Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Beschluss v. 14.02.2024 – 18 Qs 49/23, 18 Qs 50/23, 18 Qs 51/23
Titel:

Anonyme Anzeige als Tatverdachtsgrundlage für eine Durchsuchungsanordnung

Normenketten:
StPO § 102, § 158
StGB § 263
Leitsätze:
1. Eine anonyme Anzeige über ein Hinweisgebersystem kann eine für die Anordnung einer Durchsuchung gemäß § 102 StPO ausreichende Verdachtsgrundlage bieten. (Rn. 19 – 22)
2. Eine derartige Anzeige muss von beträchtlicher sachlicher Qualität sein oder es muss mit ihr zusammen schlüssiges Tatsachenmaterial vorgelegt worden sein. (Rn. 22)
3. In diesen Fällen müssen die Eingriffsvoraussetzungen des § 102 StPO besonders sorgfältig geprüft werden. (Rn. 22)
Schlagworte:
Strafanzeige, anonym, Tatverdacht, Schlüssigkeit, Durchsuchungsanordnung
Vorinstanz:
AG Nürnberg, Beschluss vom 02.10.2023 – 57 Gs 11378/23, 57 Gs 11379/23, 57 Gs 11381/23
Fundstelle:
BeckRS 2024, 4093

Tenor

4. Die Beschwerden der Beschuldigten [ ] vom [ ] gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts Nürnberg vom 02.10.2023, Az.: 57 Gs 11378/23, 57 Gs 11379/23 und 57 Gs 11381/23, werden als unbegründet zurückgewiesen.
5. Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.
1
Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg – Bayerische Zentralstelle zur Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen (ZKG) – führt gegen die Beschwerdeführerin und Beschuldigte ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Betrugs und Beihilfe zum Betrug.
2
1. Dem Strafverfahren liegt eine über das anonyme Hinweisgebersystem der ZKG erfolgte anonyme Anzeige vom [ ] zugrunde. Diese hat folgenden Inhalt (Schreibfehler im Original):
„In der [ ] Apotheke, [ ], kommt es immer wieder durch mehrere Kunden zu Betrug der Krankenkassen. Eine spezielle Kundin die ich namentlich kenne [ ] kommt regelmäßig zu [ ] in die Apotheke um sich auf einmal im Schnitt zwischen 10 – 20 Rezepten, die sie von Ihren Ärzten gesammelt hat, nachquittieren zu lassen. [ ] verkauft diese Waren nicht sondern bedruckt lediglich die Rezepte für [ ] damit diese die Rezepte bei Ihrer Krankenkasse (privat) einreichen kann. Beide Damen kennen sich schon länger und es geht schon eine ganze Zeit lang so. Das letzte Mal war [ ] am [ ] in der Apotheke. [ ] macht das auch bei anderen ihrer Kunden so, die ich aber namentlich nicht kenne. Zudem verkauft [ ] auch sehr viele verschreibungspflichtige Medikamente (darunter auch starke Schlaftabletten) ohne Rezept an ihre Kunden. Als Beweise gibt es die Rezepte der Kundin [ ].“
3
Zeugen werden wie folgt benannt:
„[ ] (angestellt bei [ ]) wird aber von [ ] unter Druck gesetzt für sie zu lügen!“
4
Angaben zum konkreten Tatzeitraum werden wie folgt gemacht:
„Am [ ] war sie das letzte Mal in der Apotheke sollte aber im System der Apotheke als Kundin hinterlegt sein da sie“
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Letztlich wird wie folgt ergänzt (Fehler im Originaltext):
„Zum Vorgehen der Quittiierung der Rezepte. Die Rezepte werden im System von [ ] unter „Test“ bedruckt und danach werden die einzelnen Rezepte wieder aus Ihrem System gelöscht. Aber [ ] reicht das ja bei Ihrer Krankenkasse ein. Also müsste ja bei der Krankenkasse nachweisbar sein das die Rezepte eingereicht wurden.“
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Soweit für die angefochtenen Beschlüsse relevant, wurde am [ ] ergänzend Folgendes ausgeführt (Fehler im Originaltext):
„Aber bei der Krankenkasse von [ ], wo die Rezepte eingereicht wurden, muss ja die Quittierung der [ ] Apotheke aufgedruckt sein. [ ] hat sie in der Apotheke „unter der Funktion Test“ bedruckt und danach alle vorhandenen Test-Umsätze wieder einzeln gelöscht. Es existiert also kein Quittungsbeleg, bzw. Kassenzettel über die verkauften Medikamente. Aber auf den eingereichten Rezepten von [ ] existiert die Quittung der [ ] Apotheke (die Software der Apotheke ist von ADG).
