Titel:
Erfolgloser Eilantrag eines Ausländer mit tadschikischer und russisches Staatsangehörigkeit gegen eine Abschiebungsandrohung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nach Polen im Rahmen des sog. Dublinverfahrens
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 5, § 113 Abs. 1 S. 1
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 34a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, § 75 Abs. 1, § 76 Abs. 4 S. 1, § 77 Abs. 1 S. 1 Hs. 2, Abs. 3
Dublin-III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 17 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1, Art. 20 Abs. 5, Art. 23 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
GRCh Art. 4, Art. 52 Abs. 3
Leitsätze:
1. Im Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 23 Abs. 1 Dublin III-VO muss vom ersuchenden Staat nicht geprüft werden, ob der ersuchte Staat selbst zuständig ist. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das polnische Asylverfahren und die dortigen Aufnahmebedingungen weisen keine systemischen Schwachstellen auf, die für einen Antragsteller die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung iSd Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK mit sich brächten. (Rn. 28 – 36) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein systemischer Mangel liegt nur dann vor, wenn er im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt ist oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägt. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erfolgloser Eilantrag gegen Abschiebungsanordnung nach Polen, Zuständigkeit Polens nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO, Keine systemischen Mängel des polnischen Asylsystems, Jüngste Äußerungen des polnischen Ministerpräsidenten Tusk, das Asylrecht aussetzen zu wollen, derzeit ohne Auswirkung auf Dublin-Überstellungen, Dublin-III-Verfahren, Wiederaufnahmeverfahren, Asylantrag in Polen, russischer Staatsangehöriger, System der normativen Vergewisserung, systemische Mängel, polnisches Asylsystem, Aussetzung Asylverfahren Polen, Pushback, Massenzustrom-Richtlinie, ukrainische Flüchtlinge
Fundstelle:
BeckRS 2024, 40826
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Abschiebungsanordnung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) nach Polen im Rahmen eines sog. Dublinverfahrens.
2
Der Antragsteller wurde eigenen Angaben nach am … 1985 in Tadschikistan geboren und ist tadschikischer und russischer Staatsangehöriger. Er verließ seiner Aussage nach am 10. Oktober 2022 sein Herkunftsland Russland und reiste zunächst am 11. Oktober 2022 nach Polen ein. Die am 11. Juni 2023 eingeholte EURODAC-Auskunft ergab einen Treffer der Kategorie 1 für Polen (Warszawa) mit dem Datum der Asylantragstellung und der Fingerabdrucknahme am 2. November 2022. Schließlich reiste er am 11. Juni 2023 in die Bundesrepublik Deutschland ein und äußerte am selben Tag ein Asylgesuch. Am 18. Juli 2023 stellte er einen förmlichen Asylantrag.
3
Im Rahmen des persönlichen Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates und der persönlichen Anhörung zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrages am 18. Juli 2023 gab der Antragsteller neben seinem Reiseweg an, dass eine Schwester von ihm ebenfalls in Deutschland in … lebe.
4
Am 19. Juli 2023 richtete das Bundesamt ein Wiederaufnahmegesuch nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO betreffend den Antragsteller an die Republik Polen. Die polnischen Behörden haben das Wiederaufnahmegesuch gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO mit Schreiben vom 21. Juli 2023 akzeptiert.
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Bei der Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrages am 26. Juli 2023 gab der Antragsteller an, dass er in Polen ein Interview zu seinen Asylgründen gegeben habe. Er habe von Anfang an nach Deutschland gewollt und habe dies den polnischen Behörden gesagt, diese hätten sie aber eingefangen und für sechs Monate in ein geschlossenes Asylcamp eingesperrt. Ihm sei gesagt worden, er werde entweder für 18 Monate eingesperrt oder müsse einen Asylantrag stellen, was er dann getan habe. In Polen habe er im November 2022 Schutz bekommen, zunächst für ein Jahr und dieser wäre dann auf drei Jahre verlängert worden. Dies habe er nach der zweiten von, er glaube, vier Anhörungen erfahren. Diesbezügliche Ausweise habe er nicht erhalten, Unterlagen aus dem polnischen Asylverfahren habe er keine mehr. Er sei dann am 30. April 2023 in ein offenes Asylcamp gekommen und habe ein Schreiben erhalten, dass er vor Gericht müsse im Mai 2023; dort sei er aber nicht hingegangen. Versorgt worden sei er in einer Asylunterkunft, gearbeitet habe er nicht. Gegen seine Rückkehr nach Polen spreche, dass er, nachdem er drei Monate im geschlossenen Camp in Polen gewesen sei, gegen einen Georgier habe aussagen sollen. Er habe etwas unterschreiben sollen, was er nicht gesehen habe, das sei inakzeptabel für ihn gewesen. Der Polizist habe gesagt, er würde es bereuen, wenn er nicht unterschreibe und dass ihm sodann alles, was dem Georgier vorgeworfen werde, auch selbst vorgeworfen würde. Nachdem er sich geweigert habe, sei er vor Gericht gestellt und in Untersuchungshaft geschickt worden bis 30. April 2023. Nach Freilassung sei er ein zweites Mal verhört worden und habe wieder unterschreiben sollen, was er nicht getan habe. Dann sei ein weiteres Schreiben mit einer Vorladung zu Gericht gekommen. Dort sei er nicht hingegangen, das Gericht hätte ihn bestimmt 4 Jahre eingesperrt. Was dem Georgier vorgeworfen wurde, wisse er nicht. Krankheiten habe er keine.
