Titel:
Anforderungen an einen sog. Absenkungsbeschluss gem. § 23 Abs. 3 S. 2 WEG
Normenkette:
WEG § 23 Abs. 3
Leitsätze:
1. Dem sog. Absenkungsbeschluss, der eine Mehrheitsentscheidung im nachfolgenden Umlaufverfahren eröffnet, muss hinreichend deutlich entnommen werden können, dass für das zeitlich auf die Versammlung folgende Umlaufverfahren – abweichend vom Allstimmigkeitserfordernis gem. § 23 Abs. 3 S. 1 WEG – die einfache Stimmenmehrheit genügt. Dies ist im Einzelfall durch Auslegung des jeweiligen Beschlusses zu ermitteln. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Beschlüsse der Wohnungseigentümer sind nach den für eine Grundbucheintragung geltenden Regeln objektiv-normativ auszulegen. Auf die subjektiven Vorstellungen der Abstimmenden kommt es nicht an. Im Hinblick auf die Geltung von Beschlüssen für Sondernachfolger können bei der Auslegung nur solche Umstände Berücksichtigung finden, die für jedermann ohne weiteres erkennbar sind und sich insbes. aus der Versammlungsniederschrift ergeben. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wohnungseigentümergemeinschaft, Absenkungsbeschluss, Umlaufverfahren, Mehrheitsentscheidung, Allstimmigkeit, Auslegung von Beschlüssen
Fundstellen:
BeckRS 2024, 41100
ZMR 2025, 176
LSK 2024, 41100
Tenor
1. Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
2. Der Streitwert wird auf 6.540,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91a Abs. 1 ZPO.
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Die Parteien haben den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt.
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Das Gericht hat deshalb unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen darüber zu entscheiden, wie die Kosten des Rechtsstreits zu verteilen sind. Ausschlaggebend ist hierbei insbesondere der ohne die Erledigterklärung zu erwartende Verfahrensausgang, wobei lediglich eine summarische Prüfung der jeweiligen Erfolgsaussichten erfolgen kann.
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Vorliegend sind deshalb den Klägern die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, da sie ohne den Eintritt des erledigenden Ereignisses in dem Rechtsstreit voraussichtlich unterlegen wären:
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1. Der angegriffene Umlaufbeschluss vom 10.07.2023 ist nicht wegen fehlender Allstimmigkeit nichtig, § 23 Abs. 4 S. 1 WEG.
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Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 WEG ist ein Beschluss, der ohne Versammlung gefasst wurde, gültig, wenn alle Wohnungseigentümer ihre Zustimmung zu diesem Beschluss in Textform erklären. Gem. § 23 Abs. 3 S. 2 WEG können die Wohnungseigentümer beschließen, dass für einen einzelnen Gegenstand die Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügt (sog. Absenkungsbeschluss). § 23 Abs. 3 S. 2 WEG eröffnet den Wohnungseigentümern die Beschlusskompetenz, für einen bestimmten Gegenstand in einem nachfolgenden Umlaufverfahren ausnahmsweise eine Mehrheitsentscheidung zuzulassen. Die Eigentümer können auf diese Weise eine abschließende Entscheidung zu einem Tagesordnungspunkt in einer Eigentümerversammlung vertagen, um zB noch fehlende Entscheidungsgrundlagen oder gewünschte Informationen einzuholen (BT-Drs. 19/22634, 45), vgl. BeckOK WEG/Bartholome, 57. Ed. 15.7.2024, WEG § 23 Rn. 101-106, beck-online).
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Dem sog. Absenkungsbeschluss, der eine Mehrheitsentscheidung im nachfolgenden Umlaufverfahren eröffnet, muss hinreichend deutlich entnommen werden können, dass für das zeitlich auf die Versammlung folgende Umlaufverfahren – abweichend vom Allstimmigkeitserfordernis gem. § 23 Abs. 3 S. 1 WEG – die einfache Stimmenmehrheit genügt (vgl. BeckOK, a.a.O., m.w.N.). Dies ist im Einzelfall durch Auslegung des jeweiligen Beschlusses zu ermitteln. Beschlüsse sind nach den für eine Grundbucheintragung geltenden Regeln objektiv-normativ auszulegen. Maßgebend sind dabei der sich aus dem Protokoll der Eigentümerversammlung ergebende Wortlaut des Beschlusses und der Sinn, wie er sich aus unbefangener Sicht als nächstliegende Bedeutung des Wortlauts ergibt; Umstände außerhalb der Eintragung dürfen nur herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles für jedermann ohne weiteres erkennbar sind. Auf die subjektiven Vorstellungen der Abstimmenden kommt es nicht an (vgl. BGH NJW 2010, 3093 Rn. 9). Im Hinblick auf die Geltung von Beschlüssen für Sondernachfolger können bei der Auslegung nur solche Umstände Berücksichtigung finden, die für jedermann ohne weiteres erkennbar sind und sich insbesondere aus der Versammlungsniederschrift ergeben.