(…)
] wird von [ ] sehr stark unter Druck gesetzt (was auch von Ihrem Hausarzt nachweisbar ist) und sie ist sehr emotional. Ich befürchte, dass sie nicht zu einer Aussage bereit wäre und ob sie es an [ ] weiterleiten würde, könnte durchaus passieren. Zu dem leiht [ ] immer wieder Geld (das sie immer korrekt zurückbezahlt), zwar keine großen Summen, aber damit macht sie [ ] von sich abhängig. Es ist eine sehr schwere Situation für [ ]. Das macht [ ] mit allen so. Es gäbe noch andere Mitarbeiter, die aber in der Filiale [ ] Apotheke, [ ] arbeiten. Da bin ich aber nicht sicher, ob sie darüber Bescheid wissen. In der [ Apotheke arbeitet auch seit ca. 1 oder 2 Monaten ein Apotheker unter Aufsicht aus [ ], der aber wahrscheinlich das nicht verstanden hat und leider auch nicht so gut Deutsch spricht. Es haben natürlich Kunden mitbekommen, aber die kenne ich weder namentlich noch denke ich dass es ein „normaler“ Kunde versteht…“
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Am [ ] wurde die anonyme Anzeige um einen zusätzlichen Sachverhalt erweitert (Fehler im Originaltext):
„ist es für sie auch erheblich wenn die Inhaberin [ ] im Notdienst (sie war alleine gestern in der [ ] Apotheke, der Filiale der [ ] Apotheke) für ein 12-Jähriges Kind ein Rezept bar kassiert? Ich habe hier das Rezept des Kunden sowie auch die Historie des Abverkaufs vom [ ] plus die Summe des Betrages den sie bar erhalten hat? Sie hat das Rezept auch nicht quittiert (bzw. bedruckt) und sie kann es ja immer noch bedrucken und bei der Kasse einreichen?“
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Dieses wurde am [ ] wie folgt ergänzt (Fehler im Original):
„Leider habe ich bezüglich dieses Rezeptes vom [ ] keine Anhaltspunkt darüber das sie es mit einem höherpreisigen Produkt bedruckt. Was aber passiert ist war, die Filialleiterin kam am [ ] in die Apotheke und hatte das Rezept von [ ] entdeckt, sie hatte es ja handschriftlich notiert mit den Worten „über 12 Jahre bar bezahlt“. Daraufhin rief die Filialleiterin bei [ ] in der [ ] Apotheke an und erklärte ihr dass es bis 18 Jahre von der Kasse übernommen wird. [ ] meinte nur sie solle machen was sie will, sie kann es quittieren oder was auch immer (wörtlich von [ ])! Die Filialleiterin war entsetzt und hatte sofort das Rezept vernichtet und nachdem was sonst noch alles passiert ist hat sie zum [ ] ihr Anstellungsverhältnis beendet das sie Angst um Ihre Approbation hatte. Ja, die ganze Sache kommt leider ziemlich häufig vor aber das kann man nur in Ihrem System ADG 3000 sehen. Sie quittiert die Rezepte ja und gibt oft andere Medikament ab aber dazu müsste man im System nachsehen weil dort die Kopien des Rezeptes gespeichert sind.“
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Ausweislich des insoweit nachgereichten Rezepts wurden für einen seit dem [ ] 12 Jahre alten Patienten „Fenistil Dragees“ ärztlich auf einem Kassenrezept verordnet. Aus einem durch die hinweisgebende Person eingereichten Bildschirmabzug aus dem Warenwirtschaftssystem der Apotheke und der „Historie der Abverkäufe“ ist erkennbar, dass am [ ] „Fenistil Tropfen“ abgegeben wurden.
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Hinsichtlich des weiteren Vortrags in der weiteren Korrespondenz mit der/dem anonymen Anzeigeerstatter/in wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
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2. Aus der am [ ] erfolgten Vernehmung einer Pharmazierätin der Regierung von Oberbayern ergaben sich im Hinblick auf die vorgenannten, den angefochtenen Beschlüssen zugrunde liegenden Sachverhalte keinerlei wesentlichen Erkenntnisse. Nach einem Bericht der ermittelnden kriminalpolizeilichen Dienststelle vom [ ] war die von der anonymen Person bezeichnete „Rezeptabnehmerin“ bereits wegen Beleidigung, Diebstahl und leichter Körperverletzung polizeilich in Erscheinung getreten.
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3. Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg – ZKG – erließ das Amtsgericht Nürnberg am 02.10.2023 sodann Durchsuchungsbeschlüsse für die Räumlichkeiten der [ ] Apotheke (Az.: 57 Gs 11378/23), der [ ] Apotheke (Az.: 57 Gs 11379/23) und der Wohnräume, einschließlich etwaiger Nebenräume, Keller- und Dachräume sowie PKWs und Garagen der Beschuldigten (57 Gs 11381/23). Sachverhalt war dabei jeweils (zusammengefasst) der folgende:
Die Beschuldigte [ ] ist Apothekerin und betreibt zwei Apotheken in [ ]. Seit einem nicht genau bekannten Zeitpunkt quittiert die Beschuldigte [ ] mehreren Privatpatienten die Abgabe von tatsächlich nicht ausgehändigten Medikamenten auf den von diesen mitgebrachten Privatrezepten. Die Privatpatienten reichen diese Rezepte sodann bei ihren privaten Krankenversicherungen ein und lassen sich den tatsächlich nicht verauslagten Geldbetrag erstatten, wie der Beschuldigten [ ] bewusst ist.
