Titel:
Nicht geringe Menge, Berufungshauptverhandlung, Freiheitsstrafe, Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, Tateinheit, Persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse, Notwendige Auslagen, Strafzumessungstatsachen, Kostenentscheidung, Wirkstoffgehalt, ärztliche Verordnung, Vorverurteilung, Wertersatz, Feststellungen zum Sachverhalt, Gesamtfreiheitsstrafe, Tetrahydrocannabinol, Rechtsfolgenausspruch, Schuldangemessenheit, Ergänzende Feststellungen, Aufhebung
Schlagworte:
Betäubungsmittelbesitz, Eigenkonsum, Strafzumessung, Bewährungsstrafe, Cannabisabhängigkeit, ärztliche Verschreibung, Einziehung
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Beschluss vom 08.01.2025 – 206 StRR 414/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 38914
Tenor
I. Auf die Berufung des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts München vom 26.10.2022 (Az. 1033 Ds 470 Js 108809/21) wie folgt neu gefasst:
1. Der Angeklagte wird wegen Besitzes von Cannabis von mehr als 60 Gramm in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.
Die weitergehende Berufung des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
2. Der Angeklagte trägt die Kosten seiner Berufung sowie die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich seiner notwendigen Auslagen mit der Maßgabe, dass die Berufungsgebühr auf 4/5 ermäßigt wird und der Angeklagte hinsichtlich seiner notwendigen Auslagen einen Anteil in gleicher Höhe trägt, die im Übrigen der Staatskasse zur Last fallen.
Angewandte Vorschriften: §§ 1 Nrn. 4 und 8, § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 2 Nr. 1, § 34 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) KCanG, § 1 Abs. 1 i. V. m. Anl. III, § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG, § 52 StGB
Entscheidungsgründe
1
Das Amtsgericht München verurteilte den Angeklagten am 26.10.2022 wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (06.10.2021: 72,17 g Marihuana, 1,64 g Amphetamin, 502 Hartkapseln Ritalin und 56 Tabletten Tilidin) in Tatmehrheit mit unerlaubtem gewerbsmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln (10.01.2022: 38,57 g Marihuana) zur Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Des Weiteren wurde die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 3.700,00 € angeordnet.
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Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 27.10.2022, bei Gericht eingegangen am 02.11.2022, Berufung ein.
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Das Landgericht stellte im Urteil vom 05.03.2024 folgenden Sachverhalt fest:
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1. Seit einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt vor dem 06.10.2021 bewahrte der Angeklagte in seiner Wohnung, 72,17 g Marihuana und 502 Hartkapseln Ritalin wissentlich und willentlich auf.
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Nicht ausschließbar waren die Betäubungsmittel ausschließlich für den Eigenkonsum des Angeklagten vorgesehen.
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Das Marihuana hatte mindestens einen Wirkstoffgehalt von 15,9% Tetrahydrocannabinol, also mindestens 11,4 g Tetrahydrocannabinol.
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220 der Ritalin-Kapseln hatten einen Wirkstoffgehalt von 10 mg Methylphenidat je Tablette, also insgesamt 2,2 g Methylphenidat. 282 der Ritalin-Kapseln hatten einen Wirkstoffgehalt von 30 mg Methylphenidat je Tablette, also insgesamt 8,46 g Methylphenidat. Alle Tabletten zusammen hatten daher 10,66 g Methylphenidat.
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Der Angeklagte ließ sich von Ärzten seit vielen Jahren Ritalin verschreiben. Laut den ärztlichen Verordnungen sollte der Angeklagte täglich 1 Kapsel mit 30 mg und 1 Kapsel mit 10 mg Methylphenidat einnehmen. Er erhielt zu diesem Zweck ärztliche Rezepte für 2 × 28 Stück Ritalin 30 mg, sowie 60 Stück Ritalin 10 mg. Ab Vollendung des 16. Lebensjahres nahm der Angeklagte die Ritalin-Kapseln jedoch nicht mehr entsprechend den ärztlichen Verordnungen ein, sondern hortete die verschriebenen Medikamente in der Absicht, einen ausreichenden Vorrat zu haben, sollte ihm irgendwann einmal seitens seiner Ärzte kein Ritalin mehr verschrieben werden.
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Die jeweils bereits gehorteten Ritalin-Kapseln verschwieg er den behandelnden Ärzten, weil ihm klar war, dass diese ihm weiteres Ritalin sonst nicht verschrieben hätten.
