Titel:
Steuerliche Zuordnung von Wirtschaftsgütern im Rahmen eines Schneeballsystems
Normenketten:
KStG § 8 Abs. 3 S. 3, § 8b Abs. 1 S. 1, Abs. 2, Abs. 3 S. 3
EStG § 20 Abs. 1
InsO § 134, § 143 Abs. 1
HGB § 252 Abs. 1 Nr. 4
Leitsätze:
1. § 8b Abs. 2 und 3 KStG erfassen neben Anteilen an inländischen auch solche an ausländischen Körperschaften. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. § 8b Abs. 3 S. 3 KStG soll neben den Gewinnminderungen durch den Ansatz eines niedrigeren Teilwerts oder durch die Veräußerung des Anteils alle substanzbezogenen Gewinnminderungen erfassen, welche im Zusammenhang mit den von § 8b Abs. 2 KStG erfassten Anteilen stehen. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Abzugsverbot nach § 8b Abs. 3 S. 3 KStG betrifft nur substanzbedingte Gewinnminderungen im Zusammenhang mit tatsächlich beim Steuerpflichtigen vorhandenen Anteilen iSd § 8b Abs. 2 KStG. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
4. Beruht ein Geldanlagemodell auf der Verschleierung der tatsächlich vorhandenen Vermögenswerte und der Erfüllung von Auszahlungsansprüchen durch neu eingeworbene Einlagen, kann nicht davon ausgegangen werden, dass tatsächlich vorhandene Unternehmensbeteiligungen treuhänderisch für einzelne Anleger gehalten wurden. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
5. Eine steuerverschärfende Analogie zu Lasten eines Steuerpflichtigen ist nicht möglich, wenn die Vorschrift den Anspruch des Gesetzgebers erkennen lässt, durch eine rechtspolitische Entscheidung den Umfang der Besteuerung abschließend zu regeln. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
6. Auch Scheinrenditen können zu steuerbaren Einnahmen führen. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
7. Negative Einnahmen, die eine Rückzahlung von bezogenen Aktienveräußerungsgewinnen darstellen, fallen unter § 8b Abs. 2 KStG. (Rn. 47 – 54) (redaktioneller Leitsatz)
8. Der aus der Anfechtung von Ausschüttungen im Rahmen eines Schneeballsystems resultierende Rückgewähranspruch eines Insolvenzverwalters erstreckt sich mangels Unentgeltlichkeit nicht auf Auszahlungen, mit denen vom Anleger erbrachte Einlagen zurückgewährt worden sind. (Rn. 59) (redaktioneller Leitsatz)
9. Nach dem vorliegend geltenden handelsrechtlichen Vorsichtsprinzip aus § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB ist es im Allgemeinen ausgeschlossen, eine bestrittene Forderung schon in dem Augenblick ganz oder teilweise zu aktivieren, in dem der Gläubiger ein obsiegendes, aber nicht rechtskräftiges Urteil erstritten hat. (Rn. 70) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schneeballsystem, Rückzahlungen von Scheinrenditen an den Insolvenzverwalter, Anwendbarkeit des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG, steuerlichen Zuordnung von Wirtschaftsgütern im Rahmen eines Schneeballsystems, Insolvenzanfechtung, Kapitalanleger, Abgeltungsvereinbarung, Rückzahlungsverpflichtung, außerbilanzielle Hinzurechnung, Veräußerungsgewinne, negative Einnahmen, Vorsichtsprinzip
Fundstellen:
BeckRS 2024, 40755
FDInsR 2025, 940755
Tenor
1. Die Bescheide i.S. Körperschaftsteuer 2016 vom 4. Juni 2019 sowie Gewerbesteuermessbetrag 2016 vom 14. August 2018 sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 4. Januar 2022 werden mit der Maßgabe geändert, dass anstelle einer außerbilanziellen Hinzurechnung i.H.v. 350.000 € wegen Gewinnminderung i.S.d. § 8b Abs. 3 Körperschaftsteuergesetz (KStG) lediglich eine außerbilanzielle Hinzurechnung i.H.v. 152.950 € erfolgt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Berechnung der festzusetzenden Körperschaftsteuer 2016 und des Gewerbesteuermessbetrags 2016 wird dem Finanzamt übertragen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin zu 3/10, der Beklagte zu 7/10.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Rückzahlung von Auszahlungen aus einem Schneeballsystem an den Insolvenzverwalter über das Vermögen des Betreibers dieses Systems der außerbilanziellen Hinzurechnung unterliegt.
2
Die Klägerin ist eine Kapitalgesellschaft in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Sie ist durch formwechselnde Umwandlung aus der … Aktiengesellschaft (AG) entstanden und beim Amtsgericht … im Handelsregister eingetragen. Gegenstand des Unternehmens ist die … Im Streitjahr 2016 war lt. Körperschaftsteuererklärung bis … August 2016 die … GmbH Alleingesellschafterin der Klägerin, ab … September 2016 die … GmbH.
3
Bei der Klägerin fand für die Jahre 2012 bis 2014 eine Außenprüfung statt. Im Prüfungsbericht vom … März 2017 wurde festgestellt, dass der Klägerin im Zusammenhang mit einem Schneeballsystem Gewinne aus der Veräußerung von Aktien (…) i.H.v. 171.562 € zuzurechnen seien. Diese Gewinne wurden aufgrund der Feststellungen der Außenprüfung im Veranlagungszeitraum 2013 nach Maßgabe des § 8b Abs. 2 und 3 Körperschaftsteuergesetz (KStG) steuerfrei gestellt.
4
Die Klägerin hatte sich unter Zwischenschaltung eines Versicherungsmaklers im Jahr 2011 mit einer Vermögenseinlage an einem vermeintlich hoch rentablen Geldanlagemodell der Firma … (A), das als Schneeballsystem angelegt war, beteiligt. Inhaber der Firma war der Einzelunternehmer … (B). Den Kapitalanlegern sollte dabei u.a. der Eindruck vermittelt werden, Mitarbeiteraktien von Großunternehmen zu billigeren Einkaufspreisen zu erhalten. Aufgrund ihrer Eigenschaft als Mitarbeiteraktien sollten diese Wertpapiere besonders günstig in der Anschaffung sein und deshalb die Renditen entsprechend hoch ausfallen.
5
Der Klägerin wurde suggeriert, bei der Firma A ein Depot zu eröffnen. Die Depoteröffnung bei A erfolgte auf den Namen des damaligen Geschäftsführers der Klägerin (…). Jedoch wurde handschriftlich ergänzt, dass das Depot auf die Klägerin lauten solle. Mit dem Auftrag zur Depoteröffnung wurde gleichzeitig eine Order zum Aktienerwerb (6.000 Stück … AG, 1.700 Stück … AG) im Volumen von 262.900 € erteilt. A bestätigte mit Schreiben vom 20. Dezember 2011 gegenüber der Klägerin die Ausführung der Order. Gleichzeitig wurden ein Kaufbeleg sowie ein Depotauszug der … Bank, der keinen Depotinhaber aufwies, aber handschriftlich der Klägerin zugeordnet wurde, vorgelegt. Im Mai 2012 erfolgte ein weiterer Aktienkauf i.H.v. 23.000 € (1.000 Stück …-Aktien). Das vermeintliche Depot existierte jedoch ebenso wenig wie die seitens des B gegenüber seinen Kunden abgerechneten Aktienkäufe- und -verkäufe. Die Tätigkeit der Firma A beschränkte sich lediglich auf das Werben neuer Anleger, um mit deren Einlagen die Verbindlichkeiten von Altanlegern bedienen zu können.