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Mit Bescheid vom 23. August 2023, dem Antragsteller zugegangen am 29. August 2023, wurde der Asylantrag als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1), festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (Ziffer 2), die Abschiebung nach Polen angeordnet (Ziffer 3) sowie ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig sei, da Polen aufgrund des dort bereits gestellten Asylantrages nach Art. 3 Abs. 2, Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrages zuständig sei. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Ausführungen des Bundesamtes im Bescheid vom 23. August 2023 Bezug genommen.
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Am 5. September 2023 ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten Klage gegen den Bescheid erheben (AN 18 K 23.50579) und beantragte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23.08.2023, zugegangen am 29.09.2023, enthaltene Abschiebungsanordnung anzuordnen.
8
Zur Begründung lässt er ausführen, dass die Antragsgegnerin unberücksichtigt lasse, dass er nicht nur tadschikischer, sondern auch russischer Staatsangehöriger sei. Die russische Verwaltung habe ihn bereits aufgefordert, sich am 20. Oktober 2022 bei der russischen Armee in Mariupol zum Kämpfen zu melden. Daher sei er aus Russland geflohen. Aber auch in Polen habe er keinen wirklichen Schutz gefunden. Dort sei er in Gefängnisatmosphäre mehrere Monate untergebracht gewesen. Er sei von einem Zivilpolizisten zur einer Falschaussage aufgefordert worden. Er befürchte, in Polen wieder inhaftiert und am Ende an seine Heimatbehörde, oder schlimmer, an die russischen Behörden ausgeliefert zu werden. Allein, dass er in Polen schon inhaftiert worden sei, was ohne tatsächlichen strafrechtlichen Hintergrund eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung darstelle, rechtfertige sein Hilfegesuch. Es sei auch in Gerichtskreisen bekannt, dass in Polen Asylbewerber aus einer Reihe von Gründen wie Identitätsklärung, Fluchtgefahr, Sicherheitsgründe inhaftiert werden. Die Verweildauer in einem Haftzentrum betrage nach den Feststellungen einer Entscheidung des VG Minden vom 05. September 2022 zwischen 52 Tagen und 5 Monaten. Medizinische und psychologische Untersuchungen fänden dort nicht statt. Die Haftzentren seien auch ausgestaltet wie Gefängnisse. Die Antragsgegnerin habe also übersehen, dass in Polen systemische Mängel des Asylverfahrens herrschen.
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Mit weiterem Schriftsatz vom 29. September 2023 verweist der Antragstellerbevollmächtigte u.a. auf eine Stellungnahme von PRO ASYL vom 28. Juli 2022, in der u.a. ausgeführt wird, dass in Polen für alle Betroffenen systematische Haft nach Rückführungen zu erwarten sei. Eine Rückschiebung von Schutzsuchenden nach Polen dürfe nicht erfolgen, es herrschten systemische Mängel im polnischen Aufnahmesystem. Schließlich drohe dem Antragsteller, der auch russischer Staatsangehöriger sei, eine Abschiebung von Polen nach Russland und anschließend, dass er an der Kriegsfront verheizt werde. Im Übrigen wird auf den Inhalt des Schriftsatzes mitsamt Anhängen (Amnesty Report Tadschikistan v. 28.3.2023 und Amnesty International Public Statement v. 21.9.2023, Artikel zu Pamiri-Minderheit v. 21.9.2023, Artikel Pro Asyl v. 16.8.2022) verwiesen.
10
Die Antragsgegnerin beantragt,
11
Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
12
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten des erhobenen Eilverfahrens sowie des Klageverfahrens AN 18 K 24.50579 Bezug genommen.
13
Der Antrag, zu dessen Entscheidung nach § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG der Einzelrichter berufen ist, ist zulässig, aber unbegründet.
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1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig.
15
Er ist insbesondere statthaft, weil der Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsanordnung kraft bundesgesetzlicher Regelung keine aufschiebende Wirkung zukommt, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1, § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Der Antrag wurde zudem innerhalb der einwöchigen Antragsfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG gestellt.
16
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
17
Das Gericht kann gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Es hat dabei eine eigene, originäre Ermessensentscheidung zu treffen. Das Gericht hat zwischen dem in der gesetzlichen Regelung – hier § 75 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG – zum Ausdruck kommenden Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Im Rahmen dieser Abwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der zugrundeliegende Bescheid bei dieser Prüfung hingegen als rechtswidrig und das Hauptsacheverfahren damit voraussichtlich als erfolgreich, ist das Interesse an der sofortigen Vollziehung regelmäßig zu verneinen. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens hingegen offen, kommt es zu einer allgemeinen Abwägung der widerstreitenden Interessen.
