Inhalt

FG München, Gerichtsbescheid v. 14.11.2024 – 7 K 224/22
Titel:

Steuerfreiheit einer luxemburgischen Investmentgesellschaft

Normenketten:
EStG § 15b
FGO § 52d
InvStG 2004 § 1 Abs. 1 Nr. 3
KStG § 8b Abs. 1
Schlagworte:
Investmentsteuergesetz, luxemburgische Investmentgesellschaft (SICAV), VVaG keine Kapitalgesellschaft i.S.d. Schachtelprivilegs nach Art. 20 Abs. 2 Satz 3 DBA-Luxemburg 1958/2009, Ausschüttung, Doppelbesteuerungsabkommen, Untätigkeitsklage, Kapitalgesellschaft
Fundstelle:
BeckRS 2024, 40754

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Beteiligten streiten hinsichtlich einer Ausschüttung einer luxemburgischen Investmentgesellschaft über deren Steuerfreiheit nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 23. August 1958 (BGBl II 1959, 1270, BStBl I 1959, 1023), zuletzt geändert durch das Protokoll vom 11. Dezember 2009 (BGBl II 2010, 1151, BStBl I 2011, 838 – DBA-Luxemburg 1958/2009).
2
Der Kläger betreibt in der Rechtsform eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit (VVaG) Geschäfte der … Er erwarb am … Oktober 2012 … % des stimmberechtigten Aktienkapitals an dem Teilfonds … der luxemburgischen Investmentgesellschaft … (SICAV) zu einem Investitionsvolumen i.H.v. … €. Diese Beteiligung am Teilgesellschaftsvermögen vermittelte rund … % der Stimmrechte an der SICAV. Bei der SICAV handelt es sich um einen Spezialinvestmentfonds mit variablem Kapital (société d´investissement à capital variable – fonds d´investissement spécialisé) in der Rechtsform einer société anonyme mit Sitz in Luxemburg.
3
Die SICAV erwarb nach Beteiligung des Klägers gemäß der vorgegebenen Anlagepolitik sowie der Anlagebeschränkungen für die Gesellschaft und den Teilfonds … ein risikogemischtes Portfolio von Staatsanleihen. Die Zinscoupons aus diesen Staatsanleihen wurden anschließend abgetrennt (sog. „Bondstripping“) und am … Oktober 2012 am Markt veräußert. Am … November 2012 nahm die SICAV an den Kläger eine Zwischenausschüttung i.H.v. … € vor, die die Erlöse aus der Veräußerung der abgetrennten Zinscoupons umfasste. Am … Dezember 2012 gab der Kläger sämtliche Aktien an dem Teilfonds … gemäß den Anlagebestimmungen der SICAV zum Anteilswert der Aktien des Teilfonds i.H.v. … € zurück. Dies führte steuerbilanziell zu einem Verlust aus dem Abgang von Wertpapieren i.H.v. … €, der in den Steuererklärungen für 2012 (Streitjahr) voll steuerwirksam behandelt wurde.
4
Die Zwischenausschüttung i.H.v. … € wurde zunächst erklärungsgemäß als nach Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) steuerfreie Einkünfte unter dem Vorbehalt der Nachprüfung veranlagt (Bescheide vom …). Im Anschluss an eine beim Kläger durchgeführte Außenprüfung (Prüfungsanordnung vom …; Prüfungsbericht vom …) wurde diese in den Änderungsbescheiden vom … 2019 in voller Höhe in die Steuerbemessungsgrundlage bei der Körperschaftsteuer und die Ermittlung des Gewerbesteuermessbetrages einbezogen (zudem wurde jeweils der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben). Nach Auffassung des Beklagten (des Finanzamts) lägen weder Dividenden i.S.d. Art. 20 Abs. 2 Satz 3 DBA-Luxemburg 1958/2009 vor noch sei der Kläger als VVaG eine Kapitalgesellschaft i.S.d. Art. 20 Abs. 2 Satz 3 DBA-Luxemburg 1958/2009.
5
Gegen diese Änderungsbescheide vom … 2019 wurde mit Schreiben vom … 2019 Einspruch eingelegt. Das Einspruchsverfahren ruhte zunächst mit Zustimmung des Klägers vom … im Hinblick auf beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängige Revisionsverfahren (I R 61/17, I R 1/18, I R 8/19). Mit Schreiben vom … 2020 beantragte der Kläger die Fortsetzung des ruhenden Einspruchsverfahrens, da die Bezugsverfahren für das laufendende Einspruchsverfahren keine abschließende Klärung bringen würden. Mit Schreiben vom … 2021 wies das Finanzamt darauf hin, dass eine Entscheidung des BFH im Verfahren I R 61/17 anstehe und regte ein Abwarten dieser Entscheidung an.
6
Mit Schreiben vom … 2021 wies der Kläger auf die zwischenzeitliche Erledigung der Verfahren I R 61/17 und I R 1/18 hin und beantragte das Einspruchsverfahren durch Erlass von Abhilfebescheiden zu erledigen. Dies lehnte das Finanzamt ab und regte im Hinblick auf weiterhin offene Rechtsfragen des noch anhängigen Verfahrens I R 8/19 eine Fortsetzung der Verfahrensruhe an (Schreiben vom … 2021).
