Inhalt

VG München, Urteil v. 19.12.2024 – M 10 K 24.33440
Titel:

Behauptete Misshandlungen eines Minderjährigen durch seinen Onkel in Guinea

Normenketten:
AsylG § 3 Abs. 1, § 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, Abs. 3, § 3b Abs. 1, Abs. 2, § 3c Nr. 1–3, § 3d, § 4 Abs. 1 S. 1, § 77 Abs. 3, § 83b
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
BGB § 104
EGBGB Art. 7 Abs. 2 S. 1
EMRK Art. 3
FamFG § 168a Abs. 2, § 168b Abs. 1 Nr. 1
GG Art. 16a Abs. 2 S. 1
RL 2011/95/EU Art. 4 Abs. 4, Art. 6 lit. c, Art. 9 Abs. 3
ZPO § 415, § 417, § 418 Abs. 3, § 438 Abs. 1
VwGO § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 67 Abs. 4 S. 4 , S. 7, § 98, § 108 Abs. 1
SGB VIII § 42 Abs. 3, Abs. 8, § 42f Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Die Bindungswirkung einer Alterseinschätzung kommt einem die Vormundschaft anordnenden Beschluss des Familiengerichts zu, der zwar von Amts wegen zu ergehen hat, dem jedoch im Regelfall die Mitteilung des Jugendamts nach § 42 Abs. 3 SGB VIII zugrunde liegt. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft fehlt es hinsichtlich der vorgetragenen Misshandlungen durch den Onkel an einer Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylrecht (Guinea), Abschiebungsverbote (verneint), Vorlage einer nachträglich erstellten Geburtsurkunde aus dem Jahr 2024, Widersprüchliche Angaben über (angebliche) Minderjährigkeit, Geltend gemachte Misshandlungen durch einen Onkel, Verweigerte Ermöglichung des Schulbesuchs im Herkunftsland, Abschiebung, Furcht vor Verfolgung, Herkunftsland, Abschiebungsverbot, Alterseinschätzung, Flüchtlingseigenschaft, subsidiärer Schutz, Vormundschaft, Lebensunterhalt, Leistungen, Guinea, Minderjährigkeit, Bindungswirkung, Jugendamt, Familiengericht, Beweiserleichterung, Misshandlungen, Verfolgungshandlung, Verfolgungsgrund, Verknüpfung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 40604

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleiche Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen die Ablehnung seines Asylantrags durch die Beklagte.
2
Der Kläger, nach eigenen Angaben ein guineischer Staatsangehöriger, stellte am 6. November 2023 über seinen ehemaligen Amtsvormund (Landratsamt ... ) einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt). Nach einer Mitteilung des Amtsvormunds vom 2. November 2023 erging die Alterseinschätzung nach § 42f Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch 8 (SGB VIII) aufgrund des Erstgesprächs gemäß § 42a SGB VIII und dem in diesem Zusammenhang erwähnten Geburtsdatum (* …2006) durch den Kläger. Mit Bestellungsurkunde des Amtsgerichts Wolfratshausen – Abteilung für Familiensachen – vom 5. Dezember 2023 wurde das Landratsamt ... als Vormund für den Kläger ausgewiesen; die Bestellungsurkunde nennt als Geburtsdatum des Klägers den … … 2006. Der Kläger wird im AZR mit insgesamt drei Alias-Identitäten und verschiedenen Geburtsdaten aufgeführt. Das Schengener Informationssystem enthält einen Eintrag über eine Rückkehrentscheidung hinsichtlich des Klägers (dort unter dem Namen … … … und Geburtsdatum …2007).
3
Der Kläger hat bei seiner Anhörung beim Bundesamt im Wesentlichen angegeben, dass er sich im Jahr 2020 entschieden habe, sich von seinen Eltern zu entfernen, weil diese ihn nicht in die Schule geschickt hätten. Sie hätten gesagt, dass die Schule für Christen und nicht für Muslime sei. Sie hätten angefangen, ihn als schlechte Person zu bezeichnen. Sein Onkel väterlicherseits sei ein Imam und böse. Dieser habe ihn auch zu Lebzeiten seines Vaters mit einem Schlauch und manchmal mit geschnittenen Autoreifen geschlagen und gequält. Er sei verfolgt worden. Er sei deswegen in die Hauptstadt gegangen und habe bei einem Cousin gewohnt. Nachdem sein Vater gestorben sei, habe sein Onkel väterlicherseits seine Mutter geheiratet. Mitte 2022 habe er selbst entschieden, sein Heimatland mit einem Freund mit dem Auto zu verlassen und sei nach … gefahren. Abgesehen von den Problemen väterlicherseits mit dem Onkel sei ihm in seinem Heimatland nichts passiert.
