Titel:
Grenzen der Anpassung einer fiktiven Schadensabrechnung an zwischenzeitliche Preissteigerungen
Normenkette:
BGB § 249
Leitsatz:
Schadensersatzforderungen auf Basis einer fiktiven Reparaturkostenberechnung können nicht zeitlich unbegrenzt gestützt auf möglicherweise eingetretene Preissteigerungen beliebig korrigiert werden kann. Die gilt jedenfalls dann, wenn das Fahrzeug vor Eintritt der Preissteigerungen tatsächlich repariert worden ist und daher die Geschädigte von den Preissteigerungen im konkreten Schadensfall schon gar nicht mehr betroffen sein kann. (Rn. 16 – 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
fiktive Abrechnung, Anpassung, Preissteigerungen
Vorinstanz:
AG Nürnberg vom -- – 246 C 7290/23
Fundstelle:
BeckRS 2024, 38904
Tenor
Die Kammer weist die Parteien zu den Erfolgsaussichten der eingelegten Berufung auf folgendes hin:
Entscheidungsgründe
1
Die Klägerin nimmt die Beklagte nach einem Verkehrsunfall am 19.05.2022 in N. noch auf Zahlung von weiterem Schadensersatz für fiktive Nettoreparaturkosten, merkantile Wertminderung, Sachverständigenkosten und Mietwagenkosten nebst Zinsen sowie weitere vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Anspruch. Die alleinige Haftung der Beklagtenseite ist unstreitig.
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Das Fahrzeug wurde im Zeitraum vom 20.05.2022 bis 07.06.2022 vollständig repariert (vgl. Reparaturbestätigung, Anlage K3).
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Mit der vorgerichtlichen Schadensbezifferung vom 07.06.2022 (Anlage K5) machte die Klägerin zunächst einen Betrag in Höhe von 19.665,61 € – unter Bezifferung der Nettoreparaturkosten gemäß Gutachten (Anlage K2) mit 12.080,81 € – geltend. Die Beklagte bezahlte hierauf zunächst (auf Totalschadensbasis) gemäß Schreiben vom 28.06.2022 (Anlage K6) einen Betrag von insgesamt 9.078,14 €. Mit Schreiben vom 20.12.2022 (Anlage K9) ließ die Klägerin der Beklagten insbesondere einen Nachweis über die Weiterbenutzung des reparierten Fahrzeugs übermitteln, woraufhin die Beklagte gemäß Schreiben vom 24.01.2023 eine weitere Zahlung auf die Nettoreparaturkosten und eine merkantile Wertminderung erbrachte. Insgesamt bezahlte die Beklagte vorgerichtlich vor dem 05.05.2023 für Nettoreparaturkosten einen Betrag in Höhe von 11.943,86 € und auf eine merkantile Wertminderung einen Betrag in Höhe von 798,32 € (vgl. Klageschrift, Seite 5, Bl. 5 d.A.; Anlage K16).
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Mit Schreiben vom 05.05.2023 erhöhte die Klägerin die geforderten Nettoreparaturkosten unter Berufung auf Preissteigerungen (vgl. Anlage K16) auf 14.213,62 €.
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Bei der merkantilen Wertminderung streiten die Parteien darum, ob von dem insoweit anzusetzenden Betrag von 950,00 € brutto der Mehrwertsteueranteil von 151,68 € abzuziehen ist.
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Hinsichtlich der Sachverständigenkosten streiten die Parteien um eine Differenz von 35,80 €, die sich zusammensetzt aus streitigen Fahrtkosten des Sachverständigen in Höhe von 20,80 € und eine Differenz von 15,00 € bei den Schreibauslagen (vgl. Anlage K2 und die Klageerwiderung, Seite 6 f., Bl. 24 f. d.A.).
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Die Differenz in Höhe von 602,90 € bei den Mietwagenkosten ergibt sich daraus, dass die Klägerin eine Eigenersparnis von nur 3%, die Beklagte hingegen eine solche von 15% ansetzt.
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Das Amtsgericht hat mit dem angegriffenen Endurteil die Beklagte verurteilt, an die Klägerin einen weiteren Betrag in Höhe von 3.015,30 € nebst Zinsen zu bezahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Klageabweisung betrifft die nicht (mehr) erstattungsfähige Desinfektionskosten in Höhe von 44,85 €.