7
Mit Schriftsatz vom .. 2022 erhob der Kläger daraufhin vor Abschluss des Einspruchsverfahrens Untätigkeitsklage.
8
Er macht geltend, eine Untätigkeitsklage sei zulässig, da kein zureichender Grund für eine Nichtentscheidung über den Einspruch gegeben sei. Ein beim BFH anhängiges Musterverfahren sei nicht gegeben.
9
Weiter führte er an, dass die Zwischenausschüttung der SICAV i.H.v. … €, welche er nach der Abtrennung und Veräußerung der Zinscoupons aus den daraus generierten Erträgen erhalten habe, im Inland von der Besteuerung auszunehmen sei, da für die Ausschüttung die Voraussetzungen des Schachtelprivilegs gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 3 DBA-Luxemburg 1958/2009 erfüllt seien.
10
Die SICAV sei eine Kapitalgesellschaft i.S.d. Art. 20 Abs. 2 Satz 3 DBA-Luxemburg 1958/2009 und als solche auch abkommensberechtigt. Auch ein VVaG sei i.S.d. Schachtelprivilegs des Art. 20 Abs. 2 Satz 3 DBA-Luxemburg 1958/2009 als Kapitalgesellschaft anzusehen. Im DBA-Luxemburg 1958/2009 sei der Begriff der Kapitalgesellschaft nicht ausdrücklich definiert worden. Die konkrete Bedeutung des Begriffs der Kapitalgesellschaft müsse daher im Wege der Auslegung ermittelt werden. Dieser Begriff erfahre im DBA eine autonome Begriffsauslegung. Fehle eine Begriffsdefinition und ein Verweis auf nationale Definitionen der Anwenderstaaten im konkreten DBA, habe die Auslegung vorrangig unter Beachtung des Zusammenhangs des einschlägigen DBA nach dem Gebot der autonomen Auslegung zu erfolgen. Ganz vorrangig sei dabei der Wortlaut des DBA zu analysieren. Daneben seien insbesondere Zwecksetzung, Systematik und auch die Geschichte des konkreten DBA zu ermitteln und zu berücksichtigen. Auch die völkerrechtlichen Auslegungsgrundsätze des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WÜRV) spielten in diesem Zusammenhang eine bedeutende Rolle.
11
Im Ergebnis müssten die Regelungen zum DBA-Schachtelprivileg bei systematischer Betrachtung für sämtliche Körperschaftsteuersubjekte i.S.d. § 1 Abs. 1 Körperschaftsteuergesetz (KStG) gelten, mithin auch für den VVaG und nicht lediglich für die in § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG als „klassische Kapitalgesellschaften“ aus deutscher Sicht aufgeführten Körperschaften.
12
Die Finanzverwaltung lege selbst hinsichtlich sämtlicher in DBA mit der Bundesrepublik Deutschland vereinbarten Regelungen zu einem Schachtelprivileg fest, dass hiervon auf deutscher Seite sämtliche körperschaftsteuerpflichtigen Subjekte nach § 1 Abs. 1 KStG erfasst sein sollten, und zwar unabhängig von der konkreten Festlegung des begünstigten Personenkreises in den betreffenden DBA.
13
Im Laufe des Klageverfahrens entschied der BFH über das Verfahren I R 8/19 mit Urteil vom 7. Februar 2024 (BFH/NV 2024, 759). In diesem Zusammenhang wies der Kläger erneut darauf hin, dass eine Aussetzung des Verfahrens nach § 74 Finanzgerichtsordnung (FGO) vorliegend nicht in Betracht komme und kein Einverständnis mit einem Ruhen des Verfahrens nach § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 251 Zivilprozessordnung (ZPO) bestehe.
14
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Körperschaftsteuerbescheid 2012 sowie den Gewerbesteuermessbescheid 2012 jeweils vom … 2019 dahingehend zu ändern, dass weitere nach DBA steuerfreie Einkünfte i.H.v. … € angesetzt und der Gesamtbetrag der Einkünfte bzw. Gewinn aus Gewerbebetrieb in entsprechender Höhe vermindert werden; hilfsweise die Revision zuzulassen.
15
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
16
Das Finanzamt macht geltend, die Klage sei unzulässig, da die Voraussetzungen für die Einlegung einer Untätigkeitsklage nicht vorlägen. Im Streitfall sei zwar die Sechs-Monatsfrist bei weitem überschritten, da die Einspruchseinlegung bereits mit Schreiben vom … 2019 erfolgt sei. Es liege aber ein zureichender Grund vor, warum diese Frist überschritten worden sei. Dieser sei dem Kläger mit Schreiben vom … Oktober 2021 auch mitgeteilt worden. Zudem sei aufgrund der Komplexität und des Umfangs des Falles und der dazu noch anhängigen Gerichtsverfahren bei der „angemessen Frist“ ein großzügiger Maßstab anzulegen. Bei der Fristzumessung sei zu berücksichtigen, dass die bereits ergangene Rechtsprechung des BFH zur Thematik der luxemburgischen SICAV dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 2. Dezember 2013 (IV C 1-S. 1980-1/12/10005:004, BStBl I 2013, 1506) teilweise widerspreche und folglich zur einheitlichen Handhabung der Fälle bzw. Gleichmäßigkeit der Besteuerung eine entsprechende Regelung der Oberbehörde erfolgen müsse, diese aber noch nicht vorliege. Zudem liege insbesondere für die sog. „Bondstripping“-Fälle keine höchstrichterliche Rechtsprechung vor.
