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VG München, Urteil v. 14.11.2024 – M 1 K 22.6431
Titel:

Nachbarklage, Gewerbegebiet, Erdrückende Wirkung (verneint)

Normenketten:
BauGB § 30 Abs. 1
BauNVO § 15 Abs. 1
BayBO Art. 6
Schlagworte:
Nachbarklage, Gewerbegebiet, Erdrückende Wirkung (verneint)
Fundstelle:
BeckRS 2024, 39892

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

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Der Kläger begehrt die Aufhebung einer Baugenehmigung, welche die Beklagte der Beigeladenen zur Errichtung einer Leichtbauhalle erteilt hat.
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Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. 2048 Gem. A. , das, ebenso wie das Vorhabengrundstück FlNr. 2049 Gem. A. , im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 138 A* O. der Beklagten gelegen ist. Hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung ist ein Gewerbegebiet festgesetzt. Nach Angaben des Klägers hat dieser die auf seinem Grundstück befindliche Immobilie an einen Logistikdienstleister vermietet.
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Mit jeweils bestandskräftigen Bescheiden vom … August 2019 bzw. … September 2020 erhielt die Beigeladene die Baugenehmigung zur Errichtung einer Prüfhalle auf den Grundstücken FlNrn. 2035 und 2049. Im gestempelten Eingabeplan zur Tekturgenehmigung vom 15. September 2020 „Errichtung einer Prüfhalle – Ansichten und Schnitte“ ist die Höhe der Halle an allen Seiten mit „+ 13,78 OK Attika“ angegeben. Mit Erklärung vom … April 2019 hatte der vormalige Eigentümer des Grundstücks FlNr. 2048 Gem. A. der Übernahme der Abstandsflächen mit einer Tiefe von 0,71 m auf sein Grundstück zugestimmt. Die Entfernung der Prüfhalle zum dem auf dem Grundstück des Klägers befindlichen Gebäude beträgt mindestens ca. 13,50 m.
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Unter dem … Dezember 2022 erteilte die Beklagte der Beigeladenen die unter dem … September 2022 beantragte Baugenehmigung zu Errichtung einer weiteren, sog. Leichtbauhalle, auf dem Grundstück FlNr. 2049 Gem. A. unter Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes bezüglich der Dachform und Dachneigung, Zulassung einer Abweichung vom Erfordernis einer inneren Brandwand sowie Zulassung einer Abweichung hinsichtlich der Einhaltung der erforderlichen Abstandsfläche zwischen der geplanten und der vorhandenen Halle. Im Eingabeplan ist die Wandhöhe der Leichtbauhalle mit 5,40 m, die Firsthöhe mit 6,21 m angegeben.
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Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 23. Dezember 2022 Klage erhoben und beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom … Dezember 2022 betreffend die Errichtung einer Leichtbauhalle aufzuheben.
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Das Vorhaben stelle sich als rücksichtslos gegenüber dem Kläger dar. Aufgrund der von der Beklagten zugelassenen Abstandsflächenunterschreitung zu der bereits vorhandenen Halle stellten sich die Hallen als einheitliche Bebauung dar, die erdrückende Wirkung habe. Es stünde weiter im Raum, dass das streitgegenständliche Vorhaben jedenfalls gemeinsam mit der bereits vorhandenen Halle die Abstandsflächen verletze. Insoweit gehe der Kläger davon aus, dass die im Bestand befindliche Halle entgegen der Vorgaben des Bebauungsplanes und der Baugenehmigung zu hoch errichtet worden sei und eine unzulässige Aufschüttung von ca. 2 m vorgenommen worden sei. Das Vorhaben stelle sich im Hinblick auf die als planungsrechtlich zulässig erklärte Längen-, Tiefen- und Höhenentwicklung gegenüber dem Kläger als unzumutbar und damit als rücksichtslos dar.
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Die Beklagte beantragt
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Klageabweisung.
