Inhalt

VG München, Beschluss v. 23.12.2024 – M 18 E 24.7362
Titel:

Sozialpädagogischer Entscheidungsspielraum und gerichtliche Kontrolle (Schulbegleitung)

Normenketten:
VwGO § 123 Abs. 1
SGB VIII § 35a
Leitsätze:
1. Bei einer Teilhabebeeinträchtigung gem. § 35a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VIII im schulischen Bereich wird der zeitliche Umfang der Schulbegleitung in einem kooperativen, sozialpädagogischen Prozess festgelegt, der eine fachlich vertretbare Lösung anstrebt. Die verwaltungsgerichtliche Prüfung beschränkt sich auf die Vertretbarkeit der Hilfemaßnahmen (BeckRS 2015, 41918) und ob fachliche Maßstäbe eingehalten, sachfremde Erwägungen ausgeschlossen und die Betroffenen umfassend beteiligt wurden. (Rn. 34 – 43 und 37) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der sozialpädagogische Einschätzungsspielraum des Jugendamts kann sich nur in besonderen Einzelfällen auf eine zwingend erforderliche Maßnahme verdichten. Ein solcher Fall muss hinreichend glaubhaft gemacht werden, dass die beantragte Schulbegleitung alternativlos und andere Maßnahmen ungeeignet sind. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweilige Anordnung (abgelehnt), Schulbegleitung als Maßnahme der Eingliederungshilfe, Zeitlicher Umfang der Schulbegleitung, „Zusicherung“ einer höheren Bewilligung, Eingliederungshilfe, Teilhabebeeinträchtigung, Ablehnung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 07.02.2025 – 12 CE 25.44
Fundstelle:
BeckRS 2024, 40607

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die vorläufige Bewilligung einer Schulbegleitung in einem höheren als dem von der Antragsgegnerin bewilligten zeitlichen Umfang für den Besuch der vierten Klasse der S.-Grundschule I.
2
Bei dem am ... 2014 geborenen Antragsteller L. wurde kontinuierlich, zuletzt in der ärztlich-psychologischen Stellungnahme des integrierten sozialpädagogischen Zentrums M. vom 31. Juli 2024, auf Achse I eine Autismus-Spektrum-Störung mit durchschnittlicher kognitiver Leistungsfähigkeit (ICD-10 F 84.0) diagnostiziert. Auf Achse III wurden durchschnittliche Intelligenzleistungen und auf Achse VI eine moderate soziale Beeinträchtigung festgestellt. L. gehöre zum Personenkreis des § 35a SGB VIII.
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Der Antragsteller besuchte im Schuljahr 2023/2024 die S.-Grundschule in I. mit einer Schulbegleitung. Für das Schuljahr 2024/2025 beantragte die Mutter des Antragstellers erstmals mit Schreiben vom 15. Mai 2024 bei der Antragsgegnerin die Bewilligung von Eingliederungshilfe in Form einer Schulbegleitung in vollem Stundenumfang.
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Ausweislich des Hilfeplanprotokolls vom 5. August 2024 fand am 11. Juli 2024 ein Hilfeplangespräch statt, an dem neben der Fachkraft der Antragsgegnerin der Antragsteller und seine Mutter, eine Vertreterin des Trägers der Schulbegleitung, Vertreter der Schule sowie die Schulbegleiterin Frau P. teilnahmen. Als Ziele wurden die Förderung der Selbständigkeit sowie die effiziente Verteilung der Leistungsfähigkeit von L. auf den gesamten Schultag festgehalten. Unter dem Punkt „8. Sonstiges/Absprachen“ wurde festgehalten, dass die Schulbegleitung im ersten Halbjahr des Schuljahres 2024/2025 in reduzierten Umfang erfolgen solle.
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Mit Schriftsatz vom 9. August 2024 beantragte der Bevollmächtigte der Antragspartei beim Verwaltungsgericht München, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, für den Antragsteller vorläufig bis zum 31. Dezember 2024 eine vollumfängliche Schulbegleitung zu bewilligen (M 18 E 24.4807).
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Mit Verlängerungsbescheid vom 28. August 2024 bewilligte die Antragsgegnerin für den Antragsteller ab dem 1. August 2024 bis längstens 28. Februar 2024 Eingliederungshilfe gemäß § 35a SGB VIII in Form einer Schulbegleitung im Umfang von 297 Fachleistungsstunden.
