Titel:
Keine Verjährung, Hemmung der Verjährung, Ende der Verjährungshemmung, Einrede der Verjährung, Verjährungsfrist, Verjährung der Ansprüche, besonderes Feststellungsinteresse, Haftpflichtversicherungsbedingung, Haushaltsführungsschaden, Treu und Glauben, Elektronisches Dokument, Dauerschaden, Tierhalterhaftung, Schwebende Verhandlungen, Streitwert, Elektronischer Rechtsverkehr, Positive Feststellungsklage, Schadensberechnung, Einschlafen der Verhandlungen, Offensichtliche Unvereinbarkeit
Schlagworte:
Feststellungsklage, Tierhalterhaftung, Verkehrsunfall, Verjährungshemmung, Schadensersatz, Dauerschäden
Rechtsmittelinstanz:
LG Aschaffenburg, Endurteil vom 18.07.2024 – 23 S 14/24 e
Fundstelle:
BeckRS 2024, 40163
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass der Beklagte zum Ersatz aller zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden des Klägers aus dem Unfallereignis vom 16.07.2016 um 01:47 Uhr auf der … Straße in … verpflichtet ist.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Der Streitwert wird auf 4.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um die Frage der Verjährung von materiellen und immateriellen Schadensersatzanspruch aus einem Verkehrsunfall vom 16.07.2016 gegen 01:47 Uhr auf der … Straße in ….
2
Der Kläger ist Halter und Eigentümer eines Kraftrads mit dem amtlichen Kennzeichen …. Am Unfalltag befuhr der Kläger mit seinem Kraftrad die … Straße von der … straße kommend in Fahrtrichtung … straße. Auf Höhe der Hausnummer 6 B kreuzte eine Katze die Fahrbahn von links nach rechts und verklemmte sich zwischen Vorderrad und Kühler des Kraftrads. In Folge dessen blockierte das Rad des klägerischen Kraftrads und der Kläger stürzte.
3
Der Beklagte ist Halter der Katze, die den Verkehrsunfall verursachte. Durch den Verkehrsunfall erlitt der Kläger eine Schultergelenkssprengung und sein Kraftrad wurde beschädigt (Bl. 3, 6).
4
Die Haftung des Beklagten dem Grunde nach ist zwischen den Parteien nicht im Streit (Bl. 3, 17).
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Der Kläger forderte den Beklagten mit anwaltlichem Schreiben vom 21.10.2016 auf, seine Haftpflichtversicherung zu benennen und führte in der Folgezeit die gesamte weitere Korrespondenz mit der … Versicherungs-AG als Haftpflichtversicherung des Beklagten (Bl. 3, Anlage K 10). Die … Versicherungs-AG ist nach § 5 Abs. 2 AHB bevollmächtigt, alle zur Abwicklung des Schadens oder Abwehr der Schadensersatzansprüche zweckmäßig erscheinenden Erklärungen im Namen des Beklagten abzugeben (Anlage B… 3).
6
Es folgte dann ein Schriftverkehr, der sich bis Mitte 2019 hinzog:
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Der Sachschaden wurde im Laufe der Zeit vollständig reguliert, der Personenschaden jedoch nur teilweise.
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Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 07.02.2018 forderte der Kläger die Versicherung auf, einen sog. Feststeller zu erteilen, weil er einen Dauerschaden erlitten und weiterhin Schmerzen habe (Anlage K 2). Mit Schreiben vom 12.02.2018 forderte die Beklagtenversicherung den Kläger daraufhin auf, zum Nachweis eines verbleibenden Dauerschadens einen abschließenden Arztbericht vorzulegen (Bl. 4; Anlage K 2).
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Am 19.02.2019 stellte daraufhin Dr. med. … (Dres. med. …) einen ärztlichen Untersuchungsbericht aus und diagnostizierte beim Kläger eine Schultergelenkssprengung Tossy II links, eine Bewegungseinschränkung der linken Schulter sowie eine beginnende Arthrose des Schultergelenks links. Der behandelnde Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie kam zu folgender Schlussfolgerung:
„Der Unfall hat ohne Zweifel einen Dauerschaden an der linken Schulter hervorgerufen. Nach der Gliedertaxe ist dieser mit einer MdE von 15 % einzustufen. Es muss in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, dass die Arthrose des Schultergelenks mit den Jahren sich sicher verschlechtern wird.“.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anlage K 9 Bezug genommen.
