Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 20.11.2024 – AN 18 S 23.50501
Titel:

Erfolgloser Eilantrag gegen eine Abschiebungsanordnung nach Litauen (Dublin)

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 34a
Dublin-III-VO Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, UAbs. 3, Art. 7 Abs. 2, Art. 12 Abs. 1
Leitsätze:
1. Das litauische Asylverfahren und die dortigen Aufnahmebedingungen weisen keine systemischen Schwachstellen auf. (Rn. 28 – 38) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass in Litauen auch Asylantragsteller, die sich bereits im Landesinneren befinden oder Dublin-Rückkehrer unter Verweis auf eine ursprünglich illegale Einreise über die belarussisch-litauische Grenze nach Belarus zurückgedrängt werden könnten oder ohne inhaltliche Prüfung ihrer Asyl(-folge)anträge in ihr Herkunftsland abgeschoben werden. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erfolgloser Eilantrag gegen Abschiebungsanordnung nach Litauen, Zuständigkeit Litauens nach Art. 12 Abs. 1 Dublin III-VO, maßgeblicher Zeitpunkt der erstmaligen Antragstellung auf internationalen Schutz gemäß Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO, Keine systemischen Mängel des litauischen Asylsystems, Keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch Push-backs bzw. Inhaftierungen für Dublin-Rückkehrer, Abschiebungsanordnung, Dublin, Litauen, maßgeblicher Zeitpunkt, erstmalige Antragstellung, systemische Mängel, Pushbacks
Fundstelle:
BeckRS 2024, 40822

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung für das Eilverfahren wird abgelehnt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Abschiebungsanordnung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) nach Litauen im Rahmen eines sog. Dublinverfahrens.
2
Der Antragsteller wurde am … 1986 in der Ukraine geboren und ist belarussischer Staatsangehöriger.
3
Eine am 13. März 2023 eingeholte EURODAC-Abfrage ergab keinen Treffer für Litauen, lediglich einen Treffer der Kategorie 1 für Deutschland mit dem Datum der Antragstellung und der Fingerabdrucknahme am selben Tag. Am 29. März 2023 stellte der Antragsteller einen förmlichen Asylantrag beim Bundesamt. Die dem vorgehende Einreise nach Deutschland erfolgte wohl am 21. Oktober 2022. Aus den Behördenakten ist ein am 24. Februar 2022 ausgestellter, bis 24. Februar 2024 befristeter litauischer Aufenthaltstitel mit der Nummer … ersichtlich (S. 117 f.).
4
Im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates und der persönlichen Anhörung zur Klärung der Zulässigkeit des Asylantrages am 29. März 2023 gab der Antragsteller an, dass er sein Herkunftsland Belarus erstmalig Ende Oktober 2021 verlassen habe. In die Bundesrepublik Deutschland sei er erstmalig am 22. oder 23. Oktober 2021 eingereist. Seine erste Route sei gewesen: Weißrussland – Litauen – Polen – Deutschland – Frankreich – Schweiz – Italien – Frankreich – Deutschland – Belgien – Frankreich – England – Frankreich – Belgien – Deutschland. Seine zweite Route sei gewesen: Deutschland – Belgien – Frankreich – England – Frankreich – Belgien – Deutschland. Diese habe er 40 Mal absolviert, da er LKW-Fahrer gewesen sei. Seine dritte Route sei Deutschland – Polen – Deutschland gewesen. Nach seiner ersten Einreise über Litauen habe er das Gebiet der Dublin-Mitgliedstaaten verlassen und sei in England gewesen, wofür er aber keine Nachweise vorlegen könne. Er sei aber nicht länger als drei Monate nach Verlassen des Heimatlandes und vor Einreise in das Bundesgebiet in einem sonstigen Drittstaat gewesen. Weiter gab er an, dass ihm von Belarus für Polen vor mehr als 5 Jahren, für Litauen am 24. Februar 2022 und für England vor mehr als 8 Monaten ein Aufenthaltsdokument bzw. Visum ausgestellt worden sei. Das Visum für England habe Gültigkeit bis Juli 2024, das für Litauen bis zum 24. Februar 2024.
5
Im Rahmen der Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags am 4. Mai 2023 äußerte der Antragsteller, dass ihm am 24. Februar 2022 ein Aufenthaltsdokument von der Ausländerbehörde in Vilnius, Litauen, erteilt worden sei, welches zwei Jahre gültig gewesen sei. Die Gültigkeit des Dokuments sei abhängig von einer festen Arbeitsstelle in Litauen gewesen. Vor etwa sechs Monaten sei er nach Litauen gekommen und habe als LKW-Fahrer gearbeitet. Am 15. März 2023 sei er in seinem Urlaub nach Deutschland gereist und habe seinen Vorgesetzten informiert, dass er nicht wieder zurückkommen würde. Seit Juni 2022 habe er eine Beziehung zu seiner Lebensgefährtin …, einer lettischen Staatsangehörigen, die in … lebe und seit etwa acht Jahren in Deutschland sei. In Litauen kenne er niemanden, er wolle in Deutschland bleiben. Krankheiten habe er keine.
