Titel:
Unwirksame Rechtswahl- und Erstattungsklauseln in den Allgemeinen Beförderungsbedingungen einer Fluggesellschaft
Normenketten:
BGB § 307 Abs. 2 Nr. 1, § 648, § 649
Klausel-RL Art. 3 Abs. 1, Art. 5
Rom-l-VO Art. 6 Abs. 2
Leitsätze:
1. Eine Rechtswahlklausel (hier in einem Beförderungsvertrag eines Luftfahrtunternehmens) darf nicht gegen die Mindestvorgaben nach Art. 3 Abs. 1 und Art. 5 der Klausel-RL verstoßen und muss in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls den Anforderungen an Treu und Glauben, Ausgewogenheit und Transparenz bei der Beurteilung durch ein nationales Gericht genügen . (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Unwirksam ist eine Rechtswahlkausel, in der es heißt, dass von der Rechtswahl "diejenigen Bestimmungen unberührt [bleiben], von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf, insbesondere der Übereinkommen, der APR 2019 oder der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (zu den Begriffen siehe den Abschnitt ‚Definitionen‘)", da sie es damit im Ergebnis der nur mit juristischen Kenntnissen möglichen Auslegung des jeweiligen Anwenders, von welchen konkreten Bestimmungen nicht abgewichen werden darf. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Klausel, nach der bei Nichtantritt des Fluges durch den Fluggast der Anspruch auf Erstattung von Steuern und Gebühren auf die Luftverkehrssteuer beschränkt wird, ist unwirksam. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
AGB, Fluggast, Interessenausgleich, Intransparenz, Rechtswahlklausel, Steuern und Gebühren, unangemessene Benachteiligung, Verbraucher
Rechtsmittelinstanz:
LG Landshut, Endurteil vom 31.01.2025 – 13 S 2418/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 40615
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 30,14 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 21.02.2024 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 30,14 € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Rückerstattung der anteiligen Ticketkosten für Steuern und Gebühren nach dem Nichtantritt eines Fluges durch den Fluggast aus abgetretenem Recht.
… buchte für … bei der Beklagten einen Flug mit der Beklagten von L. G. nach M. für den 04.02.2023, Flugnummer U28641 und bezahlte hierfür den Flugpreis an die Beklagte. Der Fluggast nahm die gebuchten Flüge nicht in Anspruch, er erschien nicht zur Abfertigung und trat den Flug nicht an. Die anlässlich der Flugbuchung einbezogenen AGB der Beklagten enthalten unter anderem folgende Regelungen:
4.2 Wenn Sie eine Buchung vornehmen, wird die anwendbare Luftverkehrssteuer auf Sie übertragen und ist im Gesamtpreis enthalten, den Sie an uns zahlen. Die Luftverkehrssteuer ist in der Steuertabelle in unseren Gebühren und Abgaben aufgeführt.
4.4 Abgesehen von der Luftverkehrssteuer tragen wir die Kosten, die uns bei der Bereitstellung Ihres Fluges entstehen (z.B. Treibstoffkosten, Flughafengebühren, Wartungsdienste usw.). Wir geben diese Gebühren von Dritten nicht an Sie weiter.
5.1 Unsere Tarife und Gebühren sind nicht erstattungsfähig. Wenn Sie also Ihren Flug stornieren, verpassen oder nicht antreten, erhalten Sie keine Rückerstattung, es sei denn, dies ist in diesen Bedingungen angegeben.
Erstattung der Luftverkehrssteuern
5.4 Wenn Sie Ihren Flug stornieren, verpassen oder nicht antreten, hat dies keine Auswirkungen auf die anderen Flüge Ihrer Buchung. Sie können eine volle Rückerstattung der Luftverkehrssteuer (wie in Gebühren und Abgaben aufgeführt) für den Flug/die Flüge, den/die Sie nicht nehmen, verlangen. Dies können Sie tun, indem Sie sich an unser Kundenserviceteam wenden.