Ein derartiges Vorgehen praktiziert die Beschuldigte [ ] insbesondere mit der Beschuldigten [ ], unter anderem quittierte sie dieser ein nicht ausgegebenes Medikament auf ein Rezept am [ ].
Seit einem nicht genau bekannten Zeitpunkt lässt sich die Beschuldigte [ ] Medikamente, die sie an Kassenpatienten ausgibt, in bar bezahlen, ohne diesen mitzuteilen, dass diese bei den Krankenkassen abgerechnet werden können und rechnet in der Folge diese Medikamente auch noch gegenüber den Krankenkassen ab.
Ein derartiges Vorgehen praktizierte die Beschuldigte [ ] unter anderem am [ ] zu Lasten des Geschädigten [ ].
Den privaten Krankenversicherungen und den Kassenpatienten entstand aufgrund der geleisteten Zahlungen ein Schaden in eben dieser Höhe, da sie über die nicht erfolgte Ausgabe der Medikamente bzw. die Erstattungsfähigkeit durch die Krankenkassen im Unklaren waren, wodurch die Beschuldigten [ ] und [ ] jeweils einen entsprechenden Gewinn erzielten.
Die Beschuldigten wollten durch ihr Handeln jeweils einen dauerhaften Gewinn in nicht unerheblicher Höhe erzielen.
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Diese Beschlüsse wurden am [ ] vollzogen. Ausweislich der Durchsuchungsprotokolle erklärte sich die Beschwerdeführerin mit der Sicherstellung von Gegenständen in den Apotheken einverstanden. Gegenstände im privaten Wohnhaus wurden dagegen beschlagnahmt.
14
4. Mit Schriftsatz vom [ ] legte die Beschwerdeführerin über ihre Verteidiger Beschwerden gegen die oben genannten Durchsuchungsbeschlüsse ein und stellte gleichzeitig – unter Widerruf des erklärten Einverständnisses mit der Sicherstellung – diesbezüglich und hinsichtlich der Beschlagnahme Antrag auf gerichtliche Entscheidung.
15
Das Amtsgericht half den Beschwerden am [ ] nicht ab.
16
Die Generalstaatsanwaltschaft legte die Akten mit Verfügung vom [ ] dem Landgericht Nürnberg-Fürth am [ ] mit dem Antrag vor, die Beschwerden der Beschuldigten [ ] zurückzuweisen. Mit Schriftsatz ihrer Verteidiger vom [ ] begründete die Beschuldigte [ ] die Beschwerden. Auf den Inhalt dieses Schriftsatzes wird wegen der Einzelheiten verwiesen. Eine weitere Stellungnahmefrist wurde mit Verfügung vom [ ] bis zum [ ] gesetzt, unter dem [ ] wurde die Beschwerde weiter begründet.
II.
17
Die Beschwerden sind zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Entscheidungen entsprechen der Sach- und Rechtslage.
18
Die Beschwerden sind gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässig. Auch wenn sich die Durchsuchungsanordnungen mit ihrem Vollzug erledigt haben, besteht das Rechtsschutzinteresse an einer Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Durchsuchungsanordnung fort, allein deshalb darf die Beschwerde nicht unter dem Gesichtspunkt prozessualer Überholung als unzulässig verworfen werden (MüKoStPO/Hauschild, 2. Aufl. 2023, StPO § 105 Rn. 41a m. w. N.). Prüfungsmaßstab bleibt im Beschwerdeverfahren allerdings die Sach- und Rechtslage zur Zeit des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses (MüKoStPO/Hauschild, 2. Aufl. 2023, StPO § 105 Rn. 41c m. w. N.). Das Beschwerdegericht darf zur Begründung seiner Entscheidung daher keine Erkenntnisse heranziehen, die dem Ermittlungsrichter nicht bekannt waren, etwa weil sie erst durch die Durchsuchung gewonnen wurden (vgl. BVerfG (1. Kammer des Zweiten Senats), Beschluss vom 10. 9. 2010 – 2 BvR 2561/08).
19
1. a) aa) Bei dem, welcher als Täter oder Teilnehmer einer Straftat oder der Datenhehlerei, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtig ist, kann eine Durchsuchung der Wohnung und anderer Räume sowie seiner Person und der ihm gehörenden Sachen sowohl zum Zweck seiner Ergreifung als auch dann vorgenommen werden, wenn zu vermuten ist, dass die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen werde (§ 102 StPO). Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und dass der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es – unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit – nicht (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 07. September 2006 – 2 BvR 1219/05; BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2008 – StB 26/08; BGH, Beschluss vom 12. August 2015 – StB 8/15; BGH, Beschluss vom 06. Februar 2019 – 3 StR 280/18; BGH, Beschluss vom 26. Juni 2019 – StB 10/19). Ein Verstoß gegen diese Anforderungen liegt vor, wenn sich sachlich zureichende plausible Gründe für eine Durchsuchung nicht mehr finden lassen.