6
Am 25. Mai 2023 richtete die Bundesrepublik Deutschland ein Aufnahmegesuch nach Art. 12 Abs. 1 oder Abs. 3 Dublin III-VO betreffend den Antragsteller an die Republik Litauen. Die litauischen Behörden haben das Aufnahmegesuch am 31. Mai 2023 auf Basis des Art. 12 Abs. 1 Dublin III-VO akzeptiert. Dem Antragsteller sei ein litauischer Aufenthaltstitel, gültig bis 24. Februar 2024, ausgestellt worden.
7
Am 26. Juni und 6. Juli 2023 schrieb der Antragsteller an das Bundesamt, dieses möge prüfen, ob er vom Status eines Asylbewerbers in den Status eines Arbeitssuchenden mit Migrationshintergrund wechseln könne. Er habe einen befristeten Arbeitsvertrag (1. September 2023 bis 1. September 2024) mit der … abgeschlossen.
8
Mit Bescheid vom 14. Juli 2023, dem Antragsteller zugegangen am 22. Juli 2023, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung nach Litauen an (Ziffer 3) sowie ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG und befristete dieses auf zwölf Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig sei, da Litauen auf Grund des ausgestellten Aufenthaltstitels gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrages zuständig sei. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung, insbesondere zu den Abschiebungsverboten, wird auf die Ausführungen des Bundesamtes im Bescheid vom 14. Juli 2023 Bezug genommen. Die Rechtsbehelfsbelehrungnannte das Verwaltungsgericht Würzburg als zuständiges Gericht.
9
Am 27. Juli 2023 ließ der Antragsteller über seinen Bevollmächtigten Klage gegen den Bescheid vom 14. Juli 2023 zunächst zum Verwaltungsgericht Würzburg erheben (W 7 K 23.50318) und beantragte gleichzeitig,
die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsanordnung des Bundesamtes vom 14. Juli 2023 anzuordnen.
10
Nach Anhörung der Beteiligten zu einer möglichen örtlichen Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Ansbach verwies das Verwaltungsgericht Würzburg Klage- und Eilverfahren mit unanfechtbarem Beschluss vom 2. August 2023 an das Verwaltungsgericht Ansbach.
11
Zur Begründung lässt der Antragsteller ausführen, dass Litauen nicht nach Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO für den Antragsteller zuständig sei, da die Aufenthaltserlaubnis mit Bescheid vom 15. Juni 2023 annulliert worden sei. Die Zuständigkeit sei nach Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 und 3 Dublin III-VO auf die Beklagte übergegangen, weil das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für den Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 Grundrechte-Charta mit sich bringen. Im Einzelnen wird auf einen Beschluss des VG München vom 30. März 2023 – M 19 S 23.50135 und einen Beschluss des VG Weimar vom 10. März 2023 – 7 E 242/23 verwiesen. Mit Schriftsatz vom 9. August 2023 übersandte der Antragstellerbevollmächtigte eine deutsche Übersetzung eines litauischen Widerrufsbescheids vom 15. Juni 2023. Darin ist zu lesen, dass der bis zum 24. Februar 2024 gültige Aufenthaltstitel des Antragstellers widerrufen werde, da der Arbeitsvertrag mit dem Antragsteller durch die … am 1. März 2023 gekündigt worden sei. Für die weitere Begründung wird auf das übersandte Dokument verwiesen.
12
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
13
Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
14
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten des erhobenen Eilverfahrens sowie des Klageverfahrens AN 18 K 23.50502 Bezug genommen.
II.
15
Der Antrag mit dem Ziel der gerichtlichen Anordnung der aufschiebenden Wirkung der in dem Hauptsacheverfahren AN 18 K 23.50502 erhobenen Klage gegen die in Ziffer 3 des Bescheids vom 14. Juli 2023 getroffene Abschiebungsanordnung nach Litauen, zu dessen Entscheidung nach § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG der Einzelrichter berufen ist, ist zulässig, aber unbegründet.
16
1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig.
17
Er ist insbesondere statthaft, weil der Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsanordnung kraft bundesgesetzlicher Regelung keine aufschiebende Wirkung zukommt, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG. Der Antrag wurde zudem innerhalb der einwöchigen Antragsfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG gestellt, auch wenn dieser zunächst beim örtlich unzuständigen, jedoch in der Rechtsbehelfsbelehrunggenannten Verwaltungsgericht Würzburg eingereicht wurde (hierzu Seeger in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 42. Ed. 1.7.2024, § 74 AsylG Rn. 2).