4
Mit Bescheid vom 15. Oktober 2024, dem Kläger persönlich zugestellt am 18. Oktober 2024, lehnte das Bundesamt den Asylantrag (als schlicht unbegründet) ab und verneinte das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich … (Nrn. 1 bis 4 des Bescheids). Dem Kläger wurde unter Setzung einer Ausreisefrist von 30 Tagen die Abschiebung nach … angedroht (Nr. 5 des Bescheids). Das angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6 des Bescheids). Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
5
Der Kläger hat am 29. Oktober 2024 persönlich Klage gegen den Bescheid vom 15. Oktober 2024 erhoben. In seiner Klageschrift vom 24. Oktober 2024 hat er den … … 2006 als Geburtsdatum angegeben. Er beantragt (sinngemäß):
6
Unter Aufhebung des Bescheids vom 15. Oktober 2024 wird die Beklagte verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise, ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, weiter hilfsweise, Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
7
Eine inhaltliche Begründung der Klage erfolgte bislang nicht. Mit Schriftsatz vom 15. November 2024 rügte der Kläger, sein Geburtsdatum sei falsch aufgenommen worden. Er sei nicht am … … 2006, sondern am … … 2007 geboren. Der unzuverlässige Bruder habe ihm schließlich eine Fotografie der eigentlichen Geburtsurkunde geschickt. Das als „Acte de Naissance“ bezeichnete Dokument wurde am … November 2024 erstellt. Soweit die ablehnende Begründung des Bescheids angebe, sein Vorbringen sei vage und unsubstantiiert geblieben, sei der Grund dafür, dass der Kläger nicht in seiner Muttersprache (Soussou) angehört worden sei. Französisch habe er auf der Straße gelernt und könne komplexe Sachverhalte und sein eigentliches Problem sowie genauere Schilderungen nicht ausreichend wiedergeben.
8
Das Bundesamt beantragt mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2024,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wird auf die angefochtene Entscheidung verwiesen.
11
Mit Beschluss vom 31. Oktober 2024 wurde der Rechtsstreit gemäß § 76 Abs. 1 AsylG auf den Berichterstatter zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen.
12
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12. Dezember 2024 sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Über die Klage kann trotz Ausbleibens der Beklagten zur mündlichen Verhandlung entschieden werden, weil diese in der Ladung zum Termin ordnungsgemäß auf diese Rechtsfolge hingewiesen wurde (§ 102 Abs. 2 VwGO).
14
Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber nicht begründet.
A.
15
Die Voraussetzungen für den Erlass eines Sachurteils liegen vor, da der Kläger entgegen seiner Ausführungen nicht als minderjährig, sondern als volljährig und damit prozessfähig anzusehen ist. Die Prozessfähigkeit eines Beteiligten ist durch das Gericht in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen, gleichwohl besteht Anlass zur Prüfung nur beim Vorliegen vernünftiger Zweifel (vgl. Hoppe in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Aufl. 2022, § 62 Rn. 10 m.w.N.). Fähig zur Vornahme von Verfahrenshandlungen sind die nach bürgerlichen Recht Geschäftsfähigen (§ 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 2, §§ 104 ff. BGB), wobei seit der seit 1. Januar 2023 geltenden Rechtslage die Frage der Geschäftsfähigkeit dem Recht des Staates unterliegt, in dem die Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 7 Abs. 2 Satz 1 EGBGB). Derartige Zweifel liegen auch nach dem Vorbringen des Klägers im Klageverfahren nicht vor. Das zuständige Jugendamt hat das Geburtsdatum des Klägers im Rahmen des gesetzlich vorgesehenen Verfahrens (vgl. § 