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Die bestandskräftigen Baugenehmigungen zur Errichtung der Prüfhalle könnten nicht Gegenstand des Klageverfahrens gegen die Baugenehmigung für die Errichtung der Leichtbauhalle sein. Diese halte die erforderlichen Abstandsflächen zum Grundstück des Klägers ein. Die erteilte Abweichung betreffe lediglich das Vorhabengrundstück. Der Einhaltung der Abstandsflächen komme eine indizielle Wirkung dafür zu, dass keine erdrückende Wirkung zu befürchten sei. Eine solche komme im Regelfall nur bei nach Höhe und Volumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht. Diese Voraussetzungen seien bei dem streitgegenständlichen Vorhaben jedenfalls im Hinblick auf seine Kubatur, insbesondere angesichts der geringen Wandhöhe von 5,40 n nicht gegeben, zumal es sich hierbei um eine in einem Gewerbegebiet zu erwartende und übliche Bebauung handle.
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Die Beigeladene beantragt
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Klageabweisung
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und hält die Klage im Hinblick auf die in der Klageschrift fehlende Bezeichnung des Beklagten und des Gegenstands des Klagebegehrens schon für unzulässig, ferner für unbegründet und weist zunächst auf die Bestandskraft der die Errichtung der Prüfhalle genehmigenden Bescheide und die insoweit erklärte Abstandsflächenübernahme der vormaligen Eigentümerin hin. Diese Halle sei genehmigungskonform errichtet, auch der hergestellte Grenzbereich entspreche der Genehmigungslage. Durch das streitgegenständliche Vorhaben gehe keine erdrückende Wirkung zulasten des Klägers aus, selbst wenn die beiden Hallen gemeinsam betrachtet werden müssten. Es handle sich um ein Gewerbegebiet, auch wenn im Gebäude des Klägers einige Kurierfahrer wohnten. Dabei belasteten die Kurierfahrzeuge des auf dem Grundstück des Klägers untergebrachten Gewerbebetriebs ihrerseits die Zufahrtswege zum Laborgebäude der Beigeladenen und nutzten dauerhaft die öffentlichen Parkplätze. Schließlich befinde sich zwischenzeitlich im Bereich der übernommenen Abstandsfläche ein grenzständiger Carport. Die Berufung auf das nachbarliche Gebot der Rücksichtnahme sei aufgrund dieses Verhaltens rechtsmissbräuchlich.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Die gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO angefochtene Baugenehmigung vom … Dezember 2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.
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1. Dabei verspricht die Klage in der hier vorliegenden Konstellation der Anfechtung einer Baugenehmigung durch einen Nachbarn nur dann Erfolg, wenn durch die streitgegenständliche Baugenehmigung öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt werden, welche gerade auch dem Schutz der Kläger dienen und Gegenstand des hier einschlägigen vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens gemäß Art. 59 Satz 1 BayBO sind (BayVGH, B. v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20).
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1.1 Das streitgegenständliche Vorhaben hält die gemäß Art. 6 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 BayBO erforderlichen (Mindest-)Abstandsfläche zum Grundstück des Klägers vom 3 m ein. Ausweislich des in den Eingabeplänen enthaltenen Lageplans beträgt der Abstand der geplanten Halle zu der mit dem Kläger geteilten Grundstücksgrenze mindestens 4,50 m. Entgegen der Ansicht des Klägers sind die Abstandsflächen vorliegend auch nicht „gemeinsam mit der vorhandenen Halle“ zu berechnen. Hierzu enthalten die in Art. 6 BayBO enthaltenen Abstandsflächenregelungen, die gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO auf „Gebäude“ abstellen keinerlei Anhaltspunkte. Bei den beiden Hallen handelt es sich zweifelsohne um jeweils selbständige Gebäude, die jeweils für sich die Abstandsflächen einhalten müssen, vgl. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO.
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1.2 Das Vorhaben zur Errichtung einer Leichtbauhalle mit einer Firsthöhe von 6,21 m in einem Grenzabstand von mindestens 4,50 m und einem Abstand von mindestens 15 m zum klägerischen Gebäude verletzt auch nicht zulasten des Klägers die im nachbarlichen Verhältnis gegenseitig zu wahrende Rücksichtnahme.