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Dadurch, dass der Angeklagte jeweils seinen Vorrat an Ritalin gegenüber den behandelnden Ärzten verschwieg, machte er vor jeder Verschreibung unrichtige oder unvollständige Angaben, um eine ärztliche Verschreibung des Betäubungsmittels Ritalin zu erlangen. Er machte sich damit jeweils des Erschleichens einer Betäubungsmittelverschreibung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 9 BtMG strafbar.
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Wie der Angeklagte wusste, besaß er nicht die für den Umgang mit Betäubungsmitteln einschließlich Cannabis erforderliche Erlaubnis.
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2. Am 10.01.2022 kurz vor 16:35 Uhr kaufte und übernahm der Angeklagte für 250,00 € in München von einem unbekannten Verkäufer 24,99 g Marihuana, nicht ausschließbar ausschließlich für den Eigenkonsum.
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Weiterhin lagerte der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt in seiner Wohnung in der in München weitere 12,82 g Marihuana, welche ebenfalls nicht ausschließbar ausschließlich für den Eigenkonsum bestimmt waren.
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Das Marihuana hatte insgesamt einen Wirkstoffgehalt von mindestens 14,1%.
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Die am 10.01.2022 gekauften 24,99 g Marihuana hatten damit eine Wirkstoffmenge von mindestens 3,5235 g Tetrahydrocannabinol, die in der Wohnung gelagerten weiteren 12,82 g Marihuana hatten damit eine Wirkstoffmenge von mindestens 1,8076 g Tetrahydrocannabinol, insgesamt somit 5,331 g Tetrahydrocannabinol.
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Wie der Angeklagte wusste, besaß er nicht die für einen Erwerb von Cannabis erforderliche Erlaubnis.
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Gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 05.03.2024 legte der Angeklagte Revision ein. Mit Beschluss vom 11.06.2024 entschied das BayObLG:
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 5. März 2024 mit den dazu gehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen der Tat vom 10. Januar 2022 … verurteilt worden ist.
II. Der Schuldspruch hinsichtlich der Tat vom 6. Oktober 2021 … wird mit der zugehörigen Liste der angewandten Strafvorschriften wie folgt geändert:
„Der Angeklagte ist schuldig des Besitzes von mehr als 60 Gramm in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln.
Angewandte Vorschriften: §§ 1 Nrn. 4 und 8, § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 2 Nr. 1, § 34 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) KCanG, § 1 Abs. 1 i. V. m. Anl. III, § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG, § 52 StGB"
III. Aufgehoben wird auch der Rechtsfolgenausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen mit Ausnahme derjenigen, die der Bestimmung der Einzelstrafe für die Tat vom 6. Oktober 2021 zugrunde liegen.
IV. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
V. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts München I zurückverwiesen.
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In der neuerliche Berufungsverhandlung wurde von der Strafverfolgung hinsichtlich der Tat vom 10.01.2022 gemäß § 154 II StPO abgesehen.
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Infolge der Entscheidung des BayObLG vom 11.06.2024 wurden die Feststellungen zur Tat vom 6. Oktober 2021 bindend und erwuchs der Schuldspruch in der vom BayObLG korrigierten Fassung in Rechtskraft. Zu entscheiden war daher nur noch über die Rechtsfolgen hinsichtlich der Tat vom 6. Oktober 2021.
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Der Angeklagte bestätigte die bereits früher gemachten Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen im Wesentlichen:
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1. Die getroffenen Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen insbesondere zum schulischen und beruflichen Werdegang, den Familien- und Wohnverhältnissen, zu den wirtschaftlichen Verhältnissen, zum Gesundheitszustand, zum Konsum von Alkohol, Medikamenten, Nikotin und illegalen Drogen, beruhen auf den glaubwürdigen Angaben des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung.
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Die Feststellungen zu den Vorverurteilungen des Angeklagten beruhen auf der in der Berufungshauptverhandlung verlesenen Auskunft aus dem Bundeszentralregister vom 27.02.2024.
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Die ergänzenden Feststellungen zu diesen Verurteilungen beruhen auf den in der Berufungshauptverhandlung insoweit verlesenen Strafbefehlen und Urteilen.
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2. Die Feststellungen zum Sachverhalt vom 6. Oktober 2021 wurden aufgrund des geschilderten Prozessverlaufs bindend.