18
Unter Heranziehung dieser Grundsätze fällt die zu treffende Ermessensentscheidung zugunsten des Vollzugsinteresses der Antragsgegnerin aus, weil die im vorliegenden Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene, aber auch ausreichende summarische Prüfung ergibt, dass die Klage gegen den Bescheid des Bundesamts vom 23. August 2023 unter dem gerichtlichen Aktenzeichen AN 18 K 23.50579 voraussichtlich erfolglos bleiben wird. Denn die in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids getroffene Abschiebungsanordnung nach Polen erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) als rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in eigenen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
19
a) Rechtsgrundlage für die Anordnung der Abschiebung nach Polen ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann, eine entsprechende Abschiebung somit nicht rechtlich unzulässig oder tatsächlich unmöglich ist. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht, § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylG. Die vorliegend ergangene Abschiebungsanordnung wird diesen Anforderungen gerecht. Der Vortrag des Antragstellers beim Bundesamt, er habe bereits in Polen Schutz erhalten, was zu einer Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamtes nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG und einer Abschiebungsandrohung nach § 35 AsylG hätte führen müssen, ist unglaubhaft. Wenn dem so wäre, hätte Polen nicht dem Wiederaufnahmegesuch der Antragsgegnerin nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO zugestimmt, da dann das Asylverfahren des Antragstellers dort schon abgeschlossen gewesen wäre. Schließlich konnte der Antragsteller auch keinerlei diesbezügliche Dokumente beibringen.
20
b) Die Antragsgegnerin geht zutreffend von einer Zuständigkeit Polens für die Bearbeitung des Asylgesuchs des Antragstellers aus.
21
Die Zuständigkeit richtet sich vorliegend, weil für den Antragsteller Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO einschlägig ist, nach den Regelungen über das Wiederaufnahmeverfahren gemäß Art. 23 ff. Dublin III-VO. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vom 2. April 2019 (C-582/17 und C-583/17 – juris) muss im Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 23 Abs. 1 Dublin III-VO vom ersuchenden Staat nicht geprüft werden, ob der ersuchte Staat selbst zuständig ist. Anders als im Aufnahmeverfahren nach Art. 21, Art. 22 Dublin III-VO ist es nicht erforderlich, dass die Zuständigkeit des ersuchten Staates nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO geklärt ist. Der ersuchende Staat muss gerade nicht selbst in die Prüfung einsteigen, wer für die inhaltliche Prüfung des Asylantrags nach Art. 8 bis 15 Dublin III-VO zuständig ist. Eine Rücküberstellung im Wiederaufnahmeverfahren erfolgt vielmehr zur Durchführung des Zuständigkeitsverfahrens im ersuchten Staat, ohne dass dessen eigene Zuständigkeit feststehen muss. Ausreichend ist vielmehr, dass dieser Mitgliedstaat den Erfordernissen nach Art. 20 Abs. 5 oder Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) bis d) Dublin III-VO genügt (vgl. zum Ganzen EuGH, U.v. 2.4.2019 – C-582/17, C-583/17 – juris Rn. 54 ff.; so auch aus neuerer Zeit: VG Düsseldorf, B.v. 12.4.2024 – 29 L 776/24.A – juris Rn. 7 ff.; VG Greifswald, B.v. 19.7.2023 – 3 B 645/22 HGW – juris; VG Berlin, B.v. 13.6.2023 – 39 L 299/23 A – juris; VG Köln, B.v. 7.6.2023 – 6 L 858/23.A – juris; VG Würzburg, U.v. 6.6.2023 – W 1 K 22.50348 – juris; VG Ansbach, B.v. 16.2.2024 – AN 17 S 24.50087 – juris Rn. 19; B.v. 28.3.2023 – AN 17 S 23.50155 – juris). Der Europäische Gerichtshof macht hiervon zwar eine Ausnahme für Fälle, in denen offensichtlich die Zuständigkeit des ersuchenden Staates gegeben ist. In einem solchen Fall hat die Rückführung des Antragstellers zu unterbleiben und hat der ersuchende Staat seine Zuständigkeit sogleich anzuerkennen (EuGH, U.v. 2.4.2019 – C 582/17, C-583/17 – juris Rn. 83 ff., Ls. 3). Andernfalls entstünde ein vermeidbares und uneffektives Hin- und Herverschieben von Asylantragstellern (VG Ansbach, U.v. 28.6.2021 – AN 17 K 19.50954 – juris).
22
Diese Voraussetzungen sind in Bezug auf Polen erfüllt und zwar selbst dann, wenn man davon ausginge, dass das Asylverfahren des Antragstellers in Polen wegen längerer Abwesenheit als neun Monate eingestellt worden wäre (s. AIDA, Country Report Poland, Update 2023, S. 36 f.). Dann würde sich die Zuständigkeit Polens ebenfalls auf einen Wiederaufnahmetatbestand stützen, nämlich Art. 18 Abs. 1 Buchst. c Dublin III-VO.