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In, wie vorliegend, qualifiziert beplanten Bereichen im Sinne von § 30 Abs. 1 BauGB findet das Gebot der Rücksichtnahme über § 15 Abs. 1 BauNVO Eingang in die bauplanungsrechtliche Prüfung (VGH München, B. v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – BeckRS 2009, 43190 Rn. 40).
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In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – juris Rn. 38: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zum 2,5-geschossigen Nachbarwohnhaus; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – juris Rn. 15: drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem 2-geschossigen Wohnanwesen). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung sind unter anderem die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung (vgl. BayVGH, B.v. 19.3.2015 – 9 CS 14.2441 – juris Rn. 31; B.v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 12 m.w.N.). Für die Annahme der „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung eines Nachbargebäudes ist somit grundsätzlich kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Gebäudes, was insbesondere gilt, wenn die Gebäude im dicht bebauten innerstädtischen Bereich liegen (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 – juris Rn. 5). Der Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen, welche eigens eine ausreichende Belichtung, Belüftung und Besonnung und den Erhalt des Wohnfriedens bezwecken, kommt dabei eine indizielle Wirkung dahingehend zu, dass eine erdrückende oder verschattende Wirkung im Regelfall nicht vorliegt (BVerwG, B.v. 11.1.1999 – 4 B 128/98 – juris Rn. 3f.; VGH München, B.v. 22.04.2022 – 15 CS 22.874 Rn. 55).
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Unter Beachtung dieser Grundsätze ist die Annahme einer erdrückenden Wirkung des Vorhabens zulasten des im Gewerbegebiet gelegenen Klägers fernliegend, selbst wenn man dem klägerischen, beigeladenenseits bestrittenen Vortrag, die bestehende Prüfhalle sei nach unzulässiger Aufschüttung von bis zu 2 m errichtet worden, folgt und die Wirkung des streitgegenständlichen Vorhabens gemeinsam mit der Wirkung der bestehenden Prüfhalle bewerten.
Dies ergibt sich bereits aus den Dimensionen des streitgegenständlichen Vorhabens, das mit seiner Firsthöhe von 6,21 m und seiner Länge von 20 m keinesfalls als übergroß bezeichnet werden kann. Hinzu tritt der Grenzabstand von mindestens 4,50 m zum klägerischen Grundstück bzw. der Abstand zum klägerischen Gebäude von mindestens 15 m. Auch bei gemeinsamer Betrachtung mit der Wirkung der vorhandenen, vom klägerischen Gebäude 13,50 m entfernten Prüfhalle, deren Höhe im Eingabeplan mit 13,78 m angegeben wird, ergibt sich, selbst bei Unterstellung einer Aufschüttung von 2 m, nichts anderes. Dabei ist bei Einbeziehung der bestandskräftig genehmigten Prüfhalle darauf hinzuweisen, dass der Rechtsvorgänger des Klägers der Erstreckung der Abstandsfläche auf sein Grundstück gemäß Erklärung vom … April 2019 auch zulasten etwaiger Rechtsnachfolger zugestimmt hat, sodass – ohne dass dies vorliegend einer abschließenden Entscheidung bedürfte – die Berufung auf die das Heranrücken der Prüfhalle, soweit deren Errichtung der Baugenehmigung entspricht, dem Kläger wohl ohnehin nach Treu und Glauben verwehrt sein dürfte. Ohnehin besteht im Zusammenhang mit der Frage einer möglichen erdrückenden Wirkung in Gewerbegebieten ein abgesenktes Schutzniveau (VGH München, B.v. 3.6.2024 – 9 CS 24.536 – juris Rn. 18 unter Hinweis auf die gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO in Gewerbegebieten erforderliche, aber auch ausreichende Abstandsflächentiefe von 0,2 H).
Für das Vorliegen einer rücksichtslosen erdrückenden Wirkung ist nach alledem vorliegend nichts ersichtlich.
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2. Gemäß § 154 Abs. 1 VwGO trägt der Kläger als unterlegene Partei die Kosten des Verfahrens, wobei es der Billigkeit (§ 162 Abs. 3 VwGO) entsprach, ihm auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, weil diese sich ihrerseits mit Antragstellung einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
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3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.