17
Im Übrigen sei die Klage auch unbegründet, da die von der SICAV erhaltenen Zahlungen nicht dem (innerstaatlichen) Schachtelprivileg des § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG unterfielen. Denn es handle sich dabei um auf Investmentanteile ausgeschüttete Erträge bzw. Zwischengewinne i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG), auf die nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 Investmentsteuergesetz 2004 (InvStG 2004) § 8b Abs. 1 KStG grundsätzlich keine Anwendung finde. Die erhaltene Zwischenausschüttung i.H.v. … € sei auch nicht aufgrund der Anwendung des abkommensrechtlichen Schachtelprivilegs des Art. 20 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Satz 1 DBA-Luxemburg 1958/2009 von der Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer und des Gewerbesteuermessbetrages auszunehmen. Die Anwendung des DBA-Schachtelprivilegs scheitere insbesondere daran, dass es sich bei der Ausschüttung nicht um Dividenden i.S.d. DBA-Luxemburg 1958/2009 handle und der Kläger als VVaG keine Kapitalgesellschaft im Sinne dieses DBA darstelle.
18
Auch sei die Verlustverrechnungsbeschränkung des § 15b EStG zu berücksichtigen. Ebenso sei § 42 Abgabenordnung (AO) einschlägig. Der Verlust aus der Rückgabe der Anteile an der SICAV müsste ferner unter Anwendung von § 8b Abs. 3 KStG außer Ansatz bleiben.
19
Aufgrund der Parallelität der streitgegenständlichen Sachverhalte erscheine es zweckmäßig, vor einer Entscheidung im vorliegenden Verfahren den Ausgang der sich jeweils im zweiten Rechtszug befindlichen Verfahren vor dem Hessischen Finanzgericht (ursprüngliches Urteil vom 29. November 2017 – 4 K 1186/16, EFG 2018, 62, aufgehoben durch BFH-Urteil vom 15. März 2021 – I R 1/18, BB 2021, 2337) bzw. vor dem Finanzgericht Düsseldorf (ursprüngliches Zwischenurteil vom 17. Dezember 2018 – 2 K 3874/15 F, EFG 2019, 505, aufgehoben durch BFH-Urteil vom 7. Februar 2024 – I R 8/19, BFH/NV 2024, 759) sowie im Anschluss daran die finalen Entscheidungen des BFH abzuwarten und die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO anzuordnen.
20
Sollte das Gericht die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO nicht anordnen, so werde der Erlass eines Zwischenurteils zu den Rechtsfragen angeregt, ob der Kläger sich als Kapitalgesellschaft i.S.d. DBA-Luxemburg 1958/2009 qualifiziere und ob die erhaltene Ausschüttung aus dem Verkauf des Zinscoupons eine Dividende i.S.d. DBA-Luxemburg 1958/2009 darstelle.
21
Wegen des weiteren Sachverhalts und hinsichtlich des weiteren rechtlichen Vortrags wird auf die vom Finanzamt vorgelegten Akten und die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze und Unterlagen Bezug genommen.
II.
22
Das Verfahren ist entscheidungsreif. Die Voraussetzungen für die Anordnung der Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO liegen nicht vor.
23
Soweit das Finanzamt unter Verweis auf anhängige Verfahren bei anderen Finanzgerichten eine Aussetzung begehrt, kann das Begehren hierauf nicht gestützt werden. Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. Beschlüsse vom 28. Juni 2010 – III B 73/10, BFH/NV 2010, 1847; vom 24. September 2012 – VI B 79/12, BFH/NV 2013, 70) kommt eine Aussetzung eines finanzgerichtlichen Verfahrens nach § 74 FGO im Hinblick auf andere anhängige Gerichtsverfahren nur unter besonderen Voraussetzungen in Betracht.
24
Solche liegen grundsätzlich nur dann vor, wenn vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits ein nicht als aussichtslos erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist, zahlreiche Parallelverfahren vorliegen und keiner der Verfahrensbeteiligten ein besonderes berechtigtes Interesse an einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen gesetzlichen Regelung trotz des beim BVerfG anhängigen Verfahrens hat. Ein Klageverfahren darf nicht allein deshalb nach § 74 FGO ausgesetzt werden, weil bei dem BFH ein anderer Rechtsstreit anhängig ist, der eine vergleichbare Rechtsfrage betrifft oder als Musterverfahren geführt wird. In einem solchen Fall können vielmehr beim Finanzgericht schwebende Parallelverfahren nur gemäß § 251 ZPO i.V.m. § 155 FGO zum Ruhen gebracht werden (BFH-Beschlüsse vom 28. Juni 2010 – III B 73/10, BFH/NV 2010, 1847; vom 24. September 2012 – VI B 79/12, BFH/NV 2013, 70).
