Inhalt

VG München, Urteil v. 18.11.2024 – M 26a K 23.3209
Titel:

Futtermittelrecht, Verbot des Inverkehrbringens eines nicht zugelassenen Futtermittelzusatzstoffes, Abgrenzung Einzelfuttermittel, Futtermittelzusatzstoff

Normenketten:
VO (EU) 2017/625 Art. 138 Abs. 1 S. 1 Buchst. b)
VO (EG) 1831/2003 Art. 3 Abs. 1 Buchst. a)
LFBG § 21 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 Buchst. b)
Schlagworte:
Futtermittelrecht, Verbot des Inverkehrbringens eines nicht zugelassenen Futtermittelzusatzstoffes, Abgrenzung Einzelfuttermittel, Futtermittelzusatzstoff
Fundstelle:
BeckRS 2024, 39894

Tenor

I. Soweit der Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Berufung wird zugelassen

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich zuletzt noch gegen ein Inverkehrbringungsverbot für den Stoff Natriumacetat und Produkte, die diesen Stoff enthalten.
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Die Klägerin ist ein mittelständisches Unternehmen, das sich mit der Entwicklung und Herstellung von Produkten für die Tiergesundheit befasst. Hierbei stellte die Klägerin auch das „Diätergänzungsfuttermittel für Kälber – Glutellac®“ her, welches den Stoff Natriumacetat enthält, und brachte dieses in den Verkehr. Ausweislich der Produktbeschreibung dient es der Stabilisierung des Wasser- und Elektrolythaushaltes zur Unterstützung der physiologischen Verdauung. Unter Fütterungshinweis findet sich folgende Anweisung: „Bei Gefahr von, während und nach Verdauungsstörungen (Durchfall): 2 x täglich 1 Flasche (50 ml) Glutellac in die jeweilige Tränke eingerührt über 1-7 Tage verfüttern. Es wird empfohlen, vor der Verwendung oder vor Verlängerung der Fütterungsdauer den Rat eines Tierarztes einzuholen.“
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Mit E-Mail vom … März 2023 wies der Beklagte die Klägerin darauf hin, dass bei einer Überprüfung durch die Futtermittelüberwachungsbehörde in Hessen das „Diätergänzungsfuttermittel für Kälber Glutellac“ hinsichtlich der Natriumquelle Natriumacetat beanstandet wurde und dieses weder ein zugelassener Futtermittelzusatzstoff noch im aktuellen Einzelfuttermittelkatalog der EU gelistet sei, und bat die Klägerin dahingehend um Stellungnahme.
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Mit Stellungnahme vom ... März 2023 gab die Klägerin an, dass Natriumacetat über keine Zulassung als Futtermittelzusatzstoff verfüge und auch nicht im aktuellen Einzelfuttermittelkatalog der EU gelistet sei, dies aber nichts an der Verkehrsfähigkeit ändere. Das in Natriumacetat enthaltene Natrium diene der Mineralstoffversorgung. Acetat werde als wichtige Energiequelle angesehen.
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Auf Nachfrage des Beklagten teilte das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) diesem mit E-Mail vom … April 2023 sowie mit Stellungnahme vom … April 2023 mit, dass unter Berücksichtigung der Funktion von Natriumacetat dieses als technologischer Futtermittelzusatzstoff (Art. 6 Abs. 1 Buchst. a) VO (EG) Nr. 1831/2003) einzustufen wäre. Eine Einstufung als Einzelfutter bzw. Futtermittelausgangserzeugnis komme nicht in Betracht, da die Anforderung für Einzelfuttermittel, vorrangig zur Deckung des Ernährungsbedarfs von Tieren zu dienen, nicht erfüllt werde. Bei Natriumacetat handle es sich um das Natriumsalz der Essigsäure. Es sei sehr gut wasserlöslich und reagiere leicht alkalisch. Zusammen mit Essigsäure habe es ph-Wert stabilisierende Eigenschaften. Da Natriumacetat Wirkungen eines technologischen Futtermittelzusatzstoffes besitze, chemisch genau definiert sei, die wissenschaftlich begründbare chemische Eigenschaft als Puffersubstanz besitze und nicht vorrangig der Deckung des Ernährungsbedarfs diene, sei es als Futtermittelzusatzstoff anzusehen. Die üblicherweise eingesetzten Mengen von Natriumacetat im Vergleich zu anderen Kohlenhydratquellen würden nicht wesentlich zur Versorgung an Nährstoffen, im vorliegenden Fall als Quelle für Kohlenhydrate, beitragen. Auch wenn Angaben zu den enthaltenen Mengen an Natriumacetat fehlen würden, könne aus den Angaben zu den Inhaltsstoffen Kalium, Natrium und Chlorid auf einen Acetatgehalt von nur <2% pro Tag bei der angegebenen Dosierung geschlossen werden. Natriumacetat erfülle daher die unter Art. 5 Abs. 3 Buchst. a) VO (EG) Nr. 1831/2003 genannte Eigenschaft, die Beschaffenheit des Futtermittels positiv zu beeinflussen. Zudem sei anzumerken, dass der Ständige Ausschuss der Kommission für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel, Sektion Tierernährung laut Protokoll vom …- …04.2021 entschieden habe, dass Natriumacetat als Futtermittelzusatzstoff einzustufen sei. Dies sei auch in der „Grauen Liste“ der DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft) entsprechend aufgenommen worden.
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Mit Schreiben vom ... Mai 2023 wies der Beklagte die Klägerin auf die fachliche Einschätzung des LGL sowie darauf hin, dass Natriumacetat als nicht zugelassener Futtermittelzusatzstoff ohne Zulassung nicht in Verkehr gebracht, verarbeitet oder verwendet werden dürfe. Als Herstellerin und Inverkehrbringerin von „Glutellac“ sei die Klägerin verpflichtet, die rechtlichen Vorgaben einzuhalten. Sie wurde aufgefordert, Natriumacetat ab sofort in ihren Futtermitteln nicht mehr ohne entsprechende Zulassung in den Verkehr zu bringen, zu verarbeiten oder zu verwenden. Es wurde darauf hingewiesen, dass dieses Schreiben als Anhörung im Hinblick auf eine mögliche kostenpflichtige Anordnung anzusehen sei, und der Klägerin eine Stellungnahmefrist bis … Mai 2023 eingeräumt.
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Von diesem Recht machte die Klägerin mit Stellungnahme vom … Mai 2023 Gebrauch. Der Verfahrensbevollmächtigte der Klägerin führte aus, dass die „Graue Liste“ Natriumacetat nicht als Futtermittelzusatzstoff einordne, sondern lediglich darauf hinweise, dass der Ständige Ausschuss der Kommission für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel in seinem Protokoll in einem Satz ausgeführt habe, dass es sich bei Natriumacetat um einen Futtermittelzusatzstoff handeln solle. Die zutreffende Einordnung als Diätergänzungsfuttermittel sei seitens des LGL unberücksichtigt geblieben. „Glutellac“ sei ein Futtermittel für besondere Ernährungszwecke, welcher auch auf den Packungsmaterialien ausgewiesen werde. Es entspreche Ziffer 55 der Liste der zugelassenen Verwendungszwecke von Futtermitteln für besondere Ernährungszwecke. Den in Teil B unter Ziffer 55 der Verordnung (EU) 2020/354 genannten Anforderungen könne auch nur durch die Verwendung von Natriumacetat nachgekommen werden. Zudem stehe die Bewertung der vorhandenen Pufferkapazität durch die Behörde im eindeutigen Widerspruch zu der Bewertung der Kommission, nach welcher diese eine Pufferkapazität als ernährungsphysiologisches Merkmal eines Diätergänzungsfuttermittels zur Stabilisierung des Wasser- und Elektrolythaushalts ansehe. In seiner Stellungnahme stelle das LGL die zulässige Verwendung von Natriumacetat nicht in Frage, da es von „üblicherweise eingesetzten Mengen von Natriumacetat“ spreche. Demnach liege die Zweckbestimmung von Natriumacetat einzig und allein darin, die Anforderungen der Liste der zugelassenen Verwendungszwecke von Futtermitteln für besondere Ernährungszwecke zu erfüllen. Es werde weder als Säureregulator noch als Konservierungsmittel dem Diätfuttermittel zugesetzt. Es fehle somit an der erforderlichen Zweckbestimmung als Zusatzstoff. Zudem habe der Beklagte selbst Natriumacetat noch am … Dezember 2022 als Einzelfuttermittel bewertet.