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Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt, dass für die Bemessung des Schadensersatzanspruches der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich sei und daher auch zwischenzeitlich eingetretene Verteuerungen zu Lasten des Schädiger gingen. Bei den Mietwagenkosten sei auch bei gewerblich genutzten Fahrzeugen ein Eigenersparnis in Höhe von 3% anzusetzen.
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Die Beklagte verfolgt mit ihrer Berufung ihr Ziel der vollständigen Klageabweisung weiter. Zur Begründung führt sie insbesondere aus, dass das vom Amtsgericht zitierte Urteil bei der Bemessung der Reparaturkosten im konkreten Fall nicht herangezogen werden könne. Eine vom Schädiger zu erstattende Preiserhöhung nach durchgeführter Reparatur führe zu einer von § 249 Satz 2 BGB nicht vorgesehenen Bereicherung des Geschädigten. Es sei bei der fiktiven Abrechnung auf den Zeitpunkt der Durchführung der Reparatur abzustellen. Ferner sei bei der Wertminderung die enthaltene Umsatzsteuer abzuziehen. Schließlich sei auch ein Abzug von einem Eigenersparnis in Höhe von 3% zu gering. Es seien mindestens 15% anzusetzen.
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Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte – Berufung dürfte jedenfalls teilweise Erfolg haben.
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Die Berufung hat weder neue berücksichtigungsfähige Tatsachen vorgetragen (§ 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) noch konkrete Umstände aufgezeigt, welche Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen landgerichtlichen Feststellungen begründen könnten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Es ist daher von dem in dem angefochtenen Urteil dargelegten Tatbestand auszugehen.
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1. Zutreffend wendet die Beklagtenseite ein, dass bei der merkantilen Wertminderung die Umsatzsteuer abzuziehen ist. Nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 16.07.2024 (VI ZR 243/23 – juris) klargestellt, dass bei der Schätzung des merkantilen Minderwerts eines Fahrzeugs von Netto- und nicht von Bruttoverkaufspreisen auszugehen sei. Wurde der merkantile Minderwert ausgehend vom Bruttoverkaufspreis geschätzt, sei ein dem Umsatzsteueranteil entsprechender Betrag abzuziehen. Das bedeutet im konkreten Fall, dass von der ermittelten Wertminderung in Höhe von 950,00 € die Umsatzsteuer von 19% abzuziehen ist, sodass von der Beklagten auf diesen Posten insgesamt 798,32 € zu zahlen sind. Ein Anspruch über diesen – bereits regulierten – Betrag hinaus besteht daher nicht.
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2. Die eingelegte Berufung wendet sich vollumfänglich gegen das erstinstanzliche Urteil, soweit eine Verurteilung der Beklagten stattgefunden hat. Insoweit sind auch die zugesprochenen Sachverständigenkosten in Höhe von 35,80 € von der Antragsstellung umfasst. Die Berufungsbegründung setzt sich mit diesem Posten jedoch nicht auseinander. Im Übrigen dürfte sich das angefochtene Urteil in diesem Punkt auch als zutreffend darstellen. Auf die Ausführungen im angegriffenen Urteil wird verwiesen.
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3. Hinsichtlich der Reparaturkosten dürfte das Amtsgericht im Ausgangspunkt zutreffend zugrunde gelegt haben, dass verfahrensrechtlich regelmäßig der Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung maßgeblich ist. Dies dürfte grundsätzlich auch in dem hiesigen Fall geltend. Der Klägerin steht es auch frei, die fiktiven Reparaturkosten trotz tatsächlich durchgeführter Reparatur geltend zu machen.