11
Mit anwaltlichem Schreiben vom 28.03.2019 legte der Kläger die ärztliche Stellungnahme der Beklagtenversicherung vor und forderte die Versicherung erneut auf, einen Feststellungsausspruch mit der Wirkung eines rechtskräftigen Feststellungsurteils für sämtliche künftigen und vergangenen materiellen und immateriellen Forderungen aus dem gegenständlichen Unfallgeschehen zu erteilen. Ferner legte er eine Schadensberechnung vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anlage K 4 Bezug genommen.
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Hierauf folgte die Antwort der Beklagten vom 01.04.2019. In diesem Schreiben forderte die Beklagtenversicherung den Kläger auf, die Forderung nunmehr abschließend zu beziffern (Anlage K5).
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Mit weiterem anwaltlichem Schreiben des Klägers vom 13.05.2019 erfolgte sodann eine Schadenserhöhung. Dabei wies der Kläger die Beklagtenversicherung ausdrücklich darauf hin, dass es sich um eine vorläufige Schadensspezifizierung handele (Anlage K 6).
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Hierauf antwortete die Versicherung des Beklagten mit Schreiben vom 24.05.2019 und bat um eine Forderungsaufstellung, die sich ausschließlich auf die noch offenen Forderungen beschränke. Ferner erinnerte die … Versicherungs-AG an die Beantwortung des Schreibens vom 01.04.2019 (Anlage B 1).
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Mit weiterem Schreiben vom 29.10.2021 berechnete der Klägervertreter den bisher angefallenen Gebührenanspruch (Anlage K 7), den die Beklagtenversicherung auch am 03.11.2021 zahlte (Bl. 5).
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Mit anwaltlichem Schreiben vom 25.10.2022 legte der Kläger der Beklagtenversicherung seinen Haushaltsführungsschaden dar und bat um weitere Akontozahlung (Anlage K 8).
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Mit Schreiben vom 24.11.2022 erhob die Beklagtenversicherung die Einrede der Verjährung und lehnte eine weitere Zahlung ab (Bl. 6, Anlage K 11, Anlage B 2).
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Der Kläger ist der Ansicht, dass die Schadensersatzansprüche noch nicht verjährt seien (Bl. 6). Er habe sich mit der Beklagtenversicherung in laufenden Verhandlungen befunden. Aus Sicht der Beklagtenseite sei stets klar gewesen, dass der Kläger seine berechtigten Ansprüche nicht aufgegeben, sondern wiederholt eine Feststellungserklärung gefordert habe, die die Beklagte zwar nicht ablehnt, aber auch nicht abgegeben habe (Bl. 6). Erst mit der ernsthaften und endgültigen Ablehnung der Beklagten mit Schreiben vom 24.11.2022 habe die Verjährung begonnen (Bl. 6). Der Kläger habe ein besonderes Feststellungsinteresse daran, dass der Beklagte auch für zukünftige Schäden, insbesondere für Dauerschäden zum Schadensersatz verpflichtet sei.
festzustellen, dass der Beklagte zum Ersatz aller zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden des Klägers aus dem Unfallereignis vom 16.07.2016 um 01:47 Uhr auf der … Straße in … verpflichtet ist.
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Der Beklagte beantragt,
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Der Beklagte ist der Ansicht, dass die Klage unzulässig sei, weil dem Kläger bereits kein Feststellungsinteresse zustehe (Bl. 17, 18).
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Weitere Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche stünden dem Kläger nicht zu (Bl. 17). Der Beklagte beruft sich auf die Einrede der Verjährung (Bl. 19). Auf die Bitte der … Versicherungs-AG vom 24.05.2019, eine abschließende Schadensaufstellung vorzunehmen, seit der Kläger erst mit Schreiben vom 25.10.2022 zurückgekommen, in dem er seinen Haushaltführungsführungsschaden dargelegt habe. Damit sei eine Verhandlungspause von ca. dreieinhalb Jahren entstanden. Durch das Einschlafen der Verhandlungen sei die Hemmung der Verjährung geendet (Bl. 19).
