch nicht nur um die Abgabe einer Rechtsansicht.
10
Aus § 6 bzw. 5 Ziff. 9 der Gemeinschaftsordnung ergebe sich keine Sorgfaltspflicht der Kläger. Der Balkon sei kein Sondereigentum, da in er Teilungserklärung nicht erwähnt sei; jedenfalls stünden die instandsetzungsbedürftigen Teile (Bodenplatte, tragende Stahlbauteile, Abdichtung, Brüstung/Geländer…) im Gemeinschaftseigentum. Der Balkon befinde sich auch nicht innerhalb des Sondereigentums der Kläger, sondern an der Außenfassade. Die Verantwortung für die Instandsetzung liege nach §§ 18, 19 Abs. 2 Nr. 2 WEG bei der WEG. Eine Änderung des Kostenverteilungsschlüssels sei nicht zulässig. Der Beschluss erwecke zumindest den Anschein einer Haftung der Kläger, daher bestehe auch ein Rechtsschutzbedürfnis. Der Beschluss sei im Übrigen wegen Unbestimmtheit nichtig, auch fehle für die Herbeiführung einer verbindlichen Auslegung der Teilungserklärung die Beschlusskompetenz.
11
Die Kläger beantragen zuletzt,
das Versäumnisurteil vom 13.02.2024 aufrechtzuerhalten.
12
Die Beklagte beantragt,
das Versäumnisurteil vom 13.02.2024 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
13
Die Beklagte führt aus, dass der „Beschluss“ keine konstitutive Wirkung habe, sondern bloß die Rechtsansicht der weit überwiegenden Mehrheit der Eigentümer ausformuliere. Es handle sich damit um einen „Nichtbeschluss“. Dieser beinhalte weder die Auferlegung einer Verpflichtung oder einer Kostentragung, noch entfalte er eine Bindungswirkung. Er sei daher entsprechend einem Aufforderungsbeschluss nur wegen formeller Mängel anfechtbar. Solche lägen nicht vor. Der Beschluss könne auch als Änderung der Teilungserklärung ausgelegt werden. Auch eine Änderung der Kostenverteilung nach § 16 Abs. 2 S. 2 WEG hätte vorliegend zulässigerweise beschlossen werden dürfen.
14
Im Übrigen wird auf die jeweiligen Schriftsätze der Parteien sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 24.04.2024 verwiesen.
Entscheidungsgründe
15
Die Klage ist zulässig.
16
1. Das Amtsgericht München als Wohnungseigentumsgericht gem. §§ 43 Abs. 2 Nr. 4 WEG, 23 Nr. 2c GVG örtlich und sachlich ausschließlich zuständig. Die Fristen des § 45 S. 1 WEG sind eingehalten.
17
2. Unter TOP 11 wurde ein Beschluss gefasst. Es handelt sich nicht um eine bloße Meinungsäußerung. Der Beschluss ist mit der Anfechtungsklage angreifbar.
18
a) Zwar legt die Formulierung „Die Eigentümergemeinschaft ist der Auffassung“ nahe, dass vorliegend kein Beschluss gefasst werden, sondern lediglich eine Rechtsmeinung niedergelegt werden sollte.
19
Dagegen spricht jedoch die Tatsache, dass der Text ausweislich des Protokolls ausdrücklich als „Beschlussantrag“ aufgenommen werden sollte und auch als solcher bezeichnet ist. Ebenso wurde ausdrücklich ein „Beschlussergebnis“ aufgenommen und verkündet. Auf Grund dieser eindeutigen Terminologie ist im Zweifel von einem Beschluss auszugehen, auch, um die Rechtsschutzmöglichkeiten der Kläger nicht unzulässig zu beschränken.
20
b) Für die Anfechtung besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis. Der gefasste Beschluss setzt jedenfalls den Rechtsschein, dass die Verantwortung für die Sanierung des Balkons und die entsprechende Kostenlast nach den zitierten Vorschriften der Teilungserklärung bei den Klägern liegt. Bei Bestandskraft des Beschlusses laufen die Kläger Gefahr, dass ihnen die entsprechende Auslegung der Teilungserklärung bzw. die behauptete Sorgfaltspflichtverletzung als „gesetzt“ bzw. von ihnen akzeptiert entgegengehalten wird. Im Übrigen ist die im Beschluss enthaltene Auslegung der Teilungserklärung inhaltlich nicht zutreffend, d.h. auch die übrigen Eigentümer gehen insoweit von einer falschen Rechtslage aus, was Auswirkungen auf die Rechte und Pflichten der WEG hat. Auch hieraus ergibt sich im konkreten Einzelfall ein Rechtsschutzbedürfnis.
