Titel:
Keine zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse hinsichtlich Tadschikistan
Normenketten:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 8
Leitsätze:
1. Nationale (zielstaatsbezogene) Abschiebungsverbote (§ 60 Abs. 5 und 7 AufenthG) unterfallen nicht dem europäischen Asylverfahrensregime; inlandsbezogene Abschiebungshindernisse werden nach nationalem Recht von der Ausländerbehörde geprüft. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Mit der Ablehnung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG wird keine Rückkehrentscheidung iSd Rückführungsrichtlinie getroffen, eine solche enthält vielmehr die Abschiebungsandrohung. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
keine Gewährung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5, oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG aufgrund der Entscheidung des EuGH vom, 15.02.2023 (C-484/22), Abschiebungsverbot, Tadschikistan, Asyl, Rückführungs-RL
Fundstelle:
BeckRS 2024, 39705
Tenor
1. Soweit die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird dieses eingestellt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens tragen die Klägerin zu 4/6 und die Beklagte zu 2/6.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der auf den streitig entschiedenen Teil des Verfahrens entfallenden Kosten (entspricht 1/6 des Klagebegehrens) vorläufig vollstreckbar. Insoweit darf die Klägerin die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet
Tatbestand
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Die Klägerin ist tadschikische Staatsangehörige und wurde im … 2023 als Tochter einer tadschikischen Mutter und eines iranischen Vaters in Deutschland geboren. Am 14.04.2023 wurde ein Asylantrag aufgrund der Antragsfiktion des § 14a des Asylgesetzes (AsylG) für gestellt erachtet.
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Mit Bescheid vom 08.07.2023 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Asylantrag der Klägerin vollumfänglich als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorlägen. Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 20.07.2023 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth. Sie beantragte zunächst, den Bescheid der Beklagten vom 08.07.2023, Geschäftszeichen … aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin als Asylberechtigte anzuerkennen, hilfsweise der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG, hilfsweise den subsidiären Schutz nach § 4 AsylG zuzuerkennen, hilfsweise festzustellen, dass die nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen.
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Mit Bescheid vom 25.10.2023 hob das Bundesamt die Ziffern 5 und 6 des Bescheides vom 08.07.2023 im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH vom 15.02.2023 in der Rs. C-484/22 auf und stimmte einer zu erwartenden Erledigungserklärung vorab zu. Der Bevollmächtigte der Klägerin erklärte die Klage daraufhin bezüglich dieser Punkte mit Schreiben vom 06.11.2023 für teilerledigt. Mit Schreiben vom gleichen Tag an das Bundesamt nahm der Bevollmächtigte der Klägerin für diese gegenüber dem Bundesamt den Asylantrag zurück und beantragte nochmals die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG. Mit Bescheid vom 05.04.2024 stellte das Bundesamt das Asylverfahren der Klägerin daraufhin ein und hob die Ziffern 1-3 des Bescheides vom 08.07.2023 auf. Mit Schreiben vom 10.04.2024 erklärte der Bevollmächtigte der Klägerin daraufhin die Klage auch in diesen Teilen für erledigt. Die Beklagte stimmte der Erledigungserklärung mit Schreiben vom 05.04.2024 zu und stellte mit Schreiben vom 10.07.2024 klar, dass die Vorabzustimmung auch evtl. Teil-Erledigungserklärungen der Gegenseite erfasse.
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Die Klägerin beantragt somit zuletzt,
festzustellen, dass die internationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen und den Bescheid vom 08.07.2023 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.
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Zur Begründung der Klage führt der Bevollmächtigte der Klägerin aus, bei der Klägerin handele es sich um ein Kleinkind. Die Eltern seien noch nicht verheiratet. Der Vater habe die Vaterschaft anerkannt und die Mutter habe dieser Anerkennung zugestimmt. Beide Elternteile übten das Sorgerecht gemeinsam aus. Der Vater habe die iranische Staatsangehörigkeit. Er sei im Verfahren nicht beteiligt worden. Anträge auf Umverteilung und Auszugsgenehmigung seien gestellt worden, um ein Zusammenwohnen der Familie zu ermöglichen. Die junge Familie halte sich zusammen am Wohnort der Mutter oder des Vaters der Klägerin auf. Mädchen würden in muslimisch geprägten Ländern wie Tadschikistan und Irak benachteiligt. Der Vater der Klägerin sei inzwischen im Besitz eines Aufenthaltstitels nach § 104c AufenthG.