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Der in der Versammlung vom 17.04.2023 zu TOP 9 gefasste Beschluss, wonach über die Beauftragung eines konkreten Anbieters sowie über die konkrete Finanzierung durch Sonderumlage (Höhe, Fälligkeit evtl. Ratenzahlung) nach dem Vorliegen der anderen Angebote „im Umlaufverfahren gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG“ durch die Eigentümergemeinschaft entschieden wird, enthält mit dem Verweis auf § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG einen eindeutigen und für jedermann ohne weiteres erkennbaren Hinweis darauf, dass für den beabsichtigten Umlaufbeschluss das Mehrheitsprinzip gelten sollte. Nachdem es nicht auf die subjektiven Vorstellungen der Abstimmenden ankommt, ist es rechtlich unerheblich, ob die Abstimmenden im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Absenkungsbeschluss wussten, dass für den Umlaufbeschluss die einfache Mehrheit genügen wird.
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2. Soweit die Kläger rügen, dem angegriffenen Umlaufbeschluss sei der Standort der beauftragten Photovoltaikanlagen nicht zu entnehmen, hätten sie diese Rüge im Rahmen einer Anfechtung des Beschlusses vom 17.04.2023 erheben müssen, mit dem über die Errichtung von vier Photovoltaikanlagen Beschluss gefasst worden ist. I. ü. ergibt sich der Standort der Anlagen aus dem im Beschluss vom 10.07.2023 in Bezug genommenen Angebot der ..., Anlage K 9.
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3. Der Umlaufbeschluss ist vom Absenkungsbeschluss vom 17.04.2023 gedeckt, eine eigenmächtige Erweiterung des Beschlussgegenstands liegt nicht vor. Soweit beschlossen wurde, die Fördergelder i. H. v. EUR 38.000,00 der Erhaltungsrücklage zuzuführen und die beschlossene Sonderumlage 5.000,00 EUR für eine baubegleitende Qualitätssicherung beinhaltet, gehört dies zur Frage der konkreten Finanzierung, über die lt. Absenkungsbeschluss „ebenfalls in dem oben genannten Umlaufverfahren“ (und damit mit einfacher Mehrheit) entschieden werden sollte. Soweit lt. Umlaufbeschluss eine terminliche Koordination mit der Ausführung des Fassadenanstrichs wegen gemeinsamer Nutzung des Gerüsts anzustreben ist, liegt mangels verbindlichem Regelungsgehalt kein Beschluss vor.
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4. Soweit die Kläger rügen, man habe weder „Nein“ noch „Enthaltung“ ankreuzen können, es sei suggeriert worden, dass eine Stimmenthaltung nicht möglich sei, ergibt sich das genaue Gegenteil aus dem mit der Beschlussvorlage versandten Initiierungsschreiben vom 07.06.2024 (Anlage K 5), in dem ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass man mit „Ja“ oder „Nein“ abstimmen oder sich der Stimme enthalten könne. Vom sog. Karlsruher Durchschnittseigentümer darf durchaus erwartet werden, sein Stimmverhalten selbständig zum Ausdruck bzw. zu Papier zu bringen, soweit er – wie hier – über seine Möglichkeiten informiert worden ist. Hierzu müssen ihm nicht einzelne Kästchen quasi auf dem Silbertablett präsentiert werden.
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5. Soweit die Kläger die korrigierte Stimmabgabe der Wohnungseigentümerin ... rügen, ist weder dargetan, noch ersichtlich, wie sich dies auf das Beschlussergebnis ausgewirkt haben sollte.
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6. Auch eine Nichtvergleichbarkeit der Angebote ist nicht gegeben. Zutreffend weist die Beklagte insoweit darauf hin, dass es nicht zu einer Unvergleichbarkeit führt, wenn und soweit in einem Angebot Leistungen enthalten sind, die in einem anderen Angebot nicht enthalten sind, da etwaige zusätzliche Positionen, die nur in einem Angebot enthalten sind, herausgerechnet werden können. I. ü. war die Beklagte nicht verpflichtet, das günstigste Angebot zu beschließen.
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7. Die übrigen Einwendungen hätten die Kläger gegen den Grundsatzbeschluss vom 17.04.2023 erheben müssen. Dieser ist jedoch bestandskräftig.