Titel:
Zulässigerklärung der Auslieferung an die Ukraine zur Strafverfolgung
Normenketten:
IRG § 32
AsylG § 6
AufenthG § 24 Abs. 2
Leitsätze:
1. Der Einwand eines beabsichtigten Asylverfahrens hindert eine Auslieferung nicht. (Rn. 5 und 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Befinden sich alle möglichen Strafvollzugsanstalten, in denen eine Person nach Auslieferung an die Ukraine untergebracht werden könnte, weit weg vom Ort der kriegerischen Auseinandersetzungen und verfügen über einen bombensicheren Raum und/oder Schutzanlagen, besteht keine Gefahr für Leib oder Leben. (Rn. 5 und 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Auslieferung, Strafverfolgung, Ukraine, Asylverfahren, Krieg, Videoverhandlung
Rechtsmittelinstanz:
BVerfG Karlsruhe vom 31.01.2025 – 2 BvR 106/25
Fundstelle:
BeckRS 2024, 40502
Tenor
I. Gegen den ukrainischen Staatsangehörigen T., geboren am …1979 in …/Ukraine, wird zur Sicherung der Auslieferung an die ukrainischen Behörden zur Strafverfolgung die Fortdauer der Auslieferungshaft angeordnet.
II. Dem Auslieferungshaftbefehl wird weiterhin der internationale Haftbefehl des Stadt- und Bezirksgerichts Pervomaisk vom 16.05.2023, Akte Nr. …93/23; Verfahren Nr. …88/23; Strafverfahren Nr. …34, zugrunde gelegt.
III. Die Auslieferung des Verfolgten an die ukrainischen Behörden zur Strafverfolgung wegen der im Haftbefehl des Stadt- und Bezirksgerichts Pervomaisk vom 16.05.2023, Akte Nr. …93/23; Verfahren Nr. …88/23; Strafverfahren Nr. …34 aufgeführten Straftaten ist zulässig.
Gründe
1
Wegen des dem Auslieferungsverfahren zu Grunde liegenden Sachverhalts und des bisherigen Verfahrensganges wird auf die Senatsbeschlüsse vom 29.05.2024, 14.06.2024, 08.08.2024, 10.09.2024, 07.11.2024, 21.11.2024 und 22.11.2024 Bezug genommen und zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.
2
Mit Beschluss vom 21.11.2024 hatte der Senat die Fortdauer der Auslieferungshaft gegen den Verfolgten angeordnet, dem Auslieferungshaftbefehl weiterhin den internationalen Haftbefehl des Stadt- und Bezirksgerichts Pervomaisk vom 16.05.2023, Akte Nr. …93/23; Verfahren …88/23; Strafverfahren Nr. …34, zugrunde gelegt und die Auslieferung des Verfolgten für zulässig erklärt (Bl. 898/910). Mit Beschluss vom 22.11.2024 hat der Senat die Ziffer III. des Beschlusses vom 21.11.2024 wieder aufgehoben und die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung weiterhin zurückgestellt, da dem Rechtsbeistand des Verfolgten wegen Verletzung rechtlichen Gehörs eine erneute Möglichkeit zur Stellungnahme bis zum 02.12.2024 eingeräumt wurde (Bl. 941/943).
3
Mit Schreiben vom 21.11.2024 beantragte der Verfolgte, vertreten durch seinen Rechtsbeistand, die Auslieferung für unzulässig zu erklären, hilfsweise die Entscheidung über die Zulässigkeit weiterhin zurückzustellen.
4
Mit am 06.12.2024 beim Senat eingegangenem Schreiben vom 04.12.2024 hat die Generalstaatsanwaltschaft München unter Aktenvorlage beantragt, gegen den ukrainischen Staatsangehörigen T. die Fortdauer der Auslieferungshaft anzuordnen, dem Auslieferungsbefehl weiterhin den internationalen Haftbefehl des Stadt- und Bezirksgerichts Pervomaisk vom 16.05.2023, Akte Nr. …93/23; Verfahren Nr. …88/23; Strafverfahren Nr…34 zugrunde zu legen und die Auslieferung des Verfolgten an die ukrainischen Behörden zur Strafverfolgung wegen der im vorstehend bezeichneten Haftbefehl aufgeführten Straftaten für zulässig zu erklären.