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Auf den Stichtag 24. Januar 2013 wurde eine Depotaufstellung erstellt, die jedoch keinen Bezug zur … Bank mehr aufwies und die drei erworbenen Aktienpakete mit ihrer Bewertung zum Stichtag darstellte. Im weiteren Verlauf des Jahres 2013 erfolgte die Beendigung der Geschäftsbeziehung zwischen der Klägerin und der Firma A mit dem Ziel der Auflösung des Depots durch Verkauf aller Aktienpakete. Im März 2013 zahlte die Firma A der Klägerin daraufhin Erlöse aus dem Verkauf von Aktien (…) i.H.v. 494.312,87 € aus. In der Bilanz waren zum 1.1.2013 Wertpapiere des Anlagevermögens im Zusammenhang mit dem vermeintlichen A Aktiendepot i.H.v. 327.300 € erfasst. Nach den Berechnungen im Prüfungsbericht vom … März 2017 ergab sich im Jahr 2013 für die Klägerin ein steuerlicher Gewinn aus Aktienverkäufen i.H.v. 171.562,49 €, der wie folgt ermittelt wurde:
Verkaufserlös Aktien nach Abzug Kosten
= Auszahlungsbetrag
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494.312,86 €
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Abzgl. Buchwert Aktien
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- 327.300,00 €
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= Gewinn 2013
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167.012,86 €
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Zzgl. Vorsteuer Kosten A
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4.549,63 €
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= Veräußerungsgewinn i.S.d. § 8b Abs. 2 KStG
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171.562,49 €
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7
Die Zurechnung von Vorsteuer beruhte auf dem Umstand, dass im Rahmen der Abrechnung von Verkaufserlösen von B Verwaltungskosten inklusive Umsatzsteuer (Vorsteuer) zum Abzug gebracht wurden.
8
B betrieb unter der Firma A das streitgegenständliche Schneeballsystem bis zu seiner Verhaftung Anfang … 2013.
9
Durch Beschluss des Amtsgerichts … – Insolvenzgericht – vom … 2013 (Az.: …) wurde über das Vermögen des B das Insolvenzverfahren eröffnet. Im Laufe dieses Verfahrens forderte der Insolvenzverwalter mit Schreiben vom … 2016 Auszahlungen aufgrund von vermeintlichen Aktienveräußerungen i.H.v. 494.312,87 € nach § 143 Abs. 1 Insolvenzordnung (InsO) i.V.m. § 134 InsO von der Klägerin zurück. Zur einvernehmlichen Streitbeilegung schloss die Klägerin am … Februar 2017 mit dem Insolvenzverwalter einen Vergleich (Abgeltungsvereinbarung – AV). Danach verpflichtete sich die Klägerin, an den Insolvenzverwalter einen Betrag i.H.v. 360.000 € zu zahlen („Abgeltungsbetrag“ – § 1 Ziffer 1 AV). Im Vorfeld der Vereinbarung war u.a. streitig, inwieweit die Auszahlungen des Insolvenzschuldners insolvenzrechtlich als Rückzahlung von Anlagebeträgen zu qualifizieren seien und somit eine Insolvenzanfechtung ausscheide. Durch die Abgeltungsvereinbarung sollten die wechselseitigen Ansprüche abgegolten sein (§ 2 Ziffer 1 AV). Gleichzeitig wurde vereinbart, dass nach Zahlung des Abgeltungsbetrages eine gesonderte Anmeldung eines Betrages i.H.v. 327.300 € zur Insolvenztabelle erfolgen könne, die vom Insolvenzverwalter nicht bestritten werde (§ 2 Ziffer 2 AV).
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In den im August 2017 eigereichten Steuererklärungen für das Streitjahr 2016 waren im Rahmen der Gewinnermittlung Rückzahlungen an den Insolvenzverwalter über das Vermögen des B als Betreiber des Schneeballsystems i.H.v. 350.000 € als sonstige betriebliche Aufwendungen erfasst.
11
In den Bescheiden von 14. August 2018 i.S. Körperschaftsteuer 2016 und Gewerbesteuermessbetrag 2016 ließ das Finanzamt die Zahlungen an den Insolvenzverwalter nicht zum Abzug zu (…). Nach Auffassung des Finanzamts stelle die Rückzahlung negative Einnahmen dar, die außerbilanziell gemäß § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG wieder hinzuzurechnen seien, da die Scheinrenditen in 2013 steuerfrei gestellt worden seien. Der gegen die Bescheide vom 14. August 2018 eingelegte Einspruch blieb erfolglos (…). Im Laufe des Einspruchsverfahrens erging am 4. Juni 2019 ein Änderungsbescheid i.S. Körperschaftsteuer 2016, in dem ein Verlustrücktrag aus 2017 zum Ansatz kam, jedoch hinsichtlich der Abzugsfähigkeit der Zahlungen an den Insolvenzverwalter zu keinen Änderungen führte (…).
12
Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin geltend, dass die Zahlungen an den Insolvenzverwalter zu Unrecht im Streitjahr 2016 nicht als Betriebsausgaben anerkannt worden seien. Die streitige Vermögensminderung unterliege nicht einem Abzugsverbot. Es seien nur Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit einem konkret vorhandenen Anteil i.S.v. § 8b Abs. 2 KStG stünden, dem Abzugsverbot des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG unterworfen. Ein solcher Anteil sei jedoch im Betriebsvermögen nicht vorhanden gewesen.
13
Der geltend gemachte Aufwand rühre auch nicht aus einer etwaigen Teilwertabschreibung auf einen Anteil her, von dessen Vorhandensein subjektiv ausgegangen worden sei. Aus dem von der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz zur steuerlichen Behandlung von Scheinrenditen, wonach von dem vom Steuerpflichtigen im Zeitpunkt des angenommenen Zuflusses subjektiv zugrundeliegenden Sachverhalt auszugehen sei, folge nicht, dass ein objektiv irrtümlich angenommener Sachverhalt bis in alle Zukunft für die Besteuerung zugrunde zu legen sei, insbesondere für Geschäftsvorfälle, die aufträten, wenn der Sachverhaltsirrtum längst erkannt worden sei. Es sei das Prinzip der Abschnittsbesteuerung zu beachten.
14
Im vorliegenden Fall sei zum Zeitpunkt, in dem der Vergleich mit dem Insolvenzverwalter geschlossen worden sei, klar gewesen, dass ein Zusammenhang mit irgendwelchen konkret vorhandenen Anteilen an anderen Kapitalgesellschaften nie bestanden habe.
15
Aus wirtschaftlicher Sicht stelle sich die Rückzahlung an den Insolvenzverwalter so dar, dass das in das Schneeballsystem eingezahlte und zunächst wieder zurückerhaltene „Kapital“ habe erneut herausgegeben werden müssen. Diese Rückzahlung an den Insolvenzverwalter könne zwar zur Insolvenztabelle angemeldet werden. Ein Rückfluss aus der Insolvenzmasse sei allerdings nicht in Sicht. Es liege somit ein Forderungsverlust vor. Im streitgegenständlichen Zahlungsbetrag seien Zinsen i.H.v. ca. 23.000 € enthalten.
