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OLG München, Hinweisbeschluss v. 28.10.2024 – 10 U 2834/24 e
Titel:

Zulässige Verweisung auf preiswertere Reparaturmöglichkeit

Normenkette:
BGB § 249
Leitsätze:
Kann die Schädigerseite die zumutbare Möglichkeit der Inanspruchnahme einer preiswerteren Werkstatt ausreichend darlegen und notfalls beweisen, ist auf der Grundlage der preiswerteren Reparaturmöglichkeit abzurechnen. (redaktioneller Leitsatz)
Eine Verweisung auf eine kostengünstigere Reparaturmöglichkeit bei fiktiver Abrechnung ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Geschädigte sein Fahrzeug unrepariert veräußert und eine Ersatzbeschaffung vorgenommen hat. Denn das wäre eine unzulässige Vermischung der Grundsätze von fiktiver und konkreter Abrechnung. (Leitsatz der Redaktion) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, Kfz-Sachschaden, Reparatur, Werkstatt
Fundstellen:
FDStrVR 2025, 939040
BeckRS 2024, 39040

Tenor

Die Berufung der Beklagten hat vorbehaltlich einer ergänzenden Beweisaufnahme, in der ein mündliches Sachverständigengutachten zur Frage der Gleichwertigkeit der benannten Referenzwerkstätte und zur Frage der Höhe der Stundenverrechnungssätze und Materialkosten zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung zu erholen sein wird, vorläufig Aussicht auf Erfolg.
Das Erstgericht hat es versäumt, ein ergänzendes Sachverständigengutachten zu erholen und dem Kläger insoweit in rechtlicher Hinsicht unzutreffend – vorbehaltlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme – gegenüber der Beklagten einen Anspruch nach §§ 7, 17 StVG, 115 VVG auf Zahlung eines Betrages in Höhe von 5.223,17 € infolge des Verkehrsunfallgeschehens vom 21.07.2023 gegen 17:30 Uhr in der Münchener Straße in Pfaffenhofen a. d. Ilm zuerkannt.
1. Nach dem in § 249 BGB normierten Grundsatz der Naturalrestitution hat der Geschädigte zwei Möglichkeiten der Schadensbeseitigung, die Reparatur der Sache oder die Anschaffung einer Ersatzsache (zur Ersatzbeschaffung als Form der Naturalrestitution, BGH, NJW 2005, 1108). Im Rahmen der ihm zustehenden Dispositionsfreiheit ist er berechtigt, Art und Mittel der Schadensbehebung grundsätzlich selbst zu bestimmen (vgl. BGH, Urteil vom 29.04.2003 – VI ZR 393/02, VersR 2003, 918; Urteil vom 09.06.2009 – VI ZR 110/08, NJW 2009, 3022; Senat, Urteil vom 14.09.2017 – 4 U 82/16, RuS 2018, 329; Beschluss vom 02.03.2021 – 4 U 65/20), wobei er grundsätzlich m Rahmen des ihm Zumutbaren und unter Berücksichtigung seiner individuellen Lage die Form der Schadensbeseitigung zu wählen hat, die den geringeren Aufwand erfordert. Nur der für diese Art der Schadensbehebung nötige Geldbetrag ist i.S.d. § 249 II 1 BGB zur Herstellung erforderlich (Wirtschaftlichkeitspostulat, vgl. BGH, Urt. v. 9.6.2009 – VI ZR 110/08, BGHZ 181, 242 Rz. 13 f.; BGH, Urt. v. 17.10.2006 – VI ZR 249/05, BGHZ 169, 263 Rz. 11; BGH, Urt. v. 5.2.2013 – VI ZR 363/11, VersR 2013, 471 Rz. 11; BGH, Urt. v. 29.10.2019 – VI ZR 45/19, VersR 2020, 174 Rz. 9; BGH, ZIP 2022, 488, 489). Das Wahlrecht des Geschädigten findet zudem seine Schranke an dem Verbot, sich durch Schadensersatz zu bereichern (vgl. BGH, Urteil vom 15. Februar 2005 – VI ZR 70/04 –, BGHZ 162, 161-169, Rn. 10). „In den durch das Wirtschaftlichkeitsgebot und das Verbot der Bereicherung durch Schadensersatz gezogenen Grenzen ist der Geschädigte grundsätzlich frei in der Wahl und in der Verwendung der Mittel zur Schadensbehebung (vgl. Senatsurteile BGHZ 154, 395, 397 f. und vom 20. Juni 1989 – VI ZR 334/88 – VersR 1989, 1056 f. m.w.N.; Weber, VersR 1990, 934, 938 ff.; Steffen, NZV 1991, 1, 2; ders. NJW 1995, 2057, 2059 f.).“ (BGH, a.a.O. Rn. 11).