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Der Kläger hat am 14.05.2024 Klage eingereicht, die dem Beklagten am 30.06.2023 zugestellt wurde.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig und begründet.
A. Zulässigkeit der Klage
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Die Klage ist zulässig.
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Das für eine Feststellungsklage erforderliche Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs. 1 ZPO liegt vor.
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Ein Feststellungsinteresse ist gegeben, wenn dem Recht oder der Rechtslage eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht und das erstrebte Urteil geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (BGH NJW 2015, 873; 2010, 1877). In Schadensfällen kommt es entscheidend darauf an, ob der Kläger die Schadenshöhe bereits insgesamt endgültig beziffern kann, was ihm nicht nur bei sich noch entwickelnden Schäden, sondern auch dann unmöglich sein kann, wenn die Schädigung bereits abgeschlossen ist (BGH NJW-RR 2008, 1520; OLG Düsseldorf NJW 2012, 85; OLG Hamm NJW-RR 2013, 38). Ein Interesse an der Feststellung einer Ersatzpflicht für künftige Schadensfolgen aus einer bereits eingetretenen Verletzung eines absoluten Rechts oder eines vergleichbaren Rechtsguts ist daher zu bejahen, wenn die Möglichkeit besteht, dass solche Schäden eintreten. Bei Rechtsgütern dieser Art legt die Rechtsprechung einen großzügigen Maßstab an. Sie verneint ein berechtigtes Interesse nur dann, wenn aus Sicht des Klägers bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen (BGH NJW-RR 2007, 601; 2022, 23). Das Feststellungsinteresse wird nur dann abgelehnt, wenn ein künftiger Schadenseintritt völlig fernliegt (OLG Koblenz, Urt. v. 2.07.2014, Az.: 5 U 221/14).
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Wie sich aus dem Gutachten des Dr. … (Anlage K 9) ergibt, erlitt der Kläger aufgrund des Unfalls eine Schultereckgelenksprengung Tossy II links mit Bewegungsbeeinträchtigungen der linken Schulter und beginnender Arthrose des Schultereckgelenkes links. Bei diesem Krankheitsbild besteht zumindest die entfernte Möglichkeit künftiger Folgeschäden, insbesondere im Hinblick auf eine Verschlechterung der derzeit beginnenden Arthrose. Ein künftiger Schadenseintritt liegt gerade nicht völlig fern. Darüber hinaus ist der Kläger noch nicht beschwerdefrei. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger seinen Schaden bereits jetzt endgültig und vollständig beziffern kann. Dies ist ausreichend für die Bejahung eines besonderen Feststellungsinteresses.
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Zudem besteht bei einer positiven Feststellungsklage ein Feststellungsinteresse, wenn der Beklagte das Recht des Klägers ernsthaft bestreitet oder wenn Verjährung droht. Im konkreten Fall ist gerade die Frage streitig, ob bereits Verjährung eingetreten ist, denn der Beklagte verweigert unter die Berufung auf die Einrede der Verjährung eine dem Grunde nach unstreitig bestehende Leistungspflicht.
B. Begründetheit der Klage
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Die Klage ist auch begründet.
Anspruch auf Feststellung gemäß § 833 Satz 1 BGB
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Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Feststellung der Ersatzpflicht für künftige materielle und immaterielle Schäden gemäß § 833 Satz 1 BGB.
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Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Kläger im Rahmen des Verkehrsunfalls am 16.07.2016, der durch die Katze des Beklagten verursacht wurde, verletzt wurde und der Beklagte als Tierhalter für die Folgen dem Grunde nach einzustehen hat.
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Insoweit ist auch der Feststellungsantrag grundsätzlich begründet, denn an die sachliche Begründetheit einer Feststellungsklage bezüglich materieller und immaterieller Zukunftsschäden sind nur maßvolle Anforderungen zu stellen (BGH, NJW-RR 1989, 1367; NJW 2001, 1431 = VersR 2001, 874). Sie ist nur dann unbegründet, wenn aus der Sicht des Klägers bei verständiger Beurteilung kein Grund bestehen kann, mit weiteren Unfallfolgen zu rechnen. Davon kann hier keine Rede sein. Vielmehr muss angesichts der unfallbedingten Verletzung und Dauerschäden des Klägers vom Eintritt weiterer Schäden ausgegangen werden.