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Mit ergänzender Stellungnahme vom … Juni 2023 teilte das LGL mit, dass die klägerische Stellungnahme keinen Anlass gebe, die Entscheidung der Kommission zur Einstufung von Natriumacetat als Futtermittelzusatzstoff in Frage zu stellen.
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Mit Bescheid vom … Juni 2023, zugestellt am … Juni 2023, wurde der Klägerin ab sofort untersagt, den Futtermittelzusatzstoff Natriumacetat ohne entsprechende Zulassung nach der Verordnung (EG) Nr. 1831/2003 in den Verkehr zu bringen, zu verarbeiten oder zu verwenden (Nr. 1). Zudem wurde der Klägerin ab sofort untersagt, Futtermittel, die den nicht nach der Verordnung (EG) Nr. 1831/2003 zugelassenen Futtermittelzusatzstoff Natriumacetat enthalten, in den Verkehr zu bringen (Nr. 2). Für den Fall, dass die Klägerin diese Pflichten nicht ab sofort nach Unanfechtbarkeit dieses Bescheides erfüllt, wurde bei Zuwiderhandlung je ein Zwangsgeld in Höhe von je 5.000,00 Euro angedroht (Nr. 3). Der Klägerin wurden die Kosten des Verfahrens auferlegt. Für den Bescheid wurde eine Gebühr in Höhe von 395,70 Euro sowie Auslagen in Höhe von 2,76 Euro festgesetzt (Nr. 4). Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
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Mit Schreiben vom 30. Juni 2023, bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, ließ die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben und beantragte zunächst die vollständige Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids. Nachdem der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 18. November 2024 die Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 des Bescheides aufgehoben hatte, haben die Parteien den Rechtsstreit dahingehend übereinstimmend für erledigt erklärt.
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Die Klägerin beantragt zuletzt noch,
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den Bescheid der Beklagten vom … Juni 2023 (soweit er nicht aufgehoben wurde) aufzuheben.
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Natriumacetat sei – auch unter Berücksichtigung insbesondere der Leitlinien der Kommission – ein Einzelfuttermittel und kein Futtermittelzusatzstoff, da es der oralen Tierfütterung und der Deckung des Nahrungsbedarfs der Tiere diene. Über Jahrzehnte sei dieser Inhaltsstoff als Einzelfuttermittel nicht infrage gestellt worden. Auch andere Futtermittelhersteller brächten aktuell Ergänzungsfuttermittel mit dem Einzelfuttermittel Natriumacetat in den Verkehr. Zudem sei der Klägerin noch unter dem … Dezember 2022 von dem Beklagten ein Free Sales Certificate für das Einzelfuttermittel für Kälber „NaAc“, das allein Natriumacetat enthalte, ausgestellt worden. Bereits zuvor seien derartige Zertifikate von der zuständigen Futtermittelüberwachungsbehörde der Klägerin erteilt worden, auch für das Diätergänzungsfuttermittel „Glutellac“. Insoweit werde auf eine Bescheinigung vom ... September 2022 verwiesen, mit welcher vom Beklagten bestätigt werde, dass dieses Produkt derzeit rechtmäßig in den Verkehr gebracht werden dürfe. Natriumacetat habe sich auch bis Ende Juli 2021 im sog. Feed Material Register befunden. Die Streichung der Eintragung im Feed Material Register sei jedoch gänzlich irrelevant. Dem komme keinerlei rechtliche Bedeutung zu. Ausweislich der Ausführungen der DLG liege der tägliche Bruttobedarf an Natrium bei Rindern bei 5 g. Eine Portionspackung „Glutellac“ enthalte 3,1 g Natrium. Die tägliche Verzehrempfehlung laute auf eine tägliche Verfütterung von zwei Portionspackungen, so dass dem Kalb 6,2 g Natrium zugeführt werden würden. Damit werde der Ernährungsbedarf gedeckt. Acetat werde auf natürliche Weise durch die Fermentation von Kohlenhydraten durch anaerobe Bakterien im Dickdarm gebildet und werde von allen flüchtigen Fettsäuren als Acetat in der größten Menge produziert. Acetat sei metabolischer Vorläufer von Acetyl-CoA und trage so über den Citrat-Zyklus zur Adenosintriphosphat (ATP)-Erzeugung bei. Insofern stehe die Einordnung von Natriumacetat als Einzelfuttermittel im Einklang mit Erwägungsgrund 11 der Verordnung (EG) Nr. 767/2009. Im Hinblick auf das Natriumacetat enthaltene Futtermittel „Glutellac“ sei dessen Besonderheit als Diätfuttermittel zu berücksichtigen. Vorliegend liege der besondere Ernährungszweck in der Stabilisierung des Wasser- und Elektrolythaushaltes zur Unterstützung der physiologischen Verdauung bei Kälbern. Unstreitig fordere der Verordnungsgeber zum Erreichen eines besonderen Verwendungszwecks auch eine bestimmte Menge Natrium je Liter verfütterungsfertiger Trinkportion. Diese Menge könne bei der Verwendung von Natrium als Natriumquelle nur durch Natriumacetat erreicht werden. Dieser Ernährungszweck von Natriumacetat stelle auch keinen spezifischen Verwendungszweck dar, der zu einer Einordnung als Futtermittelzusatzstoff führen könnte. Soweit beklagtenseits ausgeführt wird, dass sich demgegenüber der Ernährungsbedarf in der Begriffsbestimmung für Futtermittelzusatzstoffe auf einzelne spezifische Ernährungsfunktionen, bspw. die Zuführung einzelner Nährstoffe oder einer Kombination spezieller Nährstoffe, beziehe, so hätte dies zur Folge, dass jedes Diätergänzungsfuttermittel ein Futtermittelzusatzstoff wäre, da es dem spezifischen Ernährungsbedarf des Tieres diene. Zutreffend sei, dass die Abgrenzung dahingehend vorgenommen werden müsse, dass Futtermittelzusatzstoffe vom Futtermittelunternehmer aufgrund ihrer sensorischen, technologischen oder zootechnischen Wirkung verwendet werden, und mit Diätergänzungsfuttermitteln der Zweck verfolgt werde, einen besonderen Ernährungszweck herbeizuführen, wobei – was sogar der Verordnungsgeber in der gesetzlichen Definition hervorhebe – sich Diätfuttermittel eindeutig von gängigen Futtermitteln unterscheiden würden. Die Kommission habe auch keineswegs für Natriumacetat eine Einstufung als Futtermittelzusatzstoff festgelegt. Es sei vielmehr seitens des Ständigen Ausschusses für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel der Europäischen Kommission festgelegt worden, Natriumacetat als Futtermittelzusatzstoff zu betrachten. Der Ständige Ausschuss sei jedoch nicht befugt, verbindlich Einordnungen vorzunehmen. Das entsprechende Sitzungsprotokoll habe keinerlei Rechtsqualität. Er könne lediglich Empfehlungen aussprechen. Eine Umsetzung der Empfehlung durch die Kommission liege im Hinblick auf Natriumacetat nicht vor. Eine Einordnung als Zusatzstoff ergebe sich auch nicht aus der Empfehlung der Kommission vom 14. Januar 2011 zur Festlegung von Leitlinien