16
Der Rückzahlungsbetrag an den Insolvenzverwalter könne nicht insgesamt als Scheinrendite behandelt werden. Scheinrendite könne begrifflich maximal der vermeintlich erzielte Veräußerungsgewinn sein.
17
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Bescheide i.S. Körperschaftsteuer 2016 vom 4. Juni 2019 sowie Gewerbesteuermessbetrag 2016 vom 14. August 2018 sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 4. Januar 2022 mit der Maßgabe zu ändern, dass keine Gewinnminderung i.S.d. § 8b Abs. 3 KStG i.H.v. 350.000 € hinzugerechnet wird und im Rahmen der Ermittlung der Körperschaftsteuer 2016 das zu versteuernden Einkommen auf ./. … € bzw. der Gewerbesteuermessbetrag 2016 auf … € herabgesetzt wird.
18
Das Finanzamt beantragt,
19
Das Finanzamt macht geltend, die Erträge aus den Scheinrenditen seien i.H.v. 171.562 € in 2013 auf Antrag der Klägerin gemäß § 8b Abs. 2 KStG steuerfrei gestellt worden. Die Rückzahlung i.H.v. 350.000 € an den Insolvenzverwalter, die auf einem Vergleich beruhe, falle unter § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG, da es sich um eine Gewinnminderung handle, die im Zusammenhang mit in § 8b Abs. 2 KStG genannten Anteilen entstanden und daher bei der Ermittlung des Einkommens nicht zu berücksichtigen sei. Dies gelte auch, wenn sich der Rückzahlungsbetrag aus Anlagebetrag und Rendite zusammensetze. Denn auch der Verlust des eingesetzten Kapitals werde bei den Anlegern nicht steuermindernd berücksichtigt.
20
In der Bilanz zum 1.1.2013 seien Wertpapiere des Anlagevermögens i.H.v. 327.300 € aktiviert gewesen. Aus der Anlage „Entwicklung des Anlagevermögens“ sei ersichtlich, dass es sich hierbei um das A Aktiendepot gehandelt habe. Anteile nach § 8b Abs. 2 KStG seien somit im Vermögen der Klägerin ausgewiesen worden.
21
Auch Scheinrenditen könnten zu steuerbaren Einnahmen führen. Für die steuerrechtliche Qualifizierung von Scheinrenditen sei maßgeblich, wie sich das vorgetäuschte Rechtsgeschäft aus Sicht des Kapitalanlegers bei objektiver Betrachtung darstelle. Maßgeblich für die Qualifizierung der Einnahmen seien somit der zu Grunde liegende Vertrag sowie die Mitteilungen des Unternehmens an den Kapitalanleger. Soweit dem Anleger demnach in seinem Namen getätigte Aktienveräußerungsgeschäfte vorgetäuscht worden seien, seien ihm daraus tatsächlich oder im Wege der Novation zugeflossene Scheinrenditen auch zuzurechnen. Das vorgetäuschte Rechtsgeschäft habe sich aus Sicht der Klägerin bei objektiver Betrachtung so dargestellt, dass Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen nach § 8b Abs. 2 KStG erzielt worden seien.
22
Bei der Rückzahlung an den Insolvenzverwalter handle es sich um negative Kapitalerträge in Höhe des Rückzahlungsbetrages. Negative Beteiligungseinnahmen minderten den handelsbilanziellen Jahresüberschuss, dürften jedoch gemäß § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG das zu versteuernde Einkommen nicht mindern und seien daher außerhalb der Bilanz wieder hinzuzurechnen.
23
Es lägen auch hinsichtlich der Rückforderung durch den Insolvenzverwalter nach § 143 Abs. 1 InsO i.V.m. § 134 InsO keine Schadenersatzleistungen vor.
24
Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
25
Die Rückzahlung von Auszahlungen aus dem Schneeballsystem des B (…) durch die Klägerin an den Insolvenzverwalter unterfällt zwar nicht der außerbilanziellen Hinzurechnung nach § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG (für die Ermittlung des Gewerbesteuermessbetrags i.V.m. § 7 Satz 1 Gewerbesteuergesetz – GewStG). Diese steht nicht im Zusammenhang mit einem Anteil i.S.d. § 8b Abs. 2 KStG (unter 1.). Soweit die Rückzahlungsverpflichtung im Jahr 2013 bezogene steuerfreie Gewinne aus der vermeintlichen Veräußerung von Aktien (…) umfasst, kann jedoch eine Hinzurechnung nach Maßgabe des § 8b Abs. 2 KStG erfolgen (unter 2.). Die bereits im Streitjahr drohende Rückzahlungsverpflichtung gegenüber dem Insolvenzverwalter kann bereits in diesem Jahr bilanziell angesetzt werden. Die außerbilanzielle Hinzurechnung beträgt nach den Umständen des Streitfalls lediglich 152.950 € (bisher 350.000 €; unter 3.).
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1. Die Rückzahlungsverpflichtung gegenüber dem Insolvenzverwalter über das Vermögen des B steht nicht im Zusammenhang mit einem Anteil i.S.d. § 8 Abs. 2 KStG und unterfällt somit nicht der Hinzurechnung nach § 8 Abs. 3 Satz 3 KStG.
27
1.1. Gemäß § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG bleiben Bezüge i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 9 und 10 Buchstabe a Einkommensteuergesetz (EStG) bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz. Dies gilt auch für Gewinne aus der Veräußerung eines Anteils an einer Körperschaft oder Personenvereinigung, deren Leistungen beim Empfänger zu Einnahmen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 9 und 10 Buchstabe a EStG gehören (§ 8b Abs. 2 Satz 1 KStG). Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit einem in § 8b Abs. 2 KStG genannten Anteil entstehen, bleiben ebenfalls bei der Ermittlung des Einkommens unberücksichtigt (§ 8b Abs. 3 Satz 3 KStG).
28
1.2. § 8b Abs. 2 und 3 KStG erfassen neben Anteilen an inländischen auch solche an ausländischen Körperschaften (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 13. Oktober 2010 – I R 79/09, BFHE 231, 529, BStBl II 2014, 943; vom 17. Mai 2023 – I R 29/20, BFH/NV 2023, 1195; Brandis/Heuermann/Rengers, § 8b KStG Rz 213).
29
§ 8b Abs. 3 Satz 3 KStG soll neben den Gewinnminderungen durch den Ansatz eines niedrigeren Teilwerts oder durch die Veräußerung des Anteils alle substanzbezogenen Gewinnminderungen erfassen, welche im Zusammenhang mit den von § 8b Abs. 2 KStG erfassten Anteilen stehen (vgl. Brandis/Heuermann/Rengers, § 8b KStG Rz 280). Bei den von dieser Vorschrift erfassten Sachsituationen handelt es sich insbesondere um die (auch) § 8b Abs. 2 KStG unterfallenden Vorgänge, die jedoch nicht zu einem Gewinn, sondern zu einem (Substanz-)Verlust führen (BFH-Urteile vom 17. Mai 2023 – I R 29/20, BFH/NV 2023, 1195; vom 22. April 2009 – I R 57/06, BFHE 231, 35, BStBl II 2011, 66). Allerdings greift das Abzugsverbot des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG unabhängig davon ein, ob nach § 8b Abs. 2 KStG befreite Gewinne oder nach § 8b Abs. 1 KStG steuerfreie Dividenden tatsächlich angefallen sind oder noch anfallen können (BFH-Urteil vom 13. Oktober 2010 – I R 79/09, BFHE 231, 529, BStBl II 2014, 943; Brandis/Heuermann/Rengers, § 8b KStG Rz 281).
