Titel:
Heranziehung zu Rundfunkbeiträgen im privaten Bereich
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
RBStV § 2 Abs. 1, Abs. 2 S. 2 Nr. 1
BGB § 242
Leitsatz:
Die Vermutungsregel des § 2 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 RBStV trägt dem Ziel des Gesetzgebers Rechnung, den auf die Wohnung bezogenen Rundfunkbeitrag einfach und praktikabel auszugestalten und die Privatsphäre zu schützen. Ermittlungen "hinter der Wohnungstür" sollen nicht mehr erforderlich sein. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rundfunkbeitrag für eine Wohnung, Vorläufiger Rechtsschutz gegen Festsetzungsbescheid, Rundfunkbeitrag, Heranziehung, privater Bereich, Wohnung, Mietvertrag, Vermutungsregel, Treu und Glauben, Meldebescheinigung, sofortige Vollziehung, aufschiebende Wirkung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 31.03.2025 – 7 CS 25.216
Fundstelle:
BeckRS 2024, 39846
Tenor
I. Soweit der Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, wird das Verfahren eingestellt. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 399,75 EUR festgesetzt.
Gründe
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Der Antragsteller begehrt im Wege des Eilrechtsschutzes die aufschiebende Wirkung seines Wiederspruchs gegen den Festsetzungsbescheid vom 1. Dezember 2023, mit dem er zu Rundfunkbeiträgen im privaten Bereich herangezogen wird.
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Mit Festsetzungsbescheid vom 1. Dezember 2023 setzte der Antragsgegner für den Zeitraum Januar 2020 bis August 2023 rückständige Rundfunkbeiträge für eine Wohnung in … unter der Beitragsnummer … … … in Höhe von insgesamt 799,50 EUR einschließlich eines Säumniszuschlags von 8,00 EUR gegenüber dem Antragsteller fest.
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Hiergegen erhob der Antragsteller am 13. Dezember 2023 Widerspruch. Mit dem Widerspruch beantragte der Antragsteller die Aussetzung der Vollziehung des Beitragsbescheides. Über diesen Antrag sowie den Widerspruch wurde vom Antragsgegner noch nicht entschieden.
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Mit Schriftsatz vom 21. März 2023 ließ der Antragsteller darüber hinaus beim Bayerischen Verwaltungsgericht München sinngemäß beantragen,
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die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs anzuordnen.
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Zur Begründung führt der Antragsteller aus, er sei nicht Inhaber der Wohnung in … Die Wohnung habe er ab 11/2022 weitervermietet. Unter der Beitragsnummer … … … zahle der Antragsteller selbst für eine Wohnung. Der Antragsgegner möge darlegen, dass es sich bei letztgenanntem Beitragskonto um ein gewerbliches Beitragskonto handle. Vielmehr sei unter der Beitragsnummer … … … eine Betriebsstätte der … KG gemeldet.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag „abzuweisen“.
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Unter den Beitragsnummern … … … und … … … werde im nicht privaten Bereich bezahlt. Der Antragsteller sei unter der Anschrift in … melderechtlich erfasst.
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Mit Schriftsatz vom 29. Mai 2024 legte der Antragsteller eine Meldebescheinigung des Marktes … vor, aus der sich ein Einzug zum 1. September 2015 sowie ein Auszug am 30. März 2023 ergibt. Gleichzeitig legte er eine Meldebescheinigung des Marktes … vor, aus der sich ein Einzug zum 30. März 2023 ergibt.
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Mit Schreiben vom 11. Juni 2024 hob der Antragsgegner den Bescheid vom 1. Dezember 2023 insoweit auf, als dieser Beiträge für März 2023 bis August 2023 festsetzte und stimmt insoweit einer (Teil-)Erledigung des Rechtstreites vorab zu.
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Mit Schriftsatz vom 26. Juni 2024 erklärte die Antragspartei den Rechtstreit insoweit für erledigt.
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Mit Beschluss vom 19. Dezember 2024 wurde die Verwaltungsstreitsache zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
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Soweit der Rechtsstreit für erledigt erklärt wurde, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
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Im Übrigen ist der zulässige Antrag unbegründet.