In Übereinstimmung mit der beschränkten Rechtswahlmöglichkeit nach dem zweiten Unterabsatz von Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (sog. Rom 1 Verordnung) unterliegen ihr Beförderungsvertrag mit uns sowie diese Beförderungsbedingungen dem Recht von England und Wales. Von der Rechtswahl bleiben diejenigen Bestimmungen unberührt, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf, insbesondere der Übereinkommen, der APR 2019 oder der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (zu den Begriffen, siehe den Abschnitt „Definitionen“).
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Die Klägerin forderte die Beklagte mit Schreiben vom 01.02.2024 unter Fristsetzung von 14 Tagen erfolglos zur Erstattung von Steuern und Gebühren auf.
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Die Klägerin behauptet, … habe seine Rückerstattungsansprüche, die infolge des Nichtantritts des Fluges durch … gegen die Beklagte bestünden, an die Klägerin abgetreten. Für den Flug U28641 vom 04.02.2024 hätten sich die Steuern und Gebühren pro tatsächlich befördertem Passagier auf insgesamt 30,14 € belaufen. Konkret handele es sich dabei um folgende Einzelpositionen:
- 14.3 € Luftverkehrabgabe des Abfuglandes beim Flug U28641 am 4.2.2024 mit Start am Flughafen LGW
- 15,25 € Passagierentgelt für die Abfertigung des Fluges U28641 am 4.2.2024 am Startfughafen LGW gemäß dessen Entgeltordnung in der zur Flugzeit maßgeblichen Fassung
- 0,29 € PRM-Umlage, erhoben für den Abfug mit U28641 am 4.2.2024 am Startfughafen LGW gemäß dessen Entgeltordnung in der zur Flugzeit maßgeblichen Fassung
- 0,3 € Sicherheitsentgelt, erhoben für den Abfug mit U28641 am 4.2.2024 am Startfughafen LGW gemäß dessen Entgeltordnung in der zur Flugzeit maßgeblichen Fassung
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Die Klägerin meint, sie habe aus abgetretenem Recht einen Anspruch auf Erstattung dieser Steuern, Gebühren und Abgaben, die sich die Beklagte infolge des Nichtantritts der Flüge erspart habe. Entgegenstehende Regelungen zur Nichtanwendbarkeit des deutschen Rechts in den AGB der Beklagten seien wegen unangemessener Benachteiligung der Fluggäste unwirksam.
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Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 30,14 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.02.2024 zu bezahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte meint, es läge eine entgegenstehende Rechtshängigkeit vor, da im Verfahren 113 C 1865/24 ebenfalls Ansprüche des … geltend gemacht werden, betreffend den selben Flug.
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Weiter meint die Beklagte, eine entgeltliche Abtretung sei nach dem maßgeblichen Recht von England und Wales unzulässig und damit unwirksam. Eine Erstattung nach einer Flugstomierung durch den Fluggast sei nach dem Recht von England und Wales nicht vorgesehen. Die Rechtswahlklausel entspreche den Anforderungen der hierzu ergangenen Rechtsprechung. Dem Fluggast seien weiterhin keine Flugnebenkosten in Rechnung gestellt worden, welche über die staatliche Luftverkehrssteuer hinausgingen. Die Beklagte trage jene Flugnebenkosten nämlich aus ihrem eigenen Vermögen, sodass sie nicht nach Art. 23 Abs. 1 VO (EG) 1008/2008 auszuweisen seien. Sie fielen bei dem Fluggast mithin nicht an.
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Die Klägerin wendet ein, dass das Verfahren 113 C 1865/24 Ansprüche des … beträfe und das vorliegende Ansprüche für den Flug von ….
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Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf die Schriftsätze der Klagepartei vom 23.02.2024, 28.05.2024 und 22.06.2024, 13.07.2024 sowie der Beklagten vom 10.05.2024, 13.06.2024, 17.06.2024 und 10.07.2024, jeweils nebst Anlagen, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Gemäß § 495 a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
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Die Klage ist zulässig und begründet.