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Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass im Rahmen von zwei ausführlichen Hospitationen durch zwei Fachkräfte des Allgemeinen Sozialdienstes im schulischen Rahmen keine Teilhabebeeinträchtigung habe festgestellt werden können. Da jedoch von schulischer Seite und weiteren Fachkräften eine Fortführung der Schulbegleitung empfohlen worden sei und der Übertritt anstehe, solle L. unterstützt werden. Die Schulbegleitung solle L. daher an drei Tagen in der Woche emotional stabilisieren. L. solle sich an den zwei unbegleiteten Tagen ausprobieren können, sodass seine Selbständigkeit gefördert werde.
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Mit Schriftsatz vom 9. September 2024 teilte die Bevollmächtigte der Antragsgegnerin u.a. mit, dass die Eingliederungshilfe im Bescheid vom 28. August 2024 bedarfsorientiert für das erste Halbjahr gewährt werde. Die Unterstützung könnte daher am Anfang des Schuljahres auch höher frequentiert in Anspruch genommen werden. Eine Vollzeitbegleitung werde jedoch weder für sinnvoll noch für notwendig erachtet, da sie die Selbständigkeit des Antragstellers einschränke. Mit Schriftsatz vom 10. September 2024 stellte die Bevollmächtigte der Antragsgegnerin klar, dass mit der Bewilligung nicht verbunden sei, dass die bewilligten Stunden vorzeitig aufgebraucht werden. „Sollte sich jedoch im Laufe des Schuljahres 2024/2025 über den bewilligten Bedarf hinaus ein weitergehender, also erhöhter Bedarf an Stunden für die Schulbegleitung ergeben, so wird dieser – bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen – nachgenehmigt werden.“
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Mit Beschluss vom 12. September 2024 wurde das Verfahren M 18 E 24.4807 nach vorangegangenen beiderseitigen Erledigungserklärungen der Beteiligten eingestellt.
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Mit Schriftsatz vom 12. September 2024 erhob der Bevollmächtigte des Antragstellers beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage mit dem Antrag, unter Aufhebung des Bescheids vom 28. August 2024 die Antragsgegnerin zu verurteilen, für das Schuljahr 2024/2025 Schulbegleitung für den Besuch der Grundschule I. im Umfang von 24 Stunden und 20 Minuten in Höhe der genehmigten Behandlungssätze zu bewilligen (M 18 K 24.5548).
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In einem Aktenvermerk vom 31. Oktober 2024 hielt eine Fachkraft der Antragsgegnerin fest, dass die bedarfsorientierte Gewährung der Schulbegleitung von dem Träger missverstanden worden sei und Antragsteller deshalb in den ersten drei Wochen des Schuljahres 2024/2025 in Vollzeit begleitet worden sei. Die Schulbegleitung sei daher angewiesen worden, ab 4. November 2024 die Begleitung auf 18 Stunden pro Schulwoche zu reduzieren. Mit Schriftsatz vom 14. November 2024 forderte der Bevollmächtigte des Antragstellers die Antragsgegnerin daraufhin auf, ab dem 18. November 2024 vollumfängliche Schulbegleitung an fünf Tagen pro Woche zu gewähren.
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Am 19. November 2024 fand ein gemeinsames Gespräch der Beteiligten statt, an dem die Mutter des Antragstellers, die Schulbegleitung, zwei Lehrkräfte, eine Vertreterin des Trägers der Schulbegleitung, die Schulbegleiterin, eine Mitarbeiterin des Allgemeinen Sozialdienst Autismus sowie Fachkräfte der Antragsgegnerin teilnahmen. Im zugehörigen Ergebnisprotokoll wurde u.a. festgehalten, dass L. ab sofort täglich ab der zweiten Schulstunde durch Schulbegleitung unterstützt werde und die Pausen weiterhin unbegleitet blieben. Dieses Modell werde bis zu den Weihnachtsferien beibehalten und kurz vor den Weihnachtsferien evaluiert. Der konkrete Inhalt der in dem Ergebnisprotokoll festgehaltenen Vereinbarungen ist zwischen den Beteiligten in Teilen streitig.