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Das Gewicht des Eingriffs verlangt Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen. Erforderlich ist vielmehr ein sogenannter „greifbarer Verdacht“. Eine „Ausforschungsdurchsuchung“ ist unzulässig: Die Durchsuchung darf „nicht der Ermittlung von Tatsachen“ dienen, die zur „Begründung eines Verdachts erforderlich sind“ (vgl. BVerfg, Beschluss vom 11.06.2020 – 2 BvR 3044/09; LG Offenburg, Beschluss vom 20.01.2023 – 3 Qs 129/22; LG Bonn, Beschluss vom 02.09.2010 – 27 Qs-B 7-34/10 Bundeskartellamt-22/10).
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bb) Dabei kann sich die erforderliche Verdachtslage auch aus einer anonymen Anzeige ergeben:
22
Als Grundlage für eine stark in Grundrechtspositionen eingreifende Zwangsmaßnahme wie eine Durchsuchung kann eine anonyme Aussage genügen, wenn sie von beträchtlicher sachlicher Qualität ist oder mit ihr zusammen schlüssiges Tatsachenmaterial vorgelegt worden ist (BVerfG StRR 10/2016, 8; BVerfG, Beschluss vom 14. Juli 2016 – 2 BvR 2474/14; LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 15. März 2023 – 12 Qs 23/23). Ein pauschaler Ausschluss anonymer Anzeigen als Grundlage eines Anfangsverdachts widerspräche dem zentralen Anliegen des Strafverfahrens, nämlich der Ermittlung der materiellen Wahrheit in einem justizförmigen Verfahren als Voraussetzung für die Gewährleistung des Schuldprinzips (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 14. Juli 2016 – 2 BvR 2474/14; LG Hildesheim, Beschluss vom 27. Oktober 2020 – 26 Qs 61/20). Bei anonymen Anzeigen müssen die Eingriffsvoraussetzungen des § 102 StPO im Hinblick auf die schutzwürdigen Interessen des Beschuldigten wegen der erhöhten Gefahr und des nur schwer bewertbaren Risikos einer falschen Verdächtigung besonders sorgfältig geprüft werden (LG Offenburg, Beschluss vom 15. September 1997 – Qs 114/97; LG Karlsruhe, Beschluss vom 22. August 2005 – 2 Qs 65/05). Bei der Prüfung des Tatverdachts und der Verhältnismäßigkeitsabwägung sind insbesondere der Gehalt der anonymen Aussage sowie etwaige Gründe für die Nichtoffenlegung der Identität der Auskunftsperson in den Blick zu nehmen (LG Hildesheim, Beschluss vom 27.10.2020 – 26 Qs 61/20).
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b) Unter Würdigung dieser Vorgaben bestand zum Zeitpunkt des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses eine entsprechende Verdachtslage gegen die Beschwerdeführerin wegen gewerbsmäßigen Betrugs bzw. Beihilfe zum gewerbsmäßigen Betrug in einer noch zu ermittelnden Anzahl von Fällen gemäß den §§ 263 Abs. 1, Abs. 3 S. 2 Nr. 1, 27, 53 StGB, die sich aus dem Inhalt der anonymen Anzeige entnehmen lässt.
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aa) Den geschilderten gesteigerten Anforderungen bei einer anonymen Anzeige kamen die Ermittlungsbehörden nach, in dem sie die Behauptungen in der Anzeige einer Überprüfung unterzogen.
25
Der oben geschilderte Gehalt der anonymen Anzeige war für sich genommen bereits äußerst detailliert und die Ermittlungsbehörde überprüfte die Angaben der anonymen Person durch – beantwortete – Nachfragen zum einen auf ihre Glaubhaftigkeit sowie zum anderen durch weitere Ermittlungen auf Basis der Angaben, welche das Vorgetragene stützen und ergänzen. Bereits die zitierten Erstangaben sind von außerordentlicher sachlicher Qualität, aus der zu schließen ist bzw. war, dass sie erlebnisfundiert waren. Eine Person, die – insbesondere bezüglich der Apotheken der Beschwerdeführerin und der dortigen Abläufe – nicht sachkundig gewesen wäre, hätte kaum diese Ausführungen machen können und insbesondere nichts von einer Kontrolle der Pharmazierätin [ ] in der Apotheke gewusst. Die anonyme Person reagierte zuverlässig auf Nachfragen und differenzierte in der Kommunikation zwischen ihr bekannten Umständen und solchen, hinsichtlich derer sie in Unkenntnis war. Die Personalien der ebenfalls Beschuldigten [ ] konnten benannt werden. Eine Person, die die Beschwerdeführerin durch eine anonyme Anzeige zu Unrecht hätte belasten wollen, hätte sich so nicht verhalten. Hinsichtlich des Sachverhaltes um das Rezept vom [ ] war die anonyme Person nicht nur in der Lage dieses, sondern auch noch einen Bildschirmabzug des Warenwirtschaftssystems der Apotheke vorzulegen. Dementsprechend handelt es sich gerade nicht nur um vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen. Vielmehr sind die Angaben von beträchtlicher sachlicher Qualität, auch ohne weitere Übermittlung von schriftlichen Beweismitteln.
