Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 11.11.2024 – Au 1 S 24.2454
Titel:

Erwerbstätigkeitsverbot  bei einer Duldung für "Personen mit ungeklärter Identität"  

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, § 123
AufenthG § 60a Abs. 6 S. 1 Nr. 2, § 60b, § 84 Abs. 1 S. 1 Nr. 3
Leitsatz:
Bei der Nebenbestimmung des § 60b AufenthG handelt es sich um eine selbständig anfechtbare Nebenbestimmung, bei der die Klage keine aufschiebende Wirkung hat. Folge ist, dass eine stattgebende Eilentscheidung die Wirkungen des § 60b AufenthG suspendiert, somit etwa das generelle Erwerbstätigkeitsverbot des § 60b Abs. 5 S. 2 AufenthG einstweilen nicht greift. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweiliger Rechtsschutz, Duldung für „Personen mit ungeklärter Identität“, Statthafter Rechtsbehelf, Freiwilligkeitserklärung, Verstoß gegen Passbeschaffungspflichten, Erwerbstätigkeitsverbot, einstweiliger Rechtsschutz, Duldung, Personen mit ungeklärter Identität, statthafter Rechtsbehelf, vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer, selbständig anfechtbare Nebenbestimmung, Passbeschaffungspflicht
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 17.01.2025 – 10 CS 24.2008
Fundstelle:
BeckRS 2024, 39919

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 7. Oktober 2024 gegen den Zusatz „für Personen mit ungeklärter Identität“ in der dem Antragsteller erteilten Duldung wird angeordnet.
II. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
III. Die Kosten des Verfahrens tragen Antragsteller und Antragsgegner je zur Hälfte.
IV. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller, ein somalischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen einen seiner Duldung beigefügten Zusatz sowie das damit verbundene Verbot der Ausübung einer Erwerbstätigkeit.
2
Er reiste 2016 in die Bundesrepublik ein und beantragte die Anerkennung als Asylberechtigter. Dies lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit Bescheid vom 16. März 2017 ab, die hiergegen erhobene Klare blieb erfolglos (Urteil des VG Augsburg vom 2.8.2017, Au 2 K 17.31526). In gleicher Weise erfolglos blieben zwei vom Antragsteller gestellte Asylfolgeanträge vom April 2018 und Mai 2020. Der Antragsteller wurde seit Ablehnung seines Asylerstantrags geduldet, da er nicht im Besitz von somalischen Dokumenten war. Im Dezember 2021 legte der Antragsteller dann einen somalischen Reisepass vor, später eine somalische Geburtsurkunde. Bei beiden Dokumenten wurden keine Manipulationen festgestellt. Der Antragsteller wurde weiterhin geduldet, ihm wurde bis zuletzt auch eine Erwerbstätigkeit als Lagermitarbeiter gestattet. Mit Schreiben vom 7. August 2024 wurde er dann von der Ausländerbehörde aufgefordert, gegenüber der somalischen Botschaft eine Erklärung mit dem Inhalt abzugeben, freiwillig aus dem Bundesgebiet auszureisen (Freiwilligkeitserklärung). Dem kam der Antragsteller, soweit erkennbar, bislang nicht nach.
3
Am 25. September 2024 wurde dem Antragsteller eine Duldung nach § 60b AufenthG erteilt. Er wurde erneut aufgefordert, die Freiwilligkeitserklärung abzugeben.
4
Am 7. Oktober 2024 ließ der Antragsteller durch seine Bevollmächtigte Klage erheben mit dem Ziel, den Antragsgegner zur Erteilung einer Duldung nach § 60a AufenthG sowie zur Erteilung einer Arbeitsgenehmigung zu verpflichten. Hierüber (Au 1 K 24.2453) ist noch nicht entschieden. Vorliegend begehrt der Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz. Zur Begründung trägt seine Bevollmächtigte vor, der Antragsteller habe weiterhin einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung gemäß § 60a AufenthG, da er bereits vor drei Jahren den gültigen Reisepass vorgelegt habe. Die Weigerung der Abgabe einer Freiwilligkeitserklärung zum Erhalt von Reisedokumenten sei nicht strafbar. Die Identität des Antragstellers sei bereits geklärt. Die Freiwilligkeitserklärung beziehe sich explizit auf die Identitätsklärung, nicht auf den Vollzug bzw. die Ermöglichung der Abschiebung.
