Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 25.04.2024 – B 2 K 23.3
Titel:

Isolierte Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans zu Außenanlagen und Einfriedungen

Normenketten:
BauGB § 31 Abs. 2
BayBO Art. 63 Abs. 2, Abs. 3 S. 1, Art. 81 Abs. 2 S. 2
Leitsatz:
Eine Befreiung von einer Festsetzung, die für die Planung tragend ist, darf nicht aus Gründen erteilt werden, die sich in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle oder gar für alle von einer bestimmten Festsetzung betroffenen Grundstücke anführen ließen. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Grundzug der Planung, Höhe der Einfriedung, Material der Einfriedung, isolierte Befreiung, Festsetzungen des Bebauungsplans, Einfriedungshöhe, Ortsbild, Grundzüge der Planung, nachträgliche Befreiungspraxis, Ermessen
Fundstelle:
BeckRS 2024, 39706

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2.Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.  

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erteilung einer isolierten Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes „…“ zu Einfriedungen.
2
Die Klägerin ist Eigentümer des Grundstücks … in …, Fl.-Nr. …, Gemarkung … Das klägerische Grundstück befindet sich im Geltungsbereich des Bebauungsplanes „…“ vom 07.01.1980, geändert am 01.07.2019, welcher u.a. hinsichtlich Einfriedungen straßenseitig senkrechte Latten oder Heckenbepflanzungen mit einer Höhe von max. 1,00 m und zwischen den Grundstücken Maschendraht mit Eisenpfosten mit einer Höhe von max. 1,30 m festsetzt.
3
Mit Antrag vom 08.09.2022 beantragte die Klägerin eine isolierte Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans. Zur Begründung wurde u.a. vorgetragen, dass laut Bebauungsplan Einfriedungen max. 1,00 m hoch sein dürften. Sie müssten entweder aus einem senkrechten Lattenzaun oder aus einer Heckenbepflanzung bestehen. Die bereits ausgeführte straßenseitige Einfriedung sei ca. 1,68 m hoch und bestehe aus Metall. Die geplante Einfriedung an den anderen Grundstücksgrenzen entspreche derjenigen an der Straßenseite, sei jedoch max. 1,30 m hoch. Der Bebauungsplan stamme aus dem Jahr 1979 und müsse als überholt bezeichnet werden. Im Geltungsbereich des Bebauungsplans würden bereits Einfriedungen existieren, welche in Materialität und Höhe deutlich von den ergänzenden Festsetzungen des Bebauungsplans abweichen würden.
4
Mit Bescheid vom 08.12.2022 wurde die beantragte isolierte Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans abgelehnt. Das Vorhaben entspräche nicht dem geltenden Bebauungsplan. Durch die beantragte Einzäunung würden die Grundzüge der Bauleitplanung für dieses Gebiet berührt. Die beantragte Befreiung sei auch unter Berücksichtigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen nicht vereinbar. Befreiungen bezüglich der Höhe seien in Vergleichsfällen bislang nicht erteilt worden.
5
Mit Schriftsatz der Klägerin vom 29.12.2022, bei Gericht eingegangen am 03.01.2023, hat diese Klage auf Erteilung der beantragten isolierten Befreiung erhoben.
6
Zur Begründung wird u.a. ausgeführt, dass eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans zu erteilen sei, weil die Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 des Baugesetzbuches – BauGB – vorlägen. Im Hinblick auf die bereits gewährten Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans sowie dessen Aufweichung liege eine Ermessensreduzierung auf Null vor.
7
Die bereits errichtete Einfriedung bestehe aus bronziertem Stahl sei und ca. 1,68 m hoch. Zwischen den Grundstücken solle eine entsprechende Einfriedung errichtet werden, jedoch mit einer Höhe von ca. 1,30 m.