23
Der Antragsteller hat zur Überzeugung des Gerichts vor seiner Asylantragstellung in Deutschland einen Asylantrag in Polen gestellt. Dies folgt maßgeblich aus dem EURODAC-Treffer der Kategorie 1 für Polen (Warszawa) mit dem Datum der Asylantragstellung und der Fingerabdrucknahme am 2. November 2022. (vgl. Art. 24 Abs. 4, Art. 9 Abs. 1 VO (EU) Nr. 603/2013 (sog. Eurodac-Verordnung), wobei es sich um ein Beweismittel im Rahmen der Rückübernahmeverpflichtungen der Art. 18 Abs. 1 Buchst. b), c) und d) Dublin III-VO handelt (vgl. VO (EG) Nr. 1560/2003, Anhang II, Verzeichnis A Beweise, II Nr. 2)) sowie auch den eigenen Angaben des Antragstellers. Zudem haben die polnischen Behörden das Übernahmeersuchen der Antragsgegnerin auf Basis des Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO vom 19. Juli 2024 am 21. Juli 2023 akzeptiert (auch dies ist ein Beweismittel i.S.d. VO (EG) Nr. 1560/2003, Anhang II, Verzeichnis A Beweise, II Nr. 2). Soweit der Antragsteller vor dem Bundesamt vorgebracht hat, in Polen habe man ihn vor die Wahl gestellt, entweder dort einen Asylantrag zu stellen oder 18 Monate eingesperrt zu werden, ist seine Schilderung zu oberflächlich und unsubstantiiert, um die o.g. Beweismittel zu erschüttern; der Antragstellerbevollmächtigte hat diesen Punkt schriftsätzlich auch nicht mehr aufgegriffen. Es ist schon nicht ersichtlich, wer dies zum Antragsteller in welchem Verfahrensstadium und wie genau gesagt haben soll. Denn soweit in den Erkenntnismitteln darüber berichtet wird, dass eine Inhaftierung von Personen, denen eine Abschiebung droht, bis zu maximal 18 Monaten nach polnischem Recht zulässig ist (für das deutsche Recht vgl. § 62 Abs. 4 AufenthG: ebenfalls max. 18 Monate), so kann die Inhaftierung nur durch ein Gericht angeordnet werden und bestünde die Möglichkeit, hiergegen Rechtsmittel einzulegen (AIDA, Country Report Poland, Update 2023, S.101 ff.).
24
Ein Ausnahmetatbestand im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs liegt nicht vor.
25
Das Wiederaufnahmegesuch wurde schließlich fristgerecht gemäß Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO durch die Antragstellerin übermittelt.
26
c) Der Zuständigkeit Polens stehen auch nicht Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin III-VO entgegen.
27
Nach dieser Norm ist ein Mitgliedstaat, in dem ein Drittstaatsangehöriger einen Schutzantrag gestellt hat, dazu verpflichtet, die Zuständigkeitsprüfung fortzusetzen, wenn es sich als unmöglich erweist, den Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in dem zunächst zuständigen Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh mit sich bringen. Kann unter diesen Voraussetzungen an keinen anderen zuständigen Mitgliedstaat überstellt werden, wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
28
Das polnische Asylverfahren und die dortigen Aufnahmebedingungen weisen keine systemischen Schwachstellen auf, die für den Antragsteller die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK mit sich brächten.
29
Nach dem System der normativen Vergewisserung (siehe dazu BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 – juris Rn. 181 ff.) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (siehe dazu EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 u. C-493/10 – juris Rn. 75 ff.; U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 80 ff.) gilt die Vermutung, dass die Behandlung von Asylbewerbern in jedem Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entspricht. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine unwiderlegliche Vermutung; vielmehr obliegt es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Antragsteller nicht an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, wenn das dortige Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber systemische Mängel aufweisen, die regelhaft so defizitär sind, dass sie im konkreten Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK bergen (EuGH, U.v. 21.12.2011 – N.S., C-411/10, C-493/10 – NVwZ 2012, 417; BVerwG, U.v. 8.1.2019 – 1 C 16/18 – juris Rn. 37). Ein systemischer Mangel liegt jedoch nur dann vor, wenn er im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt ist oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägt. Derlei Mängel treffen den Einzelnen nicht unvorhersehbar oder schicksalshaft, sondern lassen sich wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren (BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6/14 – juris Rn. 9).
30
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist bei der Prüfung, ob eine Überstellung im Rahmen des Dublin-Verfahrens in den an sich zuständigen Mitgliedstaat die Gefahr einer gegen Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung birgt, aber nicht nur in den Blick zu nehmen, ob diese Gefahr im Rahmen des Asylverfahrens droht, sondern auch, ob nach einer etwaigen Anerkennung als Asylberechtigter eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu befürchten ist (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 87 ff.).
31
An die Feststellung systemischer Mängel sind hohe Anforderungen zu stellen. So fallen Schwachstellen nur dann unter Art. 4 GRCh, der Art. 3 EMRK entspricht und nach Art. 52 Abs. 3 GRCh die gleiche Bedeutung und Tragweite hat, wie sie ihm in der genannten Konvention verliehen wird, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falls abhängt. Dies wird indessen erst dann anzunehmen sein, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden („Bett, Brot und Seife“), und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 91 f.; s.a. BayVGH, U.v. 11. Juli 2024 – 24 B 24.50010 – Rn. 21).