42f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII) auf den 27. September 2006 bestimmt. Diese behördliche Alterseinschätzung begründet zwar weder gegenüber den Ausländerbehörden und erst Recht nicht gegenüber den Verwaltungsgerichten eine Bindungswirkung (vgl. BT-Drs. 18/6392, S. 20; s. beispielhaft auch VG München, B.v. 24.10.2024 – M 18 S 24.5814 – juris Rn. 27 ff.: zur verwaltungsgerichtlichen Überprüfung einer behördlichen Alterseinschätzung). Bindungswirkung kommt jedoch einen die Vormundschaft anordnenden Beschluss des Familiengerichts zu, der zwar von Amts wegen zu ergehen hat, dem jedoch im Regelfall die Mitteilung des Jugendamts nach § 42 Abs. 3 SGB VIII zugrunde liegt (vgl. BayVGH, U.v. 23.3.2017 – 13a B 17.30011 – juris Rn. 21). Die in der Behördenakte (BA S. 64) enthaltene Bestellungsurkunde des zuständigen Rechtspflegers des Amtsgerichts Wolfratshausen vom 5. Dezember 2023 bezeichnet den Kläger mit dem Geburtsdatum (vgl. § 168b Abs. 1 Nr. 1 FamFG, s. auch Schmidt in MünchKomm FamFG, 4. Aufl. 2025, § 168b Rn. 13), welches er selbst auf der von ihm unterschriebenen Klageschrift angegeben hat (nämlich der 27.9.2006). Auch wenn die vorgelegte Behördenakte nicht den die Vormundschaft anordnenden Beschluss des Familiengerichts hinsichtlich des Klägers enthält (sondern einen Beschluss hinsichtlich einer verfahrensfremden Person, vgl. BA S. 66 f.), geht das Gericht davon aus, dass ein derartiger Beschluss (vgl. § 168a Abs. 2 FamFG) mit inhaltsgleich aufgenommenen Stammdaten (d.h. gleichlautendem Geburtsdatum) wie auf der Bestellungsurkunde hinsichtlich des Klägers existiert bzw. erlassen wurde, da andernfalls die Bestellungsurkunde vom zuständigen Rechtspfleger (vgl. § 3 Nr. 2 Buchst. a i.V.m. § 14 RPflG) nicht in der Form an das Jugendamt hätte herausgegeben werden dürfen (vgl. Schmidt in MünchKomm FamFG, 4. Aufl. 2025, § 168b Rn. 3 f.; Schäder in Sternal, FamFG, 21. Aufl. 2023, § 168b Rn. 3; Kemper in Saenger, Zivilprozessordnung, 10. Auf. 2023, § 168b FamFG Rn. 1: „Bescheinigung über den Eintritt der Vormundschaft“). Auch der Kläger bzw. dessen Bevollmächtigte haben (nach gewährter Akteneinsicht) die Existenz bzw. den Erlass eines die Betreuung anordnenden Beschlusses des Amtsgerichts Wolfratshausen nicht in Abrede gestellt.
16
Die vom Kläger vorgelegten Unterlagen aus … ziehen den obigen Befund nicht durchgreifend in Zweifel. Das vom Kläger (bereits im Verwaltungsverfahren) vorgelegte (erstinstanzliche) Urteil des Cour D’Appel De Conakry begründet keine im Rechtssinn (vgl. § 108 Abs. 1 FamFG) bestehende Bindung des Jugendamts oder der Verwaltungsgerichte an das in dieser Entscheidung genannte Geburtsdatum. Denn die Wirkung dieses Urteils erschöpft sich in der Eintragung in das ausländische Register, mit anderen Worten, ob der jeweilige ausländische Standesbeamte verpflichtet ist, den Eintrag im dortigen Personenstandsregister vorzunehmen. Aus der Anerkennung folgt hingegen nicht, dass dieses von einem … Gericht als zutreffend angesehene Geburtsdatum des Klägers für deutsche Behörden und Gerichte verbindlich ist (vgl. OVG Bremen, B.v. 12.5.2023 – 2 B 324/22 – juris Rn. 17 ff.). Unabhängig davon kann nicht außer Acht gelassen werden, dass das vorgelegte Urteil mehr als 16 Jahre nach dem angeführten Geburtsdatum ergangen ist und lediglich zwei namentlich angeführte Zeugen als Beweismittel angeführt werden, deren konkreter Bezug zum Kläger unklar ist (vgl. OVG Bremen, a.a.O., Rn. 23: „Dies ist keine Entscheidungsgrundlage, die der Senat im Rahmen der von ihm selbst vorzunehmenden Beweiswürdigung für tragfähig hält“; s. auch VG Gießen, B.v. 6.8.2024 – 1 L 2512/24.GI.A – juris Rn. 10).