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Die Klage ist zulässig. Es liegt keine entgegenstehende Rechtshängigkeit vor, da im Verfahren 113 C 1865/24 ein anderer Streitgegenstand vorliegt. Der Streitgegenstandsbegriff ist zweigliedrig zu bestimmen, aus Antrag und zugrundeliegenden Lebenssachverhalt. Vorliegend geht es um Buchungen, die zwei Monate auseinander liegen, da der Zedent … die Buchung für sich selbst am 08.09.2023 tätigte, für … am 25.11.2023.
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Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch aus §§ 648 S. 2, S. 3, 812 Abs. 1 S. 2 BGB i.V.m. § 398 BGB wegen der Kündigung des mit der Beklagten geschlossenen Personenluftbeförderungsvertrages der vom Fluggast entrichteten Taxen, Steuern und Gebühren, die mangels Beförderung tatsächlich nicht angefallen sind in Höhe von 30,14 €.
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1. Bei dem vorliegend geschlossenen Vertrag über eine Personenluftbeförderung handelt es sich um einen Werkvertrag (BGH, Urteil vom 16.02.2016, X ZR 97/14). Indem der Fluggast wurde konkludent die Kündigung des Personenluftbeförderungsvertrages für die Flüge von L. nach M. erklärt. Demnach ergibt sich aus § 648 S. 2 Hs. 2, dass auf die vereinbarte Vergütung der Beklagten dasjenige anzurechnen ist, was sich die Beklagte erspart hat. Insoweit erstreckt sich der Anspruch auf die nicht angefallenen Steuern und Gebühren, die lediglich für tatsächlich mitreisende Fluggäste abgeführt werden müssen.
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2. Die Aktivlegitimation liegt vor. Das Gericht ist aufgrund der Anlage K1 davon überzeugt, dass der Fluggast … die streitgegenständlichen Ansprüche an die Klägerin abgetreten hat, Ein Abgleich der Unterschriften auf der eingescannten Abtretungserklärung vom 29.01.2024 und auf dem in Ablichtung zur Akte gereichten Personalausweis des Fluggastes ergibt eine eindeutige Übereinstimmung des Schriftbildes. Anhaltspunkte für Zweifel an der Echtheit der Unterschrift gibt es dabei nicht.
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3. Die Abtretung ist wirksam. Auf den Beförderungsvertrag und auf die Abtretung der aus diesem Vertrag resultierenden Ansprüche ist vorliegend nach Art. 5 Abs. 2 S. 1 Rom-I-VO deutsches Recht anzuwenden, weil der in Karlsruhe wohnhafte Fluggast seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort im Bundesgebiet hat, in welchem sich der Bestimmungsort des Fluges befindet.
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4. Die Rechtswahlklausel in 21.1. Der AGB der Beklagten verstößt gegen die europäische Klauselrichtlinie (EG 93/13) und ist daher unwirksam, mit der Konsequenz, dass nicht walisisches und englisches Recht, sondern deutsches Recht Anwendung findet. Das Gericht schließt sich dabei der überzeugenden Argumentation in den Urteilen des Amtsgerichts Königs Wusterhausen vom 11.11.2022, 4 C 3293/22 (2), des Amtsgerichts Wedding vom 12.07.2023, 7 C 413/22 und des Amtsgerichts Erding vom 22.10.2023, Az. 104 C 5939/23 an, die jeweils die im Wortlaut identische streitgegenständliche Rechtswahlklausel der Beklagten zum Gegenstand hatten und jeweils die Unwirksamkeit dieser Klausel aufgrund der Intransparenz für Fluggäste als Vertragsverpartner feststellten.