18
2. In der Sache ist der Antrag jedoch unbegründet.
19
Das Gericht kann gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Es hat dabei eine eigenständige und originäre Interessenabwägung zwischen dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin und dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers zu treffen.
20
Im Rahmen dieser gerichtlichen Ermessensentscheidung sind insbesondere die – nach dem Wesen des Eilverfahrens nur summarisch zu prüfenden – Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, B.v. 6.7.1994 – 1 VR 10.93 – juris Rn. 4). Ergibt die im Rahmen des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der zugrundeliegende Bescheid hingegen als rechtswidrig und das Hauptsacheverfahren damit voraussichtlich als erfolgreich, ist das Interesse an der sofortigen Vollziehung regelmäßig zu verneinen. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens hingegen offen, kommt es zu einer allgemeinen Abwägung der widerstreitenden Interessen.
21
Unter Heranziehung dieser Grundsätze fällt die vorliegend zu treffende Interessenabwägung zugunsten des Vollzugsinteresses der Antragsgegnerin aus, weil die im vorliegenden Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene, aber auch ausreichende summarische Prüfung ergibt, dass die Klage gegen den Bescheid des Bundesamts vom 14. Juli 2023 unter dem gerichtlichen Aktenzeichen AN 18 K 23.50502 voraussichtlich erfolglos bleiben wird. Denn die in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids getroffene Abschiebungsanordnung nach Litauen erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) als rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in eigenen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
22
a) Rechtsgrundlage für die Anordnung der Abschiebung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann, eine entsprechende Abschiebung somit nicht rechtlich unzulässig oder tatsächlich unmöglich ist. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht, § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylG. Die vorliegend ergangene Abschiebungsanordnung wird diesen Anforderungen gerecht.
23
b) Die Antragsgegnerin ist im Ergebnis zutreffend von einer Zuständigkeit Litauens für die Bearbeitung des Asylgesuchs des Antragstellers ausgegangen. Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des jeweils zuständigen Staates ist die Dublin III-VO. Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO wird der Antrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Gemäß Art. 7 Abs. 1 Dublin III-VO finden die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats in der in dem Kapitel III der Dublin III-VO genannten Rangfolge Anwendung. Anhaltspunkte für eine vorrangige eigene Zuständigkeit der Antragsgegnerin für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers gemäß Art. 8 bis 11 Dublin III-VO liegen nicht vor.
24
Die Zuständigkeit Litauens ergibt sich aus Art. 12 Abs. 1 Dublin III-VO. Der Antragsteller besaß ausweislich seiner eigenen Angaben vor dem Bundesamt, der Behördenakte (S. 117 f.) und schließlich der Annahmeerklärung Litauens auf Basis des Art. 12 Abs. 1 Dublin III-VO einen durch die Republik Litauen am 24. Februar 2022 ausgestellten, ursprünglich bis 24. Februar 2024 befristeten Aufenthaltstitel mit der Nummer … (zur Beweis-/Indizieneigenschaft der genannten Belege s. VO (EG) Nr. 1560/2003, Anhang II, Verzeichnis A Beweise, I. Nr. 4 und Verzeichnis B Indizien, I Nr. 4). Zwar hat der Antragstellerbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 9. August 2023 einen ins Deutsche übersetzten Widerrufsbescheid der litauischen Behörden vom 15. Juni 2023 übersandt, aus dem hervorgeht, dass der genannte Aufenthaltstitel widerrufen werde, da der Arbeitsvertrag mit der betroffenen Person mit der … am 1. März 2023 gekündigt worden sei. Darauf kommt es jedoch nicht an, da im Rahmen des Art. 12 Dublin III-VO und bei der Differenzierung, ob Art. 12 Abs. 1 Dublin III-VO direkt oder bei einem weniger als zwei Jahre abgelaufenen Titel vermittelt über Art. 12 Abs. 4 UAbs. 1 Dublin III-VO Anwendung findet, gemäß Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO der Zeitpunkt der ersten Antragstellung auf internationalen Schutz in einem Mitgliedstaat entscheidend ist (Thomann in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 19. Ed 1.7.2024, Art. 12 Dublin III-VO Rn. 11). Dies ist nach der Rechtsprechung der Europäischen Gerichtshofs (U.v. 26.7.2017 – C-670/16 – juris Rn. 75 ff.) die hier am 13. März 2023 erfolgte erstmalige schriftliche Kenntniserlangung der Antragsgegnerin von dem Asylgesuch des Antragstellers (und nicht die förmliche Asylantragstellung nach dem AsylG). Zu diesem Zeitpunkt war der litauische Aufenthaltstitel noch gültig. Und selbst wenn man dem Antragstellerbevollmächtigten folgen würde, fände Art. 12 Abs. 1 Dublin III-VO über Art. 12 Abs. 4 UAbs. 1 Dublin III-VO Anwendung.