8
Mit der Errichtung der Einfriedung würden die Grundzüge der Planung nicht beeinträchtigt. Dies sei bereits aufgrund der nur geringfügigen Überschreitung der Höhe nicht der Fall. Auch die offene Gestaltung des streitgegenständlichen Zauns bewirke entgegen der Beklagtenansicht gerade keinen Eindruck der „Einhausung“ des Grundstücks oder eine nachteilige Veränderung des Ortsbildes. Das Grundstück der Klägerin bleibe insbesondere im Vergleich zu den ebenfalls im Plangebiet vorhandenen Grundstücken mit hohen Heckenbepflanzungen nach wie vor einsehbar. Im Geltungsbereich des Bebauungsplans würden bereits zahlreiche Abweichungen von den Festsetzungen zu Einfriedungen existieren. Der Bebauungsplan sei durch die in seinem Geltungsbereich vorgefundenen Abweichungen sehr „aufgeweicht“ und stellenweise vollständig überholt. Die bereits errichtete sowie geplante Einfriedung würde das Ortsbild nicht stärker beeinträchtigen als die anderen Abweichungen.
9
Der Doppelstabzaun auf dem Grundstück …-Straße … sei ca. 1,30 m hoch und abgetreppt und auch zwischen den Grundstücken vorhanden. Auf dem Grundstück …-Straße … befinde sich zwischen den Grundstücken ein Doppelstabzaun. Auf dem Grundstück …-Straße … befinde sich ein Maschendrahtzaun entlang der Straße. Die Hecke auf dem Grundstück …-Straße … weise inklusive Sockel eine Höhe von ca. 2,60 m auf. Die Hecke auf dem Grundstück …-Straße * weise inklusive Sockel eine Höhe von ca. 2,20 m bzw. 3,00 m auf und verfüge über einen Sockel, der nicht aus Beton bestehe. Der Doppelstabzaun auf dem Grundstück …ring * sei ca. 1,20 m hoch, abgetreppt und auch zwischen den Grundstücken vorhanden.
10
Außerdem seien überdies noch diverse Abweichungen von anderen Festsetzungen im Plangebiet vorhanden, etwa bezüglich Dacheindeckungen, Nebengebäuden und Parkplätzen.
11
Gegen diese abweichenden Schwarzbauten sei jahrelang nicht vorgegangen worden oder es seien sogar Befreiungen erteilt bzw. in Aussicht gestellt worden. Es liege damit ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes – GG – und eine Ermessensfehlerhaftigkeit des Bescheids vor. Insbesondere im Hinblick auf die erteilte Befreiung für den Doppelstabzaun sei die Ablehnung des streitgegenständlichen Antrags willkürlich.
12
Die Abweichung sei auch städtebaulich vertretbar und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar.
13
Hinsichtlich der vorgetragenen Gefährlichkeit der Spitzen fände die DIN 18320 mangels ausdrücklicher Vereinbarung ebenso wenig Anwendung wie die GUV-V, die nur für Schulen gelte.
14
Laut Auskunft des ausführenden Handwerksbetriebs könnten die einzelnen Gartenzaunelemente nicht gekürzt werden, weil dies durch die Hanglage und die bisherige Ausführung technisch unmöglich sei. Es wäre somit nur der komplette Abriss der Zaunanlage denkbar, was im Hinblick auf die vor Ort festgestellten Verhältnisse völlig unzumutbar wäre.
15
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 08.12.2022 zu verpflichten, die beantragte isolierte Befreiung zu erteilen.
16
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
17
Zur Begründung wird vorgetragen, dass die Klage unbegründet sei.
18
Die Einfriedung entspreche in Art und Höhe nicht den Festsetzungen des Bebauungsplans. Als straßenseitige Einfriedung seien Zäune mit senkrechten Latten oder Heckenbepflanzungen von 1,00 m zulässig. Als seitliche Grundstückseinfriedung seien Maschendrahtzäune mit Eisenpfosten in einer Höhe von 1,30 m festgesetzt. Die streitgegenständliche, bereits von der Klägerin errichtete Einfriedung aus Metall sei straßenseitig ca. 1,68 m hoch. An der seitlichen und rückwärtigen Grundstücksgrenze sei ebenfalls eine Einfriedung in Metallausführung geplant. Dass das Vorhaben zumindest teilweise schon errichtet gewesen sei, sei vom Bau- und Umweltausschuss dahingehend berücksichtigt worden, dass eine Befreiung hinsichtlich des Materials in Aussicht gestellt werde. Die Höhe der Zaunanlage habe jedoch den Festsetzungen des Bebauungsplans zu entsprechen. Der Klägerin sei es zumutbar, die Höhe nach den Festsetzungen des Bebauungsplanes zu kürzen und in diesem Zug die Entfernung der Spitzen vorzunehmen. Diese Form der Ausführung sei bislang nicht beantragt und auch nicht befreit. Es wäre der Klägerin jederzeit möglich gewesen, sich vor Errichtung in der Gemeindeverwaltung über das Vorhaben und eventuell notwendige Schritte zu erkundigen. Dies sei nicht erfolgt.