5
Der Antragsteller beantragt,
6
Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet,
hilfsweise, die Abschiebung wird weiterhin gemäß § 60a AufenthG ausgesetzt und dem Kläger die Duldung erteilt, die Arbeitsgenehmigung über den Weg der einstweiligen Anordnung verlängert.
7
Der Antragsgegner beantragt,
8
den Antrag abzulehnen.
9
Die ... Ausländerbehörde der Regierung von ... meint, der streitgegenständliche Zusatz sei formell und materiell rechtmäßig und verletze den Antragsteller nicht in seinen Rechten. Seine Abschiebung könne aus von ihm selbst zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden, da er zumutbare Handlung zur Erfüllung seiner Passbeschaffungspflicht nicht vornehme. Bei dem vorgelegten somalischen Reisepass handle es sich nicht um ein gültiges Reisedokument. Die Identität des Antragstellers sei daher weiter ungeklärt. Des Weiteren unterliege der Antragsteller dem gesetzlichen Erwerbstätigkeitsverbot aus § 60a Abs. 6 AufenthG, da aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten habe, nicht vollzogen werden könnten.
10
Ergänzend wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Behördenakte.
II.
11
Der Antrag ist zulässig, hat in der Sache aber nur teilweise Erfolg.
12
1. Gegenstand des Antrags ist einerseits die (sofort vollziehbare) Nebenbestimmung in der dem Antragsteller erteilten Duldung, andererseits der vom Antragsteller geltend gemachte Anspruch, einstweilen eine Arbeitsgenehmigung zu erhalten.
13
2. Der Antrag ist zulässig und begründet, soweit er sich gegen die der Duldung beigefügte Nebenbestimmung „für Personen mit ungeklärter Identität“ richtet.
14
a) Statthafter Rechtsbehelf ist hier der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (so auch Hofmann, Ausländerrecht, 3. Aufl. 2023, Rn. 30 zu § 60b AufenthG; s.a. Hailbronner, Kommentar zum Ausländerrecht, Rn. 76 ff. zu § 60b AufenthG).
15
Nach § 60b Abs. 6 AufenthG findet § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG Anwendung. Damit geht der Gesetzgeber davon aus, dass es sich bei der Nebenbestimmung des § 60b AufenthG um eine selbständig anfechtbare Nebenbestimmung handelt, bei der die Klage keine aufschiebende Wirkung hat. Folge ist, dass eine stattgebende Eilentscheidung die Wirkungen des § 60b AufenthG suspendiert, somit etwa das generelle Erwerbstätigkeitsverbot des § 60b Abs. 5 Satz 2 AufenthG einstweilen nicht greift. Vom Grundsatz her wird der (erfolgreiche) Antragsteller dem Besitzer einer Duldung nach § 60a AufenthG (wieder) gleichgestellt.
16
b) Der Antrag hat insoweit Erfolg, weil die Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers ausfällt.
17
Das Gericht trifft im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene, originäre Entscheidung über die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung aufgrund der sich ihm im Zeitpunkt seiner Entscheidung darbietenden Sach- und Rechtslage.
Das Gericht hat dabei die Interessen des Antragstellers und das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung gegeneinander abzuwägen. Besondere Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu, soweit sie im Rahmen der hier nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung bereits beurteilt werden können.
18
Gemessen an diesen Grundsätzen fällt die vom Gericht anzustellende Interessenabwägung vorliegend zu Gunsten des Antragstellers aus. Nach derzeitigem Kenntnisstand bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der der Duldung beigefügten Nebenbestimmung. Die diesbezüglich in der Hauptsache erhobene Klage wird voraussichtlich erfolgreich sein, da die Nebenbestimmung wohl rechtswidrig ist und den Antragsteller in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Überwiegende Interessen des Antragsgegners, die gleichwohl eine Entscheidung zu seinen Gunsten rechtfertigen könnten, sind nicht erkennbar.