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Zur Begründung ihres Antrags vom 04.12.2024 hat die Generalstaatsanwaltschaft München folgendes vorgetragen:
„1. Zuletzt mit Beschluss vom 21.11.2024 hat das Oberlandesgericht München weiterhin Auslieferungshaft gegen den Verfolgten angeordnet, dem Auslieferungshaftbefehl weiterhin den internationalen Haftbefehl des Stadt- und Bezirksgerichts Pervomaisk vom 16.05.2023, Akte Nr. …93/23; Verfahren Nr…88/23; Strafverfahren Nr. …34, zugrunde gelegt und die Auslieferung des Verfolgten für zulässig erklärt (Bl. 898/910). Mit Beschluss vom 22.11.2024 wurde Ziffer III. des Beschlusses vom 21.11.2024 wieder aufgehoben und die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung weiterhin zurückgestellt, da dem Rechtsbeistand wegen Verletzung rechtlichen Gehörs eine erneute Möglichkeit zur Stellungnahme bis zum 02.12.2024 eingeräumt wurde (Bl. 941/943).
Diese Beschlüsse wurden dem Verfolgten bisher noch nicht eröffnet.
2. Mit Schreiben vom 21.11.2024 beantragte der Verfolgte, vertreten durch seinen Rechtsbeistand, die Auslieferung für unzulässig zu erklären, hilfsweise die Entscheidung über die Zulässigkeit weiterhin zurückzustellen. Eine weitere Stellungnahme ging bis heute, 04.12.2024, nicht ein.
Zum Schriftsatz vom 21.11.2024 wird wie folgt Stellung genommen.
a) Der Einwand des beabsichtigten Asylverfahrens hindert eine Auslieferung nicht, § 6 AsylG. Das gleiche gilt – erst recht – für die befristetet Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Abs. 2 AufenthG. Das aktuelle Kriegsgeschehen, das zur befristeten Aufenthaltserlaubnis führte, ist umfassender Bestandteil des Auslieferungsverfahrens. Wie bereits in den vorangegangenen Beschlüssen des Oberlandesgerichts München festgestellt, besteht eine Gefahr für Leib oder Leben nach Auskunft der ukrainischen Behörden im Hinblick auf die vorhandenen Schutzräume in den jeweiligen Haftanstalten sowie der Durchführung des Gerichtsverfahrens mittels Videokonferenz nicht.
b) Auch die Tatsache, dass die Haftanstalt, in welcher der Verfolgte im Falle der Verurteilung untergebracht werden würde, bisher nicht genau benannt wurde, steht einer Auslieferung nicht entgegen. Die ukrainischen Behörden teilten mit, dass der Verfolgte im Falle der Verurteilung in eine der Strafvollzugsanstalten untergebracht werden wird, die in der vom Justizministerium der Ukraine genehmigten Liste festgelegt sind, wahrscheinlich würde er in die Besserungsanstalt D. (Nr. 40) oder „K.“ (Nr. 41) untergebracht werden. All diese möglichen Anstalten befinden sich weit weg vom Ort der Feindseligkeiten und verfügen über einen bombensicheren Raum und/ oder Schutzanlagen. Dem Verfolgten stehen auch dort – abzüglich der abgetrennten Sanitärzone – nicht weniger als 4 Quadratmeter persönlicher Haftraum zur Verfügung. Aus den Auskünften und Zusicherungen der ukrainischen Behörden ergibt sich daher, dass der Verfolgte auch in der Strafvollzugsanstalt jedenfalls keinen menschenunwürdigen Haftbedingungen ausgesetzt werden würde (Bl. 772).
c) Im Übrigen nehme ich – um Wiederholungen zu vermeiden – vollumfänglich auf meine Ausführungen in meinem Antrag vom 15.11.2024 Bezug.
3. Die Haftgründe bestehen unverändert fort.
4. Dem Rechtsbeistand wurde hiesiger Antrag zur Kenntnisnahme übermittelt.“
6
1. Der Senat schließt sich nach eigenständiger Prüfung der Verfahrensunterlagen den vorgenannten Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft vollumfänglich an und nimmt darauf zunächst Bezug.
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2. Die Prüfung der Sach- und Rechtslage ergibt, dass der Senat weiterhin die Fortdauer der Auslieferungshaft anzuordnen, dem Auslieferungshaftbefehl weiterhin den internationalen Haftbefehl des Stadt- und Bezirksgerichts Pervomaisk vom 16.05.2023, Akte Nr. …93/23; Verfahren Nr. …88/23; Strafverfahren Nr. …34 zugrunde zu legen und nunmehr auch die Zulässigkeit der Auslieferung zu erklären hat.
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3. Die vom Senat im Beschluss vom 21.11.2024 ergänzend vorgetragenen Ausführungen (Ziffern II. 2. a – f) gelten nach wie vor fort, so dass auf diesen Bezug genommen wird.