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Von § 8 Abs. 3 Satz 3 KStG nicht erfasst sind z.B. Schadensersatzleistungen wegen Nichterfüllung einer Verpflichtung zur Übertragung von Anteilen (vgl. Brandis/Heuermann/Rengers, § 8b KStG Rz 283) oder Kosten für die sog. Due-Diligence-Prüfung aus Anlass eines gescheiterten Erwerbs einer Kapitalbeteiligung (vgl. BFH-Urteil vom 9. Januar 2013 – I R 72/11, BFHE 240, 111, BStBl II 2013, 343).
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1.3. Das Abzugsverbot nach § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG betrifft nur substanzbedingte Gewinnminderungen im Zusammenhang mit tatsächlich beim Steuerpflichtigen vorhandenen Anteilen i.S.d. § 8b Abs. 2 KStG (BFH-Urteil vom 9. Januar 2013 – I R 72/11, BFHE 240, 111, BStBl II 2013, 343). Der betreffende Zusammenhang zu solchen Anteilen bestimmt sich „objektbezogen“, nicht jedoch „veranlassungsbezogen“ (wie z.B. bei § 3c Abs. 1 EStG; BFH-Urteil vom 9. Januar 2013 – I R 72/11, BFHE 240, 111, BStBl II 2013, 343). Der maßgebliche Bezugspunkt orientiert sich also an dem durch die Freistellung steuerbegünstigten Besteuerungsobjekt – den veräußerten Anteilen – und nicht an den steuerbegünstigten Einnahmen – den Veräußerungsgewinnen (BFH-Urteil vom 13. Oktober 2010 – I R 79/09, BFHE 231, 529, BStBl II 2014, 943).
32
Das „Vorhandensein“ von Anteilen i.S.d. § 8 Abs. 2 KStG bestimmt sich nach allgemeinen Zurechnungsgrundsätzen. Hierbei ist auch das wirtschaftliche Eigentum i.S.d. § 39 Abs. 2 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) zu beachten. Demzufolge steht nicht nur die Veräußerungsgewinnbefreiung gemäß § 8b Abs. 2 Satz 1 KStG dem wirtschaftlichen – und (soweit personenverschieden) nicht dem zivilrechtlichen – Inhaber des veräußerten Anteils zu (vgl. BFH-Urteil vom 23. November 2022 – I R 36/19, BFH/PR 2023, 557). Vielmehr setzt auch das Abzugsverbot nach § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG voraus, dass dem Steuerpflichtigen ein Anteil i.S.d. § 8b Abs. 2 KStG – bei abweichender zivilrechtlicher Zuordnung – wirtschaftlich zuzurechnen ist.
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1.4. Im Streitfall scheitert die Anwendung des § 8 Abs. 3 Satz 3 KStG bereits daran, dass der Klägerin steuerlich im Rahmen der Beteiligung an dem Geldanlagemodell des B keine Anteile i.S.d. § 8b Abs. 2 KStG zuzurechnen waren.
34
1.4.1. Bei dem streitgegenständlichen Anlagemodell handelte es sich um ein sog. Schneeballsystem, das maßgeblich darauf beruhte, neue Anleger zu werben, um mit deren Einlagen die Verbindlichkeiten von Altanlegern bedienen zu können. Es war darauf angelegt, den Anlegern die tatsächlichen Verhältnisse zu verschleiern und Kapitalerträge zu fingieren. Soweit tatsächlich Aktien von der Unternehmensberatung des B verwaltet wurden, kann daher nach den Umständen des Streitfalls nicht angenommen werden, dass die Klägerin an diesen die zivilrechtliche oder wirtschaftliche Inhaberschaft innehatte.
35
Aus den auf die Aufklärungsanordnung vom … hin mit Schriftsatz vom … vorgelegten Unterlagen ergibt sich, dass für die Klägerin durch B lediglich formal ein Depot errichtet und geführt wurde. Die auf den Depotauszügen der … Bank vom … Dezember 2011 und … Mai 2012 aufgeführten Aktien wurden nicht unmittelbar von der Klägerin erworben. Vielmehr leistete die Klägerin an B Zahlungen mit der Anweisung, zugunsten ihres Depots bei B näher bezeichnete Aktien zu erwerben. In diesem Fall setzt die Zurechnung der Aktien zur Klägerin voraus, dass der Erwerb der streitgegenständlichen Aktien durch die Unternehmensberatung im Namen der Klägerin (zivilrechtliche Inhaberschaft) oder treuhänderisch (wirtschaftliche Inhaberschaft) erfolgte. Aufgrund des Anlagekonzepts, das auf Umsetzung eines Schneeballsystems und auf Verschleierung der Verwendung der Anlagegelder gerichtet war, kann dies aber nicht angenommen werden. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür.
36
Eine solche Zurechnung ergibt sich auch nicht aus den vorgelegten Depotauszügen der … Bank vom … Dezember 2011 und … Mai 2012, da diese keinen Depotinhaber ausweisen, sondern lediglich intern durch handschriftlichen Vermerk der Unternehmensberatung der Klägerin zugeordnet wurden. Weder diese Vermerke noch die vorgelegten Belege der Unternehmensberatung über die Abrechnung über Aktienhandel vom … Dezember 2011 und … Mai 2012 reichen aus, von einer Inhaberhaft der streitgegenständlichen Aktien durch die Klägerin auszugehen. Da das zu beurteilende Geldanlagemodell auf der Verschleierung der tatsächlich vorhandenen Vermögenswerte und der Erfüllung von Auszahlungsansprüchen durch neu eingeworbene Einlagen beruhte, kann nicht davon ausgegangen werden, dass tatsächlich vorhandene Unternehmensbeteiligungen treuhänderisch für einzelne Anleger gehalten wurden. Vielmehr dienten sie offensichtlich dazu, bei Bedarf die Erfüllung von Aufträgen zum Aktienerwerb gegenüber den Anlegern zu dokumentieren.
37
Zwischen den Beteiligten besteht auch kein Streit, dass es sich bei dem durch die Unternehmensberatung des B (…) angebotenen Anlagemodell um ein betrügerisches Schneeballsystem handelte. Dieses war auch bereits Gegenstand anderer finanzgerichtlicher Verfahren (u.a. Finanzgericht Nürnberg, Urteil vom 11. Dezember 2019 – 5 K 1283/18, EFG 2020, 840, nachfolgend BFH-Urteil vom 27. Oktober 2020 – VIII R 3/20, BFHE 271, 349, BStBl II 2021, 472; Finanzgericht Nürnberg, Urteil vom 11. Oktober 2017 – 3 K 348/17, EFG 2018, 117, nachfolgend BFH-Urteil vom 29. September 2020 – VIII R 17/17, BFHE 271, 340, BStBl II 2021, 468).
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1.4.2. Eine Inhaberschaft der streitgegenständlichen Aktien durch die Klägerin kann auch nicht aus der Bilanzierung des Aktienpaktes („A Aktien Depot“) zum 1.1.2013 abgeleitet werden. Da nach den Umständen des Streitfalls tatsächlich weder eine zivilrechtliche noch eine wirtschaftliche Inhaberschaft der Klägerin an den Aktien bestand, lag vielmehr ein unzutreffender Bilanzansatz vor. Ein fehlerhafter Bilanzansatz kann das Bestehen eines Wirtschaftsgutes nicht fingieren.