19
Nach § 60b Abs. 1 AufenthG wird einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer die Duldung als „Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“ erteilt, wenn die Abschiebung aus von ihm selbst zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden kann, weil er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt oder er zumutbare Handlungen zur Erfüllung der besonderen Passbeschaffungspflicht nicht vornimmt. Voraussetzung ist damit auf Tatbestandsebene nach dem Wortlaut des Gesetzes, dass der Ausländer über seine Identität täuscht, falsche Angaben macht oder die Passpflicht nicht erfüllt. Alle drei Varianten sind vorliegend nicht erfüllt. Der Antragsteller hat einen somalischen Pass sowie eine Geburtsurkunde vorgelegt, die seine Identität belegen. Die Dokumente besitzen möglicherweise eine begrenzte Beweiskraft, Anhaltspunkte für eine sachliche Unrichtigkeit sind aber nicht erkennbar. Auch die Ausländerbehörden gehen offensichtlich davon aus, dass keine Fälschung vorliegt. Jedenfalls hat der Antragsteller damit nicht über seine Identität getäuscht und keine falschen Angaben gemacht. Die Passpflicht hat er, soweit möglich, erfüllt. Damit liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 60b Abs. 1 AufenthG nicht vor. Auch die Regelung des § 60b Abs. 2 AufenthG greift nach Auffassung der Kammer nicht. Sie setzt nämlich zu allererst voraus, dass der vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer keinen gültigen Pass besitzt. Dies ist vorliegend beim Antragsteller nicht der Fall. Von ihm wurde deshalb bislang auch keine Handlung zur Beschaffung eines Passes verlangt, sondern nur eine solche zur Beseitigung des Ausreisehindernisses.
Dies ist aber vom Wortlaut des § 60b Abs. 2 AufenthG nicht erfasst.
20
3. Der Antrag ist unbegründet, soweit er auf die einstweilige Gestattung einer Erwerbstätigkeit gerichtet ist.
21
a) Statthafter Rechtsbehelf ist hier der Antrag nach § 123 VwGO. Um eine etwaig begehrte Beschäftigungsgenehmigung zu erhalten, muss zusätzlich zum Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO deren vorläufige Erteilung gesondert gemäß § 123 VwGO beantragt werden (Hofmann, a.a.O.).
22
b) Der hierauf gerichtete Antrag hat keinen Erfolg.
23
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet, wenn aufgrund einer summarischen Prüfung der in § 123 Abs. 1 VwGO genannten Voraussetzungen grundsätzlich eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds besteht (Kopp/Schenke, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 30. Aufl. 2024, Rn. 23 zu § 123 VwGO).
24
Dies ist vorliegend nicht der Fall, da dem Antragsteller kein Anordnungsanspruch zusteht. Er hat, soweit erkennbar, keinen Anspruch auf Gestattung der Erwerbstätigkeit.
25
Nach § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG darf einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn aufenthaltsbeende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können. Dies ist vorliegend der Fall. Der Antragsteller kann aktuell vor allem deshalb nicht abgeschoben werden, weil er nicht bereit ist, gegenüber der somalischen Botschaft eine „Freiwilligkeitserklärung“ abzugeben. Dies ist ihm, wie das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 10.9.2009 (Az. 1 C 19/08) ausgeführt hat, zumutbar. Er hat sich bislang geweigert, diese Erklärung abzugeben, und damit selbst dafür gesorgt, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können.
26
4. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das Gericht geht davon aus, dass das Maß des gegenseitigen Obsiegens und Unterliegens in etwa gleichgewichtig ist.
27
5. Die Streitwertfestsetzung folgt den Vorgaben des § 53 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 GKG i. V.m. § 52 Abs. 2 GKG. Das Gericht hat sich an den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit orientiert (dort unter 8.3) und die beiden Antragsbegehren addiert.