25
Schließlich hat die Antragsgegnerin ihr Aufnahmegesuch an die litauischen Behörden vom 25. Mai 2023 innerhalb der dreimonatigen Frist des Art. 21 Abs. 1 UAbs. 1 Dublin III-VO an Litauen übermittelt und Litauen dieses am 31. Mai 2023 im Rahmen der Frist des Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO angenommen. Ein Übergang der Zuständigkeit nach Art. 21 Abs. 1 UAbs. 3 Dublin III-VO auf die Antragsgegnerin ist damit nicht erfolgt.
26
c) Der Zuständigkeit Litauens stehen auch nicht Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin III-VO entgegen.
27
Nach dieser Norm ist ein Mitgliedstaat, in dem ein Drittstaatsangehöriger einen Schutzantrag gestellt hat, dazu verpflichtet, die Zuständigkeitsprüfung fortzusetzen, wenn es sich als unmöglich erweist, den Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in dem zunächst zuständigen Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh mit sich bringen. Kann unter diesen Voraussetzungen an keinen anderen zuständigen Mitgliedstaat überstellt werden, wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
28
Das litauische Asylverfahren und die dortigen Aufnahmebedingungen weisen keine systemischen Schwachstellen auf, die für den Antragsteller die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK mit sich brächten.
29
Nach dem System der normativen Vergewisserung (siehe dazu BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 – juris Rn. 181 ff.) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (siehe dazu EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 u. C-493/10 – juris Rn. 75 ff.; U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 80 ff.) gilt die Vermutung, dass die Behandlung von Asylbewerbern in jedem Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entspricht. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine unwiderlegliche Vermutung; vielmehr obliegt es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Antragsteller nicht an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, wenn das dortige Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber systemische Mängel aufweisen, die regelhaft so defizitär sind, dass sie im konkreten Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK bergen (EuGH, U.v. 21.12.2011 – N.S., C-411/10, C-493/10 – NVwZ 2012, 417; BVerwG, U.v. 8.1.2019 – 1 C 16/18 – juris Rn. 37). Ein systemischer Mangel liegt jedoch nur dann vor, wenn er im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt ist oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägt. Derlei Mängel treffen den Einzelnen nicht unvorhersehbar oder schicksalshaft, sondern lassen sich wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren (BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6/14 – juris Rn. 9).
30
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist bei der Prüfung, ob eine Überstellung im Rahmen des Dublin-Verfahrens in den an sich zuständigen Mitgliedstaat die Gefahr einer gegen Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung birgt, aber nicht nur in den Blick zu nehmen, ob diese Gefahr im Rahmen des Asylverfahrens droht, sondern auch, ob nach einer etwaigen Anerkennung als Asylberechtigter eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu befürchten ist (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 87 ff.).
31
An die Feststellung systemischer Mängel sind hohe Anforderungen zu stellen. So fallen Schwachstellen nur dann unter Art. 4 GRCh, der Art. 3 EMRK entspricht und nach Art. 52 Abs. 3 GRCh die gleiche Bedeutung und Tragweite hat, wie sie ihm in der genannten Konvention verliehen wird, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falls abhängt. Dies wird erst dann anzunehmen sein, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden („Bett, Brot und Seife“), und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 91 f.; s.a. BayVGH, U.v. 11. Juli 2024 – 24 B 24.50010 – Rn. 21).