2. Das Erstgericht hat auch richtig dargestellt, dass das Witschaftlichkeitspostulat bzw. das Verbot der Bereicherung eine Konkretisierung in dem sog. „Vier-Stufen-Modell“ des BGH (vgl. Looschelders, ZfSch 2023, 364, 366 m.w.N.) erfährt: Auf der ersten Stufe liegt der Reparaturaufwand nicht über dem Wiederbeschaffungsaufwand, auf der zweiten Stufe bewegt sich der Reparaturaufwand zwischen Wiederbeschaffungsaufwand und Wiederbeschaffungswert, auf der dritten Stufe ist der Reparaturaufwand bis zu 30% über dem Wiederbeschaffungsaufwand und auf der vierten und letzten Stufe gehen Reparaturkosten und Wertminderung um mehr als 30% über den Wiederbeschaffungswert hinaus.
3. Zutreffend ist auch, dass sich der Geschädigte bei der Entscheidungsfindung, welche Form der Schadensbehebung in Betracht kommt bzw. auf welcher Stufe des „Vier-Stufen-Modells“ er sich befindet, grundsätzlich auf die Reparaturkostenkalkulation in dem Gutachten eines Sachverständigen verlassen darf. Etwas anderes gilt nur dann, wenn dem Geschädigten bei der Beauftragung des Sachverständigen ausnahmsweise ein (Auswahl-) Verschulden zur Last fällt oder für ihn aus sonstigen Gründen gegenüber dem Gutachten Anlass zu Misstrauen besteht (vgl. BGH, Urteil vom 6. April 1993 – VI ZR 181/92 –, Rn. 12, mit Verweis auf BGH, Urteile vom 20. Juni 1972 – VI ZR 61/71 – VersR 1972, 1024, 1025 und vom 21. Januar 1992 = aaO S. 458; zum Prognoserisiko allgemein s. BGHZ 63, 182, 185 f; 115, 364, 370; zur Schadensabrechnung auf Gutachtenbasis vgl. Senatsurteil vom 20. Juni 1989 – VI ZR 334/88 – VersR 1989, 1056, 1057).
a) Bezogen auf den streitgegenständlichen Fall ist daher im Ausgangspunkt zutreffend, dass der Kläger auf der Basis des vorliegenden Sachverständigengutachtens berechtigt war, nachdem ein Fall der zweiten Stufe des vom BGH entwickelten „Vier-Stufen-Modells“ vorlag (die Reparaturkosten von 11.849,58 € brutto lagen unterhalb des Wiederbeschaffungswerts (15.000,00 €), aber über dem Wiederbeschaffungsaufwand (11.000,00 €)), fiktiv nach dem Wiederbeschaffungsaufwand abzurechnen.