für die Unterscheidung zwischen Einzelfuttermitteln, Futtermittelzusatzstoffen, Biozid-Produkten und Tierarzneimitteln. Der Umstand, dass Natriumacetat womöglich chemisch genau definiert sei, sei ausweislich der Leitlinien irrelevant. So könnten chemisch genau definierte Stoffe unter Umständen als Futtermittelzusatzstoff eingestuft werden, wobei die Formulierung „unter Umständen“ zum Ausdruck bringe, dass dies in der Regel nicht der Fall sei. Es gebe auch Einzelfuttermittel, die in der Herstellung und Verarbeitung kompliziert seien und einen hohen Grad an Standardisierung aufweisen würden. Gerade bei Natriumverbindungen sei kennzeichnend, dass sie aus technisch reinen Stoffen bestehen. Hinsichtlich des Kriteriums Sicherheit sei im Hinblick auf Natriumacetat ein effektives Management des Erzeugnisses im Hinblick auf Stabilität, Homogenität und Überdosierung nicht notwendig. Auch sei es nicht erforderlich, aus Gesundheitsgründen einen Höchstgehalt von Natriumacetat in der Tagesration festzulegen. Die Art der Verwendung spreche ebenfalls nicht für einen Futtermittelzusatzstoff, da das Produkt nicht nur in geringen Mengen verfüttert werde. Auch die Funktionalität vermöge eine Einordnung als Futtermittelzusatzstoff nicht zu rechtfertigen. Die in der Verordnung (EG) Nr. 1831/2003 dargelegten Funktionsgruppen seien nicht Futtermittelzusatzstoffen vorbehalten. So könne ein Einzelfuttermittel auch die Funktion eines Zusatzstoffes haben. Voraussetzung sei jedoch, dass dies nicht der einzige Verwendungszweck sei, was vorliegend der Fall sei. Der Verwendungszweck von Natriumacetat liege in der Deckung des Ernährungsbedarfs, in dem Diätfuttermittel „Glutellac“ liege der Verwendungszweck einzig und allein darin, den in der Verordnung ausgewiesenen besonderen Ernährungszweck herbeizuführen. Die vermeintliche Zusatzstoffeigenschaft könne der Beklagte nicht präzisieren. Der Hinweis des Beklagten, dass Natriumacetat im Lebensmittelbereich als Zusatzstoff zugelassen sei, überzeuge nicht, da Lebens- und Futtermittel unterschiedlichen rechtlichen Vorgaben unterliegen würden. Auch die Beimischung einer Substanz in einer nur geringen Menge sei völlig irrelevant für die Einordnung eines Stoffes als Einzelfuttermittel.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Es komme nicht darauf an, ob es tatsächlich möglich sei, den streitgegenständlichen Stoff bzw. einzelne Bestandteile als Natriumquelle für ein Misch- bzw. Diätergänzungsfuttermittel zu verwenden. Vielmehr komme es umgekehrt nur darauf an, dass nur ein entsprechender Stoff dafür verwendet werden dürfe, der auch rechtlich zulässig sei. Für die Einstufung als Einzelfuttermittel bzw. Futtermittelzusatzstoff komme es demnach auf die Bewertung des konkreten Stoffes bzw. die spezifische Gesamtverbindung und dessen Zweckbestimmung an. Entsprechend der Stellungnahme des LGL gehe es bei dem Stoff Natriumacetat nicht vorrangig darum, den Ernährungszweck sicherzustellen, sondern dass dieser aufgrund seiner chemischen Eigenschaften als Säureregulator und Konservierungsmittel wirke. Die Tatsache, dass es sich bei den Bereichen Lebens- und Futtermittel um unterschiedliche Rechtsmaterien handele, schließe nicht aus, dass im Einzelfall die konkrete Bewertung eines Stoffes einer vergleichbaren Einstufung wie in einem anderen Rechtsbereich unterfalle. Im Übrigen nimmt der Beklagte auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids Bezug.
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Die Verwaltungsstreitsache wurde am 18. November 2024 mündlich verhandelt.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte, die vorgelegte Behördenakte sowie das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 18. November 2024 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
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Soweit der Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung vom 18. November 2024 übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einzustellen.
II.
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Im Übrigen ist die zulässige (1.) Klage unbegründet (2.) und war daher abzuweisen.
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1. Die fristgerecht erhobene Anfechtungsklage ist zulässig, insbesondere fehlt der Klägerin nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Der streitgegenständliche Bescheid erweist sich in den Nrn. 1 und 2 als Dauerverwaltungsakt und entfaltet – auch wenn die Klägerin das Produkt „Glutellac“ bzw. Produkte, die Natriumacetat beinhalten, nach eigenen Aussagen derzeit nicht in der Europäischen Union in den Verkehr bringt – Rechtswirkungen gegenüber der Klägerin und beschwert diese; eine Erledigung ist daher nicht anzunehmen, Art. 43 Abs. 2 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG). Nach eigenen Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung ist auch beabsichtigt, derartige Produkte wieder in der Europäischen Union zu vertreiben.
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2. Der angegriffene Bescheid ist – soweit er noch Gegenstand der Anfechtungsklage ist – rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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2.1. Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Gründe für eine formelle Rechtswidrigkeit sind weder vorgebracht noch sonst ersichtlich. Insbesondere hat mit der Regierung von Oberbayern die sachlich und örtlich für den Erlass des Bescheides zuständige Behörde gehandelt, § 38 Abs. 1 Satz 1 Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) i. V. m. Art. 13 Satz 1 des Gesetzes über den gesundheitlichen Verbraucherschutz und das Veterinärwesen (GVVG) und § 2 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über den gesundheitlichen Verbraucherschutz (GesVSV). Auch die erforderliche Anhörung nach Art. 28 BayVwVfG ist mit Schreiben vom 3. Mai 2023 erfolgt.
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2.2. Der Bescheid ist in Nr. 1 materiell rechtmäßig.
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2.2.1. Rechtsgrundlage für die Anordnung in Nr. 1 des Bescheides ist Art. 138 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b) der Verordnung (EU) 2017/625 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2017 in der Fassung der Änderung zum 28. Januar 2022 über amtliche Kontrollen (Kontroll-VO) i. V. m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. a) der Verordnung (EG) 1831/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2003 in der Fassung der Änderung zum 27. März 2021 über Zusatzstoffe zur Verwendung in der Tierernährung (Futtermittelzusatzstoff-VO).
