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AG München, Beschluss v. 22.12.2024 – 1509 M 7854/24
Titel:

Ermittlung des Aufenthaltsorts eines Schuldners durch den Gerichtsvollzieher

Normenketten:
DSGVO Art. 6 Abs. 1 UnterAbs. 1, UnterAbs. 2, Abs. 3
ZPO § 755
Leitsätze:
1. Ein Gerichtsvollzieher kann nicht zur Befragung der Nachbarn mit dem Ziel der Erforschung des Aufenthaltsorts des Schuldners angewiesen werden, da eine solche Befragung der Nachbarn und damit auch die gerichtliche Anweisung dazu gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen verstoßen würde. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Regelung des § 755 ZPO, welche die Ermittlung des Aufenthaltsorts des Schuldners regelt, sieht Nachforschungen im privaten Umfeld des Schuldners nicht vor. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ermittlung, Aufenthaltsort, Schuldner, Gerichtsvollzieher, Befragung, Nachbarn, Datenschutz, Ausforschung
Fundstellen:
GE 2025, 243
ZD 2025, 293
LSK 2024, 40307
BeckRS 2024, 40307

Tenor

Die Erinnerung der Gläubigerin ... vom 24.10.2024 wird zurückgewiesen.

Gründe

1
Die Gläubigerin vollstreckt aus der vollstreckbaren Ausfertigung eines Kostenfestsetzungsbeschlusses des Landgerichts ...). Mit Vollstreckungsauftrag vom 29.07.2024 beauftragte der Gläubigervertreter den Gerichtsvollzieher unter anderem mit der Pfändung sowie der Ermittlung des Aufenthaltsorts des Schuldners nach § 755 ZPO für den Fall, dass sich im Verfahren herausstellt, dass keine zustellfähige Anschrift des Schuldners vorliegt. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Vollstreckungsantrag in der Sonderakte des Gerichtsvollziehers verwiesen.
2
Mit Schreiben von 01.10.2024 kündigte die Gerichtsvollzieherin dem Schuldner Zwangsvollstreckungsmaßnahmen am 15.10.2024 in seiner Wohnung an. Mit Schreiben vom 15.10.2024 teilte die Gerichtsvollzieherin dem Gläubigervertreter mit, dass der Schuldner trotz vorheriger schriftlicher Ankündigung nicht habe angetroffen werden können und es unklar sei, ob der Schuldner unter der ermittelten Meldeanschrift tatsächlich wohnhaft sei; es befinde sich zwar ein Namensschild mit seinem Namen am Briefkasten, jedoch nicht an der Klingel. Der Gläubigervertreter könne die Abgabe der Vermögensauskunft durch den Schuldner beantragen.
3
Hiergegen wendet sich der Gläubigervertreter mit Erinnerung vom 24.10.2024. Er beantragt, die Gerichtsvollzieherin anzuweisen, durch Befragen von Bewohnern des Hauses an der Meldedresse des Schuldners den Aufenthaltsort zu ermitteln, ihn, wenn er sich im nämlichen Haus oder jedenfalls im Bezirk der Obergerichtsvollzieherin aufhält, unter der von ihr ermittelten Anschrift aufzusuchen, eine Taschenpfändung vorzunehmen, Vermögenswerte des Schuldners zu pfänden und dem Vollstreckungsauftrag vom 29. Juli 2024 auch im Übrigen gemäß den darin getroffenen Anweisungen alsbald und ohne schuldhaftes Zögern nachzukommen. Er ist der Ansicht, die Gerichtsvollzieherin sei zur Befragung der Nachbarn verpflichtet und legt hierzu einen Beschluss des Amtsgerichts Bremen vom 11.06.2014 (Az.: 43 M 430663/14) sowie einen Beschluss des Amtsgerichts Wuppertal vom 13.08.2019 (Az.: 43 M 2703/19) vor.
4
Die Erinnerung ist unbegründet. Die Gerichtsvollzieherin kann schon allein deswegen nicht zur Befragung der Nachbarn mit dem Ziel der Erforschung des Aufenthaltsorts des Schuldners angewiesen werden, da eine solche Befragung der Nachbarn und damit auch die gerichtliche Anweisung dazu gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen verstoßen würde.
5
Um die Nachbarn des Schuldners nach dessen Aufenthaltsort befragen zu können, müsste die Gerichtsvollzieherin den Nachbarn gegenüber preisgeben, dass sie als Gerichtsvollzieherin gegen den Schuldner die Vollstreckung betreibt. Diese Information enthält personenbezogene Daten zur Person des Schuldners, deren Weitergabe an Dritte als Verarbeitung personenbezogener Daten einer datenschutzrechtlichen Prüfung standhalten muss.