25
Vorliegend ist eine derartige Verfahrenskonstellation weder dargelegt noch erkennbar. Soweit lediglich Verfahren bei anderen Finanzgerichten anhängig sind, die vermeintlich im vorliegenden Verfahren relevante Rechtsfragen zum Gegenstand haben, reicht dies für die Anordnung der Aussetzung des Verfahrens nicht aus. Auch ein Ruhen des Verfahrens scheidet mangels Zustimmung des Klägers aus.
III.
26
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Erlass eines Zwischenurteils nach § 99 Abs. 2 FGO ist weder erforderlich noch sachdienlich, da über den Streitgegenstand insgesamt entschieden werden kann.
27
1. Die Klage ist auch ohne Abschluss eines außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens gemäß § 46 FGO (Untätigkeitsklage) zulässig.
28
Ist über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 44 FGO ohne vorherigen Abschluss des Vorverfahrens zulässig (§ 46 Abs. 1 Satz 1 FGO).
29
Vorliegend wurde über den Einspruch vom … 2019 bisher noch nicht abschließend entschieden. Zwar ruhte das Einspruchsverfahren zunächst einvernehmlich im Hinblick auf die beim BFH anhängigen Verfahren I R 61/17, I R 1/18 und I R 8/19 (Schreiben des Finanzamts vom 14. Februar 2020). In diesen Verfahren sind mittlerweile Entscheidungen ergangen, zuletzt am 7. Februar 2024 im Verfahren I R 8/19 durch das Urteil des BFH vom 7. Februar 2024 (BFH/NV 2024, 759). Gleichzeitig beantragte der Kläger bereits mit Schreiben vom … November 2020 die Fortsetzung des Einspruchsverfahrens. Vor diesem Hintergrund war das Einspruchsverfahren gemäß § 363 Abs. 2 Satz 4 AO fortzusetzen. Das Begehren auf Sachentscheidung wurde vom Kläger auch im Laufe des Klageverfahrens wiederholt bekräftigt.
30
Somit liegt kein zureichender Grund für ein weiteres Hinausschieben der Einspruchsentscheidung mehr vor. Dies gilt auch insoweit, als das Finanzamt auf weitere anhängige Finanzgerichtsverfahren mit vergleichbarer Problematik verweist. Aufgrund der beschränkten Rechtskraftwirkung (§ 110 FGO) von Entscheidungen in diesen finanzgerichtlichen Verfahren kann vom Kläger im Hinblick auf seinen verfassungsrechtlichen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz ein Abwarten des rechtskräftigen Abschlusses dieser Verfahren nicht abverlangt werden.
31
2. Die Klage ist jedoch unbegründet.
32
Zu Recht wurde in den streitgegenständlichen Bescheiden die Anwendung des Schachtelprivilegs nach Art. 20 Abs. 2 Satz 3 DBA-Luxemburg 1958/2009 auf die streitgegenständlichen Ausschüttungen der SICAV versagt. Der Kläger qualifiziert sich nicht als Kapitalgesellschaft im Sinne dieser Vorschrift.
33
2.1. Die streitgegenständliche Ausschüttung der SICAV an den Kläger ist DBArechtlich als Dividende anzusehen und fällt im Rahmen der Verteilung der Besteuerungsrechte unter Art. 13 DBA-Luxemburg 1958/2009.
34
Bei den Ausschüttungen der SICAV handelt es sich um Einkünfte aus Aktien, weil die SICAV eine besondere Form der Luxemburger société anonyme, einer Aktiengesellschaft, ist (vgl. BFH-Urteil vom 7. Februar 2024 – I R 8/19, BFH/NV 2024, 759). Die Anwendbarkeit des Dividendenartikels (Art. 13 DBA-Luxemburg 1958/2009) folgt aus Nr. 12 des Schlussprotokolls zum DBA-Luxemburg 1958/2009. Danach macht der Besitz von Aktien, Kuxen, Anteilscheinen und ähnlichen Wertpapieren, von Anteilen an Genossenschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung sowie von Anteilscheinen einer Kapitalanlagegesellschaft den Besitzer nicht zum Unternehmer oder Mitunternehmer (Nr. 12 Satz 1 des Schlussprotokolls zum DBA-Luxemburg 1958/2009). Einkünfte aus diesen Wertpapieren und Anteilen werden als Dividenden (Art. 13 DBA-Luxemburg 1958/2009) behandelt (Nr. 12 Satz 2 des Schlussprotokolls zum DBA-Luxemburg 1958/2009).
35
Unerheblich für die DBArechtliche Qualifikation der streitgegenständlichen Ausschüttung ist die investmentsteuerliche Einordnung der Beteiligung des Klägers an der SICAV. Auch die Qualifizierung der SICAV als ausländisches Investmentvermögen i.S.v. § 2 Abs. 8 Satz 1 i.V.m. § 1 Satz 2 des Investmentgesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (InvG) und damit die Anwendbarkeit investmentsteuerlicher Sonderregelungen (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 3 Investmentsteuergesetz in der für das Streitjahr geltenden Fassung – InvStG 2004) kann zu keiner abweichenden Qualifizierung der Ausschüttung führen. Aufgrund der ausdrücklichen abkommensrechtlichen Regelung in Nr. 12 Satz 2 des Schlussprotokolls zum DBA-Luxemburg 1958/2009 ist insoweit kein Raum für einen Rückgriff auf das nationale Recht (BFH-Urteile vom 15. März 2021 – I R 61/17, BFHE 272, 399, BFH/NV 2021, 1387; vom 15. März 2021 – I R 1/18, BB 2021, 2337; vom 7. Februar 2024 – I R 8/19, BFH/NV 2024, 759).