17
Die im Nachgang zu diesem Urteil ausgestellte Geburtsurkunde vom … … 2024 („Acte De Naissance“), die der Kläger im Klageverfahren vorgelegt hat, kann demnach kein Beweiswert zukommen. Es handelt sich um eine sogenannte Nachbeurkundung, die als solche in einem deutschen Gerichtsverfahren im Hinblick auf ihre Richtigkeit den geltenden Beweisregeln unterfällt (vgl. § 98 VwGO i.V.m. §§ 415 ff., § 418 Abs. 3, § 438 ZPO, vgl. auch BVerwG, B.v. 9.8.1990 – 1 B 103.90 – juris Rn. 6 f.; OVG Berlin-Bbg., B.v. 30.4.2012 – OVG 2 N 16.11 – juris Rn. 4). Nach dem Bericht des Auswärtigen Amts über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik … vom 7. April 2021 (S. 17 f.) herrscht dort ein chronisch unzuverlässiges Urkundenwesen mit allen damit einhergehenden Möglichkeiten der Identitätsverschleierung. Es gibt neben einer Vielzahl gefälschter Urkunden auch eine Fülle echter, aber inhaltlich unrichtiger Urkunden, meist in Form der sogenannten Nachbeurkundung. Da die vorgelegte Geburtsurkunde weder mit einer Apostille oder Legalisation versehen ist, greift vorliegend noch nicht einmal die Vermutung der Echtheit aus § 98 VwGO i.V.m. § 438 Abs. 2 ZPO. Wiederum unabhängig von der Frage der Echtheit bestimmt sich die Reichweite der Beweiskraft öffentlicher Urkunden – auch ausländischer öffentlicher Urkunden im Sinn des § 438 ZPO –, die einen anderen als den in § 415, § 417 ZPO bezeichneten Inhalt haben, nach der gesetzlichen Beweisregel des § 418 Abs. 3 ZPO. Danach erbringt die in der öffentlichen Urkunde bezeugte Tatsache nur dann den vollen Beweis, wenn diese von der Behörde oder Urkundsperson selbst wahrgenommen wurde oder wenn eigene Handlungen der Behörde oder Urkundsperson bezeugt werden. Nach guineischen Recht sind Geburten grundsätzlich innerhalb von zwei Monaten bzw. bei Geburten in gemeindefreien Gebieten innerhalb von drei Monaten nach der Entbindung anzuzeigen und die Geburtsurkunde unmittelbar nach der Anzeige auszustellen. Ist eine solche Anzeige nicht bzw. nicht fristgerecht erfolgt, darf der Standesbeamte die Geburt in das Personenstandsregister nur aufgrund eines Urteils des zuständigen Gerichts des Geburtsortes eintragen (vgl. VG Bremen, U.v. 18.6.2024 – 4 K 446/23 – juris Rn. 29). Hier ist aber zu sehen, dass das vorgelegte Urteil mehr als 16 Jahre nach der (angegebenen) Geburt des Klägers und auf Antrag einer dritten Person („… … …“) erging bzw. die vorgelegte Geburtsurkunde sogar mehr als 17 Jahre später ausgestellt wurde. In welchem Zusammenhang der Kläger mit dieser Person („… …“) steht, ist nicht ansatzweise ersichtlich bzw. vom Kläger erläutert worden. Umgekehrt ist nicht ansatzweise nachvollziehbar, dass der Kläger dieses Verfahrens vom Gericht in … schriftlich oder persönlich angehört wurde oder in sonstiger Weise am Verfahren beteiligt wurde. Was genau die im Urteil angeführten Zeugen mehr als 16 Jahre später auf den Tag genau bezeugen konnten, geht aus dem Urteil nicht hervor, auch die in Bezug genommenen bzw. dem Gericht (angeblich) vorgelegenen Unterlagen werden nicht näher erläutert. Die Anhörung am 11. Oktober 2023 fand wiederum zu einem Zeitpunkt statt, als der Kläger nach eigener Aussage … längst verlassen hatte. Der vom Kläger zuletzt vorgelegte „Acte De Naissance“ wurde wiederum am 5. November 2024 erstellt („Dressé le: …“) und damit mehr als ein Jahr nach der (angeblichen) Gerichtsverhandlung vom 11. Oktober 2023. In der Anhörung beim Bundesamt am 3. April 2024 hat der Kläger angegeben, dass sein älterer Bruder ihm die Geburtsurkunde vor ein oder zwei Monaten (d.h. im Februar oder März 2024) via WhatsApp geschickt habe. All diese Umstände (zeitlicher Hintergrund und Zusammenhänge, Inhalt der Dokumente einschließlich aller genannten Ungereimtheiten, konkreter Modus der Beschaffung über den „unzuverlässigen Bruder“ via WhatsApp) begründen in ihrer Gesamtschau (vgl. § 108 Abs. 1 VwGO) nicht nur deutliche Zweifel hinsichtlich der inhaltlichen Richtigkeit der vorgelegten Dokumente, sondern durchaus auch Zweifel an ihrer Echtheit. Das im Vormundschaftsverfahren angeführte Geburtsdatum vom … … 2006, welches der Kläger, wie ausgeführt, in seiner Klageschrift zuletzt selbst angegeben hat, wird nach allem dadurch nicht in Zweifel gezogen, weshalb das Gericht dieses Geburtsdatum seiner Annahme der Prozessfähigkeit des Klägers zugrunde gelegt hat.