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bb) Die Begründung der Beschwerde rechtfertigt – soweit an dieser Stelle relevant – keine andere Betrachtung. Sie geht hinsichtlich der Erfordernisse einer die Durchsuchung rechtfertigenden Verdachtslage insbesondere im Falle einer anonymen Anzeige zwar von richtigen Ansätzen aus, kommt bei deren Anwendung auf den Sachverhalt aber zu unzutreffenden Ergebnissen.
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Aus der Auflistung der zu suchenden Gegenstände lässt sich für die Frage des Anfangsverdachts nichts ableiten. Im Übrigen können alle insoweit genannten Gegenstände der Aufklärung des Tatvorwurfes dienen. Dass bei Vorliegen einer die Anordnung einer Durchsuchung rechtfertigenden Verdachtslage eines Betrugs in einer Vielzahl von Fällen bzw. einer Beihilfe hierzu noch nicht alle Fälle oder sogar nicht ein einzelner Fall geschildert werden können bzw. kann, entspricht der kriminalistischen Erfahrung.
28
Sollte die Erstattung einer anonymen Anzeige in keinem Fall Anlass zu einer Durchsuchung bieten dürfen, so liefe dieser – insbesondere bei der Ermittlung von Straftaten im Sinne des § 74c GVG wichtige – Ermittlungsansatz ins Leere. Dem Risiko falscher Verdächtigung wird hierbei durch den erhöhten Prüfungsmaßstab Rechnung getragen. Die Entscheidung des LG Augsburg vom 12.09.2017 – 1 Qs 339/17 – wird zwar zutreffend zitiert, steht an dieser Stelle jedoch nicht im Einklang mit der herrschenden Rechtsprechung und erst recht nicht mit der durch die Beschwerde an dieser Stelle als Beleg zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14.07.2016 – 2 BvR 2474/14. Dort heißt es unter Rn. 17 wörtlich:
„Angaben anonymer Hinweisgeber sind als Verdachtsquelle zur Aufnahme weiterer Ermittlungen dabei nicht generell ausgeschlossen. Ein solcher pauschaler Ausschluss widerspräche dem zentralen Anliegen des Strafverfahrens, nämlich der Ermittlung der materiellen Wahrheit in einem justizförmigen Verfahren als Voraussetzung für die Gewährleistung des Schuldprinzips. Bei anonymen Anzeigen müssen die Voraussetzungen des § 102 StPO im Hinblick auf die schutzwürdigen Interessen des Beschuldigten aber wegen der erhöhten Gefahr und des nur schwer bewertbaren Risikos einer falschen Verdächtigung besonders sorgfältig geprüft werden.“
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Soweit die Beschwerde unter Zitat des § 203 StGB die „Verwertbarkeit als Beweismittel in Frage“ stellt, geht dieses fehl: Die anonyme Anzeige lässt überhaupt nicht erkennen, ob die sie erstattende Person eine taugliche solche im Sinne des § 203 (insb. dessen Abs. 1 Nr. 1) StGB ist. Im Übrigen wird die Tat in den Fällen des § 201 Abs. 1 und 2 und der §§ 202, 203 und 204 StGB nur auf Antrag verfolgt (§ 205 Abs. 1 Satz 1 StGB).
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Der Beschwerde ist insoweit zuzustimmen, als die Angaben der Zeugin [ ] den konkreten, im Durchsuchungsbeschluss genannten Sachverhalt nicht in Gänze bestätigen können. Die Zeugin [ ] bekräftigt lediglich den – dem Durchsuchungsbeschluss im Übrigen nicht zugrunde liegenden – Verdacht, die Beschuldigte [ ] habe verschreibungspflichtige Medikamente zum Teil ohne Rezept an ihre Kunden abgegeben, namentlich insbesondere Ketamin. Dennoch bestätigt die Aussage der Zeugin [ ] überdies in einer Gesamtschau, dass in den Apotheken der Beschuldigten diverse Missstände in vielerlei Hinsicht vorhanden gewesen sein könnten, was die den Durchsuchungsbeschluss rechtfertigende Verdachtslage zwar nicht alleine, wohl aber mit dem Inhalt der anonymen Anzeige zu untermauern vermag.