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1.4.3. Auch soweit die höchstrichterliche Rechtsprechung (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 14. Dezember 2004 – VIII R 5/02, BFHE 209, 423, BStBl II 2005, 739) davon ausgeht, dass, sofern ein Kapitalanleger sich an einem sog. Schneeballsystem beteiligt, mit dem ihm vorgetäuscht wird, in seinem Auftrag und für seine Rechnung würden Geschäfte auf dem Kapitalmarkt getätigt, der vom Kapitalanleger angenommene Sachverhalt der Besteuerung zugrunde zu legen ist, ergibt sich hieraus für den Streitfall nicht die erforderliche Inhaberschaft der Klägerin an Anteilen i.S.d. § 8b Abs. 2 KStG. Denn diese Rechtsprechung befasst sich erkennbar lediglich mit der Besteuerung von erzielten – nach § 11 EStG zugeflossenen – Scheinrenditen und nicht mit der steuerlichen Zuordnung von Wirtschaftsgütern, die im Rahmen des Schneeballsystems zum Einsatz kommen.
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Eine Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG auf den vorliegenden Fall, in dem dem Anleger kein Anteil i.S.d. § 8b Abs. 2 KStG nach allgemeinen steuerlichen Grundsätzen zuzurechnen ist, würde sich als Analogie zu Lasten des Steuerpflichtigen darstellen. Eine solche ist zwar im Steuerrecht nicht generell ausgeschlossen (vgl. BFH-Urteil vom 20. Oktober 1983 – IV R 175/79, BFHE 139, 561, BStBl II 1984, 221; Klein/Gersch, AO, 17. Aufl. 2023, § 4 Rz 77). Eine steuerverschärfende Analogie ist jedoch nicht möglich, wenn die Vorschrift den Anspruch des Gesetzgebers erkennen lässt, durch eine rechtspolitische Entscheidung den Umfang der Besteuerung abschließend zu regeln. In einem solchen Fall fehlt es an der erforderlichen planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes (vgl. BFH-Urteil vom 27. November 1985 – I R 42/85, BFHE 145, 217, BStBl II 1986, 272).
41
Hiervon ist im Streitfall im Zusammenhang mit § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG auszugehen. Denn der Gesetzgeber ging im Zusammenhang mit dem Abzugsverbot in dieser Regelung vom Vorhandensein eines konkreten, dem Steuerpflichtigen zuzurechnenden Anteils i.S.d. § 8b Abs. 2 KStG aus (Objektbezogenheit; vgl. BFH-Urteil vom 9. Januar 2013 – I R 72/11, BFHE 240, 111, BStBl II 2013, 343). Eine solche, konkret zurechenbare Unternehmensbeteiligung ist jedoch im Rahmen der Besteuerung von Scheinrenditen aus Schneeballsystemen nicht vorhanden. Denn entscheidend für die Besteuerung in diesen Fällen ist, dass die Beteiligten die wirtschaftliche Gestaltung unter sich gelten lassen wollten (arg. § 41 AO; BFH-Urteil vom 10. Juli 2001 – VIII R 31/97, BFH/NV 2001, 1554). Die Erwirtschaftung von Renditen für den einzelnen Steuerpflichtigen aus diesem konkret und individuell zurechenbaren Anlageobjekten ist nicht Ziel dieses auf Verschleierung angelegten Modells.
42
1.4.4. Eine abweichende Beurteilung folgt auch nicht aus dem Umstand, dass im Jahr 2013 ein Gewinn aus der Veräußerung von Aktien im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Schneeballsystem i.H.v. 171.562 € nach § 8b Abs. 2 und 3 KStG steuerfrei gestellt wurde. Die Nichtberücksichtigung von Gewinnminderungen nach § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG setzt nach seinem Wortlaut lediglich einen Zusammenhang mit einem in § 8b Abs. 2 KStG genannten Anteil voraus, korrespondiert jedoch nicht gegenläufig mit einer – zu Recht oder zu Unrecht – gewährten Steuerbefreiung von Gewinnen aus Anteilsveräußerungen i.S.d. § 8b Abs. 2 Satz 1 KStG (gegebenenfalls in anderen Veranlassungszeiträumen).
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2. Soweit die Rückzahlungsverpflichtung gegenüber dem Insolvenzverwalter im Abgeltungsvertrag vom … 2017 die im Jahr 2013 bezogenen und als steuerfreie Gewinne aus der Veräußerung von Aktien zu qualifizierenden Auszahlungen umfasst, kann die durch das Finanzamt vorgenommene außerbilanzielle Hinzurechnung jedoch auf § 8b Abs. 2 KStG gestützt werden. Denn insoweit liegen negative Einnahmen vor, die einer korrespondieren Behandlung nach § 8b Abs. 2 KStG (Steuerfreiheit) unterliegen.
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2.1. Die im Jahr 2013 nach Auflösung des Depots bei B an die Klägerin ausbezahlten Scheingewinne aus der vermeintlichen Veräußerung von Aktien blieben zu Recht nach Maßgabe des § 8b Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 KStG bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz. Denn für die steuerrechtliche Beurteilung dieses Sachverhalts ist auf die Sicht der Klägerin abzustellen.
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2.1.1. Nach der Rechtsprechung des BFH (u.a. Urteil vom 22. Juli 1997 – VIII R 57/95, BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755) können auch Scheinrenditen – d.h. Renditen, die den Anlegern bescheinigt, tatsächlich jedoch nicht erzielt worden sind – zu steuerbaren Einnahmen führen. Maßgeblich für die steuerrechtliche Qualifizierung von Scheinrenditen ist dabei, wie sich das jeweilige Rechtsgeschäft aus der Sicht des Anlegers als Leistungsempfänger bei objektiver Betrachtungsweise darstellen musste. Es kommt somit auf den nach außen erkennbar gewordenen Willen des Anbieters beim Vertragsabschluss an; dabei sind die für die Auslegung von empfangsbedürftigen Willenserklärungen maßgeblichen Grundsätze der §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) entsprechend anwendbar (BFH-Urteile vom 14. Dezember 2004 – VIII R 81/03, BFHE 209, 438, BStBl II 2005, 746; vom 14. Dezember 2004 – VIII R 5/02, BFHE 209, 423, BStBl II 2005, 739; vom 27. Oktober 2020 – VIII R 42/18, BFHE 271, 352, BStBl II 2021, 481).
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2.1.2. Im Streitfall stellte sich die Geldanlage der Klägerin bei B als Investition in Aktien dar. Denn aus Sicht der Klägerin sollten entsprechend dem Geldanlagemodell des B Mitarbeiteraktien von Großunternehmen zu billigeren Einkaufspreisen erworben werden. Soweit im Jahr 2013 das Depot bei B aufgelöst und die Veräußerung eines Aktienbestands der Klägerin vorgetäuscht wurde, stellten die Auszahlungen des B einen Zufluss von Aktienveräußerungsgewinnen i.S.d. § 8b Abs. 2 Satz 1 KStG und daneben die Rückzahlung des ursprünglichen Anlagebetrags dar. Die vermeintlichen Veräußerungsgewinne (171.562 €) blieben nach Abzug der gemäß § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG in diesem Zusammenhang nicht abziehbaren Betriebsausgaben (5%: 8.578 €) i.H.v. 162.984 € im Rahmen der Festsetzung der Körperschaftsteuer 2013 und des Gewerbesteuermessbetrags 2013 unberücksichtigt.