B.
18
Die Klage ist weder im Hauptantrag noch in den hilfsweise gestellten Sachanträgen begründet. Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers mit im Ergebnis zutreffender Begründung abgelehnt und ohne durchgreifende Rechtsfehler die (ebenfalls) streitgegenständlichen Nebenentscheidungen getroffen. Der Kläger hat daher im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, des subsidiären Schutzstatus oder der Feststellung des Vorliegens zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Asylanerkennung sowie auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, weil nach dem Sachvortrag des Klägers sowohl im Verwaltungs- als im Klageverfahren die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen. Eine Asylanerkennung nach Art. 16a Abs. 1 GG scheidet bereits deshalb aus, weil der Kläger aus einem EU-Mitgliedstaat nach Deutschland eingereist ist (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG).
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1. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Dies setzt im Ausgangspunkt das Vorliegen einer Verfolgungshandlung (vgl. § 3a AsylG) und eines Verfolgungsgrundes (vgl. § 3b AsylG) voraus.
21
Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG sind solche Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2). Akteure, von denen die Verfolgung ausgehen kann, sind der Staat (§ 3c Nr. 1 AsylG) oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) sowie nichtstaatliche Akteure, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten (§ 3c Nr. 3 AsylG). Der Maßstab „erwiesenermaßen“ ist Art. 6 Buchst. c RL 2011/95/EU entnommen und sollte unter Berücksichtigung des englischen Wortlauts „if it can be demonstrated“ ausgelegt werden. Daraus ergibt sich, dass kein strenger Beweismaßstab im Hinblick auf die (fehlende) Schutzfähigkeit oder Schutzwilligkeit der verantwortlichen Akteure anzulegen ist, sondern dass der jeweilige Antragsteller Tatsachen darlegen muss, aus denen sich die mangelnde Schutzbereitschaft ableiten lässt; insofern ist also der sonst im Asylrecht geltend Wahrscheinlichkeitsmaßstab anzuwenden (vgl. VG Bayreuth, U.v. 22.6.2021 – B 1 K 21.30369 – juris Rn. 54; VG Hamburg, U.v. 13.4.2018 – 8 A 8150/16 – juris Rn. 38; VGH BW, U.v. 21.3.2006 – A 6 S 698/05 – BeckRS 2006, 15940; zusammenfassend Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 3c AsylG Rn. 3; Kluth in BeckOK AuslR, Stand 1.7.2024, § 3c AsylG Rn. 7).
22
Zwischen den Verfolgungsgründen (§ 3b Abs. 1 AsylG) und den Verfolgungshandlungen muss nach § 3a Abs. 3 AsylG eine Verknüpfung bestehen. Dabei ist unerheblich, ob der Ausländer tatsächlich die Merkmale, etwa politischer oder religiöser Art, aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger nur zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).
23
Die Furcht vor Verfolgung ist im Rechtssinn begründet, wenn dem Ausländer die genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, das heißt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 31.18 – juris Rn. 16 f.; BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 19). Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei zusammenfassender Würdigung des zur Prüfung stehenden Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und die dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 31.18 – juris Rn. 16; BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – juris Rn. 24; B.v. 7.2.2008 – 10 C 33.07 – juris Rn. 23; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118.90 – juris Rn. 17).