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Am 5. Dezember 2024 fand eine Hospitation einer bislang unbeteiligten Fachkraft der Antragsgegnerin in der Grundschule des Antragstellers statt.
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Mit Schriftsatz vom 8. Dezember 2024 beantragte der Bevollmächtigte des Antragstellers beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
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die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die beantragte Schulbegleitung für das Schuljahr 2025/2025 für den Besuch der Grundschule I. zusätzlich zu dem bewilligten Kontingent von 297 Stunden für das erste Schulhalbjahr im Umfang von insgesamt wöchentlich 24 Stunden und 20 Minuten ab Einreichung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vorläufig bis zum 31. März 2025 zu bewilligen.
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Zur Begründung wurde vollumfänglich auf das Verfahren M 18 E 24.4807 verwiesen. Ergänzend wurde u.a. ausgeführt, dass der Schullalltag für den Antragsteller eine enorme Herausforderung darstelle und er die Schulbegleitung benötige, damit der Schulalltag für ihn leistbar werde. Wie viele neurodivergente Personen unterdrücke der Antragsteller autistische Verhaltensweisen, was massiv anstrengend und kraftraubend sei. Die Ablehnung der beantragten Schulbegleitung durch die Antragsgegnerin sei nicht begründet und willkürlich. Die einzig sachlich vertretbare Entscheidung sei die Bewilligung der beantragten Schulbegleitung. Im Übrigen hätte die Antragsgegnerin im Verfahren M 18 E 24.4807 die Erklärung abgegeben, die Schulbegleitung zu erhöhen, wenn sich ein erhöhter Bedarf an Schulbegleitung zeige, was der Fall sei.
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Mit der Antragsschrift wurden diverse ergänzende Unterlagen vorgelegt.
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Mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2024 übermittelte die Antragsgegnerin die Behördenakten und beantragte,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Reduzierung der Schulbegleitungsstunden gerechtfertigt sei und auf positiven Fortschritten im sozialen Bereich sowie dem Ziel, die Selbständigkeit von L. zu fördern, basiere. Die Reduzierung bis 11. Dezember 2024 habe man in Absprache mit der Mutter und den Lehrkräften getroffen, da der Antragsteller laut der Lehrkräfte in der ersten Schulstunde ausreichend Energiereserven habe. Man habe zugesichert, dass eine Begleitung bereits ab der ersten Schulstunde möglich sei, sofern eine herausfordernde Situation wie eine Probe anstehe. Es sei von mehreren Fachkräften beschlossen worden, dem Antragsteller die Möglichkeit zu geben, Selbstregulation und Selbstorganisation zu erproben. Die Erkenntnisse hieraus würden vor den Weihnachtsferien evaluiert und die weitere Schulbegleitung nach den Weihnachtsferien angepasst bzw. neu ausgerichtet.
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Mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2024 trug der Bevollmächtigte des Antragstellers ergänzend u.a. vor, dass die Reduzierung der Schulbegleitungsstunden zu verstärkten Ängsten und Belastungen sowie Meltdowns bei dem Antragsteller führe. Die Reduzierung sei außerdem nicht in Absprache getroffen worden.
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Mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2024 teilte die Bevollmächtige der Antragsgegnerin das Ergebnis der internen Fallbesprechung vom selben Tag mit. Demnach werde der Antragsteller nach den Weihnachtsferien weiter ab der zweiten Schulstunde begleitet. Zudem solle mit dem Antragsteller im häuslichen Rahmen gearbeitet werden. Die Inanspruchnahme der ambulanten Eingliederungshilfe im häuslichen Setting sei ganz wesentlich für die Zielerreichung. Weiter werde die längere Pause begleitet und erfolge die kürzere Schulpause unbegleitet, damit sich der Antragsteller selbst ausprobieren könne.
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Mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2024 übermittelte der Bevollmächtigte des Antragstellers die Mitteilung der Schulbegleitung, wonach nach den Weihnachtsferien noch ein Kontinent von 13,75 Stunden an Schulbegleitung zur Verfügung stehe.