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2.2. Soweit die Klägerin im Rahmen des Insolvenzverfahrens des B die bezogenen Zahlungen nach Maßgabe des § 143 Abs. 1 i.V.m. § 134 InsO wieder an den Insolvenzverwalter zurückzahlte, liegen insoweit negative Einnahmen vor, als diese eine Rückzahlung von bezogenen Aktienveräußerungsgewinnen darstellen. Diese fallen unter § 8b Abs. 2 KStG.
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2.2.1. Der anfechtungsrechtliche Rückgewähranspruch nach § 143 Abs. 1 InsO begründet ein gesetzliches Schuldverhältnis. Er stellt einen schuldrechtlichen Verschaffungsanspruch dar, auf den die allgemeinen Vorschriften des BGB Anwendung finden. Dieser ist kein Bereicherungsanspruch; er zielt primär auf „Rückgewähr“ dessen ab, was dem Vermögen des Schuldners durch die anfechtbare Handlung entzogen wurde und nicht auf Abschöpfung dessen, was in das Vermögen des Anfechtungsgegners gelangt ist (BeckOK-InsR/Schoon, 2024, § 143 InsO Rz 1). Der Anfechtungsanspruch hat keinen schadensersatzrechtlichen Charakter, sodass auch die §§ 249 ff. BGB nicht anwendbar sind (BeckOK-InsR/Schoon, 2024, § 143 InsO Rz 1; Uhlenbruck/Borries/Hirte, InsO, 15. Aufl. 2019, § 143 Rz 25).
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Demzufolge beurteilt sich im Streitfall die rechtliche Qualifizierung der vereinbarten Rückzahlung an den Insolvenzverwalter nach der steuerrechtlichen Einordnung der dem Rückgewähranspruch vorausgehenden Leistungen des Insolvenzschuldners. Soweit sich die Rückzahlung an den Insolvenzverwalter als Rückgewähr von vermeintlichen Veräußerungsgewinnen darstellt, liegen negative Einnahmen vor (vgl. BFH-Urteil vom 10. Juli 2001 – VIII R 31/97, BFH/NV 2001, 1554). Soweit aber die Rückzahlung des Anlagekapitals rückgängig gemacht wird, stellt sich dies wirtschaftlich als (zwangsweise) erneute Kapitalüberlassung durch die Klägerin dar. Diese löst – vorbehaltlich einer dauerhaften Wertminderung (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG) – grundsätzlich die Aktivierung einer Forderung gegen den Insolvenzschuldner in entsprechender Höhe aus.
50
2.2.2. Soweit die Rückzahlung an den Insolvenzverwalter als negative Einnahme zu qualifizieren ist (Rückgewähr von ausbezahlten Veräußerungsgewinnen), unterfällt diese § 8b Abs. 2 KStG. Sie stellt bereits deshalb keine Gewinnminderung i.S.d. § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG dar, da es sich um keinen Substanzverlust (substanzbedingte Gewinnminderung) handelt (vgl. BFH-Urteile vom 17. Mai 2023 – I R 29/20, BFH/NV 2023, 1195; vom 22. April 2009 – I R 57/06, BFHE 231, 35, BStBl II 2011, 66).
51
Der hierdurch ausgelösten außerbilanziellen Hinzurechnung steht in diesem Zusammenhang nicht entgegen, dass tatsächlich kein der Klägerin zurechenbarer Anteil i.S.d. § 8b Abs. 2 KStG vorliegt (vgl. unter 1.4.). Denn im Gegensatz zu § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG erfordert § 8b Abs. 2 KStG für die Steuerfreistellung keine solche Objektbezogenheit. Vielmehr knüpft diese Vorschrift an die rechtliche Qualifizierung der Gewinne als Veräußerungsgewinne i.S.d. § 8b Abs. 2 Satz 1 KStG an. Diese Qualifizierung bestimmt sich aber nach Maßgabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Fällen von Scheinrenditen aus Schneeballsystemen nach der Sicht des Anlegers (BFH-Urteile vom 14. Dezember 2004 – VIII R 81/03, BFHE 209, 438, BStBl II 2005, 746; vom 14. Dezember 2004 – VIII R 5/02, BFHE 209, 423, BStBl II 2005, 739; vom 27. Oktober 2020 – VIII R 42/18, BFHE 271, 352, BStBl II 2021, 481). Demzufolge ist der bei Auflösung des vermeintlichen Depots durch die Klägerin als Veräußerungsgewinn i.S.d. § 8b Abs. 2 KStG zu qualifizierende Teil der Auszahlungen des Insolvenzschuldners in gleicher Weise zu qualifizieren, soweit dieser wieder nach insolvenzrechtlichem Anfechtungsrecht an den Insolvenzverwalter des B zu erstatten war (vgl. 2.1.2.)
52
2.2.3. Der Zuordnung von Rückzahlungen von Veräußerungsgewinnen als negative Einnahmen unter § 8b Abs. 2 KStG steht nicht entgegen, dass von § 8b Abs. 2 KStG regelmäßig Sachsituationen erfasst werden, die zu einem Gewinn führen, während nach der Regelungsstruktur des § 8b KStG entsprechende Vorgänge, die zu Verlusten führen, unter § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG fallen (vgl. BFH-Urteil vom 17. Mai 2023 – I R 29/20, BFH/NV 2023, 1195). Denn bei wirtschaftlicher Betrachtung wird durch die Rückzahlung des Veräußerungsgewinns kein Verlust erzielt, sondern lediglich der ursprüngliche Zustand vor Auszahlung eines Veräußerungsgewinns wieder hergestellt. Es erfolgt eine Rückgängigmachung des ursprünglichen Auszahlungsvorgangs, der sich durch Saldierung ausgleicht.
53
Dies gilt auch im Streitfall, soweit die Rückzahlung nicht an B, sondern an den Insolvenzverwalter des B zu leisten war. Denn nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht lediglich die Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO). Der Schuldner bleibt Eigentümer bzw. Inhaber der Massegegenstände (Graf-Schlicker/Webel, InsO, 6. Aufl. 2022, § 80 Rz 8), so dass die Rückzahlung wieder in das Vermögen des B gelangt. Als bloßer „actus contrarius“ ist die Rückzahlung von Veräußerungsgewinnen unter § 8b Abs. 2 KStG zu subsumieren.
54
2.2.4. Die insolvenzrechtliche Anfechtung löst kein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO aus. Denn diese führt im Gegensatz zur Anfechtung nach §§ 119 ff. BGB, welche die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts von Anfang an zur Folge hat (§ 142 BGB; vgl. zu den Folgen: BFH-Urteil vom 27. Januar 1982 – II R 119/80, BFHE 135, 224, BStBl II 1982, 425), lediglich zu einem reinen schuldrechtlichen Verschaffungsanspruch. Das aus § 143 InsO resultierende Rückgewährschuldverhältnis führt zu keiner Rückabwicklung des angefochtenen Geschäfts bzw. Nichtigkeit der Rechtshandlung (Urteil des Bundesgerichtshofs – BGH – vom 21. September 2006 – IX ZR 235/04, DB 2006, 2810). Im Ergebnis muss der Anfechtungsgegner das Erhaltene (hier: Auszahlungen) an den Insolvenzverwalter wieder herausgeben, das zugrundeliegende Rechtsgeschäft bleibt aber unberührt (wirksam).