24
Ist ein Ausländer bereits verfolgt worden oder von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht gewesen, stellt dies einen ernsthaften Hinweis darauf dar, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung bedroht wird (Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU). Dabei handelt es sich um eine Beweiserleichterung in Form einer widerlegbaren Vermutung dafür, dass der Betroffene erneut von einer solchen Verfolgung bedroht ist. Dadurch wird der Vorverfolgte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Ob die Vermutung durch stichhaltige Gründe widerlegt ist, obliegt der tatrichterlichen Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – juris Rn. 23).
25
Es ist Sache des Schutzsuchenden, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, sodass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Asylsuchende insbesondere im Hinblick auf asylbegründende Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
26
Schließlich wird gemäß § 3e Abs. 1 AsylG einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Der interne Schutz setzt – zusätzlich zur tatsächlichen und sicheren Erreichbarkeit des Schutzortes – voraus, dass der Einzelne dort wirksamen und dauerhaften Schutz vor Verfolgung erlangen und deshalb vernünftigerweise von ihm erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Bei der Beurteilung der Sicherheitslage am alternativen Aufenthaltsort sind sowohl die allgemeinen Gegebenheiten als auch die persönlichen Umstände des Asylsuchenden zu berücksichtigen. Bei der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme des internen Schutzes sind in einer umfassenden wertenden Gesamtbetrachtung die allgemeinen sowie individuellen Verhältnisse am Ort der Niederlassung in den Blick zu nehmen (vgl. BVerwG, U.v. 18.2.2021 – 1 C 4.20 – juris Rn. 31 f.). Dies betrifft insbesondere die Gewährleistung des wirtschaftlichen Existenzminimums. Maßstab für die Zumutbarkeit ist, dass eine Verletzung des Art. 3 EMRK nicht zu besorgen ist (vgl. BVerwG, U.v. 18.2.2021 – 1 C 4.20 – juris Rn. 33 ff.).
27
2. In Anwendung dieser rechtlichen Maßgaben trägt das Vorbringen des Klägers die Voraussetzungen zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG nicht. Das Gericht ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht davon überzeugt (§ 108 Abs. 1 VwGO), dass dem Kläger nach einer Rückkehr nach … flüchtlingsrelevante Verfolgung droht.
28
a) Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus … ausgereist, sodass die in Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU statuierte Beweiserleichterung nicht zu seinen Gunsten eingreift. Die den früheren Handlungen oder Bedrohungen zukommende Beweiskraft ist von den zuständigen Behörden unter der sich aus Art. 9 Abs. 3 RL 2011/95/EU ergebenden Voraussetzung zu berücksichtigen, dass diese Handlungen oder Bedrohungen eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufweisen, den der Betreffende für seinen Antrag auf Schutz geltend macht. Fehlt es an einer entsprechenden Verknüpfung, greift die Beweiserleichterung nicht ein (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 15 m.w.N.). Das Gericht geht dabei schon im Ausgangspunkt mit dem Bundesamt davon aus, dass die Ausreise des Klägers in zeitlicher Hinsicht nicht in Zusammenhang mit einer begründeten Furcht vor Verfolgungshandlungen im Sinn des § 3a AsylG steht. Das Bundesamt hält dem Kläger nachvollziehbar vor, dass er nach den von ihm geschilderten Geschehnissen mit seinem Onkel zunächst weiter unbehelligt in … gelebt hat und erst einige Zeit danach ausgereist ist. Das Gericht geht anhand der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung davon aus, dass das die Ausreise auslösende Ereignis der Tod seines Vaters gewesen sein dürfte und er von ihm keine Unterstützungsleistungen (finanzielle Leistungen an den Cousin, damit der Kläger bei ihm wohnen konnte) mehr erhalten hat. Anders als das Bundesamt geht das Gericht insofern durchaus von einem glaubhaften Sachvortrag des Klägers aus, was die von ihm geschilderten Misshandlungen durch den Onkel angeht. Die Erzählungen des Klägers weisen aus Sicht des Gerichts Realkennzeichen auf, was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass er ehrlich den Grund für seine Ausreise aus … geschildert hat, der mehr an wirtschaftliche Beweggründe (Entfallen der finanziellen Unterstützungsleistungen seines verstorbenen Vaters) anstatt an eine konkrete Verfolgungshandlung anknüpfte.