32
Bei Anlegung dieses Maßstabs ergeben sich mit Blick auf das dem Gericht gegenwärtig vorliegende Erkenntnismaterial keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, dass dem Antragsteller bei einer Überstellung nach Polen wegen dort bestehender systemischer Schwachstellen im Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen oder im Falle einer etwaigen Anerkennung als international Schutzberechtigte eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh drohen würde. Es wird insoweit gemäß § 77 Abs. 3 AsylG auf die Gründe des Bescheids vom 23. August 2023 Bezug genommen, welcher sich in vertiefter Weise mit dem Nichtvorliegen systemischer Mängel im polnischen Asylverfahren auseinandersetzt. Ergänzend wird auch im Hinblick auf die sich zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ergebende aktuelle Auskunftslage für Polen wie folgt ausgeführt:
33
aa) In Polen besteht ein mehrstufiges Asylverfahren mit administrativen und gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten. Befindet sich ein Dublin-Rückkehrer in einem laufenden Asylverfahren oder wurde sein Verfahren zwar eingestellt, kann aber binnen neun Monaten nach Einstellung wiedereröffnet werden (ansonsten Folgeantrag), wird der Rückkehrer meist an eine offene Aufnahmestelle des Ausländeramtes verwiesen, wo er versorgt wird, was insbesondere soziale Unterstützung, medizinische Versorgung und Unterbringung umfasst. Stellt der Rückkehrer einen Erstantrag auf internationalen Schutz, durchläuft er zunächst die Erstaufnahme. Wurde ohne Schuld des Antragstellers nach sechs Monaten noch keine Entscheidung in seinem Asylverfahren getroffen, hat dieser zudem unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt. Das polnische Ausländeramt ist zuständig für die Versorgung der Asylwerber in Polen. Auf der Webseite der Behörde ist eine Liste mit mehr als 20 Organisationen verfügbar, welche Asylwerbern verschiedenste Hilfestellung bieten, teils auch rechtliche Beratung im Asylverfahren. Für das „zweitinstanzliche“ Verfahren wird neben der Rechtsberatung sogar eine Rechtsvertretung, etwa durch einen Rechtsanwalt oder eine NGO, zur Verfügung gestellt. Nach Antragstellung besteht das Recht auf Versorgung in einem Erstaufnahmezentrum. Es gibt zwei Formen von materiellen Aufnahmebedingungen. Die Asylwerber können in einem Aufnahmezentrum wohnen oder finanzielle Unterstützung erhalten, welche die Kosten für die private Unterbringung decken soll. Asylwerber, die in einem Zentrum leben, erhalten Unterkunft, Mahlzeiten, Taschengeld (PLN 50/EUR 11,52/Monat), Geld für Hygieneartikel (PLN 20/EUR 4,61/Monat) und eine Einmalzahlung für Bekleidung (PLN 140/EUR 32,25). Ende 2023 gab es 9 Aufnahmezentren mit einer Kapazität von 1.479 Plätzen in Polen; diese waren nicht überfüllt. Asylwerber, die außerhalb der Zentren leben, erhalten PLN 25/EUR 5,76/Tag für eine Einzelperson als finanzielle Beihilfe. Beide Gruppen erhalten einen Polnisch-Sprachkurs und Unterrichtsmaterialien, Unterstützung für Schulkinder (und außerschulische Aktivitäten), Geld für notwendige Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln und medizinische Versorgung. Antragsteller mit besonderen Bedürfnissen sind entsprechend unterzubringen. Spezielle Unterbringungsbedürfnisse bestehen, wenn eine behindertengerechte Unterbringung, eine Unterbringung in einem Einzelzimmer für alleinstehende Frauen mit Kindern, eine Unterbringung in einer medizinischen (Pflege-)Einrichtung (auch aus psychologischen Gründen) oder die Beachtung angepasster Ernährung erforderlich ist. Die Identifizierung von vulnerablen Gruppen geschieht durch die Grenzwache bei der Registrierung des Asylantrags bzw. durch die Asylbehörde. Als vulnerabel gelten in Polen laut Gesetz Minderjährige, Behinderte, Alte, Schwangere, Alleinerziehende, Opfer von Menschenhandel, ernsthaft Kranke, psychisch Beeinträchtigte, Folteropfer und Opfer psychischer, physischer bzw. sexueller Gewalt. Die Behörde ist verpflichtet, bei Verfahren von Angehörigen dieser Gruppen unmittelbar nach Antragstellung bzw. zu jedem Zeitpunkt im Verfahren, zu prüfen, ob sie spezielle Bedürfnisse haben. Dazu kann die Behörde eine medizinische oder psychologische Untersuchung des Antragstellers veranlassen. Seit Juni 2019 wird jeder Asylwerber, der den sogenannten epidemiologischen Filter (medizinische Eingangsuntersuchung) durchläuft, auch einem Vulnerabilitätsscreening unterzogen. Vulnerable Antragsteller genießen besondere Verfahrensgarantien, etwa, dass bei Bedarf ein Psychologe oder Arzt an Verfahrensschritten teilnimmt. Ebenso wird die Vulnerabilität bei den Aufnahmemodalitäten berücksichtigt. Asylwerber in Polen haben ab Registrierung ihres Asylantrags (in Notfällen schon ab Asylantragstellung) das gesetzlich garantierte Recht auf medizinische Versorgung im selben Ausmaß wie versicherte polnische Staatsbürger. Dieses Recht besteht auch dann weiter, wenn die materielle Versorgung, aus welchen Gründen auch immer, reduziert oder eingestellt wird. Die medizinische Versorgung von Asylwerbern wird öffentlich finanziert. Sie wird über die Krankenreviere der Unterbringungszentren gewährleistet, in denen Ärzte und Krankenschwestern medizinische Hilfe leisten und umfasst auch spezialisierte Behandlungen, psychologische Betreuung und zahnärztliche Versorgung. (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Polen, Version 4, 28.06.2024, S. 2 ff. [im Folgenden BFA Österreich]; AIDA, Country Report Poland, Update 2023, S.12 ff.)