36
2.2. Die Voraussetzungen für die Freistellung der streitgegenständlichen Ausschüttung der SICAV nach dem Schachtelprivileg des Art. 20 Abs. 2 Satz 3 DBA-Luxemburg 1958/2009 sind nicht erfüllt.
37
2.2.1. Gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 DBA-Luxemburg 1958/2009 werden von der Bemessungsgrundlage für die Steuer des Wohnsitzstaats (hier: Deutschland) grundsätzlich die Einkünfte und Vermögensteile ausgenommen, für die nach den vorhergehenden Artikeln der andere Staat (hier: Luxemburg gemäß Art. 13 Abs. 2 DBA-Luxemburg 1958/2009) das Besteuerungsrecht hat. Diese inländische Freistellung gilt bei Dividenden (Art. 13 DBA-Luxemburg 1958/2009) jedoch gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 3 DBA-Luxemburg 1958/2009 nur für solche Dividenden, die einer Kapitalgesellschaft von einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in dem anderen Staat gezahlt werden, deren stimmberechtigte Anteile zu mindestens 25% der erstgenannten Gesellschaft gehören.
38
Das Schachtelprivileg nach Art. 20 Abs. 2 Satz 3 DBA-Luxemburg 1958/2009 gilt neben der Körperschaftsteuer (Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. d DBA-Luxemburg 1958/2009) auch im Rahmen der Gewerbesteuer (Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. e DBA-Luxemburg 1958/2009).
39
2.2.2. Vorliegend ist die ausschüttende SICAV als Kapitalgesellschaft i.S.d. DBA-Luxemburg 1958/2009 anzusehen, da sie im Rahmen eines Typenvergleichs mit der Rechtsform der deutschen Investmentaktiengesellschaft mit veränderlichem Kapital (§§ 96 ff. InvG, jetzt §§ 108 ff. des Kapitalanlagegesetzbuchs – KAGB) vergleichbar ist. Die Investmentaktiengesellschaft fällt als Sonderform der Aktiengesellschaft unter die Definition der Kapitalgesellschaft (vgl. BFH-Urteil vom 7. Februar 2024 – I R 8/19, BFH/NV 2024, 759). Auch überschreitet im Streitfall die Beteiligung des Klägers an der SICAV den Schwellenwert in Art. 20 Abs. 2 Satz 3 DBA-Luxemburg 1958/2009 von mindestens 25% der stimmberechtigten Anteile.
40
2.2.3. Jedoch stellt der Kläger als VVaG keine Kapitalgesellschaft i.S.d. Schachtelprivilegs nach Art. 20 Abs. 2 Satz 3 DBA-Luxemburg 1958/2009 dar.
41
2.2.3.1. Bei der Anwendung des DBA-Luxemburg 1958/2009 durch einen der Vertragsstaaten ist jeder Begriff, der nicht in diesem Abkommen bestimmt worden ist, so auszulegen, wie es sich aus den Gesetzen ergibt, die in dem Vertragsstaat in Kraft sind und sich auf Steuern im Sinne dieses Abkommens beziehen, falls der Zusammenhang keine andere Auslegung erfordert (vgl. Art. Abs. 2 DBA-Luxemburg 1958/2009).
42
Mangels eigenständiger Definition oder sonstiger Anknüpfungspunkte für die Begriffsbestimmung im DBA-Luxemburg 1958/2009 ist vorliegend für den Begriff der Kapitalgesellschaft das Verständnis Deutschlands als Anwenderstaat maßgeblich (vgl. BFH-Urteil vom 7. Februar 2024 – I R 8/19, BFH/NV 2024, 759). Es ist auf den Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG abzustellen (BFH-Urteil vom 15. März 2021 – I R 1/18, BB 2021, 2337).
43
2.2.3.2. Nach dem maßgeblichen innerstaatlichen Recht ist ein VVaG nicht als Kapitalgesellschaft zu qualifizieren.
44
Der Begriff der Kapitalgesellschaft war für den Bereich des Körperschaftsteuerrechts in § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG bis zur Änderung durch das Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften vom 7. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2782 – SEStEG) abschließend bestimmt und einer erweiternden Auslegung nicht zugänglich (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25. Juni 1984 – GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751; Lampert in Gosch, KStG, 4. Auflage 2020, § 1 Rn. 70). Entscheidend für die Einordnung eines Rechtsgebildes in die Gruppe der Kapitalgesellschaften war allein, ob es die zivilrechtliche Rechtsform einer Aktiengesellschaft (AG), einer Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA), einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) oder einer anderen der dort aufgeführten Kapitalgesellschaften hatte. Nicht erfasst von dieser Aufzählung war der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG).