29
Unabhängig davon fehlt es hinsichtlich der vorgetragenen Misshandlungen durch den Onkel an einer Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund. Soweit der Kläger Anstoß daran nimmt, das Bundesamt habe sein Vorbringen als vage und nicht ausreichend substantiiert abgetan, ist dies bei genauer Betrachtung im Lichte der zu prüfenden Glaubhaftmachung eines Verfolgungsgrundes (vgl. § 3b AsylG) zu sehen, die das Bundesamt als nicht gegeben ansah. Der einzig im Ansatz in Betracht kommende Verfolgungsgrund nach § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ebenso aus Sicht des Gerichts nicht glaubhaft gemacht, erst recht nicht dessen Verknüpfung mit den vom Onkel ausgehenden Verfolgungshandlungen. Der Kläger hat zwar in der Anhörung beim Bundesamt angegeben, er habe sich „entschieden“, die Religion zu wechseln. Der Kläger hat jedoch weder behauptet noch glaubhaft gemacht, tatsächlich zu einer anderen Religion konvertiert zu sein noch dass eine Konversion der Grund für die vom Onkel ausgehenden Misshandlungen gewesen sei. Aus diesem Grund kann dahinstehen, ob die Ausführungen des Klägers, er habe den Koran gelesen und kenne ihn auswendig, vor dem Hintergrund der fehlenden Schuldbildung widersprüchlich sind und ob diese (vom Bundesamt vorgehaltene) Widersprüchlichkeit mit fehlenden französischen Sprachkenntnissen des Klägers erklärt werden kann (vgl. zum Einwand unzureichender Sprachmittlung auch BayVGH, B.v. 3.7.2023 – 9 ZB 23.30420 – juris Rn. 8 ff.). Auch wenn das Gericht dem Kläger die von seinem Onkel erlittenen Misshandlungen glaubt, reichen diese eben als solche für die beschriebene erforderliche Verknüpfung von Verfolgungshandlung und Grund nicht aus. Nach den Angaben des Klägers geht das Gericht davon aus, dass die hintergründige Ursache für die Misshandlungen nicht nur im offenbar jähzornigen Charakter des Onkels liegt, sondern vor allem in Meinungsverschiedenheiten über die Rolle und Bedeutung von Schulbildung (vgl. Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte – IPwskR) bzw. dessen Inhalten liegt. Auch wenn hinsichtlich der Vermittlung von Schulbildung und Lehrinhalten weltanschauliche Ansichten des Onkels eine Rolle gespielt haben mögen, bedeutet das umgekehrt keineswegs, dass der begehrte Schulbesuch durch den Kläger irgendeine weltanschauliche Relevanz im Sinn des Auslebens individueller Glaubensüberzeugungen einer Glaubensgemeinschaft gehabt hat (vgl. allg. dazu Wittmann in BeckOK MigR, Stand 1.7.2024, § 3b AsylG Rn. 9) und genau hieran die Verfolgungshandlungen durch den Onkel anknüpft hätten.
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b) Auch losgelöst von der in Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU statuierten Beweiserleichterung geht das Gericht nicht davon aus, dass dem Kläger nach einer Rückkehr nach … mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrelevante Verfolgung droht. Unabhängig davon, dass die vom Kläger geschilderten Verfolgungshandlungen nicht mit einem Verfolgungsgrund verknüpft sind (s.o.), erscheint es vorliegend unwahrscheinlich, dass sich diese in der Form nach einer Rückkehr des Klägers nach … wiederholen würden. Nach den zeitlichen Umständen waren die Verfolgungshandlungen bzw. die Misshandlungen durch den Onkel zu einem Zeitpunkt geschehen, als der Kläger noch minderjährig war bzw. im Kindesalter gewesen sein dürfte. Die vom Kläger geschilderte Furcht, von seinem Onkel nach einer Rückkehr nach … wieder verfolgt zu werden, ist schon deshalb nicht nachvollziehbar bzw. im Rechtssinn nicht begründet, weil der mittlerweile volljährige Kläger nicht mehr – wie möglicherweise früher – von seinem Onkel in irgendeiner Weise abhängig ist bzw. auch gar keinen Grund hätte, zu diesem zurückzukehren. Nicht außer Acht gelassen werden kann in diesem Zusammenhang schließlich, dass es dem Kläger bereits damals gelungen war, sich seinem Onkel dadurch zu entziehen, indem er nach … gefahren ist (vgl. § 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG). Beim Kläger handelt es sich um einen mittlerweile volljährigen Mann, der, soweit ersichtlich, keine gesundheitlichen Einschränkungen hat und von dem es vernünftigerweise erwartet werden kann, sich dort niederzulassen und seinen Lebensunterhalt zu bestreiten (vgl. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG).