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bb) Nach Erhalt der Entscheidung über die Schutzgewährung dürfen die Betroffenen für die Dauer von höchstens zwei Monaten in einer Unterbringungseinrichtung für Asylbewerber verbleiben. Sie genießen volle Niederlassungsfreiheit in ganz Polen, wenngleich sich die Wohnungssuche aufgrund des generellen, d.h. sowohl für Schutzberechtigte wie auch für polnische Staatsbürger bestehenden Mangels an Wohnraum und Sozialwohnungen oftmals schwierig gestaltet und die Situation im Jahr 2022 zusätzlich durch den Zuzug von Menschen aus der Ukraine im Rahmen des Ukrainekonflikts erschwert wurde. Teilnehmer des zwölfmonatigen „Individual Integration Programme (IPI)“ können den Bezirk ihres Aufenthaltes jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen ändern (etwa Arbeitsstelle in anderer Region mit der Möglichkeit einer Unterkunft, Familienzusammenführung, medizinische Gründe). Die Stadt Warschau, in der die meisten Schutzberechtigten leben, unterhält neben der Möglichkeit, sich im herkömmlichen Wege um eine Kommunalwohnung zu bewerben, ein spezielles Programm „geschützter Wohnungen“ für Fremde in Integrationsprogrammen, welche in der Regel für 12 Monate vergeben werden. Darüber hinaus gab es in Warschau jedenfalls bis einschließlich 2023 das Programm „housing contest“, im Rahmen dessen sich anerkannte Schutzberechtigte, die das „Individual Integration Programme (IPI)“ durchlaufen haben und ansonsten keine Wohnung bekommen konnten, an einem Wettbewerb beteiligen können mit dem „Preis“, eine Empfehlung für eine kommunale Wohnung zu bekommen. Die Auswahl nimmt eine Kommission vor. Neben Warschau bieten teils auch andere Städte wie Danzig oder Lublin spezielle Programme zur Wohnungssuche für Ausländer an. Schutzberechtigte haben in Polen vollen Zugang zum Arbeitsmarkt, es besteht keine Differenzierung zwischen anerkannten Flüchtlingen oder subsidiär Schutzberechtigten, wobei sich in der Praxis die mangelnde Sprachkompetenz und die (Anerkennung der) Qualifikation vieler Schutzberechtigter als Problem darstellen. Innerhalb von 60 Tagen ab Statuszuerkennung besteht die Möglichkeit, die Teilnahme an dem zwölfmonatigen „Individual Integration Program“ (IPI), welches verschiedene Integrationshilfen wie etwa eine Beihilfe für die Teilnahme an Polnisch-Sprachkursen, die Übernahme der Kosten für eine Krankenversicherung, Sozialberatung, Unterstützung bei der Wohnungs- und Arbeitssuche sowie finanzielle Unterstützungsleistungen – 1.376 PLN/317,02 EUR/Monat für eine Einzelperson in den ersten sechs Monaten und 1238 PLN/285,23 EUR/Monat für eine Einzelperson in den zweiten sechs Monaten – umfasst, zu beantragen. Sozialarbeiter bieten im Rahmen des IPI Unterstützung bei der Zusammenstellung der erforderlichen Unterlagen für die Registrierung als arbeitssuchend, der Suche nach Arbeitsmöglichkeiten sowie der Kontaktaufnahme zu potentiellen Arbeitgebern an. Schutzberechtigte verfügen des Weiteren im selben Maße wie auch polnische Staatsbürger über Zugang zum polnischen Sozialsystem und können Sozialhilfe erhalten, wenn gewisse Einkommensgrenzen nicht überschritten werden. Ebenfalls besteht Zugang zu verschiedenen Familienbeihilfen, wie finanzielle Unterstützung zu Beginn des Schuljahres oder für kinderreiche Familien. Im Hinblick auf die medizinische Versorgung stehen Schutzberechtigten dieselben Leistungen wie polnischen Staatsbürgern zu, was allerdings in der Regel das Bestehen einer Krankenversicherung voraussetzt. International Schutzberechtigte (und deren Familienangehörige) besitzen eine befristete Aufenthaltserlaubnis und erhalten somit auch unversichert Zugang zu den öffentlichen Gesundheitsdiensten, solange ihr Einkommen den Vorgaben des Gesetzes über Sozialhilfe entspricht. Schutzberechtigte im Integrationsprogramm IPI sind zudem im Rahmen dieses Programms für die Dauer des IPI durch die öffentliche Hand in der nationalen Krankenkasse versichert; anschließend muss die Krankenversicherung durch den Arbeitgeber, ein regionales Jobcenter des Sozialhilfezentrums oder aber durch den Betroffenen selbst bezahlt werden. Personen unter 18 Jahren haben stets Zugang zu medizinischer Versorgung, die in ihrem Fall voll vom Staat übernommen wird. Schülern unter 19 Jahren steht zudem der Zugang zur präventiven Gesundheitsvorsorge offen. Die polnische Krankenversicherung deckt – mit Ausnahme einiger Zahnbehandlungen und bestimmter Medikamentenkosten sowie der Altenpflege – die meisten medizinischen Behandlungen, unter anderem auch Facharztbehandlungen, Impfungen und Krankentransporte, ab. Als größte Hürde für den Zugang zu medizinischer Versorgung gelten sprachliche und kulturelle Barrieren. Andere Herausforderungen – wie etwa lange Wartezeiten bei Fachärzten sowie teure Privatleistungen und Medikamente – treffen Schutzberechtigte und polnische Staatsangehörige gleichermaßen. Humanitär Aufenthaltsberechtigte und Geduldete haben hingegen lediglich Zugang zu Unterbringung, Verpflegung und speziell gewidmeten Leistungen (vgl. zum Ganzen: BFA Österreich, S. 13 ff.; AIDA, Country Report Poland, Update 2023, S. 117 ff.).