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Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anordnen, wenn der Widerspruch – wie hier – keine aufschiebende Wirkung hat. Dabei trifft das Gericht im Rahmen einer summarischen Prüfung der sich im Zeitpunkt der Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage eine eigene, originäre Ermessensentscheidung darüber, ob die Interessen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streiten, oder diejenigen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, überwiegen. Wesentliches Element dieser Entscheidung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei kursorischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, bleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
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Bei all dem ist jedoch in einem Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO die gesetzgeberische Wertung des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO zu berücksichtigen, wonach für bestimmte Arten von Entscheidungen ein Vorrang des öffentlichen Vollzugsinteresses statuiert wird. Das Gericht hat deshalb die in § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO getroffene Wertung, dass das Vollzugsinteresse hinsichtlich öffentlicher Abgaben in der Regel Vorrang vor den Belangen des Betroffenen hat, vor der rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Einforderung von Abgaben von Vollzugsmaßnahmen verschont zu bleiben, nachzuvollziehen. Wenn von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit, dass die Klage in der Hauptsache Erfolg haben wird, nicht ausgegangen werden kann, verbleibt es bei der in § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zum Ausdruck kommenden Interessenbewertung (BayVGH, B.v. 3.12.2015 – 7 AS 15.2585 – juris Rn. 3).
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Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist der Antrag abzulehnen, weil sich der streitgegenständliche Bescheid nach der hier gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung jedenfalls nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als voraussichtlich rechtswidrig erweisen und den Antragsteller auch nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in seinen Rechten verletzen wird (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es überwiegt daher das vom Gesetzgeber besonders gewichtete öffentliche Interesse an der Vollziehbarkeit (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO) das Interesse des Antragstellers, vorläufig keine Zahlungen an den Antragsgegner leisten zu müssen.
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Rechtsgrundlage für die Erhebung von Rundfunkbeiträgen ist der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag – RBStV – vom 7. Juni 2011 (GVBl S. 258) sowie § 8 des Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrags – RFinStV – vom 27. Juli 2001 (GVBl S. 566) in der für den jeweiligen Beitragszeitraum gültigen Fassung. Der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag ist nach Zustimmung der Landesparlamente und Hinterlegung der Ratifikationsurkunden in Kraft getreten (siehe Art. 7 Abs. 2 des 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrags und BayVerfGH, E.v.14.5.2014 – Vf. 8-VII-12, Vf. 24-VII-12 – juris Rn. 57). Mit dem Zustimmungsbeschluss des Bayerischen Landtags vom 17. Mai 2011 in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. Juni 2011 (GVBl. S. 258) kommt ihm die Wirkung eines bayerischen Landesgesetzes zu.
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Nach § 2 Abs. 1 RBStV ist im privaten Bereich für jede Wohnung von deren Inhaber (Beitragsschuldner) ein Rundfunkbeitrag zu entrichten. Die Pflicht zur Entrichtung des Rundfunkbeitrags beginnt mit dem Ersten des Monats, in dem der Beitragsschuldner erstmals die Wohnung innehat (§ 7 Abs. 1 Satz 1 RBStV). Rückständige Rundfunkbeiträge werden durch die zuständige Landesrundfunkanstalt festgesetzt (§ 10 Abs. 5 Satz 1 RBStV).
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Diese Voraussetzungen sind im Fall des Antragstellers für die noch streitgegenständlichen Rundfunkbeiträge 1/2020 bis 3/2023 erfüllt. Unstreitig hat der Antragsteller unter der festgesetzten Adresse bis 10/2022 gewohnt und war dort unstreitig bis 3/2023 gemeldet. Dies ergibt sich aus den vom Antragsteller selbst vorgelegten Meldebescheinigungen.
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Nach § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RBStV wird derjenige als Wohnungsinhaber vermutet, der dort nach dem Melderecht gemeldet ist. Dies ist vorliegend der Antragsteller. Ihm ist es insbesondere nicht gelungen, die Vermutung des § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RBStV zu widerlegen. Die Vermutungsregel trägt dem Ziel des Gesetzgebers Rechnung, den auf die Wohnung bezogenen Rundfunkbeitrag einfach und praktikabel auszugestalten und die Privatsphäre zu schützen. Ermittlungen „hinter der Wohnungstür“ sollen nicht mehr erforderlich sein. Unabhängig davon, dass der Antragsteller auch die vor dem vorgelegten Mietvertrag festgesetzten Zeiträume von 1/2020 bis 10/2022 angreift, ist der Mietvertrag nicht geeignet die Vermutung für den Zeitraum bis 3/2023 zu erschüttern bzw. zu widerlegen. Es ist bereits nicht klar und im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht weiter aufzuklären, für welche der wohl drei Wohnungen an der streitgegenständlichen Adresse der Mietvertrag abgeschlossen wurde und ob es sich hierbei um die rundfunkbeitragsrechtlich veranlagte Wohnung handelt, zumal der Vortrag im Widerspruch zu den Meldedaten steht. Der Antragsteller kann diesen Widerspruch nicht im Ansatz erklären.