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a) Gleichwohl tendiert die Kammer zu der Annahme, dass Schadensersatzforderungen auf Basis einer fiktiven Reparaturkostenberechnung nicht zeitlich unbegrenzt (möglicherweise bis zum Eintritt der Verjährung) gestützt auf möglicherweise eingetretene Preissteigerungen beliebig korrigiert werden kann. Dies dürfte jedenfalls dann gelten, wenn das Fahrzeug vor Eintritt der Preissteigerungen tatsächlich repariert worden ist und daher die Geschädigte von den Preissteigerungen im konkreten Schadensfall schon gar nicht mehr betroffen sein kann. Zwar ist anerkannt, dass ein Geschädigter auch nach Geltendmachung der fiktiven Reparaturkosten im Falle einer tatsächlichen Durchführung der Reparatur eine Differenz zwischen den bereits bezahlten fiktiven Reparaturkosten und den tatsächlichen Reparaturkosten – etwa aufgrund von Preissteigerungen – nachträglich noch verlangen kann. Dies erscheint auch sachgerecht, nachdem der Geschädigte von diesen Preissteigerungen tatsächlich betroffen wird und die erhöhten Preise tatsächlich zu bezahlen hat. Dagegen besteht kein Bedürfnis den Geschädigten eine fiktive Erhöhung der Reparaturkosten zuzusprechen, wenn er – was ihm freisteht – nicht zu einer konkreten Abrechnung übergeht, sondern sich weiterhin für eine fiktive Abrechnung des Schadens entscheidet. Es war der Klägerin insoweit unbenommen, die Kosten für die tatsächliche Reparatur, sofern dieser über dem im Schadensgutachten ermittelten Wert liegen, geltend zu machen, oder auch bei der Geltendmachung der- möglicherweise höheren – fiktiven Reparaturkosten zu bleiben. Dagegen ist kein Bedürfnis ersichtlich, ihr die Möglichkeit zuzusprechen, auch nach der tatsächlichen Reparatur eintretende Preissteigerungen – von denen sie zweifelsfrei nicht mehr betroffen ist und auch in Zukunft nicht betroffen sein kann – geltend zu machen.
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b) Nur diese Sichtweise dürfte dem schadensrechtlichen Bereicherungsverbot entsprechen. Dementsprechend beschränken sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch im Rahmen einer fiktiven Abrechnung der zur Herstellung erforderliche Geldbetrag auf die tatsächlich angefallenen Bruttokosten, wenn der Geschädigte seinen Kraftfahrzeugsachschaden sach- und fachgerecht in dem Umfang reparieren lässt, den der eingeschaltete Sachverständige für notwendig gehalten hat, und die von der beauftragten Werkstatt berechneten Reparaturkosten die von dem Sachverständigen angesetzten Kosten unterschreiten. Der Geschädigte hat in diesem Fall keinen Anspruch auf Zahlung des vom Sachverständigen angesetzten Nettobetrags zuzüglich der tatsächlich gezahlten Umsatzsteuer, soweit dieser Betrag die tatsächlich gezahlten Bruttoreparaturkosten übersteigt. Eine abweichende Betrachtung würde dazu führen, dass der Geschädigte an dem Schadensfall verdient, was dem Verbot widerspräche, sich durch Schadensersatz zu bereichern (vgl. BGH Urt. v. 3.12.2013 – VI ZR 24/13, BeckRS 2014, 973 Rn 11). Die Kammer verkennt nicht, dass vorliegend kein Ersatz konkreter Reparaturkosten begehrt wird und die tatsächlich angefallenen Kosten der Reparatur – anders als in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall – nicht unstreitig sind, jedoch ist der Gedanke entsprechend heranzuziehen. Die Klagepartei hat bislang nicht vorgetragen, in welcher Höhe sie Reparaturkosten gezahlt hat, was alleine den Grund dafür darstellt, dass die Beschränkung auf die tatsächlichen Reparaturkosten nach der vorgenannten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung kommt. Aus Sicht der Kammer würde es jedoch erst recht gegen das schadensrechtliche Bereicherungsverbot verstoßen, wenn der Geschädigte an Kostensteigerungen profitieren könnte, die ihn mit Sicherheit nicht mehr treffen können.
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c) Hinzu kommt im Streitfall, dass der Schadensersatzanspruch der Klägerin vor Geltendmachung der Kostensteigerungen in materieller Hinsicht bereits (nahezu) erfüllt war.
19
Die Beklagte hat die zunächst geltend gemachten Reparaturkosten in Höhe von 12.080,81 € unter eines geringen Abzugs mit Schreiben vom 28.06.2022 und 24.01.2023 in Höhe von insgesamt 11.943,86 € reguliert. Das Fahrzeug selbst ist bereits im Zeitraum vom 20.05 bis 07.06.2022 repariert worden. Erst nach der erfolgten Reparatur und fast vollständigen Regulierung der Reparaturkosten übermittelte die Klägerin der Beklagten mit Schreiben vom 05.05.2023 eine Neuberechnung der Reparaturkosten und forderte sie zur Zahlung der Differenz in Höhe von 2.132,81 € auf.