19
Die Voraussetzungen für eine Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB lägen nicht vor. Mit der Errichtung der Einfriedung seien die Grundzüge der Planung beeinträchtigt. Dass die Grundzüge der Planung nicht berührt würden, könne nicht allein daran festgemacht werden, dass der Bebauungsplan seit 1980 rechtsverbindlich sei. Eine Befreiung von 0,68 m Höhenüberschreitung werde nicht erteilt. Im Ortsbild eines allgemeinen Wohngebietes solle der Eindruck einer Einhausung einzelner Grundstücke vermieden werden. Nach Auffassung des Bau- und Umweltausschusses werde das Ortsbild durch hohe Einfriedungen nachteilig verändert. Für die genannte Zaunanlage …-Straße … habe der Bau- und Umweltausschuss der Art der Einfriedung in Metallausführung zugestimmt und es sei eine isolierte Befreiung erteilt worden (Anlage B 6). Die straßenseitige, geringfügige Überschreitung der zulässigen Höhe sei lediglich der treppenartigen Gestaltung geschuldet. Bezüglich dem Grundstück …-Straße … wäre hinsichtlich der Ausführung in Metall eine Befreiung einzureichen und würde entsprechend der Zaunanlage …-Straße … erteilt werden. Bei dem straßenseitigen Maschendrahtzaun …-Straße … handele es sich um keine dauerhaft hergestellte Einfriedung, da das Grundstück unbebaut sei. Hinsichtlich der Heckenbepflanzung auf den Grundstücken …-Straße * und …-Straße … seien die Eigentümer angeschrieben und zum Rückschnitt aufgefordert worden. Dies sei zwischenzeitlich geschehen. Die Zaunanlage …ring * überschreite die Höhe im Mittel um 0,15 m. Hierfür wäre eine isolierte Befreiung notwendig, die bezüglich des Materials in Anlehnung an die Zaunanlage …-Straße … zu behandeln wäre. Im Übrigen verkenne die Klägerin, dass bei dieser Einfriedung keine Spitzen vorhanden seien. Die Klägerin könne aufgrund der bisher erfolgten Befreiung zum Material keinen Anspruch auf Erteilung einer Befreiung bezüglich der Höhe ableiten.
20
Auch die weiteren geltend gemachten Abweichungen von anderen Festsetzungen des Bebauungsplans wären gerechtfertigt.
21
Die Erteilung der Befreiung sei auch städtebaulich nicht vertretbar und nachbarliche Interessen oder öffentliche Belange würden der Befreiung entgegenstehen. Insbesondere sei die Beklagte von Dritten auf die Einfriedung hingewiesen worden, was vermuten lasse, dass Einwendungen vorlägen. Auch habe die Klägerin keine Unterschriften der zu beteiligenden Nachbarn vorgelegt.
22
Die Zaunelemente seien außerdem mit Spitzen versehen, was insbesondere zur öffentlichen Gehwegfläche ein Gefahrenpotenzial darstelle. Nach ATV DIN 18320:2015-08 (Anlage B 4) dürften Zaunanlagen auf öffentlich zugänglichen Bereichen bis zu einer Standhöhe von 1,80 m keine spitzen oder scharfkantigen Überstände an der Bespannung, Belattung oder an den Pfosten aufweisen oder müssten mit einem Übersteigschutz versehen sein. Sie sollen so gestaltet sein, dass niemand gefährdet werde, sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich. Bei privaten Bauvorhaben betreffe dies den straßenzugewandten Abschnitt der Zaunanlage. Nach den Unfallverhütungsvorschriften für Schulen – GUV-V S1 – und für Kindertagesstätten – GUV-V S2 – seien Spitzen, scharfe Grate oder überstehende Teile sowohl an der Zaunober- als auch an der Zaununterkante unzulässig. Die Beklagte halte bereits aufgrund dieser Einschätzungen über die Gefährdung an den bisherigen Ausführungen fest und befreie bei der streitgegenständlichen Einfriedung nicht hinsichtlich der Höhe des Zaunes und der Art der Spitzen.