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Überdies drängt sich vielmehr ein Verstoß des Antragsstellers gegen Treu und Glauben (vgl. § 242 BGB) auf, da auch die Widerlegung der Vermutung nach § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RBStV im Einklang mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen zu erbringen ist. Der Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben beherrscht die gesamte Rechtsordnung und verlangt die Ausübung von Rechten sowie die Erfüllung von Pflichten in einer Weise, auf die andere vertrauen können. Er verpflichtet zur Redlichkeit und zur Rücksichtnahme auf die schutzwürdigen Interessen anderer. Treu und Glauben ist Maßstab für Rechtsausübung (vgl. § 242 BGB) und -auslegung (vgl. § 157 BGB). Die Rechtsprechung präzisiert diesen Rechtsgrundsatz anhand von Fallgruppen und Funktionskreisen wie etwa dem Verbot widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium nemini licet) wonach niemand sich einem zuvor erweckten Rechtsschein entziehen und das hervorgerufene Vertrauen enttäuschen darf. Widersprüchliches Verhalten ist rechtsmissbräuchlich, wenn besondere Umstände die Rechtsausübung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen; letzteres ist der Fall, wenn das frühere Verhalten zu dem späteren in unlösbarem Widerspruch steht. Das Recht muss nicht auf denjenigen Rücksicht nehmen, der offenbar ordnungswidrig (vgl. § 54 BMG) unrichtige Meldedaten erlangt, aber die daran anknüpfenden, als belastend empfundenen Rechtsfolgen nicht akzeptieren will (vgl. auch VG Köln, U. v. 25.1.2022 – 6 K 1100/17 –, juris). Der Antragsteller hat gegenüber den Meldebehörden einen späteren Aus- bzw. Umzug angegeben und damit diesen Rechtsschein selbst gesetzt. Gründe warum dieses widersprüchliche Verhalten nicht gegen Treu und Glauben verstoßen sollte, sind nicht erkennbar und wurden nicht vorgetragen.
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Im Übrigen wurde der Rundfunkbeitrag auch nicht durch die Zahlung auf das Beitragskonto … … … mit befreiender Wirkung für das streitgegenständliche Konto geleistet. Der Antragsteller hat das gewerbliche Beitragskonto … … … wohl im Glauben, es handle sich um (s) ein privates Beitragskonto, zeitweise überzahlt, doch wurde ihm der im Vergleich zu einem gewerblichen Konto überzahlte Betrag offenbar erstattet. Das Beitragskonto … … … wird jeher als gewerbliches Konto geführt. Unter Angabe der Beitragsnummer fand bereits 2014 mehrfach Korrespondenz zwischen dem Antragsteller und dem Beitragsservice statt. Sowohl im vom Antragsteller verwendeten Briefkopf, der E-Mail-Adresse als auch im Stempel befindet sich der Name „… Elektronic“ (vgl. Blatt 55, 57, 63 der Akte zu 385 606 795). Der Vortrag der Antragspartei, dass es eine solche „… Elektronik“ nicht gibt und es sich um ein privates Konto handelt ist offensichtlich falsch und angesichts des Hinweises des Gerichts vom 31. Oktober 2024 nicht im Ansatz nachvollziehbar, warum dieser aufrechterhalten wird. Ob hier bewusst falsch vorgetragen wird oder der Antragsteller und seine Bevollmächtigte bei der Vielzahl der sowohl gewerblichen als auch privaten Beitragskonten wohl gänzlich den Überblick verloren haben, mag von anderer Stelle beurteilt werden. Es ist Aufgabe des Antragstellers seine diversen Anmeldungen zu ordnen und korrekte Zahlungen auf die jeweiligen Konten zu leisten. Diesem kam er für das streitgegenständliche Beitragskonto nicht nach. Die ausstehenden Rundfunkbeiträge wurden zurecht festgesetzt.
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Soweit das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, ist gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen über die Kosten zu entscheiden. Billigem Ermessen entspricht es im vorliegenden Fall, die Kosten dem Antragsteller aufzuerlegen. Dieser hat erst im gerichtlichen Verfahren eine entsprechende Meldebescheinigung vorgelegt, die den Weg zur Teilerledigung ebnete. Im Übrigen beruht die Kostenentscheidung auf § 154 VwGO, sodass der unterlegene Antragsteller insgesamt die Kosten zu tragen hat.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, 3 GKG und den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Stand 2013).