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II. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 1 AsylG.
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1. Die Gewährung subsidiären Schutzes setzt voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden im Sinn des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG droht (vgl. NdsOVG, U.v. 6.9.2022 – 11 LB 198/20 – juris Rn. 146; OVG NW, 10.5.2021 – 9 A 1489/20.A – juris Rn. 222 ff.; NdsOVG, U.v. 5.12.2017 – 4 LB 50/16 – juris Rn. 31; VG Freiburg, U.v. 24.4.2018 – A 1 K 4712/16 – juris Rn. 23 f.; Kluth in BeckOK AuslR, Stand 1.7.2024, § 4 AsylG Rn. 32). Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab korrespondiert – wie schon bei der Flüchtlingsanerkennung – mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“). Das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.2022 – 1 C 10.21 – juris Rn. 13 m.w.N.). Hat ein Antragsteller bereits einen ernsthaften Schaden erlitten oder war er von einem solchen unmittelbar bedroht, kommt ihm auch hier – wie bei der Flüchtlingsanerkennung – die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU zugute (vgl. NdsOVG, U.v. 14.3.2022 – 4 LB 20/19 – juris Rn. 72; BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – juris Rn. 23).
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2. Dies zugrunde gelegt, kann vorliegend von der beachtlichen Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines „ernsthaften Schadens“ im Sinn des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG (eine andere Form nach Nr. 1 und Nr. 3 kommt nicht ansatzweise in Betracht) nicht ausgegangen werden. Vorliegend steht die Ausreise des Klägers aus … bereits nicht in hinreichendem zeitlichen Zusammenhang des Schutzes vor einem ernsthaften Schaden bzw. dem Entgehen vor einer tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 2 AsylG), sondern er hat angegeben, … nach dem Tod seines Vaters verlassen zu haben, als dessen finanzielle Unterstützungsleistungen wegbrachen (s.o.). Ebenso erscheint es unwahrscheinlich, dass sich der Kläger nach einer Rückkehr nach … erneut an seinen Onkel wenden müsste bzw. geraten würde (s.o.). Wiederum unabhängig davon und selbstständig tragend wäre auch hinsichtlich des subsidiären Schutzes entsprechend der obigen Ausführungen beim Flüchtlingsschutz auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme internen Schutzes zu verweisen (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 1, § 3e Abs. 1 AsylG).
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III. Hinsichtlich der negativen Entscheidung zum Nichtvorliegen zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG wird auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Bescheid Bezug genommen, denen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 3 AsylG). Das Gericht teilt insbesondere die Bewertung in der Begründung des Bescheids, dass es dem Kläger jedenfalls mit der Inanspruchnahme von Rückkehrhilfen (vgl. dazu BVerwG, U.v. 21.4.2022 – 1 C 10.21 – juris Rn. 25, konkret zu Guinea: https://www.returningfromgermany.de/de/countries/guinea/) zumutbar ist, nach … zurückzukehren und dort seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
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IV. Die weiteren Nebenentscheidungen in Nummer 5 und 6 des angefochtenen Bescheids begegnen ebenso keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Ausreisefrist von 30 Tagen findet ihre Rechtsgrundlage in § 38 Abs. 1 AsylG, die Androhung der Abschiebung im Fall der nicht freiwilligen Ausreise in § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG; diese verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. dazu und zur Vereinbarkeit mit der Rückführungsrichtlinie BVerwG, U.v. 20.2.2020 – 1 C 1.19 – juris Rn. 27 f.). Das angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot bzw. dessen Befristung auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befindet sich innerhalb des in § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vorgegebenen Rahmens und erweist sich nicht als ermessensfehlerhaft (vgl. § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG i.V.m. § 114 Satz 1 VwGO).
C.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.