32
Bei Anlegung dieses Maßstabs ergeben sich mit Blick auf das dem Gericht gegenwärtig vorliegende Erkenntnismaterial keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, dass dem Antragsteller bei einer Überstellung nach Litauen wegen dort bestehender systemischer Schwachstellen im Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen oder im Falle einer etwaigen Anerkennung als international Schutzberechtigter eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh drohen würde. Es wird insoweit gemäß § 77 Abs. 3 AsylG auf die Gründe des Bescheids vom 14. Juli 2023 Bezug genommen, welcher sich in vertiefter Weise mit dem Nichtvorliegen systemischer Mängel im litauischen Asylverfahren auseinandersetzt. Ergänzend wird auch im Hinblick auf die sich zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ergebende aktuelle Auskunftslage für Litauen wie folgt ausgeführt:
33
aa) In Litauen existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit. Dublin-Rückkehrer haben die Möglichkeit, einen neuen Asylantrag zu stellen oder ein bereits bestehendes Verfahren fortzusetzen. Ein (neuer) Asylantrag ist zu stellen, wenn ein Rückkehrer noch keinen Asylantrag in Litauen gestellt hat, das Verfahren zu einem früheren Antrag eingestellt wurde oder zu einem früheren Antrag bereits eine endgültige Entscheidung ergangen ist. Hingegen kann das Verfahren eines Dublin-Rückkehrers fortgesetzt werden, wenn die Prüfung des Antrags für weniger als neun Monate ausgesetzt und somit noch nicht eingestellt wurde oder die Entscheidung über den früheren Antrag noch nicht rechtskräftig ist. Bei Rückführung aus einem anderen Mitgliedstaat und Asylantragstellung am Flughafen erheben die Grenzschutzbeamten, welche die Erstbefragung durchführen, auch Daten über eine etwaige Vulnerabilität der Person. Vulnerable Antragsteller sind ihren Bedürfnissen entsprechend unterzubringen. Asylbewerber haben in Litauen unter anderem Anspruch auf materielle Aufnahmebedingungen (Unterkunft, Verpflegung und Kleidung), wenn sie sich in den zugewiesenen Unterkünften, Gewahrsamseinrichtungen usw. aufhalten, die Inanspruchnahme von staatlich garantierter Prozesskostenhilfe, kostenlose Inanspruchnahme der Dienste eines Dolmetschers und das Recht auf Arbeit, wenn die Migrationsbehörde ohne Verschulden des Asylbewerbers nicht innerhalb von sechs Monaten nach Einreichung des Asylantrags eine Entscheidung im Asylverfahren getroffen hat. In Litauen gibt es verschiedene Arten von Unterbringungseinrichtungen. Es bestehen drei Registrierungszentren für Ausländer (Pabrade, Medininkai und Kybartai), ein Aufnahmezentrum für Flüchtlinge (Rukla), wobei es sich grundsätzlich um eine Einrichtung für Schutzberechtigte handelt, ein weiteres Zentrum für Asylbewerber in Vilnius, das formell Teil des Zentrums in Rukla ist, sowie alternative und vorübergehende Unterkünfte, welche bereitgestellt werden, wenn in den Ausländerregistrierungszentren keine Plätze verfügbar sind. Die drei Registrierungszentren in Pabrade, Medininkai und Kybartai sind nach älterer Quellenlage geschlossene Zentren gewesen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Litauen, Gesamtaktualisierung am 9.9.2022, S. 10 [im Folgenden: BFA Österreich]). Nach neueren Erkenntnissen wird zumindest die Bewegungsfreiheit von Dublin-Rückkehrern grundsätzlich nicht eingeschränkt, wobei es in Litauen unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit der Ingewahrsamnahme gibt, nämlich zur Feststellung/Überprüfung der Identität, bei Gefahr der Flucht zur Verhinderung der Rückführung, gemäß Art. 28 Dublin III-VO und bei Gefahr für die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Karlsruhe vom 18.9.2024 zu A 19 K 470/23, S. 3 f.). Seit Oktober 2021 sind in Litauen alle Zeltlager abgebaut, in denen ca. 4.000 illegal aus Belarus angekommene Migranten unter anderem untergebracht wurden und die Betreffenden auf die genannten Zentren aufgeteilt. Asylbewerber haben das Recht auf kostenlose notwendige Gesundheits- und psychologische Versorgung sowie soziale Dienste in einem Registrierungs- oder Unterbringungszentrum. Während eines Aufenthalts in einer Unterkunft, die von den litauischen Behörden zur Verfügung gestellt wird, hat ein Asylbewerber das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung im Zentrum. NGOs berichten, dass Flüchtende aufgrund der Sprachbarriere Probleme beim Zugang zu medizinischen und psychologischen Beratungsdiensten haben. Asylsuchende sind in das nationale Impfprogramm einbezogen und haben bzw. hatten auf Anfrage Anspruch auf die kostenlose COVID-19-Impfung inklusive Auffrischung (zum Ganzen BFA Österreich, S. 5 ff.; European Union Agency of Asylum (EUAA), Information on procedural elements and rights of applicants subject to a Dublin transfer to Lithuania, 12.4.2023, S. 2 ff.).