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Mit Schriftsatz vom selben Tag übermittelte die Bevollmächtigte der Antragsgegnerin eine Stellungnahme der Teamleitung des Allgemeinen Sozialdienstes der Antragsgegnerin, wonach in Absprache mit der Sachgebietsleitung eine Erhöhung der Fachleistungsstunden gewährt worden sei, um L. weiterhin in dem bereits mitgeteilten Umfang unterstützen zu können. Der genaue Umfang werde Anfang Januar 2025 berechnet und entsprechend verbeschieden. Eine lückenlose Begleitung von L. sei damit sichergestellt.
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Mit Beschluss vom 20. Dezember 2024 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren sowie in den Verfahren M 18 E 24.4807 und M 18 K 24.5548 sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
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Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO hat in der Sache keinen Erfolg.
28
Eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ist nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass der Antragsteller das von ihm behauptete streitige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO. Für das Vorliegen eines Anordnungsgrunds ist grundsätzlich Voraussetzung, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Personen nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
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Der Antragsteller hat weder einen Anordnungsgrund noch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
30
Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
31
Nach § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII haben Kinder oder Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn
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1. ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und 33
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2. daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
34
Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe gehören nach § 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 112 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IX insbesondere auch Hilfen zu einer Schulbildung. Darunter wiederum fällt grundsätzlich auch die Gewährung einer Schulbegleitung (vgl. BayVGH, B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – juris Rn. 6).
35
Dass der Antragsteller zu dem von § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII erfassten Personenkreis gehört ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Das Vorliegen einer Teilhabebeeinträchtigung i.S.v. § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII wurde hinsichtlich des schulischen Bereichs von der Antragsgegnerin zwar im Bescheid vom 28. August 2024 verneint. Die Feststellung des Vorliegens der – drohenden – Teilhabebeeinträchtigung obliegt auch gerade dem Jugendamt. Anders als die Auswahl der konkret notwendigen und geeigneten Hilfemaßnahmen ist das Vorliegen einer Teilhabebeeinträchtigung als unbestimmter Rechtsbegriff jedoch gerichtlich voll überprüfbar und besteht auf Seiten des Jugendamtes kein Beurteilungsspielraum (BayVGH, B.v. 18.2.2013 – 12 CE 12.2104 – juris Rn. 40 m.w.N.). Dies zugrunde gelegt, kann jedenfalls nach summarischer Prüfung im vorliegenden Eilverfahren mit Blick auf die von der Antragspartei vorgelegten Stellungnahmen, insbesondere die aktuelle Stellungnahme des Schulleiters vom 6. Dezember 2024 sowie den fachärztlichen Bericht vom 12. November 2024, nicht ausgeschlossen werden, dass im Entscheidungszeitpunkt des Gerichts eine Teilhabebeeinträchtigung von L. im schulischen Bereich vorliegt. Jedenfalls geht das Gericht anhand des Aktenvermerks der Fachkraft der Antragsgegnerin vom 19. November 2024 sowie angesichts der aktuellen Entscheidung der Antragsgegnerin vom 19. Dezember 2024 davon aus, dass (inzwischen) auch die Antragsgegnerin von einer Teilhabebeeinträchtigung im schulischen Bereich ausgeht und das Vorliegen einer Teilhabebeeinträchtigung daher zwischen den Beteiligten unstreitig ist.
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Konträre Vorstellungen der Beteiligten bestehen jedoch hinsichtlich der geeigneten und erforderlichen Maßnahme der Eingliederungshilfe, konkret des Umfangs der Schulbegleitung.
37
Die Entscheidung über die Erforderlichkeit und Geeignetheit einer bestimmten Maßnahme unterliegt dabei einem kooperativen, sozialpädagogischen Entscheidungsprozess unter Mitwirkung der Fachkräfte des Jugendamts und des betroffenen Hilfeempfängers, der nicht den Anspruch objektiver Richtigkeit erhebt, sondern vielmehr eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation beinhaltet, die fachlich vertretbar und nachvollziehbar sein muss (sog. sozialpädagogische Fachlichkeit). Die verwaltungsgerichtliche Überprüfung beschränkt sich in diesem Fall darauf, dass allgemeingültige fachliche Maßstäbe beachtet worden, keine sachfremden Erwägungen in die Entscheidung eingeflossen und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt worden sind. Die Entscheidung über die Geeignetheit und die Notwendigkeit einer bestimmten Hilfemaßnahme ist daher nur auf ihre Vertretbarkeit hin überprüfbar (st. Rspr., vgl. bspw. BVerwG, U.v. 9.12.2014 – 5 C 32.13 – juris Rn. 30).