6
Die Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der RL 95/46/EG (im folgenden DSGVO) ist seit dem 25. Mai 2018 in Deutschland geltendes Recht und regelt die Zulässigkeit einer Verarbeitung personenbezogener Daten umfassend. Grundsatz ist, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten nur aufgrund eines Erlaubnistatbestands zulässig ist (vgl. BeckOK Datenschutzrecht, Wolff/Brink/v. Ungern-Sternberg, Art. 6, Rn. 18).
7
Eine Datenverarbeitung kann nach Art. 6 Abs. 1 Unterabsatz 1 DSGVO in abschließend aufgezählten Fällen rechtmäßig sein. In den bei der Tätigkeit eines Gerichtsvollziehers evtl. relevanten Fällen der Buchstaben c) (“die Verarbeitung ist zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich, der der Verantwortliche unterliegt“) und e) (“die Verarbeitung ist für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde“) genügt die bloße Erfüllung eines der Tatbestände allein allerdings noch nicht zur Rechtfertigung. Hier muss nach Art. 6 Abs. 3 DSGVO die Rechtsgrundlage für die Verarbeitung vielmehr durch das Unionsrecht oder das Recht des Mitgliedstaates, dem der Verantwortliche unterliegt, ausdrücklich festgelegt werden.
8
Da unionsrechtliche Regelungen zur Datenverarbeitung durch Gerichtsvollzieher nicht ersichtlich sind, können die Rechtsgrundlagen insoweit allein im nationalen Recht und hier insbesondere der ZPO gefunden werden (vgl. Becker-Eberhard, DGVZ 2018, 129).
9
§ 755 ZPO, der die Ermittlung des Aufenthaltsorts des Schuldners regelt, sieht Nachforschungen im privaten Umfeld des Schuldners nicht vor und kann insofern nicht als Rechtsgrundlage herangezogen werden. § 755 ZPO regelt seinem Wortlaut nach abschließend, zu welchen Abfragen der Gerichtsvollzieher durch den Vollstreckungsgläubiger zur Aufenthaltsermittlung in welcher Reihenfolge beauftragt werden kann und enthält keinerlei Öffnungsklausel für weitere Maßnahmen. Auch aus der Gesetzesbegründung ergibt sich keinerlei Intention des Gesetzgebers, eine Generalklausel für Aufenthaltsermittlungsmittlungen durch den Gerichtsvollzieher schaffen zu wollen (vgl. RegE BT-Drucks. 16/10069). § 755 ZPO scheidet deswegen als Rechtsgrundlage dafür aus, den Nachbarn die Vollstreckungstätigkeit gegen den Schuldner zu offenbaren.
10
Auch andere Erlaubnistatbestände des Art. 6 Abs. 1 Unterabsatz 1 DSGVO greifen nicht ein. Insbesondere ist die Rechtsgrundlage der „berechtigten Interessen“ (Buchstabe f) nach Art. 6 Abs. 1 Untererabsatz 2 bei behördlichen Tätigkeiten nicht anwendbar. Mangels gesetzlicher Regelung wäre die Nachforschung bei Nachbarn zur Bestimmung des Aufenthaltsorts des Schuldners damit rechtswidrig.
11
Der vom Gläubigervertreter vorgelegte Beschluss des Amtsgerichts Bremen vom 11.06.2014 (Az.: 43 M 430663/14) stammt aus der Zeit vor Wirksamwerden der DSGVO und kann schon deshalb nicht herangezogen werden. Davon abgesehen setzt sich dieser Beschluss auch nicht mit datenschutzrechtlichen Erwägungen auseinander, sondern stellt ohne jede weitere Begründung lediglich fest, dass „Gründe des Datenschutzes“ nicht entgegen stünden. Dieser Beschluss ist daher vorliegend unbeachtlich. Gleiches gilt im Ergebnis für den weiteren, vom Gläubigervertreter vorgelegten Beschluss des Amtsgerichts Wuppertal vom 13.08.2019 (Az.: 43 M 2703/19): Darin setzt sich das Gericht ausschließlich mit der datenschutzrechtlichen Rechtmäßigkeit der Offenlegung personenbezogener Daten des Schuldners durch Dritte (Mitbewohner, Vermieter, Hausverwaltung) auseinander. Keine Ausführungen finden sich jedoch zur datenschutzrechtlichen Zulässigkeit von deren Befragung durch den Gerichtsvollzieher. Der Argumentation des Amtsgerichts Wuppertal kann daher hier nicht gefolgt werden.
12
Demnach war die Erinnerung zurückzuweisen.
13
Die Erinnerung ergeht kostenfrei.