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AG Nürnberg, Beschluss v. 05.11.2024 – 59 Gs 11714/24
Titel:

Beschlagnahme von Patientenunterlagen zum Nachweis des Abrechnungsbetrugs

Normenketten:
StGB § 263
StPO § 94, § 98
Leitsatz:
Die Beschlagnahme von Patientenunterlagen als Beweismittel zum Nachweis eines Abrechnungsbetrugs ist auch unter Berücksichtigung der Grundrechte der betroffenen Patienten grundsätzlich zulässig. (Rn. 10 – 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abrechnungsbetrug, Patientenunterlagen, Beschlagnahme, öffentliches Gesundheitswesen
Rechtsmittelinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 27.01.2025 – 12 Qs 60/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 39315

Tenor

Ermittlungsverfahren gegen Dr. ... S... geboren am ... wegen Betruges
Die auf Anordnung der Generalstaatsanwaltschaft N. bewirkte Beschlagnahme der folgenden Daten:
„Virtuelle Maschine „Medistar“ Praxis Dr. S...“
„Dateien aus Rechner Anmeldung“
wird gemäß §§ 94, 98 Abs. 2 StPO bestätigt.

Gründe

1
Aufgrund der bisherigen Ermittlungen, insbesondere den Angaben der KVB (EA Bl. 1–16) und dor durch sie vorgelegten Unterlagen (TEA I) sowie den polizeilichen Ermittlungen (insbesondere EA Bl. 53/54) besteht der folgende Tatverdacht:
2
Der Beschuldigte ist Allgemeinarzt und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Bis zum 29.04.2019 führte er eine Praxis unter der Anschrift des ... Seither betreibt er eine Praxis unter der Anschrift .... Er betreut im Rahmen einer Kooperationsvereinbarung Bewohner des Seniorenstifts ....
3
Es besteht der Verdacht, dass der Beschuldigte im Zeitraum der Quartale 3/2019 bis 3/2021 im Rahmen seiner Quartalsabrechnungen zahlreiche, im Einzelnen noch nicht abschließend bekannte Behandlungen gegenüber der KVB abrechnete, die er tatsächlich nicht oder nicht vollständig erbracht hatte und die deshalb, – wie der Beschuldigte auch wusste – nicht abrechnungsfähig waren.
4
Um gleichwohl eine vollständige Auszahlung der ihm in dem geltend gemachten Umfang nicht zustehenden Vergütung zu erreichen, versicherte er in den Sammelerklärungen, weiche den Quartalsabrechnungen jeweils beigefügt waren, bewusst wahrheitswidrig, sämtliche abgerechneten Leistungen den vertragsärztlichen Vorschriften entsprechend vollständig erbracht zu haben.
5
Derart getäuscht veranlasste der Jeweils zuständige Mitarbeiter der KVB im Vertrauen auf die Richtigkeit der Angaben und die vollständige Abrechenbarkelt der Leistungen jeweils die ungekürzte Auszahlung des sich aus der Abrechnung ergebenden Betrages an den Beschuldigten, wodurch der KVB in Höhe der zu Unrecht abgerechneten Leistungen ein entsprechender, der Höhe nach noch zu ermittelnder Schaden entstand.
6
Dem Beschuldigten wuchs hierdurch, worauf es ihm angekommen war, ein entsprechender Vorteil in Höhe der zu Unrecht abgerechneten Beträge zu, auf den er – wie er wusste – keinen Anspruch hatte.
7
Der Beschuldigte handelte jeweils in der Absicht, sich durch die wiederholte Tatbegehung eine Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen.
8
Dies Ist strafbar als Betrug in 9 Fällen gemäß §§ 263 Abs. 1, Abs. 3 S. 2 Nr. 1, 53 StGB.
9
Die oben genannten Gegenstände können als Beweismittel von Bedeutung sein.
10
Die angeordnete/n Maßnahme/n steht/stehen in angemessenem Verhältnis zur Schwere der Tat und zur Stärke des Tatverdachts und ist/sind für die Ermittlungen notwendig.
11
Die Grundrechte der betroffenen Patienten, Insbesondere deren Grundrechte auf Achtung ihres privaten Bereichs (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. I Abs. 1 GG), die durch die Beschlagnahme der Patientenunterlagen betroffen sind, sowie die korrespondierenden schutzwürdigen Interessen des Beschuldigten als Berufsgeheimnisträger (§ 53 StPO) haben gegenüber den Belangen der geordneten Strafrechtspflege und der dadurch verwirklichten Wiederherstellung des Rechtsfriedens zurückzutreten, zumal es sich vorliegend um Delikte handelt, die weder aufgrund des gesetzlichen Strafrahmens noch aufgrund der nach derzeitigem Aktenstand ersichtlichen Begehungsweise als Bagatellstraftaten oder Straftaten geringen Unrechtsgehalts einzuordnen sind (BVerfG, Urteil vom 02.03.2006 – 2 BvR 2099/04) und zudem das Funktionieren des öffentlichen Gesundheitswesens, welches durch die vorbezeichneten Taten beeinträchtigt wurde, einen herausragenden Belang des Allgemeinwohls darstellt (BVerfG, Beschluss vom 20.03.2001, 1 BvR 491/96).