55
2.3. Unter Berücksichtigung des im Klageverfahren vorgelegten Schriftverkehrs im Zusammenhang mit der insolvenzrechtlichen Anfechtung des Insolvenzverwalters aus dem Jahre 2016 geht das Gericht davon aus, dass der Abgeltungsbetrag von 360.000 € den im Auszahlungsbetrag (494.312,87 €) erhaltenen vermeintlichen steuerlichen Aktienveräußerungsgewinn i.H.v. 167.012,86 € vollumfänglich umfasst.
56
2.3.1. Die Klägerin erlangte aus dem streitgegenständlichen Schneeballsystem Zahlungen i.H.v. 494.312,87 €, welche vom Insolvenzverwalter mit Schreiben vom … 2016 von der Klägerin im Rahmen der Insolvenzanfechtung zurückgefordert wurden. Diese Forderung war auch Grundlage der Abgeltungsvereinbarung vom … Februar 2017 (Präambel B). Zur Vermeidung einer gerichtlichen Auseinandersetzung einigte man sich auf eine Zahlung durch die Klägerin i.H.v. 360.000 € (§ 1 Ziffer 1 AV).
57
Aus dem mit Schriftsatz vom … 2024 vorgelegten Schriftverkehr zwischen der Klägerin und dem Insolvenzverwalter ergibt sich, dass strittig war, ob von der Insolvenzanfechtung die gesamten Auszahlungen an die Klägerin erfasst werden. So machte der Verfahrensbevollmächtigte der Klägerin (…) mit Schriftsatz vom … 2016 geltend, dass insolvenzrechtlich nicht die Rückzahlung von 494.312,87 €, sondern nur die Rückzahlung der Differenz zwischen dem eingezahlten und dem ausgezahlten Kapital geschuldet werde. Dies war bis zuletzt strittig (vgl. Schriftsatz Insolvenzverwalter vom … 2016, Schriftsatz … vom … November 2016).
58
Aus dem Schreiben des Rechtsanwalts … an den Prozessbevollmächtigen der Klägerin vom … November 2016 ergibt sich zu den Umständen der letztendlich erzielten Einigung mit dem Insolvenzverwalter über einen Vergleichsbetrag von 360.000 €, dass man sich zunächst darüber verständigte, dass im Auszahlungsbetrag des Insolvenzschuldners an die Klägerin i.H.v. 494.312,87 € – bei Ansatz von Einzahlungen der Klägerin i.H.v. rund 330.000 € – Scheingewinne i.H.v. 164.312,87 € enthalten sind. Zuzüglich einer Verzinsung dieses Betrags errechnete man einen Anfechtungsanspruch von rund 195.000 €.
59
Hinsichtlich des Einzahlungsbetrags von 330.000 € verständigte man sich auf eine Halbierung und damit letztendlich auf die Annahme einer Rückzahlung von Einlagen i.H.v. 165.000 €. Insoweit wurde damit der Rechtsprechung des BGH (u.a. Urteil vom 22. April 2010 – IX ZR 225/09, NJW-RR 2010, 1637) Rechnung getragen, wonach sich der aus der Anfechtung von Ausschüttungen im Rahmen eines Schneeballsystems resultierende Rückgewähranspruch des Insolvenzverwalters mangels Unentgeltlichkeit nicht auf Auszahlungen erstreckt, mit denen vom Anleger erbrachte Einlagen zurückgewährt worden sind.
60
2.3.2. Aus ertragsteuerlicher Sicht ist davon auszugehen, dass im vereinbarten Abgeltungsbetrag i.H.v. 360.000 € die vom Insolvenzschuldner ausgezahlten vermeintlichen Gewinne aus Aktienverkäufe i.H.v. 167.012,86 € vollumfänglich enthalten sind, da der Insolvenzverwalter ursprünglich den gesamten Auszahlungsbetrag i.H.v. 494.312,87 € als Auszahlung von Scheingewinnen ansah (vgl. Schriftsatz Insolvenzverwalter … Oktober 2016) und lediglich vor dem Hintergrund des Streits über den Umfang einer Kapitalrückzahlung von seiner ursprünglichen Forderung Abstand nahm (vgl. Schriftsatz … vom … November 2016). Dieser Teil des Abgeltungsbetrags (167.012,86 €) unterliegt – im Umfang seiner Gewinnwirksamkeit – als negative Einnahme der außerbilanziellen Hinzurechnung nach § 8b Abs. 2 KStG, um die ursprüngliche Steuerfreistellung im Jahr 2013 korrespondierend auszugleichen („actus contrarius“).
61
2.3.3. Der verbleibende Betrag der vereinbarten Abgeltungszahlung 192.987,14 € (= 360.000 € – 167.012,86 €) unterfällt keiner außerbilanziellen Hinzurechnung.
62
Zwar wurde vom Insolvenzverwalter keine vollständige Rückzahlung des investierten Kapitals (327.300 €) anerkannt und damit eine vollständige Saldierung des Rückforderungsbetrags (494.312,87 €) mit dem an B überlassenen Kapital der Klägerin abgelehnt (zur eingeschränkten Anwendbarkeit der Saldotheorie im Insolvenzrecht vgl. BGH-Urteil vom 22. April 2010 – IX ZR 163/09, NJW 2010, 2125). Dies hat auf den Streitfall aber keine Auswirkungen.
63
Auch wenn insoweit insolvenzrechtlich von der Rückzahlung weiterer Scheingewinne auszugehen ist, ist für die ertragsteuerliche Behandlung des insolvenzrechtlichen Anfechtungsanspruchs des Insolvenzverwalters im Streitjahr allein die steuerliche Behandlung des dem Anfechtungsrecht zugrundeliegenden Geschäftsvorfalls maßgeblich, welcher dem Rückgewähranspruch nach § 143 Abs. 1 InsO zugrunde liegt. Vorliegend liegen diesem nach Maßgabe der Rechtsprechung des BFH zu Schneeballsystemen (u.a. Urteil vom 22. Juli 1997 – VIII R 57/95, BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755) – bei Abstellen auf die Sicht der Klägerin – vermeintliche Aktienveräußerungen im Jahre 2013 zugrunde, die zur Auszahlung von Scheingewinnen und zur Rückzahlung des Anlagekapitals des Insolvenzschuldners an die Klägerin führten. Demzufolge kann § 8b Abs. 2 KStG lediglich insoweit eine Hinzurechnung auslösen, als sich die Rückzahlung steuerfrei bezogener Ausschüttungen an den Insolvenzverwalter als „actus contrarius“ darstellt. Dies ist lediglich hinsichtlich eines Betrags i.H.v. 167.012,86 € der Fall.