34
bb) Bei Schutzgewährung beginnt die Integration im Unterbringungszentrum mit der Unterzeichnung des Vertrags zwischen dem Zentrum und dem Asylberechtigten über die Integrationsunterstützung und wird im Anschluss auf dem Gebiet der Wohnsitzgemeinde fortgesetzt. Diese kann nur einmal beantragt und muss vollständig in Anspruch genommen werden. Die Integrationsunterstützung im Zentrum läuft für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten – einmal werden auch bis zu 8 Monate erwähnt – ab Unterzeichnung des Integrationsvertrages (sogenannte erste Integrationsphase). Vulnerable und unbegleitete Minderjährige können auch länger im Zentrum bleiben. Die Asylberechtigten erhalten im Zentrum Unterstützungsleistungen für die Integration durch kostenlosen Aufenthalt, psychologische Betreuung, die notwendigsten Sozial-, Gesundheits- und Rechtsdienstleistungen, Intensivkurse für Erwachsene in litauischer Sprache und litauischer Kultur, Bewertung der beruflichen Fähigkeiten und persönlichen Qualitäten, Bereitstellung von Arbeitsmarktdienstleistungen und Durchführung aktiver arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen. Es gibt monatliche Zuschüsse für Verpflegung und Taschengeld. In der sogenannten Zweiten Integrationsphase tritt an die Stelle der Integrationsförderung im Zentrum die Integrationsförderung auf dem Gebiet einer Gemeinde. Sie dauert bis zu zwölf Monate ab dem Zeitpunkt des Auszugs des Asylberechtigten aus dem Zentrum. Für Vulnerable kann dieser Zeitraum verlängert werden. In der Gemeinde umfasst die Unterstützung unter anderem Sprachtraining, die Anmietung einer Unterkunft, Betriebskosten, Krankenversicherung und Schulbeihilfe für Kinder. Derzeit bieten zwei NGOs (Caritas und Litauisches Rotes Kreuz) Unterstützung bei der Integration von Asylbewerbern in den Gemeinden an und leisten Hilfe bei der Anmietung von Wohnungen, Auszahlung von Geldleistungen, Litauisch-Sprachkursen, Organisation von Kinderbetreuung bzw. Schulbesuch, allgemeiner Beratung und Arbeitssuche. Während der Zweiten Integrationsphase erhalten die Asylberechtigten eine monatliche Geldleistung zur Deckung der Grundbedürfnisse (Wohnungsmiete, Nebenkosten, Lebensmittel, Transport). Medizinische Versorgung wird von der medizinischen Station des Zentrums gewährleistet. Psychologische Versorgung bietet der psychologische Dienst im Zentrum. Wenn nötig werden Patienten an Spezialisten überwiesen. Die Kosten für medizinische Leistungen im Zentrum bzw. außerhalb (wenn eine Überweisung vorliegt) übernimmt das Zentrum. Schutzberechtigte sind eine der Personengruppen, für die der litauische Staat die obligatorische Krankenversicherung übernimmt (zum Ganzen BFA Österreich, S. 12 ff.). Die Sozialhilfe für Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte ist eigens geregelt und wird auf der Grundlage der allgemeinen Sozialhilfe berechnet (vgl. Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages – Sozialleistungen für Asylsuchende und Flüchtlinge in ausgewählten EU-Mitgliedstatten, 8.7.2016).
35
cc) Nach alledem bestehen keine Anhaltspunkte, dass dem Antragsteller als 38-jährigem, gesunden Mann bei einer Überstellung nach Litauen wegen dort bestehender systemischer Schwachstellen im Asylverfahren, in den Aufnahmebedingungen oder im Falle einer etwaigen Anerkennung als international Schutzberechtigter eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohen würde.
36
Diese Annahme steht mit der Rechtsprechung der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. aus neuerer Zeit etwa: VG Gelsenkirchen, B.v. 7.12.2023 – 2a L 1936/23.A – juris; VG Bremen, B.v. 28.11.2023 – 1 V 2468/23 – juris; VG Düsseldorf, U.v. 14.8.2023 – 22 K 6910/22.A – juris; VG Berlin, B.v. 19.4.2023 – 22 L 80/23 A – juris; VG Aachen, U.v. 30.3.2023 – 1 K 2645/19.A – juris; VG Freiburg, U.v. 17.1.2023 – A 13 K 1760/22 – juris; VG Trier, B.v. 30.12.2022 – 7 L 3452/22.TR – juris; VG Augsburg, B.v. 12.12.2022 – Au 9 S 22.50372 – juris; VG Greifswald, B.v. 27.10.2022 – 6 B 1625/22 HGW – juris; VG Regensburg, U.v. 26.10.2022 – RN 15 K 22.50329 – juris; VG Würzburg, U.v. 12.10.2022 – W 1 K 22.50269 – juris; VG Münster, B.v. 12.9.2022 – 2 L 694/22.A – juris) sowie der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Ansbach (VG Ansbach, B.v. 5.11.2024 – AN 18 S 23.50588 – n.v.; U.v. 19.12.2019 – AN 18 K 18.50471 – juris Rn. 27 f.; B.v. 7.5.2019 – AN 18 S 18.50925 – juris Rn. 27 f.; B.v. 11.4.2018 – AN 14 S 18.50048 – juris Rn. 20 ff.; B.v. 30.10.2017 – AN 14 S 17.51092 – juris Rn. 20 f.) in Einklang.