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Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes muss der Antragsteller im Hinblick auf diesen Beurteilungsspielraum daher darlegen und glaubhaft machen, dass allein die beanspruchte Hilfemaßnahme zur Deckung des Hilfebedarfs erforderlich und geeignet, mithin fachlich vertretbar ist (st. Rspr., bspw. BayVGH, B.v. 17.8.2015 – 12 AE 15.1691 – juris Rn. 31 m.w.N).
39
Gemessen hieran ist die Entscheidung der Antragsgegnerin, keine vollumfängliche Schulbegleitung zu bewilligen, rechtlich nicht zu beanstanden.
40
Denn der Entscheidung der Antragsgegnerin vom 28. August 2024 lag die Ermittlung des Bedarfs des Antragstellers unter Einbezug mehrerer pädagogischer Fachkräfte, u.a. durch Hospitationen, sowie ein Hilfeplangespräch vom 11. Juli 2024 zugrunde. Am Hilfeplanverfahren wurden ausweislich des Hilfeplanprotokolls vom 5. August 2024 u.a. die Antragspartei, Vertreter der Schule und des Schulbegleitungsträgers sowie andere Fachkräfte beteiligt. Die Fachkraft der Antragsgegnerin begründete die im Vergleich zur vollumfänglichen Begleitung reduzierte Bewilligung nachvollziehbar mit den von den Fachkräften der Antragsgegnerin festgestellten Fortschritten des Antragstellers, dessen (Sozial-)verhalten im Unterricht und in den Pausen sowie mit der Förderung seiner Selbständigkeit. Durchgreifende rechtliche Bedenken an dem Hilfeplanverfahren bestehen insoweit nach summarischer Prüfung nicht.
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Aus den vorgelegten Behördenakten sowie dem Vortrag der Antragspartei wird indes erkennbar, dass die Beteiligten die mit Bescheid vom 28. August 2024 erfolgte Bewilligung von Schulbegleitungsstunden bzw. die zugehörigen Stellungnahmen der Bevollmächtigten der Antragsgegnerin im Verfahren M 18 E 24.4807 unterschiedlich verstanden haben. Vor diesem Hintergrund wurde L. zu Beginn des Schuljahres zunächst – entgegen der fachlichen Bedarfseinschätzung der Antragsgegnerin im Hilfeverfahren – in vollem Stundenumfang begleitet und wies die Antragsgegnerin ausweislich des in den Akten befindlichen Vermerks vom 30. Oktober 2024 ab 4. November 2024 eine Reduzierung des Umfangs der Schulbegleitung auf 18 Schulstunden Begleitung pro Woche an. In der Folgezeit waren bei dem Antragsteller laut dem von der Antragspartei vorgelegten Auszug aus dem Schulmanager insgesamt sechs Fehltage zu verzeichnen. Aus den von dem Bevollmächtigten des Antragstellers umfangreich vorgelegten Unterlagen und Stellungnahmen, insbesondere aus der ärztlichen Bescheinigung der Frau Dr. R. vom 12. November 2024 über die Vorstellung des Antragstellers vom 8. November 2024 ergibt sich, dass bei dem Antragsteller psychosomatische Symptome und eine hochgradige Erschöpfungssymptomatik vorlagen. Aus den vorgelegten Behördenakten ergibt sich ebenfalls, dass die Antragstellerin angesichts dessen das Verfahren durch ihre pädagogischen Fachkräfte wiederaufgenommen hat.
42
Auch mit ihrer aktualisierten Entscheidung vom 19. Dezember 2024 wahrt die Antragsgegnerin die Grenzen der vom Gericht allein zu prüfenden sozialpädagogischen Fachlichkeit.