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Zutreffend ist, dass das durch die anonyme Person eingereichte Rezept – wohl – auf „Fenistil Dragees“ lautet, der Screenshot aus dem Warenwirtschaftssystem hingegen auf „Fenistil Tropfen“ und dass das Rezept unbedruckt und nicht quittiert ist. Richtig ist auch, dass behauptet wurde, die Filialleiterin habe das Rezept vernichtet, obwohl es sodann durch die anonyme Person gleichwohl vorgelegt wurde. In der Gesamtschau liegt in alledem jedoch kein Widerspruch: Die anonyme Person behauptet selbst, das Rezept sei nicht quittiert und nicht bedruckt worden. Auch nach einer „Vernichtung“ durch die Filialleiterin im Wege bloßen Wegwerfens kann die anzeigeerstattende Person in den Besitz des Rezepts gelangt sein. Dass jener zwölfjährige Kunde das Medikament aus seinem eigenen Vermögen kaufte, ist eine durch nichts belegte Annahme der Beschwerde. Entscheidend ist in der hiesigen Konstellation die Verdachtslage, die Beschwerdeführerin habe den Kaufpreis gegenüber dem zwölfjährigen Kunden geltend gemacht, obwohl die hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht vorlagen. Die Aussage der Zeugin [ ] vom [ ] kann an dieser Stelle nicht herangezogen werden, da sie erst nach den Durchsuchungsbeschlüssen entstanden ist. Im Übrigen ist die Sachlage – entgegen den Ausführungen der Beschwerde – nicht schwierig: Die Apotheke muss prüfen, ob es für das verordnete Präparat (OTC oder MP) grundsätzlich eine Ausnahme gibt, jedoch nicht, ob die Bedingungen dafür erfüllt sind. Für Patienten über 12 Jahren gibt es aber eine Ausnahme.
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c) Dieses verdachtsweise Verhalten ist strafbar als gewerbsmäßiger Betrug bzw. Beihilfe zu gewerbsmäßigem Betrug in einer noch unbekannten Fallzahl gemäß den §§ 263 Abs. 1 und Abs. 3 S. 2 Nr. 1, 27, 53 StGB.
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Gegenüber den Kassenpatienten würde das Verhalten der Beschwerdeführerin im Übrigen auch den Tatbestand des Betrugs nach § 263 Abs. 1 StGB erfüllen: In der Geltendmachung einer Forderung, auf die kein Anspruch besteht, kann eine schlüssige Täuschung über Tatsachen liegen. Die Annahme einer schlüssigen Täuschung setzt voraus, dass mit dem Einfordern einer Leistung ein Bezug zu einer unzutreffenden Tatsachenbasis hergestellt oder das Vorliegen eines den Anspruch begründenden Sachverhalts behauptet wird (BGH, Beschluss vom 4. Mai 2022 – 1 StR 3/21). Denn der Verkehr erwartet in diesem Zusammenhang vor allem eine wahrheitsgemäße Darstellung, soweit die Tatsache wesentlich für die Beurteilung des Anspruchs ist und der Adressat sie aus seiner Situation nicht ohne Weiteres überprüfen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Mai 2022 – 1 StR 138/21; BGH, Beschluss vom 25. Juli 2017 – 5 StR 46/17). Soweit die Beschwerdeführerin gegenüber den Krankenkassen einen Erstattungsanspruch nach den auf der Basis von § 129 Abs. 2 und Abs. 5 S. 1 SGB V geschlossenen Verträgen hatte, schuldete der Patient diese Vergütung nicht (vgl. Becker/Kingreen/Axer, 8. Aufl. 2022, SGB V § 129 Rn. 12; NK-GesundhR/Tobias Volkwein, 2. Aufl. 2018, SGB V § 129 Rn. 3) und die Beschwerdeführerin hätte diesem gegenüber bewusst wahrheitswidrig eine Forderung geltend gemacht, ohne über den entsprechenden Anspruch zu verfügen.
34
Der Einwand der Beschwerde, es bedürfe zum Zwecke der Annahme einer Beihilfe der Beschwerdeführerin durch die nicht zutreffende Quittierung von Privatrezepten einer rechtswidrigen Haupttat in Form der Einreichung dieser Rezepte bei einer privaten Krankenversicherung (mit den entsprechenden Folgen), ist zutreffend. Die anonyme Anzeige allerdings rechtfertigte – wie dargelegt – bereits eine entsprechende Verdachtslage für das in ihr geschilderte Verhalten der Beschwerdeführerin, das allerdings sachlogisch auch nur dann Sinn machte, wenn die Rezepte hernach auch eingereicht wurden. Allerdings bedürfte es möglicherweise auch eines Arztes oder mehrerer Ärzte, der/die ohne deren dringende Notwendigkeit für eine Heilbehandlung rezeptweise entsprechende Arzneimittel verordnet haben müsste(n).
35
Die Tatsache, dass das beschriebene Vorgehen ausweislich der bisherigen Ermittlungen bereits seit längerer Zeit andauert, rechtfertigt den Anfangsverdacht auch im Hinblick auf gewerbsmäßiges Vorgehen.
36
Auf die durch die Beschwerde aufgeworfene Frage, ob die durch den Zeugen [ ] (Pharmazierat bei der Regierung von [ ]) geäußerten Rechtsmeinungen zutreffend sind, kommt es nicht an, weil Straftaten im Zusammenhang mit Cannabisblüten nicht Gegenstand der angefochtenen Beschlüsse sind.
37
d) Entgegen der Ausführungen des Verteidigers erfüllt der Beschluss 57 Gs 11381/23 die sich aus Art. 13 Abs. 1, 2 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes ergebenden rechtsstaatlichen Mindestanforderungen, die an den Inhalt eines Beschlusses zur Durchsuchung einer Wohnung zu stellen sind. Dies gilt auch für die anderen – inhaltsgleichen – Beschlüsse bezüglich der Geschäftsräume.