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Die vollständige Erfüllung des Ersatzanspruchs führt jedoch dazu, dass spätere Kostensteigerungen nicht mehr zu berücksichtigen sind (vgl. BGH, Urteil vom 18. Februar 2020 – VI ZR 115/19 – juris Tz. 12 m.w.N.). Dies im Streitfall im Hinblick darauf anders zu sehen, weil die Erfüllung des Ersatzanspruchs hinsichtlich der Reparaturkosten von 12.035,96 € um einen Betrag von 92,10 € (und damit weniger als 1%) hinter einer vollständigen Erfüllung zurückblieb (sie zu den Werten zugleich unter d), erscheint nicht veranlasst.
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d) Die Kammer schließt sich den Ausführungen des Amtsgerichts hingegen insoweit an, als eine Verweisung auf eine günstigere Werkstatt nicht durchgreift, da das Fahrzeug scheckheftgepflegt sein dürfte. Diese Feststellungen werden von der Beklagtenseite in der Berufung auch nicht weiter angegriffen. Die erstattungsfähigen Reparaturkosten belaufen sich auf insgesamt 12.035,96 € (12.080,81 abzüglich der Desinfektionskosten i.H.v 44,85 €), sodass noch die Differenz in Höhe von 92,10 € zu zahlen wäre.
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4. Schließlich weist die Kammer darauf hin, dass in der Kammer keine einheitliche Rechtsprechung hinsichtlich der Höhe der abzuziehenden Eigenersparnis bei gewerblich genutzten Fahrzeugen besteht. Das vom Erstgericht aus dem Jahr 2015 stammende zitierte Urteil kann hier nicht ohne nähere Auseinandersetzung mit der Thematik herangezogen werden.
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Auch in der bundesweiten (obergerichtlichen) Rechtsprechung existieren keine einheitlichen festen Prozentsätze. Der von der Beklagten vorgenommene Ansatz von 15% erscheint jedoch hoch gegriffen.
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Zutreffend weist die Beklagte in der Berufungsbegründung darauf hin, dass keinerlei Feststellungen getroffen worden sind, inwieweit die Mietwagenkosten höher lagen als dies bei einem privat genutzten Fahrzeug der Fall wäre. Hier wären unter Umständen noch weitere Feststellungen zu treffen.
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Im Rahmen der vorgeschlagenen gütlichen Einigung werden hierfür pauschal 422,04 € (70% des streitigen Betrags) angesetzt.
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5. Ein Anspruch auf weitere außergerichtliche Rechtsanwaltskosten dürfte nicht bestehen bei einem ermittelten außergerichtlich begründeten Gegenstandswert von 18.860,12 €. Die hierfür erstattungsfähigen 953,40 € wurden von der Beklagten bereits vollständig reguliert.
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Die Kammer schlägt den Parteien daher den Abschluss des folgenden Vergleichs vor:
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a) Die Beklagte zahlt an die Klägerin einen Betrag von weiteren 549,94 €.
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b) Mit Abschluss und Durchführung dieses Vergleichs sind sämtliche Ansprüche der Klägerin aus dem streitgegenständlichen Unfallereignis vom 19.05.2022 abgegolten und erledigt, soweit diese nicht aufgrund gesetzlicher Grundlage auf einen Sozialversicherungsträger oder sonstigen Dritten übergegangen sind oder noch übergehen.
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c) Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen und dieses Vergleichs tragen die Klägerin 82% und die Beklagte 18%.
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Die Kostenregelung geht dabei von einem erstinstanzlichen Streitwert von 3.060,15 € aus, hinsichtlich dessen die Klägerin mit 549,94 € (ca. 18%) obsiegt. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird mit 3.015,30 € angesetzt, wovon die Klägerin mit 549,94 € (ca. 18%) obsiegt.
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Beide Parteivertreter sind aufgefordert, binnen zwei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses zum Vergleichsvorschlag Stellung zu nehmen.
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Beide Parteivertreter haben – falls ein Vergleich nicht zustande kommt – zudem binnen zwei weiterer Wochen Gelegenheit, zu den erteilten Hinweisen Stellung zu nehmen.