23
Aufgrund Beweisbeschlusses vom 16.11.2023 sind die örtlichen Verhältnisse im Bereich des klägerischen Grundstücks und der Umgebung am 20.12.2023 in Augenschein genommen worden.
24
Die Beteiligten haben am 20.12.2023 zu Protokoll ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
25
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dem Protokoll des Augenscheintermins vom 20.12.2023 sowie der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).

Entscheidungsgründe

I.
26
Mit Einverständnis der Beteiligten kann gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.
II.
27
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans „…“ (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), da die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung nach § 31 Absatz 2 BauGB nicht vorliegen.
28
1. § 31 Absatz 2 BauGB ist die zutreffende Rechtsgrundlage für die Erteilung der in Rede stehenden Abweichung.
29
a. Das Vorhaben der Klägerin bedarf grundsätzlich einer Befreiung, weil es den ergänzenden Festsetzungen zu Außenanlagen und Einfriedungen des Bebauungsplans „…“ widerspricht. Hiernach sind hinsichtlich Einfriedungen u.a. straßenseitig senkrechte Latten oder Heckenbepflanzungen mit einer Höhe von max. 1,00 m und zwischen den Grundstücken Maschendraht mit Eisenpfosten mit einer Höhe von max. 1,30 m festgesetzt. Die von der Klägerin beantragte Einfriedung ist dagegen straßenseitig ca. 1,68 m bzw. zwischen den Grundstücken max. 1,30 m hoch und besteht aus (massiven) Metall. Sie steht damit straßenseitig sowohl hinsichtlich Höhe und Materialität, zwischen den Grundstücken lediglich hinsichtlich Materialität nicht im Einklang mit den Festsetzungen des Bebauungsplans „…“.
30
b. Es bedarf hierfür einer Befreiung nach § 31 Absatz 2 BauGB, ungeachtet der Frage, ob die Satzungsbestimmungen ihrer Natur nach planungsrechtlicher und/oder ortsgestalterischer Natur sind. Denn gemäß Art. 81 Absatz 2 Satz 2 der Bayerischen Bauordnung – BayBO – sind die dort genannten Vorschriften des Baugesetzbuches, unter anderem auch § 31 BauGB, jedenfalls entsprechend auch für den Fall anzuwenden, dass örtliche Bauvorschriften durch Bebauungsplan erlassen werden (vgl. VG München, U.v. 7.10.2021 – M 1 K 18.2308 – BeckRS 2021, 37325 Rn. 19; Decker in Busse/Kraus, BayBO, 152. EL Oktober 2023, Art. 81 Rn. 282).
31
2. Die beklagte Gemeinde ist für den geltend gemachten Anspruch die richtige Beklagte und damit passivlegitimiert. Die Zuständigkeit der Gemeinde – und nicht der unteren Bauaufsichtsbehörde – folgt aus Art. 63 Absatz 3 Satz 1, Absatz 2 BayBO i.V.m. § 31 Absatz 2 BauGB, weil es sich bei der beantragten Einfriedung angesichts ihrer Höhe von unter 2,00 m um ein nach Art. 57 Absatz 1 Nr. 7 Buchst. a BayBO verfahrensfreies Vorhaben handelt.
32
3. Die Festsetzungen hinsichtlich Höhe und Materialität sind trotz einiger vorhandener Abweichungen im Plangebiet nicht bereits funktionslos. Die Verwirklichung der Vorschriften ist nicht auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen, und diese sind weiterhin geeignet, einen sinnvollen Beitrag zur Gestaltung des Ortsbildes der Beklagten zu leisten. Auch wenn es Fälle von Einfriedungen im Plangebiet gibt, die mit den Vorgaben nicht übereinstimmen, verhält es sich so, dass wenige Ausreißer in einem größeren Planumgriff ohnehin nicht dazu geeignet sind, eine Funktionslosigkeit zu begründen. Angesichts der bauaufsichtlichen Möglichkeiten ist eine Verwirklichung der Vorschriften auch nicht auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen, zumal sich die Beseitigung von Einfriedungen als eine technisch wenig aufwendige Angelegenheit darstellt (vgl. VG München, U.v. 7.10.2021 – M 1 K 18.2308 – BeckRS 2021, 37325 Rn. 15 m.w.N.).