45
Hieran hat sich auch durch das SEStEG nichts geändert, soweit nun durch die Ergänzung des Begriffs „insbesondere“ weitere Rechtsformen unter den Begriff Kapitalgesellschaft fallen sollen. Denn abgesehen davon, dass diese Ergänzung vorrangig das Ziel verfolgte sicherzustellen, dass auch ausländische Gesellschaftsformen, die einer inländischen Kapitalgesellschaft entsprechen, von der unbeschränkten inländischen Körperschaftsteuerpflicht erfasst werden sollen, ist der VVaG weiterhin nach der körperschaftsteuerlichen Systematik als eigenständig zu qualifizieren, da er gesondert unter § 1 Abs. 1 Nr. 3 KStG neben den Kapitalgesellschaften erfasst ist.
46
Auch handelsrechtlich wird der VVaG nicht vom Begriff der Kapitalgesellschaft erfasst. In der amtlichen Überschrift zum Zweiten Abschnitt des Dritten Handelsgesetzbuchs (§§ 264 ff. Handelsgesetzbuch – HGB) werden als Kapitalgesellschaften lediglich die AG, die KGaA und die GmbH genannt. Über Art. 61 der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (ABl. L 294 S. 1) wird die Europäische Gesellschaften (SE) erfasst. Somit ist auch der in §§ 264 ff. HGB verwendete Kapitalgesellschaftsbegriff auf diese nationalen zivilrechtlichen Gesellschaftstypen beschränkt (so Merk in Häublein/Hoffmann-Theinert/Poll, BeckOK HGB, 44. Edition 1.10.2024, § 264 Rn. 1).
47
Im Übrigen ist der VVaG auch nach der für § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG bestimmenden zivilrechtlichen Ordnungsstruktur (vgl. BFH-Urteil vom 20. Oktober 1976 I R 139-140/74, BFHE 120, 236, BStBl II 1977, 96; Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25. Juni 1984 – GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751) nicht mit einer Kapitalgesellschaft vergleichbar. Er stellt sich als Versicherungsunternehmen in der Form eines rechtsfähigen Vereins mit nicht geschlossener Mitgliederzahl dar, welcher die Versicherung ihrer Mitglieder nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit betreibt, wobei die Schadensleistungen aus den Beiträgen der Gesamtheit der Mitglieder stammen (vgl. Rengers in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, 173. Lieferung 9/2024, § 1 KStG Rn. 77; Schmitz-Herscheidt in Micker/Pohl, BeckOK KStG, 22. Edition 15.09.2024, § 1 Rn. 119).
48
2.2.3.3. Auch in anderem Zusammenhang wurde es in der höchstrichterlichen Rechtsprechung abgelehnt, den Begriff der Kapitalgesellschaft DBArechtlich über das zivilrechtliche Verständnis hinaus extensiv auszulegen.
49
So sah der BFH (Urteil vom 21. August 2007 – I R 17/07, BFH/NV 2008, 530) einen rechtsfähigen Verein nicht als Kapitalgesellschaft i.S.d. Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz 1992 an. Demzufolge waren Vergütungen, die eine in Deutschland ansässige Person für ihre Tätigkeit als Organ eines schweizerischen rechtsfähigen Vereins vereinnahmte, keine solchen i.S.v. Art. 15 Abs. 4 Satz 1 DBA-Schweiz 1992 für die entsprechende Tätigkeit als Organ einer in der Schweiz ansässigen Kapitalgesellschaft und deswegen, soweit sie auf Aktivitäten außerhalb der Schweiz entfallen, nicht von der deutschen Einkommensteuer freigestellt.
50
Auch eine schweizerische Genossenschaft wurde nicht als Kapitalgesellschaft i.S.d. Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz 1992 behandelt (vgl. BFH-Urteil vom 12. Oktober 2011 – I R 93/10, BFH/NV 2012, 275). Der BFH bestätigte dabei seine Auffassung, dass der Begriff der Kapitalgesellschaft nicht jede Rechtsperson erfasst, die sowohl nach schweizerischem wie auch nach deutschem Rechtsverständnis als juristische Person bzw. Körperschaft anzusehen ist. Eine Ausdehnung des in Art. 15 Abs. 4 Satz 1 DBA-Schweiz 1992 verwendeten (engeren) Begriffs der Kapitalgesellschaft auf Körperschaften jeglicher Art könne weder aus dem Abkommenstext noch -zusammenhang abgeleitet werden (BFH-Urteil vom 12. Oktober 2011 – I R 93/10, BFH/NV 2012, 275, Rn. 14). Der insoweit eindeutige Abkommenswortlaut stehe nach Auffassung des BFH der Annahme entgegen, letztlich alle Gesellschaftsformen mit Haftungsbegrenzung, eigener Rechtssubjektivität bzw. Steuerrechtsfähigkeit und einer Beteiligung der Mitglieder/Gesellschafter am Gewinn nur im Falle der Ausschüttung abkommensrechtlich als Kapitalgesellschaft zu behandeln. Der von den Vertragsstaaten in Kenntnis der Differenzierungsmöglichkeiten vereinbarte klare Abkommenswortlaut begrenze sowohl ein ausweitendes als auch ein einengendes Verständnis des Begriffs der Kapitalgesellschaft (BFH-Urteil vom 12. Oktober 2011 – I R 93/10, BFH/NV 2012, 275, Rn. 15).