b) Die Beklagtenseite wendet aber zu Recht ein, dass der Geschädigte bei der fiktiven Abrechnung immer auf die wirtschaftlichste Art der Schadensbehebung beschränkt ist. Der BGH hat hierzu dargelegt, dass der Geschädigte zwar grundsätzlich, sofern die Voraussetzungen für eine fiktive Schadensberechnung vorliegen, dieser die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen darf, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat. (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2013 – VI ZR 24/13 –, Rn. 9, juris) Die Verweisung des Schädigers auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit ist aber deshalb zulässig, „weil die Angaben des Sachverständigen in seinem Gutachten zur Höhe der voraussichtlich anfallenden Reparaturkosten keinesfalls stets verbindlich den Geldbetrag bestimmen, der im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zur Herstellung erforderlich ist. Bei fiktiver Abrechnung ist der objektiv zur Herstellung erforderliche Betrag ohne Bezug zu tatsächlich getätigten Aufwendungen zu ermitteln. Der Geschädigte, der nicht verpflichtet ist, zu den von ihm tatsächlich veranlassten oder auch nicht veranlassten Herstellungsmaßnahmen konkret vorzutragen, disponiert hier dahin, dass er sich mit einer Abrechnung auf einer objektiven Grundlage zufrieden gibt. Hinweise der Schädigerseite auf Referenzwerkstätten dienen dazu, der Behauptung des Geschädigten entgegenzutreten, der vom Sachverständigen ermittelte Betrag gebe den zur Herstellung erforderlichen Betrag zutreffend wieder (vgl. Senatsurteil vom 14. Mai 2013 – VI ZR 320/12, VersR 2013, 876 Rn. 11). Kann die Schädigerseite die zumutbare Möglichkeit der Inanspruchnahme einer preiswerteren Werkstatt ausreichend darlegen und notfalls beweisen, ist auf der Grundlage der preiswerteren Reparaturmöglichkeit abzurechnen. […] Eine abweichende Betrachtung würde dazu führen, dass der Geschädigte an dem Schadensfall verdient, was dem Verbot widerspräche, sich durch Schadensersatz zu bereichern (vgl. dazu Senatsurteile vom 29. April 2003 – VI ZR 393/02, BGHZ 154, 395, 397 f.; vom 15. Februar 2005 – VI ZR 70/04, BGHZ 162, 161, 164 f.; vom 7. Juni 2005 – VI ZR 192/04, BGHZ 163, 180, 184; vom 6. März 2007 – VI ZR 120/06, BGHZ 171, 287 Rn. 6; vom 22. September 2009 – VI ZR 312/08, VersR 2009, 1554 Rn. 7; vom 18. Oktober 2011 – VI ZR 17/11, VersR 2011, 1582 Rn. 6, 8; vom 5. Februar 2013 – VI ZR 363/11, VersR 2013, 471 Rn. 11 = r + s 2013, 203 m. Anm. Lemcke, dazu auch Schneider, jurisPR-VerkR 6/2013 Anm. 1).“ (BGH, a.a.O., Rn. 10 f., juis).
c) Hieran ändert auch entgegen der Auffassung des Erstgerichts der Umstand, dass der Kläger sein Fahrzeug bereits vor Erhalt des Prüfberichts der Beklagten (vgl. Anlage B 1) zu dem im Sachverständigengutachten ausgewiesenen Restwert veräußert und eine Ersatzbeschaffung vorgenommen hat, nichts. Das Erstgericht verkennt insoweit, worauf die Beklagte zu Recht hinweist, dass der Kläger den Wiederbeschaffungsaufwand fiktiv abrechnet und gerade nicht zu einer konkreten Abrechnung übergegangen ist. Die Argumentation des Erstgerichts, wonach eine Verweisung auf eine kostengünstigere Reparaturmöglichkeit ausgeschlossen sein soll, da der Kläger sein Fahrzeug bereits veräußert hat und insoweit über dieses disponiert hat, stellt – wie die Beklagte richtig anmerkt – eine unzulässige Vermischung der Grundsätze von fiktiver und konkreter Abrechnung dar.