33
4. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung nach § 31 Absatz 2 BauGB liegen nicht vor, weil das Vorhaben der Klägerin gegen die Grundzüge der Planung verstößt.
34
Von den Festsetzungen eines Bebauungsplans kann nach § 31 Absatz 2 BauGB befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Befreiung erfordern (Nr. 1), die Abweichung städtebaulich vertretbar ist (Nr. 2) oder die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde (Nr. 3), und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
35
Ob die Grundzüge der Planung berührt werden, hängt von der jeweiligen Planungssituation ab. Was zum planerischen Grundkonzept zählt, beurteilt sich nach dem im Bebauungsplan zum Ausdruck kommenden Planungswillen der Gemeinde. Entscheidend ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwiderläuft. Je tiefer die Befreiung in den mit der Planung gefundenen Interessenausgleich eingreift, desto eher liegt es nahe, dass das Planungskonzept in einem Maße berührt wird, das eine (Um-)Planung erforderlich macht. Was den Bebauungsplan in seinen „Grundzügen“, was seine „Planungskonzeption“ verändert, lässt sich nur durch (Um-)Planung ermöglichen und darf nicht durch einen einzelfallbezogenen Verwaltungsakt zugelassen werden. Die Änderung eines Bebauungsplans obliegt nach § 2 BauGB der Gemeinde, für die ein bestimmtes Verfahren unter Beteiligung der Bürger und der Träger öffentlicher Belange vorgeschrieben ist, von dem nur unter engen Voraussetzungen abgesehen werden kann. Von Bedeutung für die Beurteilung, ob die Zulassung eines Vorhabens im Wege der Befreiung die Grundzüge der Planung berührt, können auch Auswirkungen des Vorhabens im Hinblick auf mögliche Vorbild- und Folgewirkungen für die Umgebung sein. Eine Befreiung von einer Festsetzung, die für die Planung tragend ist, darf nicht aus Gründen erteilt werden, die sich in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle oder gar für alle von einer bestimmten Festsetzung betroffenen Grundstücke anführen ließen (vgl. BayVGH, B.v. 1.4.2016 – 15 CS 15.2451 – BeckRS 2016, 45094 Rn. 21 m.w.N.) Maßgeblich ist grundsätzlich (nur) die Situation im Plangebiet, zumindest aber die Situation in dem für das jeweilige Vorhaben relevanten Teilbereich (vgl. Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Aufl. 2022, § 31 Rn. 29 m.w.N.).
36
Davon ausgehend stellt jedenfalls das festgesetzte Höchstmaß für Einfriedungen einen Grundzug der Planung dar. Die Beklagte trifft in ihrem Bebauungsplan differenzierte Vorgaben zu den Außenanlagen und Einfriedungen, und zwar u.a. hinsichtlich dem Material der Einfriedungen – senkrechte Latten oder Heckenbepflanzungen an der Straße und Maschendraht mit Eisenpfosten zwischen den Grundstücken; Sockel aus geschaltem Beton gestockt oder aufgespitzt –, der Ausführung der Einfriedungen – Verlauf mit dem Straßengefälle, Vorbeiführung vor den Säulen und keine „getreppte“ Ausführung; kein Aufschlag von Türen und Tore zur Straße hin – sowie der Höhe der Einfriedungen – max. 1,00 m an der Straße und max. 1,30 m zwischen den Grundstücken. Die Beklagte hat mit diesen expliziten Bestimmungen einen positiven Planungswillen geäußert, der überdies für sämtliche im Plangebiet liegenden Grundstücke gilt. Damit soll nach eigenen Angaben der Beklagten im Ortsbild des allgemeinen Wohngebietes der Eindruck einer Einhausung einzelner Grundstücke vermieden werden. Auch für das Gericht ist aus den Bestimmungen erkennbar, dass die Plangeberin ersichtlich auch das Ziel verfolgte, eine Einmauerung der Grundstücke, die als unerwünscht empfunden wurde, zu verhindern. Der planerische Wille ist darauf gerichtet, im Plangebiet eine möglichst offene und unverbaute