43
Die Fachkräfte der Antragsgegnerin entschieden in einer internen Fallbesprechung am 19. Dezember 2024, dass der Antragsteller weiter an fünf Tagen je Woche ab der zweiten Schulstunde sowie auch in der großen Pause durch die Schulbegleiterin begleitet werde. Die erste Schulstunde sowie die kleine Pause blieben unbegleitet. Zudem solle mit dem Antragsteller im häuslichen Umfeld gearbeitet werden und werde für ihn ambulante Eingliederungshilfe gewährt, um Meltdowns nach der Schule zu reduzieren. Die ambulante Hilfe könne beginnen, sobald ein Antrag der Mutter des Antragstellers vorliege. Dieser Entscheidung lag die Ermittlung des Bedarfs des Antragstellers, u.a. durch eine von einer Fachkraft der Antragsgegnerin durchgeführte Hospitation am 5. Dezember 2024, sowie ein Hilfegespräch mit allen Beteiligten vom 19. Dezember 2024 zugrunde. Auch wenn die im Ergebnisprotokoll vom 19. November 2024 festgehaltenen Vereinbarungen zwischen den Beteiligten im Einzelnen streitig sind und das Gericht mit der Antragspartei davon ausgeht, dass jedenfalls die Verlängerung der reduzierten Schulbegleitung über die zwei auf das Gespräch vom 19. November 2024 folgenden Wochen hinaus bis zu den Weihnachtsferien nicht im Einvernehmen mit der Antragspartei erfolgte, ist die Einschätzung der Fachkräfte der Antragsgegnerin, die Selbständigkeit des Antragstellers zu fördern und einen überschießenden Bedarf durch ambulante Eingliederungshilfe abzudecken, nach summarischer Prüfung für das Gericht hinreichend nachvollziehbar begründet. Dafür, dass diese Hilfe von vornherein ungeeignet wäre, bestehen überdies im Entscheidungszeitpunkt des Gerichts keine Anhaltspunkte. Soweit der Bevollmächtigte der Antragspartei – zutreffend – darauf hinweist, dass mehrere Fachkräfte, u.a. zuletzt die Fachärztin Dr. R. in ihrer Stellungnahme vom 12. November 2024 und der Schulleiter im Schreiben vom 6. Dezember 2024 davon ausgehen, dass eine vollumfängliche Schulbegleitung die erforderliche bzw. jedenfalls die besser geeignete Maßnahme sei, so kann vor diesem Hintergrund gleichwohl die fachliche Einschätzung der Antragsgegnerin, den eigenen konkreten Verhaltensbeobachtungen gegenüber diesen Stellungnahmen durchgreifendes Gewicht beizumessen, im Hinblick auf die sozialpädagogische Fachlichkeit und die damit nur eingeschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit nicht beanstandet werden.
44
Hingegen hat sich der Einschätzungsspielraum der Antragsgegnerin nicht auf die Gewährung einer Schulbegleitung in einem höheren, namentlich dem von der Antragspartei beantragten vollumfassenden Umfang, reduziert.
45
Der sozialpädagogische Einschätzungsspielraum des Jugendamts kann sich in besonderen Einzelfällen auf die Bewilligung einer bestimmten Maßnahme verdichten, wenn diese Maßnahme die einzig geeignete und erforderliche Hilfemaßnahme ist. Dies kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn andere Maßnahmen unerreichbar sind. So liegt der Fall nach summarischer Prüfung vorliegend indes nicht. Soweit der Bevollmächtigte des Antragstellers auf dessen (belegte) Fehlzeiten im November bzw. auf den fachärztlichen Bericht der Frau Dr. R. vom 12. November 2024 verweist, folgt hieraus nicht, dass andere Maßnahmen nicht greifbar oder ungeeignet wären. In dem ärztlichen Bericht vom 12. November 2024 wird zwar eine Erschöpfungssymptomatik sowie psychosomatische Symptomatik des Antragstellers am 8. November 2024 geschildert. Auch wird ausgeführt, dass deren ursächlicher Zusammenhang mit der nicht-begleiteten Unterrichtsteilnahme schlüssig und eindeutig gegeben sei. Aus dem Schreiben des Bevollmächtigten des Antragstellers an die Bevollmächtigte der Antragsgegnerin vom 14. November 2024 ergibt sich jedoch, dass der Antragsteller den Unterricht in diesem Zeitraum, konkret z.B. am 7. November 2024, gänzlich ohne Schulbegleitung besucht hat. Eine Ungeeignetheit der Einschätzung der Antragsgegnerin, eine um die erste Schulstunde und die kleine Pause reduzierte Schulbegleitung kumuliert mit ambulanter Eingliederungshilfe im häuslichen Bereich als ausreichend zu erachten, kann daher hieraus nicht abgeleitet werden. Dass einzig die vollumfängliche Schulbegleitung auch in der ersten Schulstunde und der kleinen Pause die notwendige und geeignete Maßnahme im vorliegenden Fall ist, wurde nach alledem nicht in dem für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen Maß hinreichend glaubhaft gemacht.