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aa) Insbesondere bei Durchsuchungen, die in der Regel ohne vorherige Anhörung des Betroffenen ergehen, soll die Einschaltung des Richters für die gebührende Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten sorgen. Es ist die Aufgabe des Richters, die beabsichtigte Durchsuchungsmaßnahme eigenverantwortlich zu prüfen. Als Kontrollorgan der Strafverfolgungsbehörden trifft ihn die Pflicht, durch eine geeignete Formulierung des Durchsuchungsbeschlusses im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren sicherzustellen, dass der Eingriff in die Grundrechte messbar und kontrollierbar bleibt. Aus dieser richterlichen Pflicht folgt, dass der Durchsuchungsbeschluss bestimmten Mindestanforderungen genügen muss. Insbesondere sind bei Wohnungsdurchsuchungen auch tatsächliche Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs erforderlich, sofern sie nach dem Ermittlungsergebnis ohne weiteres möglich sind und den Zwecken der Strafverfolgung nicht zuwider laufen. Es sind also, wenn auch knappe, aber doch aussagekräftige Tatsachenangaben erforderlich (Meyer-Goßner, StPO, § 105, Rn. 5; Schäfer, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 105, Rn. 37 ff.).
39
Zwingend erforderlich ist, dass in dem Durchsuchungsbeschluss die aufzuklärende Straftat tatsächlich und rechtlich so genau umschrieben wird, dass Umfang und Reichweite des dadurch legitimierten Grundrechtseingriffs deutlich werden und klar ist, worauf sich die Durchsuchung bezieht. Diese Umschreibung muss den mit der Vollziehung der Anordnung betrauten Beamten aufzeigen, worauf sie ihr Augenmerk richten sollten, und damit den Zweck der Durchsuchungsanordnung erfüllen, den Zugriff auf Beweisgegenstände bei der Vollziehung der Durchsuchung zu begrenzen (BVerfG, Beschluss vom 11. Februar 2015 – 2 BvR 1694/14; Beschluss vom 1. August 2014 – 2 BvR 200/14; Beschluss vom 24. März 2003 – 2 BvR 180/03; Beschluss vom 6. März 2002 – 2 BvR 1619/00).
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Um die Durchführung einer Wohnungsdurchsuchung messbar und kontrollierbar zu gestalten, muss der Durchsuchungsbeschluss den Tatvorwurf und die konkreten Beweismittel so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. Der Richter muss die aufzuklärende Straftat, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie es nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist (BVerfG Beschluss vom 5.7.2016 – 2 BvR 1710/15).
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bb) Dies ist hier der Fall. Die Sachverhaltsschilderung in den Beschlüssen versetzt die Beschuldigte in die Lage, den ihr vorgeworfenen Sachverhalt zu erfassen und sich gegen diesen ggf. zur Wehr zu setzen.
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Zum einen beschreiben die Beschlüsse – wenngleich kurz – die verdachtsweise Haupttat jener Privatpatienten:
„Die Privatpatienten reichen diese Rezepte sodann bei ihren privaten Krankenversicherungen ein und lassen sich den tatsächlich nicht verauslagten Geldbetrag erstatten, wie der Beschuldigten [ ] bewusst ist.“
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Zum anderen wird auch die Beihilfehandlung definiert:
„Seit einem nicht genau bekannten Zeitpunkt quittiert die Beschuldigte [ ] mehreren Privatpatienten die Abgabe von tatsächlich nicht ausgehändigten Medikamenten auf den von diesen mitgebrachten Privatrezepten.“
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Entsprechendes gilt für die verdachtsweise Vorgehensweise bei Kassenrezepten:
„Seit einem nicht genau bekannten Zeitpunkt lässt sich die Beschuldigte [ ] Medikamente, die sie an Kassenpatienten ausgibt, in bar bezahlen, ohne diesen mitzuteilen, dass diese bei den Krankenkassen abgerechnet werden können und rechnet in der Folge diese Medikamente auch noch gegenüber den Krankenkassen ab.“
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Auch wird ausgeführt, wo in beiden Fällen ein Schaden gesehen werden soll:
„Den privaten Krankenversicherungen und den Kassenpatienten entstand aufgrund der geleisteten Zahlungen ein Schaden in eben dieser Höhe, da sie über die nicht erfolgte Ausgabe der Medikamente bzw. die Erstattungsfähigkeit durch die Krankenkassen im Unklaren waren, wodurch die Beschuldigten [ ] und [ ] jeweils einen entsprechenden Gewinn erzielten.“
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cc) Die Einwände der Beschwerde, die die inhaltlichen Anforderungen an eine Durchsuchungsanordnung zutreffend beschreibt, greifen insoweit nicht durch. Soweit bemängelt wird, dass weder die Tatzeiträume, die Patienten, die vermeintlich abgegebenen Medikamente noch die vermeintlich geschädigte private Krankenkasse oder der Preis des Medikaments bzw. die Höhe des Schadens, der bei der privaten Krankenversicherung entstanden sein soll, im angegriffenen Beschluss konkret bezeichnet würden, werden im Ansatz die Anforderungen, die gemäß § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO an einen Anklagesatz zu stellen sind, mit denjenigen verwechselt, die für die Anordnung einer Durchsuchung gelten (§ 105 Abs. 1 StPO). Im Übrigen konnten die durch die Beschwerde vermissten Daten im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Beschlüsse noch nicht bekannt sein. Letztlich spielt es im Hinblick auf die Strafbarkeit zunächst keine Rolle, bei welcher Krankenkasse verdachtsweise nicht eingelöste Rezepte eingereicht werden.