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Dabei wurde vom AG Königs Wusterhausen zutreffend ausgeführt: Eine Rechtswahlklausel darf nicht gegen die Mindestvorgaben nach Art. 3 Abs. 1 und Art. 5 der Klausel-RL verstoßen und muss in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls den Anforderungen an Treu und Glauben, Ausgewogenheit und Transparenz bei der Beurteilung durch ein nationales Gericht genügen, vgl. EuGH, Urteil vom 28.07.2016 – C-191/15, NJW 2016, 2727 und OLG Köln, Beschluss vom 29.01.2021 – 9 U 184/20, NZV 2021, 196.
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Diese Voraussetzungen erfüllt Ziffer 21.1 der Beförderungsbedingungen der Beklagten nicht. Vielmehr erweist diese Klausel sich als irreführend, intransparent und daher rechtsmissbräuchlich im Sinne von Art. 3 Abs. 1 und Art. 5 der Klausel-RL.
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Nach Art. 3 Satz 1 der Klausel-RL ist eine Rechtswahlklausel unwirksam, wenn sie treuwidrig zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte des Verbrauchers beinhaltet. Hiernach sind Rechtswahlabreden gegenüber Verbrauchern nicht nur auf ihre inhaltliche Angemessenheit, sondern auch auf ihre Transparenz hin zu kontrollieren. Insoweit sieht Art. 5 Satz 1 Klausel-RL vor, dass Klauseln, die einem Verbraucher in Verträgen unterbreitet werden, stets klar und verständlich abgefasst sein müssen, wobei dieses Transparenzgebot im Hinblick auf das regelmäßig vorherrschende Informationsgefälle zwischen Verbraucher und Unternehmer weit auszulegen ist.
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Diesem Transparenz- und Verständlichkeitserfordernis wird die von der Beklagten verwendete Klausel nicht gerecht, weil für den durchschnittlichen Verbraucher nicht hinreichend deutlich wird, welches bindende Recht anzuwenden ist. Denn sie postuliert im zweiten Absatz, dass von der Rechtswahl „diejenigen Bestimmungen unberührt [bleiben], von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf, insbesondere der Übereinkommen, der APR 2019 oder der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (zu den Begriffen siehe den Abschnitt „Definitionen“)“. Die Klausel überlässt es damit im Ergebnis der nur mit juristischen Kenntnissen möglichen Auslegung des jeweiligen Anwenders, von welchen konkreten Bestimmungen nicht abgewichen werden darf. Der konkrete Anwendungsbereich der Ausnahme von der globalen Anwendbarkeit des Rechts von England und Wales bleibt damit jedenfalls für den Verbraucher als Adressaten unklar.
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Entgegen der Auffassung der Beklagten ist diese Formulierung auch nicht aufgrund ihrer Verankerung in Art. 6 Abs. 2 S. 2 Roml-Vo zulässig. Es oblag der Beklagten als Verwenderin der Rechtswahlklausel den in dieser Verordnung als Tatbestandsmerkmal gefassten Begriff zu subsumieren und gegenüber ihren Vertragspartnern konkret anzugeben, von welchen Vorschriften nicht abgewichen werden darf. Die damit im Ergebnis eingeräumte Nichterfüllung dieser nur mit juristischen Kenntnissen möglichen Aufgabenstellung führt zur Unwirksamkeit der Klausel, weil die Beklagte als Verwenderin bewusst in Kauf nimmt, dass der konkrete Inhalt der Klausel nur mit Kenntnissen des (internationalen) Rechts eruiert werden kann.