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cc) Nach alldem bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Antragsteller als gesundem, 39-jährigem Mann bei einer Überstellung nach Polen wegen dort bestehender systemischer Mängel im Asylverfahren, in den Aufnahmebedingungen oder im Falle einer etwaigen Anerkennung als international Schutzberechtigter eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohen würde. Soweit über (Pushbacks und) Inhaftierungen von Asylbewerbern insbesondere an der Grenze zu Belarus berichtet wird (AIDA, Country Report Poland, Update 2023, S. 19 ff., 57, 73 ff., 83 ff.) und der Antragsteller vorbringt, er sei bereits während seiner Zeit in Polen inhaftiert gewesen und bei einer Rückkehr drohe ihm dies abermals, führt dies zu keiner anderen Einschätzung. Der Antragsteller würde als „Dublin-Rückkehrer“ regulär nach Polen zurückkehren, weshalb die vergangene Inhaftierung im Lichte der unter II. 2. c) aa) beschriebenen Aufnahmebedingungen im polnischen Asylverfahren kein Indiz dafür bietet, dass er erneut inhaftiert würde.
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Diese Annahme steht mit der Rechtsprechung der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. aus neuerer Zeit etwa: VG Kassel, U.v. 22.4.2024 – 7 K 1423/23.KS.A – juris; VG Bremen, U.v. 12.12.2023 – 3 K 107/23 – juris Rn. 27 ff.; VG München, B.v. 10.10.2023 – M 10 S 23.50893 – juris Rn. 19 f.; VG Berlin, B.v. 6.4.2023 – 33 L 54/23 A – juris; VG Stade, B.v. 16.12.2022 – 2 B 1739/22 – juris; VG Bayreuth, B.v. 15.12.2022 – B 9 S 22.50233 – juris; VG Karlsruhe, B.v. 24.10.2022 – A 19 K 2557/22 – juris; VG Hamburg, B.v. 22.8.2022 – 9 AE 3047/22 – juris; VG Köln, B.v. 7.10.2022 – 18 L 1388/22.A – juris Rn. 38 ff.; VG Düsseldorf, B.v. 10.8.2022 – 12 L 1303/22.A – juris; VG Magdeburg, B.v. 4.8.2022 – 3 B 218/22 MD – juris; VG Minden, B.v. 2.8.2022 – 12 L 548/22.A – juris; VG Dresden, B.v. 27.6.2022 – 3 L 397/22.A – juris) sowie der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Ansbach (vgl. VG Ansbach, B.v. 26.8.2024 – AN 18 S 24.50587 – n.v.; B.v. 22.1.2024 – AN 18 S 22.50404 – juris; B.v. 25.10.2021 – AN 18 S 21.50164 – juris; B.v. 20.7.2021 – AN 18 S 20.50221 – juris) in Einklang.
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Schließlich führt zu keiner anderen Beurteilung die derzeit fortdauernde Kriegslage in der Ukraine und die sich hieraus ergebenden Flüchtlingsbewegungen nach Polen. Zwar hat sich die Situation für Flüchtlinge nach Beginn des Ukrainekrieges infolge des Zustroms einer Vielzahl ukrainischer Flüchtlinge nach Polen verschärft; dennoch geht das Gericht davon aus, dass die Aufnahmebedingungen in Polen nicht regelhaft so defizitär sind, dass Flüchtlingen dort eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. So ist nicht ersichtlich, dass Polen seine Pflichten im Rahmen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen nicht mehr ordnungsgemäß erfüllen könnte, zumal Polen wie auch andere Mitgliedstaaten Unterstützung bei der Deckung des Bedarfs für Flüchtlinge erhält (https://ec.europa.eu/commission/presscorner/de-tail/de/ip_22_1946). Zudem müssen Schutzsuchende aus der Ukraine aufgrund des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 des Rates der Europäischen Union vom 4. März 2022 zur Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms von Vertriebenen aus der Ukraine im Sinne des Artikels 5 der RL 2001/55/EG und zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes kein üblicherweise vorgesehenes Asylverwaltungsverfahren durchlaufen, sondern können in einem vereinfachten Verwaltungsverfahren einen europaweit gültigen vorübergehenden Schutz mit entsprechendem Zugang zum Arbeitsmarkt und etwaigen Sozialleistungen erhalten. Die Aktivierung der RL 2001/55/EG vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten (Massenzustrom-Richtlinie), soll eine ausgewogene Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme der Schutzsuchenden aus der Ukraine verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten fördern (vgl. Art. 1 Massenzustrom-Richtlinie; ferner Erwägungsgründe 16 und 20 des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 vom 4.3.2022; zum Ganzen vgl. VG München, B.v. 27.5.2022 – M 30 S 22.50276 – juris Rn. 27 ff.). Nach der aktuellen Länderinformation des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl sieht das am 27. Juni 2023 überarbeitete Gesetz zur Unterstützung ukrainischer Bürger im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten vor, dass Ukrainer legal im Land bleiben können und gewährt das Recht auf Arbeit und freien Zugang zur Gesundheitsversorgung und Bildung. Mit Stand 12. Dezember 2023 waren ca. 950.000 Ukrainer registriert, die sich im Rahmen des EU-Mechanismus für vorübergehenden Schutz in Polen befanden. Im Mai 2024 wurde der vorübergehende Schutz für ukrainische Staatsangehörige bis zum 30. September 2025 verlängert (BFA