Titel:
Zuständigkeitsbestimmung bei Entstörungsklagen gegen Eigentümer und Fremdnutzer
Normenketten:
BGB § 1004 Abs. 1
WEG § 14 Abs. 1 Nr. 1, § 43 Abs. 2
ZPO § 36 Abs. 2
GVG § 23 Nr. 1, § 71 Abs. 1
Leitsätze:
Wird eine Entstörungsklage gegen den Eigentümer und den Fremdnutzer erhoben, wird als gemeinsames Gericht das Wohnungseigentumsgericht bestimmt, da dort der Eigentümer seinen ausschließlichen Gerichtsstand hat und das Gericht damit sachnäher ist. (Rn. 23 – 27) (redaktioneller Leitsatz)
Klagen gegen Fremdnutzer von Sondereigentum fallen nicht unter § 43 Nrn. 1 und 2 WEG, weil diese als Dritte weder zur GdWE noch zu den Sondereigentümern in einer Rechtsbeziehung stehen, die den notwendigen gemeinschaftsbezogenen Gehalt aufweist. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gerichtsstandsbestimmung, Klagehäufung, Bayerisches Oberstes Landesgericht, Entstörungsklage, Störungsbeseitigungsklage
Vorinstanz:
AG Dachau vom -- – 9 C 16/24 WEG
Fundstellen:
LSK 2024, 41086
BeckRS 2024, 41086
ZMR 2025, 149
Tenor
Als für den Rechtsstreit sachlich zuständiges Gericht wird das Amtsgericht Dachau bestimmt.
Gründe
1
Die Antragstellerin ist eine Wohnungseigentümergemeinschaft im Bezirk des Amtsgerichts Dachau. Der Antragsgegner zu 1) ist deren Mitglied und Eigentümer der im Erdgeschoss liegenden Teileigentumseinheit Nr ... (in der Teilungserklärung, Anlage K 1 zur Klageschrift, als „Laden“ und im ersten Nachtrag zur Teilungserklärung, Anlage K 2, als „Konditorei“ bezeichnete Einheit), in welcher nach dem Vortrag der Antragstellerin der Antragsgegner zu 2) als Pächter ein Restaurant mit Cocktailbar in der Weise betreibt, dass er die der Teileigentumseinheit vorgelagerte, mit Platten belegte Gemeinschaftsfläche als Freischankfläche mit Bestuhlung, Tischen und Sonnenschirmen nebst Speisen- und Getränkeangebot nutzt.
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Die Antragstellerin ist der Auffassung, die Nutzung der Außenfläche als Freischankfläche sei nicht von der Teilungserklärung und dem Aufteilungsplan (Anlage K 3) gedeckt, da die Fläche außerhalb des Gebäudes nicht dem Eigentümer der Einheit zugeordnet sei. Sie behält sich vor, gegen die Nutzung des Sondereigentums als Gaststätte/Restaurant insgesamt vorzugehen. Mit ihrer zum Amtsgericht Dachau eingereichten Klage verfolgt sie zunächst ihre behaupteten Ansprüche in Bezug auf die Außenfläche gegen beide Antragsgegner: Der Antragsgegner zu 1) habe es zu unterlassen, Dritten ‒ auch dem Antragsgegner zu 2) ‒ die besagte Außenfläche zur Nutzung als Freischankfläche mit Bestuhlung, Tischen, Sonnenschirmen, Speisen- und Getränkeangebot zu überlassen und die Nutzung zu gestatten; der Antragsgegner zu 2) habe es zu unterlassen, die Außenfläche als Freischankfläche mit Bestuhlung, Tischen, Sonnenschirmen, Speisen- und Getränkeangebot zu nutzen. Der Antragsgegner zu 1) habe darüber hinaus den Antragsgegner zu 2) zum Unterlassen der Nutzung und zur Räumung der Außenfläche zu veranlassen; der Antragsgegner zu 2) habe die Außenfläche dauerhaft freizuräumen. Beide Antragsgegner hätten die Fläche an die Antragstellerin herauszugeben.