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2. Die übrigen Voraussetzungen für den Erlass der angefochtenen Durchsuchungsbeschlüsse lagen vor.
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Bei den Räumlichkeiten handelt es sich um den Wohnsitz sowie die Geschäftsräume der Beschwerdeführerin als Beschuldigter.
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Die angeordneten Durchsuchungen waren verhältnismäßig. Sie waren im Blick auf den bei der Anordnung verfolgten gesetzlichen Zweck erfolgversprechend, und gerade diese Zwangsmaßnahmen waren zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich. Mildere Mittel standen nicht zur Verfügung. Weitere und andere Ermittlungen – insbesondere Zeugenvernehmungen und die Anforderung schriftlicher Unterlagen – hätten den Erfolg der Durchsuchungsmaßnahme und den Aufklärungserfolg gefährden können und waren nicht in gleicher Weise geeignet. Die Ermittlungsbehörden führten hier die zum Zeitpunkt des noch nicht bekannt gegebenen Verfahrens möglichen und zumutbaren Ermittlungen durch. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Vernehmung weiterer Zeugen vor Erlass des Durchsuchungsbeschlusses, beispielsweise der Zeugin [ ], nicht erfolgte. Dies war vorliegend sachdienlich, um das Verfahren noch nicht offen zu legen und zu verhindern, dass die Beschuldigte gegebenenfalls vorhandene Beweismittel würde vernichten oder auf Zeugen würde einwirken können.
50
Die Durchsuchungsanordnungen waren angesichts des in Rede stehenden Vorwurfes des (gewerbsmäßigen) Betrugs bzw. einer Beihilfe hierzu (§§ 263 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 1. Alt., 27 StGB) auch angemessen.
51
3. a) Soweit durch eine Ermittlungsmaßnahme eine in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 3b oder Nr. 5 StPO genannte Person betroffen wäre und dadurch voraussichtlich Erkenntnisse erlangt würden, über die diese Person das Zeugnis verweigern dürfte, ist dies im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit besonders zu berücksichtigen; betrifft das Verfahren keine Straftat von erheblicher Bedeutung, ist in der Regel nicht von einem Überwiegen des Strafverfolgungsinteresses auszugehen. Soweit geboten, ist die Maßnahme zu unterlassen oder, soweit dies nach der Art der Maßnahme möglich ist, zu beschränken. Für die Verwertung von Erkenntnissen zu Beweiszwecken gilt Satz 1 entsprechend (§ 160a Satz 1 Nr. 3 StPO). Dieses gilt gemäß § 160a Abs. 3 StPO auch für Berufshelfer. Dieses gilt dann nicht, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass die zeugnisverweigerungsberechtigte Person an der Tat oder an einer Datenhehlerei, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei beteiligt ist (§ 160a Abs. 4 Satz 1 StPO).
52
Überhaupt nicht anwendbar ist § 160a StPO, wenn sich das Verfahren gegen den Berufsgeheimnisträger selbst richtet. Dieser hat dann bei den fraglichen Maßnahmen, bei denen es um die Aufklärung des auf ihm lastenden Verdachtes geht, keine Zeugenrolle i. S. v. § 160a StPO inne. Ebenso verhält es sich, wenn verschiedene Sachverhalte zum Gegenstand jeweils eigener Beschuldigungen geworden sind und die Ermittlungen deshalb sowohl auf den Mandanten (Patienten u.s.w.) oder einen Dritten abzielen, zugleich aber auch den Berufsgeheimnisträger ins Visier nehmen (vgl. MüKoStPO/Kölbel/Ibold, 2. Aufl. 2024, StPO § 160a Rn. 25 m. w. N.; BeckOK StPO/Sackreuther, 50. Ed. 1.1.2024, StPO § 160a Rn. 19).
53
b) Der Hinweis der Beschwerde auf die Beschuldigte als Berufsgeheimnisträgerin und auf die insoweit besonders schützenswerten Daten verfängt vor diesem Hintergrund nicht, weil die Beschwerdeführerin selbst Beschuldigte ist.
III.
54
Die Frage, ob die sichergestellten bzw. beschlagnahmten Gegenstände als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können (§ 94 Abs. 1 StPO), ist nicht Gegenstand der Beschwerde.
IV.
55
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.