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Gemäß Art. 138 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b) Kontroll-VO ergreifen die zuständigen Behörden bei Feststellung eines Verstoßes geeignete Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass der betreffende Unternehmer den Vorstoß beendet und dass er erneute Verstöße dieser Art verhindert. Bei der Entscheidung über die zu ergreifenden Maßnahmen berücksichtigen die zuständigen Behörden die Art des Verstoßes und das bisherige Verhalten des betreffenden Unternehmers in Bezug auf die Einhaltung der Vorschriften, Art. 138 Abs. 1 Satz 2 Kontroll-VO. Wenn die zuständigen Behörden in Einklang mit Absatz 1 dieses Artikels tätig werden, ergreifen sie alle ihnen geeignet erscheinenden Maßnahmen, um die Einhaltung der Vorschriften gemäß Art. 1 Abs. 2 zu gewährleisten, Art. 138 Abs. 2 Halbs. 1 Kontroll-VO. Gemäß Art. 1 Abs. 2 Buchst. c) gilt die Kontroll-VO auch für amtliche Kontrollen, mit denen die Einhaltung von Vorschriften im Bereich der Futtermittel und Futtermittelsicherheit überprüft werden soll, die entweder auf Unionsebene oder von den Mitgliedstaaten erlassen wurden. Hierzu zählt auch die Futtermittelzusatzstoff-VO, welche gemäß Art. 1 unter anderem das Inverkehrbringen und die Verwendung von Futtermittelzusatzstoffen regelt.
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2.2.2. Die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 138 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b) Kontroll-VO sind vorliegend erfüllt. Der festgestellte Verstoß i.S.v. Art. 138 Abs. 1 Satz 1 Kontroll-VO, auf den der Beklagte seine Anordnung stützt, ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 Buchst. a) Futtermittelzusatzstoff-VO.
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Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a) Futtermittelzusatzstoff-VO darf niemand einen Futtermittelzusatzstoff in Verkehr bringen, verarbeiten oder verwenden, sofern nicht eine entsprechende Zulassung gemäß der vorliegenden Verordnung erteilt wurde.
29
Bei Natriumacetat handelt es sich nach Ansicht der erkennenden Kammer um einen Futtermittelzusatzstoff im Sinne der Futtermittelzusatzstoff-VO, der nicht in Verkehr gebracht, verarbeitet oder verwendet werden darf, sofern nicht eine entsprechende Zulassung gemäß der vorliegenden Verordnung erteilt wurde. Letzteres ist – was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist – nicht gegeben.
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(a) Gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchst. a) Futtermittelzusatzstoff-VO sind Futtermittelzusatzstoffe Stoffe, Mikroorganismen oder Zubereitungen, die keine Futtermittel-Ausgangserzeugnisse oder Vormischungen sind und bewusst Futtermitteln oder Wasser zugesetzt werden, um insbesondere eine oder mehrere der in Art. 5 Abs. 3 Futtermittelzusatzstoff-VO genannten Funktionen zu erfüllen.
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Vormischungen sind gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchst. e) Futtermittelzusatzstoff-VO Mischungen von Futtermittelzusatzstoffen oder Mischungen aus einem oder mehreren Futtermittelzusatzstoffen mit Futtermittel-Ausgangserzeugnissen oder Wasser als Trägern, die nicht für die direkte Verfütterung an Tiere bestimmt sind.
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Futtermittel-Ausgangserzeugnisse sind nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b) Futtermittelzusatzstoff-VO Erzeugnisse gemäß der Begriffsbestimmung in Art. 2 Buchst. a) der RL 96/25/EG des Rates vom 29. April 1996 über den Verkehr mit Futtermittel-Ausgangserzeugnissen. Dort sind Futtermittel-Ausgangserzeugnisse definiert als unterschiedliche pflanzliche oder tierische Erzeugnisse im natürlichen Zustand, frisch oder haltbar gemacht, und die Erzeugnisse ihrer industriellen Verarbeitung sowie organische oder anorganische Stoffe, mit oder ohne Zusatzstoffe, die zur Tierernährung durch Fütterung bestimmt sind, sei es unmittelbar als solche oder in verarbeiteter Form, für die Herstellung von Mischfuttermitteln oder als Trägerstoff für Vormischungen. Allerdings wurde die RL 96/25/EG nach Art. 30 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 767/2009 vom 13. Juli 2009 über das Inverkehrbringen und die Verwendung von Futtermitteln (Futtermittelverkehrs-VO) mit Wirkung vom 1. September 2010 aufgehoben, wobei Verweisungen auf die aufgehobenen Richtlinien nach Art. 30 Abs. 2 Futtermittelverkehrs-VO nach Maßgabe der Entsprechungstabelle in Anhang IX als Verweisungen auf die Futtermittelverkehrs-VO zu lesen sind. Demnach und auch mit Blick auf den Erwägungsgrund 4 der Futtermittelverkehrs-VO ist davon auszugehen, dass die Begriffsdefinition des Einzelfuttermittels nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. g) Futtermittelverkehrs-VO an die Stelle des Begriffs des Futtermittel-Ausgangserzeugnisses gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchst. b) Futtermittelzusatzstoff-VO getreten ist (so im Ergebnis auch VGH Mannheim, U.v. 16.11.2021 – 9 S 3151/19 – juris Rn. 25; VG Schleswig, B.v. 13.9.2021 – 1 B 90/21 – juris Rn. 31; VG Düsseldorf, B.v. 2.7.2021 – 16 L 1057/21 – juris Rn. 29; VG München, B.v. 13.5.2020 – M 26 S 19.3205 – juris Rn. 35). Futtermittel-Ausgangserzeugnisse bzw. Einzelfuttermittel sind demnach Erzeugnisse pflanzlichen oder tierischen Ursprungs, die vorrangig zur Deckung des Ernährungsbedarfs von Tieren dienen, im natürlichen Zustand, frisch oder haltbar gemacht, und Erzeugnisse ihrer industriellen Verarbeitung sowie organische oder anorganische Stoffe, mit Futtermittelzusatzstoffen oder ohne Futtermittelzusatzstoffe, die zur Tierernährung durch orale Fütterung bestimmt sind, sei es unmittelbar als solche oder in verarbeiteter Form, für die Herstellung von Mischfuttermitteln oder als Trägerstoff für Vormischungen (Art. 3 Abs. 2 Buchst. g), Art. 30 Abs. 2, Anhang IX Futtermittelverkehrs-VO i.V.m. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b) Futtermittelzusatzstoff-VO).
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(b) Ausgehend von diesem Begriffsverständnis ist der im streitgegenständlichen Produkt „Glutellac“ enthaltene Stoff Natriumacetat in der gebotenen Gesamtbetrachtung aller Unterscheidungskriterien als Futtermittelzusatzstoff im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Buchst. a) Futtermittelzusatzstoff-VO einzuordnen.
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(aa) Die Einordnung als Futtermittelzusatzstoff ergibt sich dabei nicht allein aus der Streichung von Natriumacetat aus dem „Feed Material Register“ zum 29. Juli 2021. Denn das auf Art. 24 Abs. 6 Futtermittelverkehrs-VO basierende Futtermittelregister bietet Futtermittelunternehmern eine Plattform, nicht im Einzelfuttermittel-Katalog aufgelistete, neu auf den Markt gebrachte Futtermittel durch Anzeige gegenüber Vertretern des Futtermittelsektors zu registrieren. Es erfolgt aber keine vorgelagerte behördliche Prüfung in Bezug auf den Status des eingetragenen Stoffes, so dass die Eintragung im Register keine rechtsverbindliche Zuordnung zu einer bestimmten Futtermittelkategorie darstellt.