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Den vorläufigen „Räumungsstreitwert“ bezifferte die Antragstellerin in der Klageschrift mit … €. Sie hat beantragt, die Sache zur Bestimmung des einheitlich zuständigen Gerichts für die im Wege der Klagehäufung zusammengefassten Klagen dem Bayerischen Obersten Landesgericht vorzulegen.
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Mit Verfügung vom 7. Oktober 2024 hat das Amtsgericht die Akte dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Bestimmung des sachlich zuständigen Gerichts vorgelegt.
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Die Antragsgegner haben im Verfahren der Gerichtsstandsbestimmung Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten, davon jedoch keinen Gebrauch gemacht.
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Auf den zulässigen Antrag bestimmt der Senat das Amtsgericht Dachau als das für den Rechtsstreit sachlich zuständige Gericht.
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1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist nach § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO für die Entscheidung über den Antrag auf Bestimmung des sachlich zuständigen Gerichts zuständig.
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a) Der Bestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO unterliegt ‒ zumindest in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift ‒ auch die sachliche Zuständigkeit (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Februar 1984, I ARZ 395/83, BGHZ 90, 155 [juris Rn. 4 ff.]; BayObLG, Beschluss vom 24. August 2023, 102 AR 123/23 e, juris Rn. 17 m. w. N.).
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b) Die Bestimmungsentscheidung obliegt dem Bayerischen Obersten Landesgericht.
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Auf der Grundlage des Vorbringens der Antragstellerin ist für die Klage gegen den Antragsgegner zu 1) das Amtsgericht, bei dem die Klage anhängig gemacht worden ist, nach § 23 Nr. 2 Buchst. c) GVG, § 43 Abs. 2 Nr. 2 WEG sachlich zuständig. Für die Anträge gegen den Antragsgegner zu 2) hingegen sind – ausgehend von einem Streitwert von über 5.000,00 € – die Landgerichte nach § 71 Abs. 1, § 23 Nr. 1 GVG, sachlich zuständig. Bei dieser Ausgangslage ist das im Instanzenzug nächsthöhere gemeinschaftliche Gericht in der vorliegenden bürgerlichen Rechtsstreitigkeit der Bundesgerichtshof, an dessen Stelle gemäß § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO das Bayerische Oberste Landesgericht tritt, weil ein bayerisches Gericht zuerst mit der Sache befasst worden ist.
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2. Die Voraussetzungen für eine Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit sind gegeben.
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a) Das nach § 37 Abs. 1 ZPO erforderliche Gesuch der Antragstellerin um Bestimmung des gemeinsam zuständigen Gerichts liegt vor.
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b) Die Antragsgegner sind nach dem im Bestimmungsverfahren insoweit allein maßgeblichen Vortrag der Antragstellerin hinsichtlich der geltend gemachten Ansprüche Streitgenossen im Sinne des § 60 ZPO.
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c) Ein einheitlich zuständiges Gericht besteht für den anhängig gemachten Rechtsstreit nicht.
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aa) Für die Klage gegen den Antragsgegner zu 1) ist das Amtsgericht sachlich zuständig gemäß § 23 Nr. 2 Buchst. c) GVG, § 43 Abs. 2 WEG.
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Gegen den Antragsgegner zu 1) macht die Antragstellerin die nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG von konkreten Beeinträchtigungen losgelöste Pflicht der Wohnungseigentümer, das in der Gemeinschaft geltende Regelwerk einzuhalten, geltend (vgl. BGH, Urt. v. 9. Februar 2024, V ZR 6/23, NJW-RR 2024, 815 Rn. 6). Damit wird der Antragsgegner zu 1) gerade in seiner Eigenschaft als Mitglied der Eigentümergemeinschaft in einer Streitigkeit über die Rechte und Pflichten aus dem Gemeinschaftsverhältnis in Anspruch genommen (§ 43 Abs. 2 WEG).
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Diese sachliche Zuständigkeit ist gemäß § 23 Nr. 2 Buchst. c) Halbsatz 2 GVG ausschließlich. Sie besteht auch für etwaige aus § 1004 Abs. 1 BGB oder sonstigen Vorgaben abgeleitete Ansprüche auf Einhaltung des Binnenrechts nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG (BGH NJW-RR 2024, 815 Rn. 7; Skauradszun in beck-online.OGK, Stand: 1. September 2024, WEG § 43 Rn. 30).