aa) Nach der Rechtsprechung des BGH ist eine Kombination von konkreter und fiktiver Schadensabrechnung unzulässig (vgl. BGH, Urteil vom 12. Oktober 2021 – VI ZR 513/19 –, Rn. 18, juris mit Verweis auf BGH, Urteile vom 15. Februar 2005 – VI ZR 172/04, BGHZ 162, 170, juris Rn. 16; vom 15. November 2005 – VI ZR 26/05, BGHZ 164, 397, juris Rn. 5; vom 2. Oktober 2018 – VI ZR 40/18, VersR 2018, 1530 Ls, Rn. 7; vom 13. September 2016 – VI ZR 654/15, VersR 2017, 115 Ls 2, Rn. 10, 17; vom 17. Oktober 2006 – VI ZR 249/05, BGHZ 169, 263, juris Rn. 15; vom 15. Juli 2003 – VI ZR 361/02, VersR 2004, 1575, juris Rn. 9; vom 30. Mai 2006 – VI ZR 174/05, VersR 2006, 1088 Rn. 11; vom 24. Januar 2017 – VI ZR 146/16, VersR 2017, 440 Rn. 5, 7; Freymann, jM 2014, 62, 63; ders., DAR 2017, 607 ff.). Während die konkrete Schadensabrechnung an eine tatsächlich durchgeführte Reparatur oder Ersatzbeschaffung anknüpft und auf Ersatz der hierfür konkret angefallenen Kosten abzielt (BGH, a.a.O., Rn. 19, juris m.w.N.), ist bei der fiktiven Abrechnung der objektiv zur Herstellung erforderliche Betrag ohne Bezug zu tatsächlich getätigten Aufwendungen zu ermitteln (BGH, a.a.O.).
bb) ] Für den Geschädigten, der wie im vorliegenden Fall, „fiktiv abrechnet, ist es im Prinzip unerheblich, ob und wann der Versicherer auf die alternative Reparaturmöglichkeit verweist. [… Der Geschädigte disponiert dahin, dass er sich mit einer Abrechnung auf dieser objektiven Grundlage zufrieden gibt. Hinweise der Schädigerseite auf Referenzwerkstätten dienen hier nur dazu, der in dem vom Geschädigten vorgelegten Sachverständigengutachten vorgenommenen Abrechnung entgegenzutreten.“ (BGH, Urteil vom 14. Mai 2013 – VI ZR 320/12 –, Rn. 11, juris) III. Wie bereits Eingangs dargestellt, wäre daher ein mündliches Sachverständigengutachten zur Frage der Gleichwertigkeit der benannten Referenzwerkstätte und zur Frage der Höhe der Stundenverrechnungssätze und Materialkosten zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung zu erholen. Der Senat weist insoweit darauf hin, dass derzeit nicht abgeschätzt werden kann, ob und wenn ja, wie sich – im Falle der Gleichwertigkeit der genannten Referenzwerkstätte – die Höhe der Stundenverrechnungssätze und die Höhe der Materialkosten bei der Referenzwerkstätte infolge der allgemeinen inflationären Entwicklung zum Zeitpunkt der maßgeblichen letzten Tatsachenverhandlung, die infolge des vollen Terminkalenders des Senats voraussichtlich nicht vor Juni 2025 stattfinden kann, verändert haben werden. Zur Risikominimierung auf beiden Seiten und zur Vermeidung der erforderlichen ergänzenden Beweisaufnahme, unterbreitet der Senat den Parteien daher den folgenden VERGLEICHSVORSCHLAG 1. In Abänderung von Ziffer 1 des Endurteils des LG Ingolstadt vom 25.07.2024, Az.: 73 O 1880/23 V zahlt die Beklagte an den Kläger 2.611,58 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 26.10.2023.
2. In Abänderung von Ziffer 2 des Endurteils des LG Ingolstadt vom 25.07.2024, Az.: 73 O 1880/23 V zahlt die Beklagte an den Kläger 973,66 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 19.01.2024.
3. Die Kosten des Rechtsstreits und dieses Vergleichs werden gegeneinander aufgehoben.
IV. Falls die Parteien diesen Vergleich annehmen wollen, mögen sie dies durch Anwaltsschriftsatz gegenüber dem Senat bis zum 15.11.2024 erklären.
Der Senat wird anschließend gem. § 278 VI 2 ZPO das Zustandekommen und den Inhalt des Vergleichs im Beschlusswege feststellen.
V. Der Senat beabsichtigt den Streitwert des Berufungsverfahrens und den Gegenstandswert des Vergleichs auf 5.223,17 € festzusetzen.
Für die Richtigkeit der Abschrift München, 30.10.2024