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(bb) Auch aus dem Umstand, dass Natriumacetat nicht im Anhang Teil C (Verzeichnis der Einzelfuttermittel) der VO (EU) Nr. 68/2013 der Kommission vom 16. Januar 2013 zum Katalog der Einzelfuttermittel (Einzelfuttermittel-VO) genannt ist, lässt sich eine Einordnung als Futtermittelzusatzstoff nicht ableiten. Auch bei einer Nennung von Natriumacetat in diesem Verzeichnis der Einzelfuttermittel wäre nicht per se auf die rechtliche Einordnung als Einzelfuttermittel zu schließen. Bei diesem Verzeichnis der Einzelfuttermittel handelt es sich nicht um eine rechtlich verbindliche Einordnung bestimmter Stoffe als Einzelfuttermittel bzw. im Umkehrschluss als Futtermittelzusatzstoffe. Das Verzeichnis der Einzelfuttermittel ist nach Art. 24 Abs. 1 Futtermittelverkehrs-VO lediglich ein Instrument zur Verbesserung der Kennzeichnung von Einzel- und Mischfuttermitteln. Dass der Gemeinschaftskatalog der Einzelfuttermittel keine rechtsverbindliche Entscheidung über den Status eines bestimmten Stoffes, namentlich über dessen (rechtliche) Einordnung als Einzelfuttermittel, trifft, wird im Übrigen durch Verordnungen der Kommission bestätigt, mit denen diese aufgrund von bestehender Unsicherheit hinsichtlich des Status bestimmter Stoffe eine – dann rechtsverbindliche – Entscheidung über den Status dieser Stoffe trifft (vgl. die Verordnung (EU) Nr. 892/2010 vom 8. Oktober 2010 sowie die Durchführungsverordnung (EU) 2021/758 vom 7. Mai 2021). In den Erwägungsgründen dieser Verordnungen wird jeweils ausgeführt, dass Unsicherheiten in Bezug auf den Status bestimmter Stoffe insbesondere darin begründet sein können, dass die Stoffe als Futtermittelzusatzstoffe zugelassen und im Register der zugelassenen Futtermittelzusatzstoffe, aber zugleich auch im Katalog der Einzelfuttermittel aufgeführt sind (vgl. Erwägungsgrund Nr. 1 der VO (EU) Nr. 892/2010 sowie Erwägungsgrund Nr. 8 der VO (EU) 2021/758). Es ist daher auch durchaus möglich, dass es sich bei einem Verzeichnis der Einzelfuttermittel aufgeführten Stoff rechtlich um einen Futtermittelzusatzstoff handelt.
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(cc) Der Vortrag der Klägerseite, dass Natriumacetat auch von anderen Futtermittelherstellern in Deutschland und in anderen Ländern der EU seit vielen Jahren als Einzelfuttermittel unbeanstandet vermarktet werde, ist – unabhängig davon, ob dies zutrifft – für die Beantwortung der Frage, ob es sich bei Natriumacetat rechtlich um einen Futtermittelzusatzstoff im Sinne der Zusatzstoff-VO handelt oder nicht, irrelevant.
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(dd) Auch die vorübergehende Nennung von Natriumacetat in der „Grauen Liste“ bzw. die Streichung aus der „Positivliste für Einzelfuttermittel“ der Normenkommission für Einzelfuttermittel im Zentralausschuss der Deutschen Landwirtschaft lässt keinen rechtlichen Rückschluss auf die Einordnung als Einzelfuttermittel oder Futtermittelzusatzstoff zu. In der „Grauen Liste“ werden Streichungen/Löschungen aus der Positivliste aufgeführt und dienen somit der frühzeitigen Kommunikation, um Produzenten, Inverkehrbringern oder Verwendern ausreichend Gelegenheit zur Anpassung und Einstellung auf die neuen Regeln zu geben. Insoweit handelt es sich jedoch ebenfalls nicht um eine rechtsverbindliche Kategorisierung, weshalb die Nennung eines Stoffes in der „Grauen Liste“ keinen Rückschluss auf seine rechtliche Einordnung zulässt.
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(ee) Aus dem Umstand, dass der Beklagte selbst noch zuletzt mit Bescheinigung vom … Dezember 2022 das Produkt „NaAC“, welches nach Aussage der Klägerseite Natriumacetat enthält, als Einzelfuttermittel ausgewiesen hat, bzw. mit Bescheinigung vom 8. September 2022 das Inverkehrbringen des „Diät-Ergänzungsfuttermittels für Kälber Glutellac“ in der Bundesrepublik Deutschland genehmigt hat, kann nicht auf die rechtliche Einordnung des Stoffes Natriumacetat geschlossen werden. Der Behörde steht es frei, ihr Verwaltungshandeln aus sachlichen willkürfreien Gründen – hierzu zählt insbesondere die effektive Durchsetzung zwingender europarechtlicher Vorgaben – für die Zukunft zu ändern (BVerwG, U.v. 11.5.2006 – 5 C 10/05 – juris Rn. 63 m.w.N.).
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(ff) Soweit der Beklagte vorträgt, dass Natriumacetat im Lebensmittelbereich als Zusatzstoff zu werten sei, verkennt dieser, dass es sich bei Lebensmittel- und Futtermittelrecht um zwei verschiedene Regelungsmaterien handelt, die einander nicht beeinflussen. Die Zulassung von Futtermitteln unterliegt einem spezifischen, von der lebensmittelrechtlichen Einordnung eines bestimmten Stoffes unabhängigen Verfahren, mit der Folge, dass lebensmittelrechtliche Erwägungen vorliegend keine Rolle spielen können.
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(gg) Maßgeblich für die Einordnung als Futtermittelzusatzstoff spricht zunächst der Umstand, dass Natriumacetat nicht in signifikantem Umfang zur Lieferung von Energie, Nährstoffen, Mineralstoffen oder Ballaststoffen oder zur Aufrechterhaltung der Funktion des Darmtraktes beiträgt (vgl. Erwägungsgrund 11 der Futtermittelverkehrs-VO sowie Nr. 1.2.1. Spiegelstrich 2 des Anhangs der Empfehlung der Kommission 2011/25/EG vom 14. Januar 2011 zur Festlegung von Leitlinien für die Unterscheidung zwischen Einzelfuttermitteln, Futtermittelzusatzstoffen, Biozid-Produkten und Tierarzneimitteln – Empfehlung 2011/25/EG) und somit nicht wesentlich der Deckung des allgemeinen Ernährungsbedarfs dient. Dabei ist zu beachten, dass es für die Einordnung maßgeblich auf den Produktbestandteil Natriumacetat ankommt und nicht auf das Produkt „Glutellac“ in Gänze.
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Wenngleich die auf der Grundlage des Art. 7 Abs. 1 Futtermittelverkehrs-VO aufgestellten Leitlinien unverbindlichen Charakter haben, dienen sie der unionsweit einheitlichen Rechtsauslegung und sind jedenfalls als Auslegungshilfe heranzuziehen (VG München, B.v. 13.5.2020 – M 26 S 19.3205 – juris Rn. 37 f.).
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Ein Erzeugnis kann demnach nicht zugleich Einzelfuttermittel und Futtermittelzusatzstoff sein (vgl. Ziffer 1.2.1. Spiegelstrich 1 des Anhangs der Empfehlung 2011/25/EG). Für die Unterscheidung zwischen Einzelfuttermitteln und Futtermittelzusatzstoffen sind bei einer Einzelfallbewertung die jeweils näher erläuterten Kriterien gleichzeitig zu beachten, damit für jedes einzelne Erzeugnis ein Profil unter Berücksichtigung aller seiner Merkmale erstellt werden kann. Kein Kriterium ist dabei ausschließlich oder vorrangig gegenüber einem anderen anzulegen.