51
Diese Ausführungen gelten nach Auffassung des Senats auch im Streitfall. Deshalb ist auch im Streitfall eine entsprechende enge Auslegung des Begriffs „Kapitalgesellschaft“ in Art. 20 Abs. 2 Satz 3 DBA-Luxemburg 1958/2009 geboten, da es im DBA-Luxemburg 1958/2009 an einer eigenständigen Definition des Begriffs fehlt. Eine Relevanz des Umstands, dass vorliegend im Gegensatz zu den Bezugsentscheidungen zu Art. 15 Abs. 4 Satz 1 DBA-Schweiz 1992 die Qualifizierung einer inländischen und nicht ausländischen Gesellschaft zu beurteilen ist, ist nicht erkennbar.
52
2.2.3.4. Auch das Vorbringen des Klägers führt zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung.
53
Soweit unter Verweis auf die Urteile des BFH vom 15. März 2021 (I R 1/18, BB 2021, 2337 Rn. 41; I R 61/17, BFHE 272, 399 Rn. 33) auf eine Dichotomie zwischen juristischen Personen gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 KStG und § 1 Abs. 1 Nr. 4 KStG verwiesen wird, hat dies für die Auslegung des Begriffs „Kapitalgesellschaft“ i.S.d. Art. 20 Abs. 2 Satz 3 DBA-Luxemburg 1958/2009 keine Bedeutung. Denn die Ausführungen des BFH betrafen die rechtliche Qualifizierung einer luxemburgischen SICAV sowie ihre Vergleichbarkeit zur inländischen Investmentaktiengesellschaft (§ 96 Abs. 1 Satz 1 InvG). Insoweit stellt der BFH die SICAV im Rahmen des Rechtstypenvergleichs einer inländischen Investmentaktiengesellschaft gleich und ordnete im Ergebnis beide Gesellschaftsformen unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG ein. Hieraus kann keine Zuordnung eines VVaG zur Gruppe der Kapitalgesellschaften abgeleitet werden.
54
Soweit der Kläger auf einzelne im Streitjahr geltende Verwaltungsvorschriften (BMF-Schreiben vom 30. Dezember 1983, IV C 5-S. 1300-386/83, DB 1984, 217; vom 12. Mai 1989, IV C 5-S. 1300-186/89, DB 1989, 1165; OFD Frankfurt/M. vom 1. November 1994, S. 3222 A – 1 – St III 30, DB 1994, 2591) verweist, kann dies vorliegend die Anwendung der begehrten Schachtelprivilegierung nicht rechtfertigen. Zwar wird darin ein Schachtelprivileg in deutschen DBA, welches nur auf „Kapitalgesellschaften“ Bezug nimmt, auf alle juristischen Personen (außer Stiftungen) und damit auch auf den VVaG ausgedehnt. Diese lediglich verwaltungsseitig vorgenommene Ausdehnung bindet jedoch die Gerichte grundsätzlich nicht. Als norminterpretierende Verwaltungsvorschriften stehen sie unter dem Vorbehalt einer abweichenden Auslegung der Norm durch die Rechtsprechung, der allein es obliegt zu entscheiden, ob die Auslegung der Rechtsnorm durch die Finanzverwaltung im Einzelfall Bestand hat (vgl. BFH-Urteil vom 5. Juni 2024 – I R 3/22, DB 2024, 2537).
55
Eine von den Gerichten zu berücksichtigende Bindung ergibt sich vorliegend auch nicht unter dem Gesichtspunkt der „Selbstbindung der Verwaltung“. Zwar können Verwaltungsvorschriften, die eine ausreichende Rechtsgrundlage haben, der Gesetzeslage nicht widersprechen und Ermessenserwägungen der Finanzbehörden festschreiben, die Finanzverwaltung unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) binden und einen auch von den Finanzgerichten zu beachtenden Rechtsanspruch der Steuerpflichtigen begründen, nach Maßgabe der Ermessensrichtlinie behandelt zu werden. Art. 3 Abs. 1 GG vermittelt aber keinen Anspruch auf Anwendung einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. BFH-Urteil vom 9. September 2020 – III R 37/19, BFH/NV 2021, 449). Vorliegend gibt es keine ausreichende Rechtsgrundlage, auf die die von der Verwaltung vorgenommene Erweiterung des Kreises der Berechtigten für die Anwendung des streitgegenständlichen Schachtelprivilegs gestützt werden könnte.
56
2.3. Im Streitfall ist die streitgegenständliche Gewinnausschüttung der SICAV auch nicht aus anderen Gründen von der Besteuerung freizustellen. Insbesondere kann eine Steuerbefreiung nicht auf § 8b KStG gestützt werden.