Grundstücksgestaltung zu schaffen. Der Annahme eines Grundzuges der Planung kann dabei auch nicht der klägerische Einwand entgegengehalten werden, dass es in der Umgebung zahlreiche abweichende Einfriedungen gebe. Ob eine entsprechende nachträgliche Befreiungspraxis der Plangeberin hierauf überhaupt Einfluss hat, wird uneinheitlich betrachtet, kann aber letztlich dahingestellt bleiben (offengelassen vgl. BayVGH, B.v. 26.7.2022 – 9 ZB 22.901 – BeckRS 2022, 19827 Rn. 11 m.w.N.; verneint vgl. BayVGH, B.v. 26.7.2018 – 2 ZB 17.1656 – BeckRS 2018, 18347 Rn. 3; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 152. EL Oktober 2023, BauGB, § 31 Rn. 37a ff. m.w.N.; bejaht vgl. BayVGH, B.v. 14.7.2016 – 1 ZB 15.443 – BeckRS 2016, 48870 Rn. 6). Denn eine entsprechende Befreiungspraxis ist jedenfalls hinsichtlich der Höhengrenzen nicht erkennbar. Etwaige Befreiungen von sonstigen Festsetzungen sind dabei von vornherein unbeachtlich. Hinsichtlich der Einfriedungen können ausweislich der Erkenntnisse des Augenscheintermins vom 20.12.2023 sowie der klägerisch vorgelegten Lichtbilder im Plangebiet zwar durchaus einige Abweichungen hinsichtlich Höhe, Ausführung und Materialität festgestellt werden. Für die Abweichungen wurde von der Plangeberin jedoch nach Angaben der Beklagten, die auch von der Klägerin nicht in Zweifel gezogen wurden, einzig im Fall des Grundstücks …-Straße … eine Befreiung erteilt. Obwohl tatsächlich ebenfalls höher als 1,00 m ausgeführt, hat die Plangeberin dabei ausdrücklich lediglich eine Befreiung hinsichtlich der Ausführung und dem Material beschlossen, nicht jedoch hinsichtlich der Höhe (vgl. Anlage B 6; Bl. 65 der Gerichtsakte). Eine entsprechende Befreiung hinsichtlich dem Material bot die Beklagte der Klägerin ebenfalls an und machte dabei gleichzeitig unter Bezug auf die weiteren Abweichungen deutlich, dass sie an ihren Festsetzungen zur Höhe der Einfriedungen festhalten werde. Der von der Klägerin geltend gemachte bloße Umstand, dass tatsächlich mehrere Einfriedungen höher als 1,00 m sind und gegen diese bauaufsichtlich nicht vorgegangen wurde, führt dagegen zu keinem Anspruch der Klägerin auf Erteilung einer Befreiung, sondern wäre allenfalls bei der Ermessensausübung hinsichtlich der etwaigen Beseitigungsanordnung zu berücksichtigen (vgl. VG München, U.v. 19.4.2012 – M 11 K 11.453 – BeckRS 2012, 50626), zumal die Beklagte nicht Rechtsträgerin der Bauaufsichtsbehörde ist und sich deren Handeln oder Unterlassen nicht ohne Weiteres zurechnen lassen muss.
37
Die beantragte Einfriedung berührt diesen Grundzug der Planung. Angesichts der straßenseitigen Höhe von 1,68 m überschreitet das Vorhaben die zulässige straßenseitige Höhe von 1,00 m erheblich, insbesondere auch im Vergleich mit den bereits im Plangebiet vorzufindenden vergleichbaren Abweichungen. Insoweit handelt es sich um eine bauliche Anlage, die das mit der Festsetzung verfolgte städtebauliche Ziel nachhaltig beeinträchtigt. Nach seiner Höhe gehört die Einfriedung ersichtlich zu denjenigen Einfriedungen, die die Plangeberin gerade nicht zulassen wollte, um den offenen Charakter der Grundstücke zu erhalten und die für die übrigen im Plangebiet liegenden Grundstücke als Bezugsfall eine negative Vorbildwirkung hätte.
III.
38
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO. Der Einräumung einer Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO hinsichtlich der Vollstreckung durch die Beklagte bedurfte es angesichts der allenfalls geringen vorläufig vollstreckbaren Aufwendungen der Beklagten nicht, zumal diese auch die Rückzahlung garantieren kann, sollte in der Sache eventuell eine Entscheidung mit anderer Kostentragungspflicht ergehen.