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Zwar können Einzelfuttermittel nach Nr. 1.2.1. Spiegelstrich 3 Satz 2 des Anhangs der Empfehlung 2011/25/EG im Ausnahmefall auch anderen Zwecken dienen, etwa wenn sie als Trägerstoffe eingesetzt werden oder von den Tieren nicht verdaut werden können; dies beruht nach Auffassung der Kommission allerdings auf der Begriffsdefinition der „oralen Fütterung“, die neben der Deckung des Nahrungsbedarfs (im o.g. Sinne) auch die Aufrechterhaltung der Produktivität normal gesunder Tiere umfasst (Nr. 1.2.1. Spiegelstrich 3 Satz 3 des Anhangs der Empfehlung 2011/25/EG). Letzteres ist im Hinblick auf den Stoff Natriumacetat nicht der Fall, da dieser dem Produkt mit der spezifischen Zweckbestimmung zugesetzt wird, anlassbezogen durch Gabe einer zusätzlichen Menge Natriumacetat den Elektrolythaushalt an Durchfall erkrankter Kälber zu regulieren und somit ein Stabilisierungseffekt im Krankheitsfall erzielt werden soll. Nach eigenen Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung sollen bei Durchfallerkrankungen die Wasserausscheidungen aus dem Darm zum Erliegen kommen und der Elektrolythaushalt positiv beeinflusst werden. Dies deckt sich mit der Stellungnahme des LGL vom … April 2023, nach welcher Natriumacetat eine pH-Wertstabilisierende Eigenschaft zugeschrieben werden kann und daher als Säureregulator Verwendung findet. Diese objektive Zweckbestimmung, die sich aus der wissenschaftlich begründeten Beurteilung der Wirkungen ergibt, die mit dem Stoff erreicht werden können – unabhängig davon, ob diese Wirkungen offengelegt, herausgestellt oder beabsichtigt sind –, lässt erkennen, dass der Ernährungszweck keine oder allenfalls eine zu vernachlässigende Rolle spielt. Dies ergibt sich ergänzend ebenso aus der Stellungnahme des LGL vom 28. April 2023, nach welcher die „üblicherweise eingesetzten Mengen von Natriumacetat im Vergleich zu anderen Kohlenhydratquellen nicht wesentlich zur Versorgung an Nährstoffen, im vorliegenden Fall als Quelle für Kohlenhydrate, beitragen“. Ausführungen der Klägerin dazu, dass das in Natriumacetat enthaltene Natrium der Mineralstoffversorgung diene und Acetat als metabolischer Vorläufer von Acetyl-CoA über den Citrat-Zyklus zur ATP-Erzeugung beiträgt und somit als wichtige Energiequelle angesehen werden, treten den Ausführungen des LGL nicht substantiiert entgegen. Dass die Menge an eingesetztem Natriumacetat vorrangig der Deckung des Bedarfs der Tiere an Energie, Nährstoffen, Mineralstoffen und Ballaststoffen dient, lässt sich dem nicht entnehmen. Vielmehr führt die Klägerin bzw. deren Prozessbevollmächtigte selbst wiederholt aus, dass Natriumacetat zur Stabilisierung des Wasser- und Elektrolythaushalts zur Unterstützung der physiologischen Verdauung Verwendung findet. Eine vorrangige Verwendung zur Tierernährung ist hieraus für das erkennende Gericht nicht ersichtlich. Auch die weiteren Ausführungen der Klägerseite sind nicht geeignet, eine vorrangige Verwendung von Natriumacetat zur Deckung des allgemeinen Ernährungsbedarfs eines Tieres zu begründen. Insoweit stellt der Prozessbevollmächtigte darauf ab, dass die Menge an Natrium im Produkt „Glutellac“ geeignet sei, den Eintrag Nr. 55 der Verordnung (EU) 2020/354 der Kommission vom 4. März 2020 zur Erstellung eines Verzeichnisses der vorgesehenen Verwendungen von Futtermitteln für besondere Ernährungszwecke (Diätfuttermittel-VO), Anhang Teil B Spalte 6 zu erfüllen. Hierauf kommt es jedoch nicht an, da dieses Erfordernis lediglich dazu dient, die Einordnung als Diätfuttermittel zu begründen; für die hier insoweit maßgebliche Unterscheidung zwischen Einzelfuttermittel und Futtermittelzusatzstoff sind diese Anforderungen jedoch nicht relevant (siehe unten). Soweit der Prozessbevollmächtigte insoweit auf einen Beschluss des OVG NRW vom 31.8.2023 abstellt, befasst sich diese Entscheidung damit, dass der Nährwert keine Aussagekraft über die Zweckbestimmung eines Stoffes zur vorrangigen Deckung zur Tierernährung entnehmen lasse. Auf den Nährwert von Natriumacetat stellt der Beklagte hier jedoch nicht entscheidungserheblich ab. Allein die Formulierung des LGL („üblicherweise eingesetzte Mengen von Natriumacetat“) lässt zudem nicht den Rückschluss zu, dass das LGL als Fachbehörde von der Einordnung des Stoffes Natriumacetat als Einzelfuttermittel ausgeht. Die Klägerin verkennt insoweit, dass Natriumacetat als Bestandteil des zugelassenen Futtermittelzusatzstoffes Natriumdiacetat bereits im Futtermittelbereich Verwendung findet.
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(hh) Auch die weiteren Kriterien, die die Kommission in den Leitlinien für die Unterscheidung zwischen Einzelfuttermitteln, Futtermittelzusatzstoffen und anderen Erzeugnissen zusammengestellt hat, sprechen gegen eine Einordnung von Natriumacetat als Einzelfuttermittel und für eine Klassifizierung als Futtermittelzusatzstoff.
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Für eine Einordnung als Futtermittelzusatzstoff spricht weiterhin das Kriterium der Herstellungs- und Verarbeitungsmethode bzw. der Stoffeinheit. Insoweit weist Nr. 1.2.2. Spiegelstrich 1 des Anhangs der Empfehlung 2011/25/EG darauf hin, dass Erzeugnisse pflanzlichen oder tierischen Ursprungs im natürlichen Zustand, frisch oder haltbar gemacht, und Erzeugnisse ihrer einfachen Verarbeitung sowie organische oder anorganische Stoffe als Einzelfuttermittel gelten können, wohingegen chemisch genau definierte Stoffe, die gereinigt sind und einen bestimmten, vom Hersteller garantierten Standardisierungsgrad aufweisen, unter Umständen als Futtermittelzusatzstoffe eingestuft werden können. Dessen ungeachtet seien bestimmte Einzelfuttermittel – wie z.B. Saccharose – chemisch genau definierte Stoffe und standardisiert, wohingegen Naturerzeugnisse aus ganzen Pflanzen und Teilen ganzer Pflanzen oder Erzeugnisse, die aus diesen durch eine begrenzte physische Verarbeitung, wie zum Beispiel Zerkleinern, Mahlen oder Trocknen, hergestellt wurden, als Einzelfuttermittel einzustufen seien. Der hohe technische Reinheitsgrad bzw. die chemisch eindeutige Definiertheit von Natriumacetat (chem. Summenformel C₂H₃NaO₂) indiziert demnach eine Einordnung als Futtermittelzusatzstoff, auch wenn einzelne chemisch eindeutig definierte Stoffe – wie z.B. Saccharose, Propylenglycol, Chondroitinsulfat, Glucosamin und Lactulose – in der Verordnung (EU) Nr. 68/2013 Einzelfuttermittel-VO geführt werden. Denn insoweit weist Absatz 4 des Anhangs der Empfehlung 2011/25/EG darauf hin, dass eine Analogie zu anderen Erzeugnissen nicht als Unterscheidungskriterium gelten kann, auch wenn sie unter Umständen hilfreich bei der Überprüfung bereits erfolgter Entscheidungen ist und auch zur Überprüfung auf Konsistenz herangezogen werden kann. Dies gilt umso mehr, als die Aufnahme in den Einzelfuttermittel-Katalog keine verbindliche Kommissionsentscheidung im Sinne des Art. 7 Abs. 2 Futtermittelverkehrs-VO darstellt und – nach der begrifflichen Systematik an sich ausgeschlossene – Paralleleintragungen im Einzelfuttermittel-Katalog und dem Register der zugelassenen Futtermittelzusatzstoffe in der Praxis durchaus zu beobachten sind (vgl. Erwägungsgrund 1 der VO (EU) Nr. 892/2010 vom 08.10.2010, Erwägungsgrund 8 der Durchführungs-VO (EU) 2021/758 vom 07.05.2021 sowie OVG NRW, B.v. 13.8.2021 – 9 B 965/21 – juris Rn. 8 ff.). Der Ansicht der Klägerin, die chemisch genaue Definition von Natriumacetat sei irrelevant, folgt das Gericht nicht. Das Kriterium ist – wie bereits dargestellt – neben den anderen aufgeführten Kriterien zur Unterscheidung als Auslegungshilfe heranzuziehen.