57
2.3.1. Die SICAV ist zwar im Streitfall einer inländischen Investmentaktiengesellschaft vergleichbar und fällt somit als Kapitalgesellschaft unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG. Somit können deren Auszahlungen auch als Bezüge nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu qualifizieren sein und unter das Regelungsregime des § 8b KStG fallen. Vorliegend wird die Anwendung dieser Regelung jedoch von den investmentsteuerlichen Sonderreglungen nach dem InvStG 2004 eingeschränkt. Denn die Anteile des Klägers an dem Teilfonds … der SICAV sind als Investmentanteile i.S.d. InvStG 2004 anzusehen. Das InvStG als Sonderregelung (lex specialis) verdrängt abweichende steuerliche Vorschriften im EStG, KStG und GewStG (vgl. Lübbehüsen in Berger/Steck/Lübbehüsen, InvG/InvStG, 2010, Vorbemerkung zu §§ 1 ff. InvStG Rn. 25).
58
2.3.2. Die SICAV ist als ausländisches Investmentvermögen i.S.v. § 2 Abs. 8 Satz 1 i.V.m. § 1 Satz 2 InvG anzusehen, auf das das InvStG 2004 anwendbar ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 InvStG 2004). Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Anhaltspunkt, die hiergegen sprechen könnten, sind nicht erkennbar bzw. geltend gemacht.
59
Die streitgegenständlichen Investmentanteile des Klägers befinden sich in seinem Betriebsvermögen (§ 8 Abs. 2 KStG). Ausschüttungen hierauf sind deshalb als Betriebseinnahmen zu qualifizieren. Eine (Um-)Qualifizierung als Einkünften aus Kapitalvermögen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG nach der Spezialregelung des § 2 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 InvStG 2004 greift deshalb vorliegend nicht. Gemäß der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung des § 2 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 InvStG 2004 ist auf Ausschüttungen auf diese Investmentanteile § 8b Abs. 1 KStG außer in den Fällen des § 2 Abs. 2 InvStG 2004 nicht anzuwenden (Herlinghaus in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, 2. Auflage 2023, § 8 Rn. 72).
60
2.3.3. Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 InvStG 2004 für eine Anwendbarkeit des § 8b Abs. 1 KStG sind vorliegend nicht erfüllt.
61
Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 InvStG 2004 ist § 8b KStG dann anzuwenden, wenn ausgeschüttete und ausschüttungsgleiche inländische und ausländische Erträge solche i.S.d. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 1a sowie Satz 2 EStG enthalten. Soweit ausgeschüttete inländische Erträge und ausländische Erträge solche i.S.d. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 sowie Satz 2 EStG enthalten, ist § 2 Abs. 2 Satz 1 InvStG 2004 entsprechend anzuwenden (§ 2 Abs. 2 Satz 2 InvStG 2004).
62
Bei den streitgegenständlichen Ausschüttungen handelt es sich nicht um solche i.S.d. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG, da es sich mangels inländischen Sitzes bzw. Geschäftsleitung der SICAV nicht um inländische Kapitalerträge handelt (vgl. § 43 Abs. 3 EStG). Im Übrigen stellen die ausgeschütteten Erlöse aus der Veräußerung der abgetrennten Zinscoupons weder Kapitalerträge i.S.d. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG noch des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 EStG dar. Diese unterfallen damit auch nicht § 2 Abs. 2 Satz 2 InvStG 2004.
63
Die von der SICAV erhaltene Ausschüttung kann somit nicht nach dem (innerstaatlichen) Schachtelprivileg des § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz bleiben.
64
2.3.4. Die Auszahlungen der SICAV können auch nicht als Rückzahlung von Grundkapital steuerlich unberücksichtigt bleiben.
65
Ob es sich bei einer Zuwendung einer ausländischen Kapitalgesellschaft an ihren Gesellschafter um eine Ausschüttung oder um eine Rückzahlung von Grundkapital bzw. eine Einlagenrückgewähr handelt, bestimmt sich nach dem für die betreffende Gesellschaft jeweils anzuwendenden ausländischen Gesellschaftsrecht (vgl. BFH-Urteile vom 14. Oktober 1992 – I R 1/91, BFHE 169, 213, BStBl II 1993, 189; vom 6. Juni 2012 – I R 6, 8/11, BFHE 237, 346, BStBl II 2013, 111; vom 15. März 2021 – I R 1/18, BB 2021, 2337).
66
Vorliegend liegt nicht lediglich eine Rückzahlung von Kapital vor, da die Ausschüttung einer wirtschaftlichen Tätigkeit der SICAV nachfolgte. Diese bestand in der Abtrennung von Zinsscheinen mit anschließender Veräußerung. Die Erlöse hieraus wurden zur Ausschüttung genutzt. Es lag im Streitfall damit keine bloße Vermögensumschichtung ohne jegliche Erwerbstätigkeit vor. Dass möglicherweise keine reale Vermögensmehrung durch das vorgenommene „Bondstripping“ auf Ebene der SICAV eintrat, ist unerheblich, da nach deutschem Recht für die Annahme einer Dividende gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG nicht maßgeblich ist, ob die Zuwendung zu Lasten des Gewinns oder zu Lasten der Vermögenssubstanz geht (vgl. BFH-Urteil vom 7. Februar 2024 – I R 8/19, BFH/NV 2024, 759).
67
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
68
4. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen.
69
5. Nach dem Sach- und Streitstand erscheint es sachgerecht, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden (§ 90a FGO).