21
Die Klage ist begründet.
22
Der Beschluss widerspricht ordnungsgemäßer Verwaltung. Die Vorschriften der Gemeinschaftsordnung, auf die die Eigentümer sich im Beschluss stützen, sind vorliegend nicht einschlägig.
23
1. Der Beschluss ist nicht lediglich auf formelle Mängel zu prüfen. In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem Gegenstand des Beschlusses die Auslegung der Teilungserklärung ist, ist der Beschluss im Sinne der Rechtssicherheit sowohl für die Kläger als auch für die WEG nicht nur auf formelle Mängel, sondern auch auf materielle Richtigkeit zu prüfen. Ein Vergleich zum bloßen Aufforderungsbeschluss ist insoweit nicht richtig. Für dieses Institut gibt es hinsichtlich des Prüfungsmaßstabs und damit auch des Geltungsbereichs und -umfangs für beide Seiten gesicherte Rechtsprechung.
24
2. Der Balkon steht nicht im Sondereigentum der Kläger. Er ist in Ziffer II. der Teilungserklärung nicht erwähnt, ebenso befindet er sich nicht „im Bereich des Sondereigentums“ der Kläger (III. Gemeinschaftsordnung § 1 Ziffer 4.), er ist auch in der Teilungserklärung an keiner anderen Stelle erwähnt. Dass er faktisch nur über die Wohnung der Kläger zugänglich ist, macht ihn nicht zu Gemeinschaftseigentum. Auch die Beklagte geht nach dem Beschluss davon aus, dass es sich bei dem Balkon um Gemeinschaftseigentum handelt.
25
3. Die im Beschluss zitierten Regelungen der Gemeinschaftsordnung, auf die die Eigentümer die Sorgfaltspflichtverletzung stützen und eine Instandsetzungs- und Kostentragungspflicht herleiten, sind auf den streitgegenständlichen Balkon nicht anwendbar. § 5 Ziffer 9. bezieht sich ausdrücklich auf Gemeinschaftseigentum, das sich „innerhalb des Sondereigentums“ befindet, und zählt beispielhaft typische Anwendungsbereiche wie den Innenanstrich der Wohnungsaußentüre auf. Der streitgegenständliche Balkon befindet sich schon nach dem Wortsinn nicht „innerhalb des Sondereigentums“ der Kläger, er ist vielmehr Bestandteil der Außenfassade. Das Sondereigentum der Kläger umfasst ausschließlich die Räume entsprechend der Teilungserklärung (vgl. a)). Eine „analoge“ Auslegung und Erweiterung dieser Vorschriften zu Lasten der Kläger ist nicht zulässig. Eine vom allgemeinen Grundsatz, dass Kosten für die Erhaltung und Instandsetzung des Gemeinschaftseigentums von der Gemeinschaft zu tragen sind, abweichende Regelung muss klar und unmissverständlich formuliert sein (vgl. BGH ZWE 2019, 322).
26
4. Es kann vorliegend dahinstehen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Auferlegung von Kosten nach § 16 WEG oder auf andere Weise möglich wäre. Die Eigentümer wollten hier gerade keinen konstitutiven Beschluss fassen und mit dem Beschluss eine Instandhaltungsverpflichtung bzw. Kostenlast begründen, sondern sie berufen sich – wie dargelegt zu Unrecht – ausschließlich auf die zitierten Regelungen in der Teilungserklärung.
27
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO. Die Berechnung des Streitwerts erfolgt in Beschlussklagen nach § 44 Abs. 1 WEG nach der in § 49 GKG getroffenen Regelung. Das Interesse der Beklagten sowie das Interesse der Kläger daran, die Kosten nicht alleine zu tragen, entsprechen den geschätzten Sanierungskosten von 150.000,00 EUR. Entsprechend wurde der Streitwert in dieser Höhe festgesetzt..