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bb) Für die Klage gegen den Antragsgegner zu 2) ist eine sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts hingegen nicht feststellbar.
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(1) § 23 Nr. 2 Buchst. c) GVG, § 43 Abs. 2 WEG sind in Bezug auf die Klage gegen den Antragsgegner zu 2), der nicht selbst Mitglied der Eigentümergemeinschaft ist, nicht einschlägig.
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Klagen gegen Fremdnutzer von Sondereigentum fallen nicht unter § 43 Nrn. 1 und 2 WEG, weil diese als Dritte weder zur Eigentümergemeinschaft noch zu den Sondereigentümern in einer Rechtsbeziehung stehen, die den notwendigen gemeinschaftsbezogenen Gehalt aufweist (BGH, Urt. v. 10. Juli 2015, V ZR 194/14, NJW 2015, 2968 Rn. 7; Hügel/Elzer in Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl. 2021, § 43 Rn. 54, 56; Fichtner in Bärmann/Pick, WEG, 21. Aufl. 2025, § 43 Rn. 28).
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(2) Ausgehend von dem seitens der Antragstellerin angegebenen Wert der Klage ist insoweit die sachliche Zuständigkeit der Landgerichte begründet, § 23 Nr. 1, § 71 Abs. 1 GVG.
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Bei der Ermittlung des mit der Klage verfolgten (wirtschaftlichen) Interesses kommt den Wertangaben der Parteien, insbesondere des Klägers, erhebliches Gewicht zu, sofern die Angaben nicht offensichtlich unzutreffend sind; für das Gericht bindend sind sie nicht (BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2012, X ZR 110/11, GRUR 2012, 1288 Rn. 4; Wendtland in BeckOK ZPO, 54. Ed. Stand: 1. September 2024, § 3 Rn. 1). Im Streitfall ist weder von den Antragsgegnern eingewandt worden noch sonst erkennbar, dass der angegebene Wert von vorläufig 30.000,00 € unzutreffend sei.
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3. Der Senat bestimmt das Amtsgericht Dachau als das für den Rechtsstreit sachlich zuständige Gericht.
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Die Auswahl erfolgt nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit (Sachdienlichkeit) und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Prozesswirtschaftlichkeit, wobei das bestimmende Gericht ein Auswahlermessen hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. November 2008, 1 BvR 2788/08, NJW 2009, 907 [juris Rn. 12 m. w. N.]; BayObLG, Beschluss vom 12. September 2022, 101 AR 105/22, juris Rn. 39; Schultzky in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 36 Rn. 29 m. w. N).
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Für die Wahl des Amtsgerichts spricht maßgeblich, dass für den Antragsgegner zu 1) dort eine ausschließliche sachliche Zuständigkeit besteht. Die Bestimmung des für einen Streitgenossen ausschließlich zuständigen Gerichts auch für das Verfahren gegen den anderen Streitgenossen ist meist sachgerecht, weil damit dem Gesichtspunkt der Spezialisierung gerade dieses Gerichts Rechnung getragen wird.
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Dies gilt auch im vorliegenden Streitfall. Etwaige Ansprüche gegen den Antragsgegner zu 2) folgen den Regelungen des allgemeinen Zivilrechts. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass die wohnungseigentumsrechtliche Rechtslage, deren Beurteilung typischerweise nach § 23 Nr. 2 Buchst. c) GVG, § 43 Abs. 2 WEG den Amtsgerichten zugeordnet ist, mittelbar auch Bedeutung für die Klage gegen den Antragsgegner zu 2) erlangen kann (vgl. BGH, Urt. v. 18. Januar 1995, XII ZR 30/93, NJW-RR 1995, 715 [juris Rn. 12]).
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Dass auf diese Weise ein Gericht zur Entscheidung für eine Klage berufen wird, das nach dem Gerichtsverfassungsgesetz, Wohnungseigentumsgesetz oder anderen Zuständigkeitsnormen für einen Teil der Klage nicht zuständig wäre, liegt in der Natur der Sache und kann deshalb für sich genommen nicht die Unzweckmäßigkeit der Auswahl oder der Bestimmungsentscheidung begründen.