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Gleichwohl war der Angeklagte der Auffassung er müsse freigesprochen werden und verstehe nicht, dass er sich strafbar gemacht habe. Das begründete er, wie schon bei seiner früheren Einlassung damit, dass er das Ritalin von Ärzten verschrieben bekommen habe, und zwar zur Einnahme von täglich einer Kapsel mit 10 mg und einer Kapsel mit 30 mg. Früher hätten Ärzte nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres Ritalin verschrieben. Deshalb habe er seit Vollendung des 16. Lebensjahres damit begonnen, das ihm verschriebene Ritalin nicht mehr vollständig einzunehmen, sondern für die Zukunft zu sammeln. Er habe nie Lust gehabt, Ritalin einzunehmen, deswegen habe er weniger als verschrieben eingenommen und den Rest gesammelt. Eine Weitergabe an andere Personen sei von ihm nie beabsichtigt gewesen und auch nicht erfolgt.
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Der Angeklagte ist daher schuldig des Besitzes von mehr als 60 Gramm in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln gemäß §§ 1 Nrn. 4 und 8, § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 2 Nr. 1, § 34 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) KCanG, § 1 Abs. 1 i. V. m. Anl. III, § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG, § 52 StGB.
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Bei einem Grenzwert von 7,5 g Tetrahydrocannabinol entsprechen die 11,4 g Marihuana des Vorfalls vom 06.10.2021 152% des Grenzwertes der nicht geringen Menge.
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Die 10,66 g Methylphenidat des Vorfalls vom 06.10.2021 entsprechen bei einem Grenzwert der nicht geringen Menge von 15 g 71% der nicht geringen Menge.
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Beide Betäubungsmittel zusammen entsprechen 223% des Grenzwertes der nicht geringen Menge.
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Nach einer Gesamtwürdigung aller relevanten Strafzumessungstatsachen kommt die Strafkammer zur Überzeugung, dass nicht der Strafrahmen des § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG zur Anwendung kommt, sondern der des § 29 Abs. 1 BtMG, der keine Mindesstrafe vorsieht.
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Hierfür sprechen insbesondere folgende Umstände:
- Es handelte sich zum Teil um Marihuana, das den größeren Anteil am Überschreiten des Grenzwertes der nicht geringen Menge hatte.
- Der Angeklagte hatte den Sachverhalt eingeräumt.
- Die verfahrensgegenständlichen Betäubungsmittel wurden sichergestellt, der Angeklagte war mit deren formloser Einziehung einverstanden.
- Der Angeklagte wurde noch nie zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
- Die Tat liegt inzwischen 3 Jahre zurück.
- Die Vorverurteilung BZR Nr. 2 wird möglicherweise in absehbarer Zukunft rückwirkend getilgt.
- Beim Angeklagten besteht eine diagnostizierte Cannabisabhängigkeit.
- Dem Angeklagten wird inzwischen medizinisches Cannabis ärztlicherseits verschrieben.
- Der Angeklagte hat nicht ausschließbar Schwierigkeiten beim Erwerb der Fahrerlaubnis.
- Zum Tatzeitpunkt hatte der Angeklagte 2 Vorverurteilungen, eine davon wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz, die allerdings möglicherweise in absehbarer Zeit rückwirkend getilgt wird. Diese Vorverurteilung wurde daher bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt.
- Nach dem hier verfahrensgegenständlichen Tatzeitpunkt hat der Angeklagte 3 weitere Straftaten begangen, wegen denen er inzwischen rechtskräftig verurteilt ist.
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Im Rahmen der konkreten Strafzumessung waren die vorgenannten Gründe erneut gegeneinander abzuwägen. Nach Überzeugung der Strafkammer war daher eine Freiheitsstrafe von 8 Monaten tat- und schuldangemessen, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden konnte.
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Die Kammer geht davon aus, dass sich der Angeklagte die erstmalige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe zur Warnung dienen lassen wird und künftig nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung tritt, § 56 I StGB.
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Die Voraussetzungen für eine Unterbringung gemäß § 64 StGB lagen nach wie vor nicht vor.
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Der Angeklagte bezieht und konsumiert seit Juni 2022 ärztlich verschriebenes medizinisches Cannabis.
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Unter diesen Umständen war eine Unterbringung des Angeklagten zur Entwöhnung von Cannabisprodukten nicht erfolgversprechend.
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Die Voraussetzungen für eine Einziehung von Wertersatz lagen nicht vor.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 und 4 StPO.