64
2.4. Soweit in der Abgeltungsvereinbarung vereinbart wurde, dass nach Zahlung des Abgeltungsbetrags eine gesonderte Anmeldung eines Betrags i.H.v. 327.300 € erfolgen kann und der Insolvenzverwalter sich gleichzeitig verpflichtete, diese Forderungsanmeldung nicht zu bestreiten (§ 2 Ziffer 2 AV), kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Abgeltungszahlung in dieser Höhe den Kapitalanlagebetrag betrifft und damit unbeschränkt abzugsfähig ist sowie nur darüber hinaus ausbezahlte Aktienveräußerungsgewinne i.H.v. 32.700 € (= 360.000 € – 327.300 €) betrifft. Zwar entspricht der Betrag der Forderungsanmeldung (327.300 €) nominell der Kapitalanlage (vgl. Bilanzansatz „A Aktiendepot“ zum 1.1.2013). Jedoch beruhte nach den Umständen des Streitfalls und dem vorgelegten Schriftverkehr die Bereitschaft des Insolvenzverwalters, von der ursprünglichen Forderung i.H.v. 494.312,87 € abzurücken, allein darauf, dass aufgrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH-Urteil vom 22. April 2010 – IX ZR 225/09, NJW-RR 2010, 1637) nicht ausgeschlossen werden konnte, dass insolvenzrechtlich durch die Auszahlungen des Insolvenzschuldners auch die Anlagebeträge zurückgezahlt wurden. Demzufolge kann die Verminderung der ursprünglichen Forderung aus Sicht des Gerichts auch lediglich hierauf beruhen. Es sind auch keine schlüssigen Gründe erkennbar, weshalb der Insolvenzverwalter der Klägerin Veräußerungsgewinne belassen, jedoch den Kapitalanlagebetrag vollumfänglich im Rahmen der Insolvenzanfechtung zurückfordern sollte.
65
3. Für das Streitjahr 2016 ergibt sich hieraus statt einer außerbilanziellen Hinzurechnung in den streitgegenständlichen Bescheiden i.H.v. 350.000 € lediglich eine i.H.v. 152.950 €.
66
3.1. Zwar wurde die Abgeltungsvereinbarung erst im Jahr 2017 abgeschlossen. Jedoch konnte die Klägerin im Wege der Rückstellungsbildung die Rückzahlungsverpflichtung gegenüber dem Insolvenzverwalter des B bereits im Streitjahr als betrieblichen Aufwand erfassen.
67
Da der Insolvenzverwalter bereits mit Schreiben vom … Juli 2016 eine insolvenzrechtliche Rückzahlung i.H.v. 494.312,87 € von der Klägerin forderte, waren die Voraussetzungen für die Bildung einer Verbindlichkeitsrückstellung zum 31.12.2016 erfüllt. Zum Bilanzstichtag lag nach den Umständen des Streitfalls eine ihrer Höhe nach ungewisse Verbindlichkeit vor, deren wirtschaftliche Verursachung (anfechtbare Auszahlungen der Aktienveräußerungsgewinne durch den Insolvenzschuldner) in der Zeit vor dem Bilanzstichtag lag. Auch musste die Klägerin – aufgrund der Schreiben des Insolvenzverwalters – zum 31.12.2016 ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen (vgl. zu den Voraussetzungen einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten BFH-Urteil vom 16. Dezember 2014 – VIII R 45/12, BFHE 249, 83, BStBl II 2015, 759, Rz 22).
68
3.2. Angesichts der im Februar 2017 getroffenen Abgeltungsvereinbarung über 360.000 € bestehen auch hinsichtlich der Höhe der Rückstellung zum 31.12.2016 i.H.v. 350.000 € keine rechtlichen Bedenken.
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Einwendungen gegen die Höhe der Rückstellung ergeben sich auch nicht aus dem Umstand, dass nach der Abgeltungsvereinbarung vom … 2017 eine Forderungsanmeldung durch die Klägerin i.H.v. 327.300 € zugelassen wurde, welche nicht durch den Insolvenzverwalter bestritten werden sollte. Zwar ist dem im Klageverfahren vorgelegten Schreiben des Rechtsanwalts … vom … November 2016 zu entnehmen, dass man davon ausging, dass das Insolvenzverfahren über das Vermögen des B nicht massearm geführt werde und die Kapitalanleger als Insolvenzschuldner mit einer Quote zwischen 10% und 30% rechnen könnten. Dies reicht jedoch weder zur Bilanzierung einer Forderung zum 31.12.2016 noch zu einer Minderung des Rückstellungsbetrags im Hinblick auf den insolvenzrechtlichen Rückgewähranspruch aus.
70
Nach dem vorliegend geltenden handelsrechtlichen Vorsichtsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 Handelsgesetzbuch – HGB) ist es im Allgemeinen ausgeschlossen, eine bestrittene Forderung schon in dem Augenblick ganz oder teilweise zu aktivieren, in dem der Gläubiger ein obsiegendes, aber nicht rechtskräftiges Urteil erstritten hat. Solange das Urteil nicht rechtskräftig ist, kann in der Regel die Möglichkeit nicht verneint werden, dass in der nächsten Instanz ein ungünstiges Urteil ergeht (vgl. BFH-Urteil vom 26. April 1989 – I R 147/84, BFHE 157, 121, BStBl II 1991, 213). Übertragen auf die Bilanzierung einer Insolvenzforderung zum 31.12.2016 würde dies – neben dem Vorliegen einer zu verteilenden Insolvenzmasse (Quote) – erfordern, dass diese zu diesem Zeitpunkt zur Insolvenztabelle angemeldet und vom Insolvenzverwalter anerkannt wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt kann nicht von einer Realisierung ausgegangen werden. Demzufolge war die im Zusammenhang mit der Abgeltungsvereinbarung vom … 2017 anzuerkennende Insolvenzforderung noch nicht in der Bilanz zum 31.12.2016 zu erfassen, da eine Anmeldung frühestens im Jahr 2017 nach Abschluss der Abgeltungsvereinbarung erfolgte.
71
3.3. Die im Streitjahr als betrieblicher Aufwand teilweise i.H.v. 350.000 € geltend gemachte Abgeltungszahlung an den Insolvenzverwalter unterliegt lediglich insoweit der Hinzurechnung, als sie auf die Rückzahlung von ertragsteuerlich erzielten Scheingewinnen entfällt. Dies bestimmt sich nach dem Anteil der Scheingewinne am gesamten Abgeltungsbetrag von 360.000 € und beläuft sich somit auf 46% (= 167.012,87 € : 360.000 € – gerundet).
72
Demgemäß unterliegt ein Betrag i.H.v. 161.000 € (46% von 350.000 €) als negativer Aktiengewinn der außerbilanziellen Hinzurechnung nach § 8b Abs. 2 KStG (vgl. unter 2.). Die damit verbundene gegenläufige Berichtigung des Ansatzes der nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben nach § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG i.H.v. 8.050 € (5% von 161.000 €) führt zu einer außerbilanziellen Hinzurechnung im Rahmen der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens bei der Körperschaftsteuer 2016 sowie des Gewerbeertrags 2016 i.H.v. 152.950 € (= 161.000 € – 8.050 €). Demzufolge ist der bisherige Ansatz i.H.v. 350.000 € (vgl. „Gewinnminderung i.S. des § 8b Abs. 3 Sätze 3 bis 7 KStG: Körperschaftsteuerbescheid 2016 vom 4. Juni 2019“) um 197.050 € (= 350.000 € – 152.950 €) zu vermindern und in eine Hinzurechnung nach § 8b Abs. 2 KStG umzuqualifizieren.
73
3.4. Die Berechnung der auf dieser Grundlage festzusetzenden Körperschaftsteuer 2016 bzw. des Gewerbesteuermessbetrags 2016 wird nach Maßgabe des § 100 Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) dem Finanzamt übertragen.
74
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO.
75
5. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3, § 155 FGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 Zivilprozessordnung.
76
6. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zugelassen.
77
7. Nach dem vorliegenden Sach- und Streitstand erscheint es als sachgerecht, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden (§ 90a FGO).