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Entgegen der Ansicht der Beklagtenseite kann der Beklagte sich nicht auf ein Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 214 Abs. 1 BGB berufen, denn der Anspruch aus der Tierhalterhaftung ist noch nicht verjährt.
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Der Anspruch wegen unerlaubter Handlung aufgrund der Tierhalterhaftung nach § 833 S. 1 BGB unterliegt den allgemeinen Verjährungsbestimmungen der §§ 195, 199 BGB (vgl. Grüneberg-Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 82. Auflage, München 2023, Rn. 44 vor § 823 BGB). Die Verjährungsfrist beträgt also drei Jahre, § 195 BGB. Nach § 199 Abs. 1 BGB beginnt die Verjährung mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste. Damit begann die Verjährung grundsätzlich am 01.01.2017.
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Zu diesem Zeitpunkt war die Verjährung jedoch bereits aufgrund der schwebenden Verhandlungen gemäß § 203 BGB gehemmt, denn die Verhandlungen zwischen den Parteien begannen bereits am 21.10.2016.
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Soweit die Verhandlungen zwischen dem Kläger und der … Versicherungs-AG stattfanden, muss der Beklagte sich diese zurechnen lassen, da die Haftpflichtversicherung gemäß § 5 AHB als Bevollmächtigte des Beklagten tätig wurde.
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Führt ein eintrittspflichtiger Haftpflichtversicherer mit dem Dritten Regulierungsverhandlungen, ist der Lauf der Verjährung regelmäßig gegen alle versicherten Personen, die Ansprüchen ausgesetzt sein können, gehemmt (BGH NZV 2004, 623 = VersR 2004, 1278; NJW 1979, 866 = VersR 1979, 284). Denn die Verhandlungen zwischen dem Gläubiger und der Haftpflichtversicherung des Schuldners beziehen im Zweifel auch die Ansprüche zwischen Schuldner und Gläubiger ein, da es bei ihnen in aller Regel um den zu leistenden Schadensersatz geht. Insbesondere ist die … Versicherungs-AG als Haftpflichtversicherung des Schuldners aufgrund ihrer allgemeinen Haftpflichtversicherungsbedingungen (AHB) verhandlungsbefugt, so dass auch Verhandlungen zwischen dem Gläubiger und der Haftpflichtversicherung des Schuldners gegenüber dem Schuldner verjährungshemmend wirken. Denn nach 5.2 der AHB ist „der Versicherer (…) bevollmächtigt, alle ihm zur Abwicklung des Schadens oder Abwehr der Schadenersatzansprüche zweckmäßig erscheinenden Erklärungen im Namen des Versicherungsnehmers abzugeben.“
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Die Verhandlungen endeten gemäß § 203 Satz 1 BGB erst mit der endgültigen Verweigerung durch die … Versicherungs-AG am 24.11.2022 (Anlage K 11, Anlage B 2).
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Die Verjährung wird nach § 203 S. 1 BGB bis zur endgültigen Verweigerung der Fortsetzung der Verhandlungen gehemmt, wenn zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger Verhandlungen über den Anspruch schweben.
41
Nach Sinn und Zweck des § 203 S. 1 BGB ist der Begriff der „Verhandlung“ weit auszulegen (BGH NJW 83, 2075). Der Gläubiger muss klarstellen, dass er einen Anspruch geltend macht und worauf er ihn im Kern stützt. Anschließend genügt jeder Meinungsaustausch über den Anspruch oder seine Grundlage, es sei denn, dass der Schuldner sofort erkennbar Verhandlungen ablehnt. „Verhandlungen“ meint folglich jeden Meinungsaustausch über sein Bestehen oder Nichtbestehen, sofern nicht sofort und eindeutig jeder Ersatz abgelehnt wird (BGH NJW 04, 1654; 07, 587).
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Durch den wiederholten Schriftwechsel zwischen dem Kläger und der Haftpflichtversicherung des Beklagten lagen zunächst Verhandlungen i.S.d. § 203 BGB vor.