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Daran ändert auch die über die Verwendung des Wortes „insbesondere“ offensichtlich lediglich beispielhafte Aufzählung einiger indisponibler Vorschriften nichts. Zudem ist auch dieser Verweis jedenfalls hinsichtlich der Begriffe „Übereinkommen“, „APR 2019“ oder „Verordnung EU 261“ intransparent. Diese sind ohne nähere Erläuterung nicht aus sich heraus verständlich und bereits keine vollständigen Zitate der maßgeblichen Rechtsvorschriften. Der konkrete Inhalt der Ausnahme von dem eigentlich für anwendbar erklärten Recht ist damit im Ergebnis nur über den Inhalt eines gesonderten Abschnittes der AGB („Definitionen“) sowie der Lektüre der darin geregelten Materie möglich. Ein derartiger Kettenverweis von einer Regelung zur Ausnahme, zu einem gesonderten Definitionsabschnitt zu einem erst gesondert zu recherchierenden Normtext ist nicht klar und verständlich, sondern intransparent und irreführend (vgl. zu Kaskadenverweisen in Belehrungen gegenüber Verbrauchern: BGH, Urteil vom 27.10.2020 – XI ZR 498/19, NJW 2021, 307, Rn. 13 unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 26.3.2020 – C-66/19, NJW 2020, 1423. Dies wird auch dadurch deutlich, dass die Beklagte für bestimmte Ansprüche nach der VO (EG) 261/2004 an völlig anderer Stelle ihrer AGB in Ziffer 15.5 erneut unter Verwendung unzureichender Abkürzungen und Verweisungen auf die maßgeblichen Rechtsvorschriften hinweist und dem Vertragspartner damit auch redaktionell unübersichtlich darstellt, welche Rechtsvorschriften in welchem Fall anwendbar sein sollen.
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Darin liegt keine für eine gültige Rechtswahl erforderliche Unterrichtung des Verbrauchers über die bindenden Rechtsvorschriften, die die Rechtswahlabrede bestimmen. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt ist kein Verstoß gegen den in Art. 6 Abs. 2 Roml-VO als zwingend angesehenen rechtlichen Mindeststandard, sondern vielmehr die fehlende Klarheit und Verständlichkeit der Rechtswahlklausel für den durchschnittlichen Verbraucher, so auch LG Landshut, Beschluss vom 09.04.2024, Az. 12 S 3298/23 e.
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4. Der Anspruch ergibt sich aus §§ 648 S. 2, S. 3, 812 Abs. 1 S. 2 BGB i.V.m. § 398 BGB für die Steuern und Gebühren, die durch den Nichtantritt der Flüge erspart wurden. Die Höhe dieser Steuern und Gebühren wurden von der Klagepartei nachvollziehbar dargelegt. Das pauschale Bestreiten der Beklagten, dass andere Flugnebenkosten als die staatliche Luftverkehrssteuer auf die Buchung angefallen sind und von dem Fluggast bezahlt worden ist unbeachtlich, § 138 Abs. 3 ZPO. Die Anforderungen an das Bestreiten korrelieren mit der Substantiierung des klägerischen Vortrags (Anders/Gehle/Anders ZPO § 138 Rn. 23). Vorliegend wurde von der Klagepartei eine detaillierte Aufstellung der einzelnen Positionen erstellt. Insoweit ist das pauschale Bestreiten, dass keine anderen Steuern als die Luftverkehrssteuer angefallen sind, unbeachtlich. Die Beklagte verfügt als vertragliches und ausführendes Luftfahrtunternehmen über präzise Informationen zur jeweiligen Höhe der Gebühren und Abgaben, die in Abhängigkeit von der Flugteilnahme pro Passagier anfallen. Aufgrund des detaillierten Vortrages der Klagepartei ist auch die Erklärungslast der Beklagten gemäß § 138 Abs. 2 ZPO höher. Wegen der speziellen Kenntnis als Luftfahrtunternehmen, reicht das einfache Bestreiten nicht aus.
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Eine Beschränkung der Rückerstattungspflicht auf eine bestimmte Steuer oder Abgabe stellt nach Auffassung des Gerichts eine unangemessene Benachteiligung des Fluggastes gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB dar. Aus diesem Grund ist Ziffer 5.4. der AGB unwirksam, sodass eine Begrenzung der Erstattungspflicht lediglich auf die Luftverkehrssteuer nicht wirksam vereinbart wurde. Denn hierin liegt eine unangemessene Benachteiligung des Fluggastes § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, vgl. mit überzeugender Begründung AG Königs Wusterhausen, Urteil vom 11.11.2022, 4 C 3293/22 und AG Erding vom 22.10.2023, Az. 104 C 5939/23.