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Schließlich kann der Antragsteller einen Anordnungsanspruch im vorliegenden Eilverfahren nicht auf eine (vermeintliche) Zusicherung der Antragsgegnerin aus dem Schriftsatz vom 10. September 2024 im Verfahren M 18 E 24.4807 stützen. Darin heißt es wörtlich:
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„Sollte sich jedoch im Laufe des Schuljahres 2024/2025 über den bewilligten Bedarf hinaus ein weitergehender, also erhöhter Bedarf an Stunden für die Schulbegleitung ergeben, so wird dieser – bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen – nachgenehmigt werden.“
48
Das Gericht erkennt nach summarischer Prüfung hierin keine (abstrakte) Zusicherung der Antragsgegnerin mit rechtlich bindendem Charakter dahin, im Falle eines erhöhten Bedarfs – ungeachtet der eigenen fachlichen Prüfung der Geeignetheit – einen höheren Umfang an Schulbegleitung zu bewilligen. Dies zeigt bereits der Verweis auf das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen, zu denen gerade auch die fachliche Einschätzung durch das Jugendamt zählt. Vielmehr versteht das Gericht die Stellungnahme der Antragsgegnerin nach vorläufiger Einschätzung dahin, im Falle eines andersartigen oder höheren Bedarfs des Antragstellers das Hilfeplanverfahren wiederaufzunehmen und erforderlichenfalls mit Maßnahmen, auch eines höheren Umfangs an Schulbegleitung, nachzusteuern. Dem kam die Antragsgegnerin, wie oben erläutert, vorliegend nach und traf angesichts der Entwicklungen im November und Dezember 2024 am 19. Dezember 2024 eine aktualisierte Hilfeentscheidung – wenn auch (mangels Feststellung der Geeignetheit dieser Maßnahme aus der fachlichen Sicht der Antragsgegnerin) nicht vermittels der Bewilligung eines vollumfänglichen Schulbegleitungsbudgets.
49
Überdies fehlt es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrunds.
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Denn im Entscheidungszeitpunkt des Gerichts liegt die Bewilligung einer Eingliederungshilfe in Form einer Schulbegleitung vor und stehen für den Schulbesuch nach den Weihnachtsferien noch 13,75 Stunden zur Verfügung. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin Folgemaßnahmen nicht bewilligen würde, sind nicht ersichtlich. Vielmehr hat die Antragsgegnerin bereits im November 2024 das Hilfeverfahren wiederaufgenommen und eine Anpassung der Hilfemaßnahmen für nach den Weihnachtsferien in Aussicht gestellt. Eine Erhöhung des zur Verfügung stehenden Budgets an Schulbegleitungsstunden wurde in der internen Fallbesprechung vom 19. Dezember 2024 beschlossen. Laut der Stellungnahme der Teamleitung des Allgemeinen Sozialdiensts der Antragsgegnerin vom 20. Dezember 2024 erfolge eine Verbescheidung noch vor Schulbeginn Anfang Januar 2025. Eine Eilbedürftigkeit ist nach alledem nicht ersichtlich.
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Es kam daher nicht mehr in entscheidungserheblicher Weise auf die Frage an, ob ein Anordnungsgrund auch deshalb fehlt, da die Antragspartei nicht hinreichend glaubhaft gemacht hat, dass die Mutter des Antragstellers eine umfangreichere Schulbegleitung in Höhe des nicht von der Antragsgegnerin bewilligten Umfangs, d.h. in Höhe der ersten Schulstunde sowie der kleinen Pause, nicht finanziell vorstrecken könnte (vgl. zu dieser Thematik OVG NRW, B.v. 6.9.2024 – 12 B 711/24 – juris Rn. 11; OVG S-H, B. v. 29.10.2024 – 3 MB 20/24 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 19.11.2024 – 12 CE 24.1695 – juris Rn. 9).
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Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.