37
Auch im Einzelfall des Antragstellers ergibt sich auf Basis einer Gesamtwürdigung aller Erkenntnismittel sowie der individuellen Umstände des Antragstellers und seines Vortrags nichts Anderes. Der Antragsteller hat keine Belange substantiiert vorgetragen, die systemische Mängel in Litauen aufzeigen. So ist den vorliegenden aktuellen Erkenntnissen insbesondere nicht zu entnehmen, dass der Zugang zum Asylverfahren für Schutzsuchende, die im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Litauen überstellt werden, eingeschränkt wäre. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass der litauische Gesetzgeber wegen des Massenzustroms von Flüchtlingen über die belarussisch-litauische Grenze im Juli bzw. August 2021 ein Gesetzespaket zur Änderung des Asylverfahrens verabschiedet hat, das die Rechte von Asylsuchenden erheblich beschnitt (BFA Österreich, S. 5 ff.). So sah Art. 140 Abs. 1, Abs. 2 LitAuslG im Falle der Ausrufung einer Notlage wegen eines massiven Zustroms von Ausländern vor, dass der Asylantrag eines illegal in Litauen eingereisten Ausländers unzulässig ist und deswegen von den litauischen Behörden gar nicht erst entgegengenommen wird. Ausnahmen sah das Gesetz nur für vulnerable Personen oder bei individuellen Besonderheiten vor. Diese Vorschriften sind – ungeachtet der Tatsache, dass diese auf den Antragsteller ohnehin keine Anwendung finden würden, da eine nach Maßgabe der Art. 29 ff. Dublin III-VO erfolgte Überstellung wohl als legale Einreise zu werten wäre, so dass der Antragsteller schon nicht als illegal eingereister Ausländer gelten würde (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Karlsruhe vom 18.9.2024 zu A 19 K 470/23, S. 2; VG Berlin, B.v. 19.4.2023 – 22 L 80/23 A – juris Rn. 14) – mittlerweile außer Kraft getreten. Nachdem der Europäische Gerichtshof in einem Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Verwaltungsgerichts von Litauen die Unvereinbarkeit der Notstandsregelungen des litauischen Ausländergesetzes mit europäischem Recht festgestellt hatte (vgl. EuGH, U.v. 30.6.2022 – C-72/22 – juris Rn. 46 ff.), regelt mittlerweile das Änderungsgesetz Nr. XIV-1889 vom 20. April 2023, in Kraft getreten am 3. Mai 2023, die Asylantragstellung unabhängig davon, ob ein Ausländer legal oder illegal nach Litauen eingereist ist (VG Berlin, B.v. 19.4.2023 – 22 L 80/23 A – juris Rn. 13; VG Düsseldorf, U.v. 14.8.2023 – 22 K 6910/22.A – juris Rn. 84). Auch ist die letzte Verlängerung der Notstandslage am 3. Mai 2023 ausgelaufen und seitdem nicht weiter verlängert worden (vgl. VG Bremen, B.v. 28.11.2023 – 1 V 2468/23 – juris Rn. 27; VG Düsseldorf, U.v. 14.8.2023 – 22 K 6910/22.A – juris Rn. 91). Nicht zuletzt aufgrund des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens kann somit davon ausgegangen werden, dass die Notstandsregelungen von den Behörden nicht weiter angewandt werden bzw., falls dies doch geschehen sollte, ein Antragsteller jedenfalls erfolgreich um gerichtlichen Rechtsschutz nachsuchen kann. Dass das System des gerichtlichen Rechtsschutzes in Litauen insoweit einwandfrei funktioniert, zeigt allein die Vorlage der Notstandsregelungen durch das Oberste Verwaltungsgericht von Litauen an den EuGH mit dem Antrag, im Eilverfahren hierüber zu entscheiden (vgl. VG Düsseldorf, B.v. 26.8.2022 – 29 L 1620/22.A – juris Rn. 43 ff.; so auch VG Bremen, B.v. 28.11.2023 – 1 V 2468/23 – juris Rn. 34; VG Düsseldorf, U.v. 14.8.2023 – 22 K 6910/22.A – juris Rn. 113). Es ist dem Antragsteller auch zumutbar, ggf. die nach dem litauischen Rechtssystem vorgesehenen Rechtsbehelfe zu ergreifen, um seine Ansprüche durchzusetzen.