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Für eine Einordnung als Futtermittelzusatzstoff spricht weiterhin das Kriterium der Sicherheit und Art der Verwendung (Nr. 1.2.2 Spiegelstrich 2 des Anhangs der Empfehlung 2011/25/EG). Danach spricht es für das Vorliegen eines Zusatzstoffes, wenn es aus Gründen der Gesundheit von Mensch und Tier erforderlich ist, einen Höchstgehalt des Erzeugnisses in der Tagesration festzulegen. So weisen Satz 4 und 5 dieses Spiegelstrichs zunächst darauf hin, dass Futtermittelzusatzstoffe in der Regel nur in geringen Mengen zugesetzt werden, wenngleich auch viele Einzelfuttermittel, beispielsweise Mineralsalze, der Nahrungsration in geringen Mengen beigemischt werden. Insoweit fällt zunächst ins Auge, dass Natriumacetat bei Einhaltung der empfohlenen Fütterungsmengen nur im Umfang von täglich 36,66 g aufgenommen wird, da nach Angaben der Klägerin in 50 ml „Glutellac“ 18,33 g Natriumacetat Trihydrat enthalten ist. Die Fütterungshinweise empfehlen eine Gabe von zwei Mal täglich 50 ml „Glutellac“. Auch wenn an sich keine Höchstmenge für die Aufnahme von Natriumacetat festgelegt ist, lassen die Fütterungshinweise einen vorsichtigen Umgang hinsichtlich der Menge an diesem Stoff erkennen.
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Schließlich spricht auch das Kriterium der Funktionalität (Nr. 1.2.2. Spiegelstrich 3 Satz 1 des Anhangs der Empfehlung 2011/25/EG) für eine Einordnung als Futtermittelzusatzstoff. Demnach werden Futtermittelzusatzstoffe entsprechend ihrer Funktion gemäß Art. 5 Abs. 3 der Futtermittelzusatzstoff-VO definiert, auch wenn diese Funktionen nicht ausschließlich Futtermittelzusatzstoffen vorbehalten sind.
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Bei Natriumacetat handelt es sich um das Natriumsalz der Essigsäure. Natriumacetat ist sehr gut wasserlöslich und reagiert leicht alkalisch. Zusammen mit Essigsäure hat es pH-Wert stabilisierende Eigenschaften. Vorliegend dient Natriumacetat der Stabilisierung des Wasser- und Elektrolythaushalts – was die Klägerin wiederholt bestätigt – und hat damit einen positiven Einfluss auf die Tierproduktion, Leistung oder das Wohlbefinden der Tiere, insbesondere durch Einwirken auf die Magen-Darm-Flora oder die Verdaulichkeit der Futtermittel. Aufgrund seiner Wirkungsweise weist Natriumacetat eine der in Art. 5 Abs. 3 Futtermittelzusatzstoff-VO genannten Funktionen auf, nämlich die Funktion nach Art. 5 Abs. 3 Buchst. f) Futtermittelzusatzstoff-VO. Da nach eigenen Angaben der Klägerin die Beigabe von Natriumacetat die Verdaulichkeit von Milch und die Stabilisierung des Elektrolythaushalts beeinflusst, wirkt sich der streitgegenständliche Stoff auf das Wohlbefinden von Kälbern im Sinne der genannten Bestimmung aus. Dass die Beeinflussung des Wohlbefindens der Tiere dabei nicht bzw. nicht ausschließlich über die Einwirkung auf die Magen- und Darmflora erfolgt, ist unschädlich, da aus der Formulierung ersichtlich ist, dass die Steigerung des Wohlbefindens durch die genannten beiden Alternativen nicht abschließend ist. Vielmehr kommen auch andere Wirkweisen in Betracht, die das Wohlbefinden der Tiere positiv beeinflussen. Sofern jedoch bei der Definition des Begriffs des Futtermittelzusatzstoffes in Art. 2 Abs. 2 Buchst. a) Futtermittelzusatzstoff-VO auf den dortigen Art. 5 Abs. 3 Bezug genommen wird, erfolgt dies ausweislich des Wortlauts nur im Rahmen eines Zweckbezugs. Mithin kommt es für die Qualifizierung als Futtermittelzusatzstoff nicht darauf an, dass eine der in Art. 5 Abs. 3 Futtermittelzusatzstoff-VO genannten Funktionen auch tatsächlich gegeben ist, sondern nur darauf, dass diese bezweckt wird. Eine entsprechende Funktion ist somit eines der möglichen Kriterien, das einen zulassungsfähigen Futtermittelzusatzstoff von einem nichtzulassungsfähigen Futtermittelzusatzstoff unterscheidet (VG München, B.v. 13.5.2020 a.a.O. Rn. 31 f.).
49
Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass – wie die Klägerin mit dem Hinweis auf die Eigenschaft von „Glutellac“ als Diätergänzungsfuttermittel geltend macht – auch Futtermittel dem Zweck dienen können, spezifische Ernährungsbedürfnisse von Tieren zu erfüllen, deren Verdauungs-, Absorptions- oder Stoffwechselvorgänge vorübergehend oder bleibend gestört sind oder sein könnten und die deshalb von der Aufnahme ihrem Zustand angemessener Futtermittel profitieren können (Art. 3 Abs. 2 Buchst. n) und o) Futtermittelverkehrs-VO). Denn der hier definierte Begriff des „Futtermittels für besondere Ernährungszwecke“ dient nicht der Abgrenzung von Einzelfuttermitteln und Futtermittelzusatzstoffen, sondern der Schaffung einer Unterkategorie der Futtermittel, deren Inverkehrbringen nach Art. 9 ff. Futtermittelverkehrs-VO besonderen Anforderungen unterliegt und die begrifflich sowohl Einzelfuttermittel als auch Futtermittelzusatzstoffe umfassen kann bzw. enthalten können, Art. 3 Abs. 1 Buchst. a) Futtermittelverkehrs-VO (VGH Mannheim – U.v. 16.11.2021 a.a.O. Rn. 29). Auf die klägerseits gemachten Ausführungen, es handle sich vorliegend bei „Glutellac“ um ein Diätergänzungsfuttermittel, kommt es daher vorliegend nicht an. Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass es zur Beurteilung, ob es sich bei Natriumacetat um ein Einzelfuttermittel oder einen Futtermittelzusatzstoff handelt, nicht auf das Produkt „Glutellac“ in Gänze ankommt, sondern lediglich der Stoff Natriumacetat der Abgrenzung zu Grunde zu legen ist.
