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AG München, Urteil v. 24.10.2024 – 814 Cs 274 Js 177094/23
Titel:

Faktische Öffentlichkeit bei einer Videoaufnahme einer polizeilichen Personenkontrolle

Normenkette:
StGB § 201
Leitsätze:
1. Dienstliche Äußerungen von Beamten sind von dem Schutzzweck des § 201 StGB erfasst. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Als nichtöffentlich gesprochenes Wort iSv § 201 StGB ist jede nicht an die Allgemeinheit gerichtete Äußerung zu verstehen, die nicht über einen durch persönliche oder sachliche Beziehungen abgegrenzten Personenkreis hinaus ohne Weiteres wahrnehmbar ist. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3. Entscheidend sind die Abgeschlossenheit des Zuhörerkreises und die Kontrollmöglichkeit über die Reichweite der Äußerung. Für die Frage der Nichtöffentlichkeit ist daher vor allem – aber nicht allein – der Wille des Sprechers von Bedeutung. Daneben kommt es auch auf Zweck und Eigenart der Unterredung an. Vom Sprecher unbemerkte Zuhörer können zu einer sog. faktischen Öffentlichkeit führen, wenn die Äußerung unter Umständen erfolgt, nach denen mit einer Kenntnisnahme durch Dritte gerechnet werden muss. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, nichtöffentlich gesprochenes Wort, Polizeibeamte, dienstliche Äußerungen, faktische Öffentlichkeit
Fundstelle:
BeckRS 2024, 40149

Tenor

1. Die Angeklagte … wird freigesprochen.
2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten werden der Staatskasse auferlegt.

Entscheidungsgründe

abgekürzt gem. § 267 Abs. 5 Satz 2 StPO
1
Die Angeklagte war aus rechtlichen Gründen freizusprechen.
I.
2
Der Angeklagten lag folgender Sachverhalt zur Last:
3
Am 27.04.2023 gegen 00:08 Uhr befand sich die Angeklagte am Hauptbahnhof M. in der B.straße 10a. Dort wurden sie auf die geschädigten Polizeibeamten PK … und POM … aufmerksam, die gerade die Zeugen … und F … kontrollierten. Grund der Kontrolle war die Mitteilung von zwei unbeteiligten Personen, dass die beiden Zeugen gerade versuchten, eine augenscheinlich stark betrunkene Frau, namentlich die Zeugin … , gegen ihren Willen aus dem Bahnhof zu verbringen.
4
Die Angeklagte näherte sich den Beamten, richtete ihr Smartphone auf sie und begann zu filmen, sodass das Kontrollgespräch zwischen den Geschädigten und den Zeugen videografisch mit Tonspur aufgenommen wurde. Die somit aufgenommenen Worte der Geschädigten waren allein an die Zeugen gerichtet und ein Einverständnis hinsichtlich der Aufnahme lag nicht vor, was die Angeklagte zumindest billigend in Kauf nahm.
5
Strafantrag wurde form- und fristgerecht gestellt.
II.
6
Aufgrund der durchgeführten Hauptverhandlung war die Angeklagte aus rechtlichen Gründen freizusprechen.
7
Zwar sind auch dienstliche Äußerungen von Beamten von dem Schutzzweck des § 201 StGB erfasst (vgl. LG Kassel Beschl. v. 23.9.2019 – 2 Qs 111/19, BeckRS 2019, 38252), jedoch bestand vorliegend eine sog. faktische Öffentlichkeit, sodass die Aufnahme straffrei war.
8
Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. insoweit OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.11.2022) ist als nichtöffentlich gesprochenes Wort im Sinne von § 201 StGB jede nicht an die Allgemeinheit gerichtete Äußerung zu verstehen, die nicht über einen durch persönliche oder sachliche Beziehungen abgegrenzten Personenkreis hinaus ohne Weiteres wahrnehmbar ist.
9
Entscheidend sind die Abgeschlossenheit des Zuhörerkreises und die Kontrollmöglichkeit über die Reichweite der Äußerung. Für die Frage der Nichtöffentlichkeit ist daher vor allem – aber nicht allein – der Wille des Sprechers von Bedeutung. Daneben kommt es auch auf Zweck und Eigenart der Unterredung an. Vom Sprecher unbemerkte Zuhörer können zu einer sogenannten faktischen Öffentlichkeit führen, wenn die Äußerung unter Umständen erfolgt, nach denen mit einer Kenntnisnahme durch Dritte gerechnet werden muss. So liegt der Fall hier.
10
Sowohl nach der Einlassung der Angeklagten als auch nach den Angaben des Zeugen S. war die Kontrollörtlichkeit durchaus frequentiert. Aus den in Augenschein genommenen Videosequenzen ergibt sich auch, dass Passanten immer wieder stehengeblieben sind, und die Situation beobachtet haben. Auch haben sowohl die Angeklagte als auch der Zeuge bestätigt, dass teilweise lauter gesprochen wurde, sodass vorliegend mit einer Kenntnisnahme durch Dritte gerechnet werden musste. Dies war für die Beamten auch erkennbar.
11
Es lag somit eine faktische Öffentlichkeit vor.
III.
12
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 467 Abs.1 StPO.