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Zwar hat der Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 20.03.2018, X ZR 25/17, NJW 2018, 2039 einen Kündigungsausschluss durch AGB im Rahmen des Luftbeförderungsvertrages grundsätzlich gebilligt. Dies betraf indes ausdrücklich den Fall, dass nicht verbrauchte Steuern und Gebühren erstattbar sind. In seiner Entscheidung hat der BGH auf den der Vorschrift des § 649 BGB [a.F.]/§ 648 BGB [n.F.] zugrundeliegenden Gedanken der Vorteilsausgleichung abgestellt und hervorgehoben, dass die Vorschrift sicherstelle, dass der Unternehmer durch die Kündigung keine Nachteile erleide, aber auch keine Vorteile ziehe. Als maßgebliches und schützenswertes Interesse des Unternehmers hat er dabei die diesem entstehenden hohen Fixkosten durch die Bereitstellung der Beförderungsleistung und die zur Kostendeckung erforderliche Auslastung angesehen. Ein schützenswertes Interesse des Unternehmens daran, nicht angefallene Steuern und Gebühren vereinnahmen zu dürfen, hat der BGH dabei aber gerade nicht erkannt.
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Die Regelung in § 648 Satz 2 BGB dient dem Zweck, einen ausgewogenen Ausgleich der widerstreitenden Interessen im Falle einer Kündigung ohne besonderen Grund zu gewährleisten. Zu diesem Interessenausgleich gehört es, den Unternehmer vor Nachteilen aufgrund der Kündigung zu bewahren (BGH, Urteil vom 12. Juli 2007 – VII ZR 154/06, NJW 2007, 3423 Rn. 18). Sinn und Zweck ist es aber nicht, dem Unternehmer so einen finanziellen Vorteil aufgrund der Kündigung zu verschaffen, vgl. BGH, Urteil vom 01.08.2023 – X ZR 118/22.
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Vor diesem Hintergrund muss sich der Unternehmer Aufwendungen, die ihm bei Erfüllung des Vertrags entstanden wären, aufgrund der Kündigung aber nicht angefallen sind, anrechnen lassen, und zwar unabhängig davon, ob und in welcher Weise er sie in seine Preiskalkulation einbezogen hat. Aufwendungen, die bei Erbringung der Leistung anfallen, führen auch dann zu einer Vermögenseinbuße des Unternehmers, wenn sie nicht in die Kalkulation eingeflossen sind. Unabhängig von der konkreten Kalkulationsweise steht dem Unternehmer bei Erfüllung des Vertrags nur die vereinbarte Vergütung zu. Der hieraus erzielbare Gewinn wird durch die tatsächlich anfallenden Aufwendungen bestimmt. Ob und inwieweit diese in die Kalkulation eingeflossen sind, hat hierauf keinen Einfluss. Wenn der Unternehmer nach der Kündigung die gesamte vereinbarte Vergütung behalten dürfte, obwohl er Aufwendungen erspart hat, stünde er mithin besser als bei Durchführung des Vertrags. Dies widerspricht der Zielsetzung von § 648 Abs. 2 BGB, vgl. BGH, Urteil vom 01.08.2023 – X ZR 118/22.
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Insoweit sind die Aufwendungen, welche er sich aufgrund der Kündigung erspart hat, anzurechnen und entgegenstehende Klauseln in den AGB unwirksam, da sie von dem Grundsatz abweichen.
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Die Intransparenz ergibt sich auch gerade aus der deutschen Sprachfassung, sodass Beweis zur gewählten Sprache nicht erhoben werden musste.
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Die Verurteilung zur Zahlung der Zinsen gründet sich auf §§ 286, 288 BGB.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat Ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
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Die Zulassung der Berufung erfolgte gemäß § 511 Abs. 4 S. 1 Nr. 1, Nr. 2 ZPO.