38
Auch ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller im Fall einer Überstellung nach Litauen von sogenannten „Pushbacks“, pauschalen Zurückschiebungen an den Außengrenzen, betroffen sein könnte. Zwar verabschiedete das Parlament im Mai 2023 Gesetzesänderungen, die die Befugnis von Grenzschützern enthielten, „Pushbacks“ durchzuführen (Amnesty Report, Litauen 2023, 24.4.2024, S. 2; United States Department of State, 2024 Trafficking in persons report Lithuania, 25.6.2024, S. 5). Allerdings ist bei der Beurteilung der Frage, ob der Antragsteller Gefahr läuft, einer gegen Art. 4 GRCh verstoßenden Behandlung ausgesetzt zu sein, die Situation zu berücksichtigen, in der sich der betreffende Antragsteller bei der Überstellung oder nach der Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat zu befinden droht (so hinsichtlich drohender „Pushbacks“ an der Grenze zwischen Polen und Belarus EuGH, U.v. 29.2.2024 – C-392/22 – juris Rn. 62 ff.). Da eine nach Maßgabe der Art. 29 ff. Dublin III-VO erfolgende Überstellung als legale Einreise zu werten sein dürfte, gilt der Antragsteller demnach schon nicht als illegal eingereister Ausländer (s.o.). Bereits vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderungen im Mai 2023 waren den Erkenntnismitteln keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass auch Asylantragsteller, die sich bereits im Landesinneren befinden oder Dublin-Rückkehrer unter Verweis auf eine ursprünglich illegale Einreise über die belarussisch-litauische Grenze nach Belarus zurückgedrängt werden könnten oder ohne inhaltliche Prüfung ihrer Asyl(-folge) anträge in ihr Herkunftsland abgeschoben werden. Es bestehen insoweit auch keine Anhaltspunkte, dass sich dies geändert hat (vgl. zum Ganzen VG Cottbus, B.v. 15.6.2023 – 5 L 109/23.A – juris Rn. 21; VG Freiburg, U.v. 17.1.2023 – A 13 K 1760/22 – juris Rn. 29; VG Düsseldorf, U.v. 14.8.2023 – 22 K 6910/22.A – juris Rn. 94 ff.).
39
Schließlich ist, insbesondere nach Beendigung des ausgerufenen Notstandes, nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Antragsteller als Dublin-Rückkehrer inhaftiert oder in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht würde (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Karlsruhe vom 18.9.2024 zu A 19 K 470/23, S. 1 ff.; VG Freiburg, U.v. 17.1.2023 – A 13 K 1760/22 – juris Rn. 30).
40
d) Individuelle, außergewöhnliche Gründe im Sinne des Art. 16 Dublin III-VO oder Umstände, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO durch die Bundesrepublik Deutschland notwendig machen könnten, sind weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich. Insbesondere genügt alleine die Tatsache, dass der Antragsteller angegeben hat, mit der lettischen Staatsangehörigen Frau …, die seit 8 Jahren in Deutschland sei und in … lebe, eine Lebensgefährtin in Deutschland zu haben, nicht.
41
e) Schließlich stehen einer Abschiebung weder inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die das Bundesamt im Rahmen der Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG – „sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann“ – zu prüfen hat, noch zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG entgegen.
42
aa) Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse sind bei summarischer Prüfung nicht zu ersehen. Es sind nicht in substantiierter Weise Umstände vorgetragen oder ersichtlich, aus denen eine rechtliche oder tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung nach Litauen i.S.d. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG resultieren könnte. Alleine die seitens des Antragstellers vorgetragene, seit Juni 2022 bestehende Beziehung mit seiner Lebensgefährtin Frau … kommt nicht in die Nähe einer rechtlichen Unmöglichkeit der Abschiebung.
43
Soweit der Antragsteller angegeben hat, einen vom 1. September 2023 bis 1. September 2024 befristeten Arbeitsvertrag mit der … abgeschlossen zu haben, genügt dies nicht für die Erfüllung der Voraussetzungen einer Beschäftigungsduldung nach § 60d AufenthG. Es fehlt schon, wenn man überhaupt annehmen will, dass der Antragsteller gemäß § 60d Abs. 1 AufenthG bis 31. Dezember 2022 in das Bundesgebiet eingereist ist, an der Voraussetzung des § 60d Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, dass der Antragsteller seit mindestens 12 Monaten im Besitz einer Duldung ist. Der Antragsteller war und ist lediglich im Besitz einer Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylG, die aber keine Duldung im Rechtssinn darstellt (VGH Mannheim, B.v. 14.1.2020 – 11 S 2956/19 – juris Rn. 13; Röder in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 19. Ed. 1.7.2024, § 60d AufenthG Rn. 49). Überdies ist wegen des ausgelaufenen Arbeitsvertrages § 60d Abs. 1 Nr. 5 AufenthG nicht erfüllt.
44
bb) Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK kommt ebenfalls nicht in Betracht. Wie bereits erörtert, besteht für den Antragsteller bei einer Abschiebung nach Litauen insbesondere mit Blick auf die dortigen Lebensumstände für Asylsuchende bzw. anerkannte Schutzberechtigte nicht die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung.
45
cc) Für ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist nichts ersichtlich oder vorgetragen.
46
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
47
4. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung ist abzulehnen.
48
Die Rechtsverfolgung bietet – wie oben dargelegt – keine hinreichenden Erfolgsaussichten (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
49
5. Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.