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Die Beklagte sei aufgrund der Entscheidung des EuGH vom 15.02.2023 Az. C-484/22 verpflichtet, Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG festzustellen. Hierzu werde auf eine Entscheidung des VG Köln vom 14.07.2023 (Az.: 1 K 13865/17.A) verwiesen. Dem Antrag auf Umverteilung der Klägerin und ihrer Mutter zum Vater nach … sei mit Bescheid vom 02.11.2023 Folge geleistet worden.
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Die Beklagte beantragt,
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Zur Begründung führt die Beklagte aus, Art. 6 des Grundgesetzes (GG) gewähre keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt, enthalte aber die wertentscheidende Grundsatznorm, dass der Staat Familie zu schützen habe. Inwiefern der Vater der Klägerin sich an der Sorgerechtsausübung beteilige, sei nicht hinreichend dargelegt. Es sei davon auszugehen, dass die Klägerin ohne den Vater nach Tadschikistan zurückkehren werde, da dieser mit offenen Erfolgsaussichten sich dort zunächst erst ein Aufenthaltsrecht erstreiten müsse.
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Mit Kammerbeschluss vom 15.04.2024 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen.
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Mit Schreiben vom 18.04.2024 bzw. 10.07.2024 verzichteten die Beteiligten übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
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Ergänzend wird hinsichtlich des Sachverhalts auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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In der Sache kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil die Beteiligten übereinstimmend auf eine solche verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)).
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1. Soweit die Beteiligten die Klage übereinstimmend für erledigt erklärt haben (hinsichtlich der Anträge auf Zuerkennung von Asyl, Flüchtlingsschutz und subsidiären Schutz (Ziffern 1-3 des angegriffenen Bescheides) und hinsichtlich der Ziffern 5-6 des angegriffenen Bescheides) ist das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 S. 1 VwGO einzustellen.
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2. Hinsichtlich des Antrags auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG ist die Klage zwar zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
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Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Feststellung der nationalen Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
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2.1 Gem. § 60 Abs. 5 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Der Klägerin droht bei einer Rückkehr nach Tadschikistan keine Verletzung ihrer Rechte aus der EMRK.
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Hinsichtlich einer möglichen Verletzung der Rechte der Klägerin aus Art. 3 EMRK im Hinblick auf die humanitären Bedingungen in Tadschikistan wird auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Bescheid verwiesen, denen sich das Gericht anschließt. Die Mutter der Klägerin ist gesund und arbeitsfähig. Sie hat zudem Familie in Tadschikistan. Auch der in Deutschland lebende Vater der Klägerin könnte diese bei einer Rückkehr finanziell unterstützen, unabhängig davon, ob er mit der Klägerin nach Tadschikistan zurückkehrt, oder nicht. Dass Mädchen in muslimisch geprägten Ländern, wie vom Klägerbevollmächtigten vorgetragen, generell benachteiligt würden, führt nicht automatisch zu einer Behandlung, die die Rechte der Klägerin aus der EMRK verletzen würde.