43
Vergleichsbereitschaft muss nicht eigens signalisiert werden. Die Hemmung endet, wenn einer der Beteiligten eine Fortsetzung der Verhandlungen verweigert (S. 1), d.h. klar und eindeutig zum Ausdruck bringt, dass er die Verhandlungen abbrechen will (BGH NJW 98, 2820) oder auch, wenn sich der Schuldner auf Verjährung beruft (BGHZ 162, 92). Für die Annahme einer Beendigung von Verhandlungen ist ein strenger Maßstab anzulegen (BGH NJW 17, 949 Rn. 18).
44
Die Beklagtenseite hat sich mit Schreiben vom 24. November 2022 (Anlage K 11/B 2) auf die Einrede der Verjährung berufen. Hiermit hat die … Versicherungs-AG klar und eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass sie kein Interesse an der Fortführung der Verhandlungen hat.
45
Ein früherer Zeitpunkt der Beendigung der Verjährungshemmung ist im konkreten Fall nicht ersichtlich.
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Grundsätzlich kann auch die Untätigkeit des Anspruchsstellers zum Ende der Verjährungshemmung führen. Die Hemmung endet ebenfalls, wenn der Gläubiger die Verhandlungen einschlafen lässt (z.B. durch Schweigen auf ein Schreiben des anderen Teils). Die Verhandlungen enden dann in dem Zeitpunkt, in dem der nächste Schritt nach Treu und Glauben zu erwarten gewesen wäre (BGH NJW 86, 1337). Dazu bedarf es mindestens eines gewissen, nicht zu knapp zu bemessenen Zeitraums seit dem Handeln oder Nichthandeln des Versicherers.
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Die Verjährung der Ansprüche lehnte der BGH (BGH NJW 1977, 674) beispielsweise in folgender Konstellation ab: Der Schadensfall ereignete sich im Januar des Jahres 1968. Der Geschädigte wurde am 08.10.1968 durch die Versicherung zur endgültigen Bezifferung des Schadens aufgefordert. Am 05.02.1970 erfolgte diesbezüglich eine Erinnerung. Der Geschädigte reagierte hierauf jedoch erst am 14.08.1972, indem er ein medizinisches Gutachten vorlegte.
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Nur unter besonderen Umständen kann man aus dem Schweigen des Berechtigten auf die (stillschweigende) Verweigerung der Fortsetzung von Verhandlungen schließen, da es doch der andere Teil jederzeit in der Hand hat, die Hemmung der Verjährung dadurch zu beenden, dass er dem Stillschweigenden mitteilt, dass er die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert, falls er nicht bis zu einem bestimmten Tag Antwort erhalte. Der Versicherer hat gerade die Möglichkeit, die für ihn ungünstige Verjährungshemmung durch eindeutige Erklärungen zu beseitigen (BGH NJW 2017, 2271).
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Im konkreten Fall wurde der Kläger mit Schreiben vom 01.04.2019 (Anlage K 5) durch die Versicherung aufgefordert, seinen Schaden abschließend zu beziffern. Hierauf reagierte der Kläger mit einem Schreiben vom 13.05.2019 (Anlage K 6), in dem er eine Erhöhung des Schadens geltend macht. Die Versicherung reagierte wiederum mit einem Schreiben vom 24.05.2019 (Anlage B 1), in dem der Kläger aufgefordert wurde, ausschließlich offene Schadenspositionen aufzuführen. Mit Schreiben vom 29.10.2021 (Anlage K 7) erfolgte durch die Klägerseite eine Zwischenabrechnung für „bisher angefallene Gebühren“. Mit Schreiben vom 25.11.2022 (Anlage K 8) reichte der Kläger bei der Beklagtenversicherung einen Haushaltsführungsschaden ein.
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Der längste Zeitraum ohne schriftlichen Verkehr zwischen den Parteien bestand somit vom Schreiben des 24.05.2019 (Anlage B 1) und dem Schreiben vom 29.10.2021 (Anlage K 7). Der Zeitraum, in dem der Geschädigte nicht reagierte, betrug somit ca. 1,5 Jahre. Unter Berücksichtigung der bereits oben ausgeführten Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH NJW 1977, 674) handelt es sich hierbei jedoch noch nicht um einen Zeitraum, der zum Einschlafen der Verhandlungen führen würde.