50
(ii) Um welche Kategorie von Futtermittelzusatzstoff es sich vorliegend nach Art. 6 Futtermittelzusatzstoff-VO handelt, kann vorliegend dahingestellt bleiben. Eine eindeutige Zuordnung zu einer der in Art. 6 Abs. 1 Futtermittelzusatzstoff-VO genannten Zusatzstoffkategorien ist keine zwingende Voraussetzung für das Vorliegen eines Futtermittelzusatzstoffes im Sinne des Unionsrechts (vgl. BayVGH, B.v. 5.6.2018 – 20 ZB 17.2293 – juris Rn. 14). Die in Art. 6 Abs. 1 Futtermittelzusatzstoff-VO genannten Kategorien von Futtermittelzusatzstoffen haben in erster Linie eine verfahrensrechtliche Ordnungsfunktion. Selbst wenn ihnen auch eine materiell-rechtliche Funktion zukommen sollte, handelt es sich um Zulassungsvoraussetzungen.
51
(jj) In der erforderlichen Gesamtschau der Begriffsdefinitionen des Art. 2 Abs. 2 Buchst. a) Futtermittelzusatzstoff-VO und der in Nr. 1.2.1. und 1.2.2. Spiegelstriche 1 bis 3 des Anhangs der Empfehlung 2011/25/EG genannten Abgrenzungskriterien ist Natriumacetat folglich als Futtermittelzusatzstoff anzusehen. Es handelt sich insbesondere nicht um ein Futtermittel-Ausgangserzeugnis (Einzelfuttermittel) im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Buchst. b) Futtermittelzusatzstoff-VO, wie oben umfangreich ausgeführt wurde, oder eine Vormischung im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Buchst. e) Futtermittelzusatzstoff-VO, was zwischen den Parteien auch unstreitig ist. Seine Verwendung bedarf daher – vorbehaltlich der hier nicht einschlägigen Ausnahmebestimmungen des Art. 3 Abs. 2 – 4, Art. 10 Futtermittelzusatzstoff-VO – der Zulassung im Rahmen des in Art. 4 ff. Futtermittelzusatzstoff-VO geregelten Verfahrens (Art. 3 Abs. 1 Buchst. a) Futtermittelzusatzstoff-VO), die bislang unstreitig nicht erteilt wurde.
52
(c) Der Beklagte war daher nach Art. 138 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b) der Kontroll-VO verpflichtet, gegen das Inverkehrbringen des Produkts „Glutellac“ mit dem Bestandteil Natriumacetat einzuschreiten. Ihm steht grundsätzlich kein Entschließungsermessen hinsichtlich der Frage des „Ob“ des Einschreitens zu. Lediglich bei der Frage des „Wie“ des Einschreitens steht ihm ein Ermessen zu, wobei er insoweit den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten und insbesondere die Erforderlichkeit und Geeignetheit der zu treffenden Maßnahmen in den Blick zu nehmen hat (vgl. VG Würzburg, U.v. 14.02.2022 – W 8 K 20.1839 – beck-online, Rn. 61; VG Regensburg, B.v. 28.9.2021 – RN 5 S 21.1615 – beck-online, Rn. 32).
53
Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme sind weder geltend gemacht noch ersichtlich. In Ansehung des Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 Buchst. a) der Futtermittelzusatzstoff-VO ist für die Kammer ein gleich geeignetes, milderes Mittel nicht erkennbar; die Verfügung erweist sich auch als verhältnismäßig im engeren Sinne. Soweit die Klägerin eine Ungleichbehandlung im Verhältnis zu anderen, einzeln benannten Anbietern geltend macht, hat der Beklagte nachvollziehbar erklärt, Anhaltspunkten für Gesetzesverstöße nachzugehen und einzuschreiten, sobald er im regulären Gang der Verwaltung die Überzeugung gewonnen hat, dass die Voraussetzungen hierfür gegeben sind. Er ist vor dem Gleichheitsgebot nicht gehalten, ein Handlungskonzept für die zeitliche Reihenfolge des Einschreitens gegen mehrere Störungen aufzustellen oder gar Störungen, für die ein Einschreiten in Betracht kommt, zu ermitteln, um dann gestuft nach der Schwere der Verstöße einzuschreiten (vgl. BVerwG, U.v. 26.10.2017 – 8 C 18.16 – juris Rn. 23).
54
2.3. Der Bescheid erweist sich auch in seiner Nr. 2 als materiell rechtmäßig.
55
Rechtsgrundlage für die Anordnung in Nr. 2 des Bescheides ist Art. 138 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b), Abs. 2 Satz 1 Kontroll-VO i. V. m. § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFBG) i. V. m. mit Art. 3 Abs. 1 Futtermittelzusatzstoff-VO.
56
Nach § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) LFBG dürfen Futtermittel, bei deren Herstellen oder Behandeln ein Futtermittelzusatzstoff einer anderen als der in Art. 6 Abs. 2 Buchst. e) Futtermittelzusatzstoff-VO genannten Kategorie verwendet worden ist, nicht in Verkehr gebracht und nicht verfüttert werden, sofern der verwendete Futtermittelzusatzstoff nicht durch einen unmittelbar geltenden Rechtsakt der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union zugelassen ist.
57
Da es sich vorliegend bei Natriumacetat – wie oben umfangreich ausgeführt wurde – um einen Futtermittelzusatzstoff handelt, der im Übrigen nicht zur Abtötung oder Wachstumshemmung von Protozoen dient (vgl. Art. 2 Abs. 2 Buchst. k) Futtermittelzusatzstoff-VO) und damit auch keine kokzidiostatische oder histomonostatische Wirkung i.S.v. Art. 6 Abs. 2 Buchst. e) Futtermittelzusatzstoff-VO hat, sind die Voraussetzungen für den Erlass der Anordnung in Zusammenschau mit den obigen Ausführungen gegeben.
58
3. Da gegen die Kostenentscheidungen in Nr. 4 des streitgegenständlichen Bescheides keine durchgreifenden Einwände erhoben wurden und das Vorliegen solcher für das Gericht auch nicht ersichtlich ist, war die Klage auch insoweit abzuweisen.
III.
59
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 161 Abs. 2 VwGO sowie § 154 Abs. 1 VwGO.
60
Soweit das Verfahren eingestellt wurde, ist über die Kosten gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Billigem Ermessen entspricht es vorliegend unter Heranziehung des Rechtsgedankens des § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO die Kosten des Verfahrens insoweit ebenfalls der Klägerin aufzuerlegen.
61
Im Übrigen ergibt sich die Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterliegende Teil – vorliegend die Klägerin – die Kosten des Verfahrens zu tragen hat.
IV.
62
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 und 2 Zivilprozessordnung (ZPO).
V.
63
Die Berufung war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Die Entscheidung, ob Natriumacetat rechtlich als Einzelfuttermittel oder Futtermittelzusatzstoff einzuordnen ist, stellt eine fallübergreifende, verallgemeinerungsfähige Rechtsfrage dar, die im Interesse der Rechtssicherheit, der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung im Berufungsverfahren bedarf.