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Auch eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 8 EMRK droht der Klägerin bei einer Rückkehr nach Tadschikistan nicht. Der Verweis auf die EMRK umfasst im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen („zielstaatsbezogene“ Abschiebungshindernisse) (BVerwG, U. v. 31. 1. 2013 – 10 C 15/12, NVwZ 2013, 1167 Rn. 35, beck-online). Eine andere Auslegung ist vorliegend auch aufgrund des Beschlusses des EuGH vom 15.02.2023 (C- 484/22), bei dem es um die Umsetzung der Rückführungsrichtlinie (2008/115/EG) geht, nicht vorzunehmen. Bei § 60 Abs. 5 AufenthG handelt es sich um ein nationales Abschiebungsverbot. Nationale Abschiebungsverbote (§ 60 Abs. 5 und 7 AufenthG) unterfallen nicht dem europäischen Asylverfahrensregime (NK-AuslR/Kabis, 3. Aufl. 2023, AsylG § 29 Rn. 7). Es besteht keine unionsrechtliche Verpflichtung, mitgliedstaatliches Recht, das von der Richtlinie nicht erfasst wird, richtlinienkonform auszulegen (Calliess/Ruffert/Ruffert, 6. Aufl. 2022, AEUV Art. 288 Rn. 85) (vgl. auch (VG München GB v. 6.3.2024 – M 10 K 24.30366, BeckRS 2024, 3857 Rn. 1, beck-online). Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse werden nach nationalem Recht von der Ausländerbehörde geprüft. Eine Rückkehrentscheidung i.S.d. Rückführungsrichtlinie wird mit der Ablehnung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG nicht getroffen, eine solche ist lediglich in der (hier aufgehobenen) Abschiebungsandrohung zu sehen.
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2.2 Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Auch hierbei handelt es sich um ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis (s.o.). Gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine solche Gefahr besteht für die Klägerin vorliegend bei einer Rückkehr nach Tadschikistan nicht. Gesundheitliche Probleme der Klägerin wurden nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich. Ergänzend wird hierzu auf die zutreffende Begründung des angegriffenen Bescheides verwiesen.
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3. Soweit die Klage abgewiesen wurde, trägt die Klägerin gem. § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens. Soweit das Verfahren aufgrund der Erledigungserklärungen der Beteiligten eingestellt wurde, richtet sich die Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO. Billigem Ermessen entspricht es dabei, dass die Klägerin die Kosten des Verfahrens trägt, soweit die Klage die Anerkennung als Asylberechtigte, auf Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes und des subsidiären Schutzes betrifft. Diese Anträge hatten keine Aussicht auf Erfolg. Die Klägerin hat ihren Asylantrag auch gegenüber der Beklagten zurückgenommen. Hinsichtlich der Ziffern 5 und 6 des angegriffenen Bescheides (Abschiebungsandrohung und Einreise- und Aufenthaltsverbot) hatte die Klage Aussicht auf Erfolg (vgl. B. v. 21.08.2023 im Eilverfahren B 3 S 23.30585). Die Beklagte hat diese Punkte des Bescheides auch aufgehoben. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beklagte insoweit die Kosten des Verfahrens trägt.
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Die Kosten des Verfahrens werden wie folgt gequotelt (§ 155 Abs. 1 VwGO): Die Klägerin trägt 1/6 (§ 60 Abs. 5 und 7 AufenthG, Ziffer 4 des angegriffenen Bescheides) + 3/6 (Asyl, Flüchtlingsschutz, subsidiärer Schutz, Ziffern 1-3 des angegriffenen Bescheides) und die Beklagte 2/6 (Ziffern 5 und 6 des angegriffenen Bescheides).
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Die vorläufige Vollstreckbarkeit im Hinblick auf den streitigen Teil der Entscheidung folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
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Soweit die Klage eingestellt wurde ist die Kostenentscheidung unanfechtbar (§ 80 AsylG, § 158 Abs. 2 VwGO). Am Grundsatz der Unanfechtbarkeit ändert sich auch dann nichts, wenn das Gericht bei einer Teilerledigung der Hauptsache die in analoger Anwendung des § 92 Abs. 3 S. 1 und nach § 161 Abs. 2 gebotene Entscheidung in dem Urteil trifft, in dem es im Übrigen zur Sache Stellung nimmt (BVerwG NVwZ-RR 1999, 407; NVwZ 1982, 372) (BeckOK VwGO/Zimmermann-Kreher, 69. Ed. 1.4.2024, VwGO § 161 Rn. 17).