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Zudem gab es zwischen den Parteien auch schon vorher Zeiträume, in denen zwischenzeitlich kein schriftlicher Austausch erfolgte, so wie zwischen dem Schreiben vom 12.02.2018 (Anlage K 3) und dem Schreiben vom 28.03.2019 (Anlage K 4).
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Ein Einschlafen lassen der Verhandlungen ist nach Ansicht des Gerichts abzulehnen. Eine in sonstiger Weise erfolgende Abstandsnahme von den schwebenden Verhandlungen durch die Klägerseite ist ebenfalls nicht zu erkennen. Dies liegt unter anderem in dem Umstand, dass die Klägerseite die Beklagtenversicherung wiederholt aufgefordert hat, einen Feststellungsausspruch zu erteilen. Auch die mit Schreiben vom 29.10.2021 (Anlage K 7) erfolgte Zwischenabrechnung für „bisher angefallene Gebühren“ lässt deutlich erkennen, dass der Kläger weiterhin Interesse an einer Schadensregulierung durch die Beklagtenversicherung hatte und gerade nicht Abstand von den konkreten Verhandlungen nahm.
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Das zwischenzeitliche Untätigbleiben des Klägers verstößt auch nicht gegen Treu und Glauben gemäß § 242 BGB. Grundsätzlich muss das Verhalten des Geschädigten abschließend noch an Treu und Glauben gemessen werden. Dem Anspruchsteller wird dort eine Schranke gesetzt, wo eine Rechtsausübung zu untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit offensichtlich unvereinbaren Ergebnissen führen würde. Ein Berufen auf die Verjährungshemmung aufgrund von schwebenden Verhandlungen verstößt erst dann gegen Treu und Glauben, wenn für den Geschädigten keinerlei Schutzbedürfnis mehr besteht. Nach der Rechtsprechung (vgl. BGH NJW 1977, 674) ist das Schutzbedürfnis beispielsweise abzulehnen, wenn die Erteilung eines schriftlichen Bescheids durch den Versicherer keinen vernünftigen Sinn mehr hätte und nur eine reine Förmelei wäre, weil der Geschädigte die von ihm zunächst angemeldeten Ansprüche inzwischen offensichtlich nicht weiterverfolgt und daher auf einen endgültigen ablehnenden Bescheid gar nicht mehr wartet. Bei einer derartigen Gestaltung wäre es unbillig, dem Versicherer zuzumuten, noch einen schriftlichen Bescheid zu erteilen, um die Verjährungshemmung zu beseitigen. Die bloße Untätigkeit des Geschädigten während eines längeren Zeitraumes führt nicht automatisch zu untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit offensichtlich unvereinbaren Ergebnissen. Sie berechtigt daher keineswegs zu der Annahme, der schriftliche Bescheid sei überflüssig und sinnlos, mit ihm könne der Geschädigte billigerweise nicht mehr rechnen. Im hier vorliegenden Fall ist über einen Zeitraum von ca. 1,5 Jahren kein schriftlicher Verkehr zwischen den Parteien erfolgt. Es kam aber auch schon vorher zu längeren Zeiträumen ohne schriftlichen Verkehr. Dass sich der Geschädigte erst nach 1,5 Jahren mit der Geltendmachung weiterer Ansprüche (hier: Zwischenabrechnung für „bisher angefallene Gebühren“) an die Beklagtenversicherung wendete, führt daher nicht zu untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit offensichtlich unvereinbaren Ergebnissen. Gerade bei der Regulierung von Dauerschäden, die sich über Jahre hinweg ziehen kann, führt ein zwischenzeitliches Untätigsein des Geschädigten nicht ohne weiteres zu einem Verstoß gegen Treu und Glauben.
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Durch die Klageerhebung am 30.06.2023 trat erneut gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB Hemmung ein.
C. Prozessuale Nebenentscheidungen
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
56
Das Gericht hat den Streitwert gemäß §§ 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 GKG, §§ 2, 3 ZPO auf 4.000 € festgesetzt.