Österreich, S. 1). Auch enthält der zeitlich die Situation nach Beginn des Ukrainekriegs betreffende Teil des Berichts der Asylum Information Database (AIDA) keine Hinweise auf überfüllte Aufnahmeeinrichtungen (AIDA, Country Report Poland, Update 2023, S. 62). Zudem hat Polen vorliegend mit Schreiben vom 21. Juli 2024 das gestellte Aufnahmegesuch fristgerecht beantwortet und der Aufnahme des Antragstellers ausdrücklich zugestimmt. Daher gilt zur Überzeugung des Gerichts nach wie vor die Vermutungswirkung des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens (so auch VG Kassel, U.v. 22.4.2024 – 7 K 1423/23.KS.A – juris; VG Bayreuth, B.v. 15.12.2022 – B 9 S 22.50233 – juris; VG Karlsruhe, B.v. 24.10.2022 – A 19 K 2557/22 – juris Rn. 35 ff.; VG Köln, B.v. 31.8.2022 – 22 L 913/22.A – juris Rn. 27 ff.; VG Düsseldorf, B.v. 10.8.2022 – 12 L 1303/22.A – juris Rn. 92 ff.; VG München, B.v. 27.5.2022 – M 30 S 22.50276 – juris Rn. 27 ff.).
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Abschließend wird noch angemerkt, dass die jüngsten Äußerungen des polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk, das Asylrecht in Polen aussetzen zu wollen, ebenfalls keine andere Entscheidung rechtfertigen. Zum einen handelt es sich bislang um eine Ankündigung, für die noch keine Mehrheit im Parlament sicher ist (s. https://www.tagesschau.de/ausland/europa/polen-asylrecht-tusk-100.html, vom 12.10.2024; https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/polen-donald-tusk-asylrecht-100.html, vom 15.10.2024). Zum anderen dürfte eine solche (gegen Europarecht verstoßende) Maßnahme im Schwerpunkt gegen die über die Grenze von Belarus zu Polen einreisenden Migranten gerichtet sein, die teils gezielt vom russischen und belarussischen Regime gelenkt werden (https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/polen-donald-tusk-asylrecht-100.html, vom 15.10.2024). Die überschaubare Anzahl an Dublin-Rückkehrern nach Polen sind ganz überwiegend wahrscheinlich nicht Gegenstand der angekündigten Pläne der polnischen Regierung (im Jahr 2023 gab es 3907 Anfragen an Polen i.R.d. Dublin-Systems, überstellt wurden insgesamt 747 Personen, s. AIDA, Country Report Poland, Update 2023, S. 33 f.).
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d) Besondere, die persönliche Situation des Antragstellers betreffende humanitäre Gründe, welche die Antragsgegnerin ausnahmsweise zu einer Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO verpflichten könnten, liegen nicht vor.
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e) Schließlich stehen einer Abschiebung weder inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die das Bundesamt im Rahmen der Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG – „sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann“ – zu prüfen hat, noch zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG entgegen.
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aa) Ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis ist nicht erkennbar. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass eine Abschiebung des Antragstellers gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG rechtlich oder tatsächlich unmöglich ist. Zu den Äußerungen des polnischen Ministerpräsidenten Tusk zur Aussetzung des Asylrechts und deren Irrelevanz für eine Rückführung im Rahmen eines Dublin-Verfahrens s.o. unter II. 2. c) cc)
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bb) Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK kommt ebenfalls nicht in Betracht. Wie bereits dargelegt, besteht für den Antragsteller bei einer Abschiebung nach Polen insbesondere mit Blick auf die dortigen Lebensumstände für Asylsuchende oder im Falle einer etwaigen Anerkennung als international Schutzberechtigter nicht die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung.
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Soweit der Antragstellerbevollmächtigte vorträgt, dem Antragsteller drohe aus Polen heraus eine Abschiebung nach Russland und dort ein Einsatz im Krieg gegen die Ukraine, geht dies im Rahmen der Prüfung der Abschiebungsanordnung nach Polen im Rahmen eines Dublin-Verfahrens an der Sache vorbei. Es geht hier nicht um die Frage, ob der Antragsteller nach Russland zurückgeführt wird, sondern ob Polen ihn gemäß Art. 23 Dublin III-VO wiederaufzunehmen hat. Das Risiko, dass der Asylantrag des Antragstellers letzten Endes in der Sache abgelehnt und eine Rückführungsentscheidung getroffen wird, trifft ihn hier wie dort.
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cc) Für ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist nichts ersichtlich oder vorgetragen, insbesondere leidet der Antragsteller eigenen Angaben zufolge nicht an Krankheiten.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
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4. Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.